Ferruccio Busoni an Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · 8. April 1916

Faksimile
Diplomatische Umschrift
Lesefassung
XML
17.8. April 1916

Hochverehrter Freund,

nun war es mir doch nicht vergönnt,
rechtzeitig nach Bern zu kommen. Zu Generalprobe und Uraufführung von Hubers Oper Die schöne Bellinda (1. bzw. 2. April 1916).
Ich hatte eine komplizierte Zeit – auf
den Samstag fiel auch dieser fatale Tag, Busonis 50. Geburtstag (1. April 1916).
[…] 2 Zeichen: durchgestrichen. dem Sie ein so glücklich abgefasstes
Telegramm Nicht überliefert. gütig widmeten. (Dafür vorerst
warmempfundenen Dank!)

Dazwischen geriet überdies die
Generalprobe von Andreae’s Ratcliff – (ein
Buch, das häufiger, als sonst in der Oper,
den Dichter verräth) – u. der ich nicht
umhin konnte beizuwohnen. Die ersten Zürcher Aufführungen von Volkmar Andreaes Oper Ratcliff fanden am 30. März sowie am 5. und 11. April 1916 statt (Willimann 1994, S. 54). Die
Emotionen, durch mannigfache Kundge-
bungen zu meinem Jahrestage hervor-
gerufen, gingen nicht ohne Reaction
vorbei. – Ich fühlte mich durch diese,
u. die vorausgegangene ÜberArbeit,
ein wenig vermürbt.

An dem Ratcliff konnte ich
wieder einmal bestätigen, dass

die Voraussetzungen des Dramas
nicht dieselben sind, als die der Oper

17.

Hochverehrter Freund,

nun war es mir doch nicht vergönnt, rechtzeitig nach Bern zu kommen. Zu Generalprobe und Uraufführung von Hubers Oper Die schöne Bellinda (1. bzw. 2. April 1916). Ich hatte eine komplizierte Zeit – auf den Samstag fiel auch dieser fatale Tag, Busonis 50. Geburtstag (1. April 1916). dem Sie ein so glücklich abgefasstes Telegramm Nicht überliefert. gütig widmeten. (Dafür vorerst warmempfundenen Dank!)

Dazwischen geriet überdies die Generalprobe von Andreaes Ratcliff – (ein Buch, das häufiger als sonst in der Oper den Dichter verrät) – und der ich nicht umhin konnte beizuwohnen. Die ersten Zürcher Aufführungen von Volkmar Andreaes Oper Ratcliff fanden am 30. März sowie am 5. und 11. April 1916 statt (Willimann 1994, S. 54). Die Emotionen, durch mannigfache Kundgebungen zu meinem Jahrestage hervorgerufen, gingen nicht ohne Reaktion vorbei. – Ich fühlte mich durch diese, und die vorausgegangene Überarbeit, ein wenig vermürbt.

An dem Ratcliff konnte ich wieder einmal bestätigen, dass die Voraussetzungen des Dramas nicht dieselben sind als die der Oper und dass man die gleichen Voraussetzungen an Oper und Drama stellt, indem man durch den beiden gemeinsam zufallenden Begriff „Theater“ irregeführt wird. Darum schien mir die Wahl Ihres Stoffes die richtigere, wenngleich die Dichtung nicht stark genug sich erwies, als ich sie las. – Zürnen Sie nicht meiner Offenheit, und berichten sie vielmehr, dass die Aufführung mir Unrecht gibt: Denn in Sachen der Bühne sind Theorien unmaßgebend.

Hoffentlich brachte Ihnen das Erlebnis (denn ein solches ist es stets, wenn man die Konzeption aus der Arbeitsstube in das Leben stellt und es Gestalt annehmen sieht) Freude und Genugtuung.

Ich habe noch nichts über Bellinda verlauten gehört und bin also nun umso mehr gespannt.

Ich grüße Sie allerherzlichst und verehrungsvoll. Ihr treuer

Zürich, 8. April 1916.

Ferruccio Busoni

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="numbering" place="top-right" resp="#archive">17.</note> <note type="dating" place="right" resp="#archive">8. April 1916</note> <opener> <salute rend="indent">Hochverehrter Freund,</salute> </opener> <p>nun war es mir doch nicht vergönnt, <lb/>rechtzeitig nach <placeName key="E0500186">Bern</placeName> zu kommen. <note type="commentary" resp="#E0300314">Zu Generalprobe und Uraufführung von <persName key="E0300125">Hubers</persName> Oper <title key="E0400156">Die schöne Bellinda</title> (<date when-iso="1916-04-01/1916-04-02">1. bzw. 2. April 1916</date>).</note> <lb/>Ich hatte eine komplizierte Zeit – auf <lb/>den Samstag fiel auch dieser fatale Tag, <note type="commentary" resp="#E0300314"><persName key="E0300017">Busonis</persName> 50. Geburtstag (<date when-iso="1916-04-01">1. April 1916</date>).</note> <lb/><del rend="strikethrough"><gap reason="strikethrough" extent="2" unit="char"/></del> dem Sie ein so glücklich abgefasstes <lb/>Telegramm <note type="commentary" resp="#E0300314">Nicht überliefert.</note> gütig widmeten. (Dafür vorerst <lb/>warmempfundenen Dank!) </p> <p rend="indent-first">Dazwischen geriet überdies die <lb/>Generalprobe von <persName key="E0300129">Andreae<orig>’</orig>s</persName> <title key="E0400257">Ratcliff</title> – (ein <lb/>Buch, das häufiger<orig>,</orig> als sonst in der Oper<orig>,</orig> <lb/>den <hi rend="underline">Dichter</hi> verrät<orig>h</orig>) – <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> der ich nicht <lb/>umhin konnte beizuwohnen. <note type="commentary" resp="#E0300314">Die ersten <placeName key="E0500132">Zürcher</placeName> Aufführungen von <persName key="E0300129">Volkmar Andreaes</persName> Oper <title key="E0400257">Ratcliff</title> fanden am <date when-iso="1916-03-30">30. März</date> sowie am <date when-iso="1916-04-05">5.</date> und <date when-iso="1916-04-11">11. April 1916</date> statt <bibl>(<ref target="#E0800058"/>, S. 54)</bibl>.</note> Die <lb/>Emotionen, durch mannigfache Kundge <lb break="no"/>bungen zu meinem Jahrestage hervor <lb break="no"/>gerufen, gingen nicht ohne Rea<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>tion <lb/>vorbei. – Ich fühlte mich durch diese, <lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> die vorausgegangene Über<choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>rbeit, <lb/>ein wenig vermürbt.</p> <p type="pre-split" rend="indent-first">An dem <title key="E0400257">Ratcliff</title> konnte ich <lb/>wieder einmal bestätigen, dass <lb/><hi rend="indent">die Voraussetzungen des Dramas <lb/>nicht dieselben sind<orig>,</orig> als die der Oper</hi> </p></div>
2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
2XML


u. wo dass da man die gleichen
Voraussetzungen an Oper u. Drama
stellt, indem man durch den

beiden gemeinsam zufallenden

Begriff „Theater“ irregeführt wird.
Darum schien mir die Wahl Ihres
Stoffes
die richtigere, wenngleich
die Dichtung nicht stark genug erscheint
sich erwies, als ich sie las. – Zürnen
Sie nicht meiner Offenheit, u. berichten
sie vielmehr, dass die Aufführung
mir Unrecht giebt: denn […] 1 Zeichen: durchgestrichen. in Sachen
der Bühne sind Theorien unmaasgebend.

Hoffentlich brachte Ihnen das
Erlebnis (denn ein solches ist es stets,
wenn man die Konzeption aus
der Stud Arbeitsstube in die das
Leben stellt, u. es Refardt 1939 (15): „sie“. Gestalt annehmen
sieht) Freude u. Genugthuung.

Ich habe noch Nichts über
Belinda verlauten gehört und
bin also nun um so mehr gespannt.

Ich grüsse Sie allerherzlichst
u. verehrungsvoll.
Ihr treuer

Zürich 8. Apr. 1916.

Ferruccio Busoni

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"> <lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <del rend="strikethrough">wo</del> dass <del rend="strikethrough">da</del> man die gleichen <lb/>Voraussetzungen an Oper <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Drama <lb/>stellt, indem man durch den <lb/><hi rend="indent">beiden gemeinsam zufallenden</hi> <lb/>Begriff <mentioned rend="dq-du">Theater</mentioned> irregeführt wird. <lb/>Darum schien mir die Wahl <rs key="E0400156">Ihres <lb/>Stoffes</rs> die richtigere, wenngleich <lb/>die Dichtung nicht stark genug <del rend="strikethrough">erscheint</del> <lb/>sich erwies, als ich sie las. – Zürnen <lb/>Sie nicht meiner Offenheit, <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> berichten <lb/>sie vielmehr, dass die Aufführung <lb/>mir Unrecht gi<orig>e</orig>bt: <choice><orig>d</orig><reg>D</reg></choice>enn <del rend="strikethrough"><gap reason="strikethrough" extent="1" unit="char"/></del> in Sachen <lb/>der Bühne sind Theorien unma<choice><orig>as</orig><reg>ß</reg></choice>gebend.</p> <p rend="indent-first">Hoffentlich brachte Ihnen das <lb/>Erlebnis (denn ein solches ist es stets, <lb/>wenn man die Konzeption aus <lb/>der <del rend="strikethrough">Stud</del> Arbeitsstube in <del rend="strikethrough">die</del> das <lb/>Leben stellt<orig>,</orig> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> es <note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff"><bibl><ref target="#E0800047"/> (15)</bibl>: <q>sie</q>.</note> Gestalt annehmen <lb/>sieht) Freude <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Genugt<orig>h</orig>uung.</p> <p rend="indent-first">Ich habe noch <choice><orig>N</orig><reg>n</reg></choice>ichts über <lb/><title key="E0400156">Bel<reg>l</reg>inda</title> verlauten gehört und <lb/>bin also nun um<orig> </orig>so mehr gespannt.</p> <closer> <salute rend="indent"> Ich grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Sie allerherzlichst <lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> verehrungsvoll. <lb/><seg rend="align(center)">Ihr treuer</seg> </salute> <dateline><placeName key="E0500132">Zürich</placeName><reg>,</reg> <date when-iso="1916-04-08">8. <choice><abbr>Apr.</abbr><expan>April</expan></choice> 1916</date>.</dateline><signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">Ferruccio Busoni</persName> </signed> </closer> </div>
3Faksimile
3Diplomatische Umschrift
3XML
[Rückseite von Textseite 1, vacat]
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0300314">[Rückseite von Textseite 1, vacat]</note> </div>
4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
4XML
[Rückseite von Textseite 2, vacat]
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0300314">[Rückseite von Textseite 2, vacat]</note> </div>

Dokument

doneStatus: zur Freigabe vorgeschlagen XML Faksimile Download / Zitation

Überlieferung
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten sind beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen und das Datum auf die erste Seite übertragen hat.

Zusammenfassung
Busoni bedauert, wegen seines 50. Geburtstages und der Zürcher Aufführung von Volkmar Andreaes Oper Ratcliff die Berner Uraufführung von Hubers Oper Die schöne Bellinda versäumt zu haben; vergleicht die Vorlagen beider Werke nach Eignung des Stoffes und der Dichtung.
Incipit
nun war es mir doch nicht vergönnt

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
27. Juni 2017: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Refardt 1939, S. 14 f.