Ferruccio Busoni an Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · 7. September 1916

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22.7. Sept. 1916

Verehrtester Freund,

Ihre guten Zeilen thaten
mir besonders wohl. – Der dritte
Herbst beginnt und noch
zeigen die Dinge keine Wendung.
Über Boccioni hätte ich noch
manches Andere geschrieben,
aber man hätte es nicht zum
Druck angenommen! Die
Zeit steht im Zeichen des Maul-
Korbes. Die Menschen sind nicht
gut, und auch nicht ehrlich.

Um so mehr freut man sich
über die Einzelnen, Einsamen,
heute völlig Isolierten. Ich
rechne Sie dankbar zu diesen.

22.

Verehrtester Freund,

Ihre guten Zeilen taten mir besonders wohl. – Der dritte Herbst beginnt und noch zeigen die Dinge keine Wendung. Über Boccioni hätte ich noch manches Andere geschrieben, aber man hätte es nicht zum Druck angenommen! Die Zeit steht im Zeichen des Maulkorbes. Die Menschen sind nicht gut, und auch nicht ehrlich.

Umso mehr freut man sich über die Einzelnen, Einsamen, heute völlig Isolierten. Ich rechne Sie dankbar zu diesen.

Krampfhaft klammere ich mich an die Arbeit. Ich habe seit der „Geburt“ des Arlecchino wieder einiges vollbracht.

Unter anderem die Revision dreier Bach’scher Toccaten, Toccata e-Moll BWV 914, Toccata g-Moll BWV 915 und Toccata G-Dur BWV 916; zumsammen mit Fantasie und Fuge a-Moll BWV 904 im Jahr 1920 bei Breitkopf & Härtel erschienen als Band 18 der Busoni-Ausgabe von Bachs Klavierwerken. auf die ich sehr gerne Ihren Namen setzen zu dürfen wünschte.

Wollen Sie mir dieses erlauben?

Inzwischen ist „La Campanella“ für die Sie sich interessierten, erschienen. – Ferner die erste Biographie meiner Geringheit, von Dr. Leichtentritt verfasst. – Der Insel-Verlag hat meine vermehrte Ausgabe des „Entwurfes“ zu einer neuen Ästhetik der Tonkunst druckfertig bei sich.

Vielleicht kann der Einakter in Zürich zur Darstellung kommen, und dann würde ich Sie freudigst als Pate begrüßen.

Weiter fertigte ich eine „Kontrapunkt-Studie“ über die Fantasie und Fuge a-Moll von Bach, und eine Improvisation à 2 Pianos über ein Bach’sches Chorallied. –

Das ist doch recht tüchtig, nicht?

Nun muss ich wieder „üben“, zumal wenn ich mit Ehren in Basel bestehen soll. Über Daten, Programme und anderes Geschäftliche schreibe ich bald wieder.

(Wäre ein Gesamthonorar von 6000 übermäßig?)

Seien Sie nochmals bedankt, herzlich und verehrungsvoll begrüßt. Ihre Elisabeth vermisste ich in Luzern!

Ihr treu ergebener

Ferruccio Busoni

7. September 1916.
II
                                                                
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(2)

Krampfhaft klammere ich
mich an die Arbeit. Ich habe
seit der „Geburt“ des Arlecchino
wieder Einiges vollbracht.

Unter Anderem die Revision
dreier Bach’scher Toccaten, Toccata e-Moll BWV 914, Toccata g-Moll BWV 915 und Toccata G-Dur BWV 916; zumsammen mit Fantasie und Fuge a-Moll BWV 904 im Jahr 1920 bei Breitkopf & Härtel erschienen als Band 18 der Busoni-Ausgabe von Bachs Klavierwerken. auf
die ich sehr gerne Ihren Namen
setzen zu dürfen wünschte.

Wollen Sie mir dieses erlauben?

Inzwischen ist „La Campanella“
für die Sie sich interessierten, er-
-schienen. – Ferner die erste Biogra-
phie meiner Geringheit
, von Dr.
Leichtentritt
verfasst. – Der Insel-
Verlag
hat meine vermehrte
Ausgabe
des “Entwurfes” zu einer
neuen Aesthetik der Tonkunst

druckfertig bei sich.

Vielleicht kann der Einakter
in Z. zur Darstellung kommen,

                                                                
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3Diplomatische Umschrift
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(3)
u. dann würde ich Sie freudigst
als Pathe begrüssen.

Weiter fertigte ich eine
„Kontrapunkt-Studie“ über die
Fant. u. Fuge A moll von Bach,
u. eine Improvisation à 2 Pianos
über ein Bach’sches ChoralLied
. –

Das ist doch recht tüchtig, nicht?

Nun muss ich wieder „üben“,
zumal wenn ich mit Ehren in
Basel bestehen soll. Über Daten,
Programme u. anderes Geschäftliche
schreibe ich bald wieder.

(Wäre ein Gesamt Honorar von 6000
übermässig?)

Seien Sie nochmals bedankt,
herzlich u. verehrungsvoll begrüsst.
Ihre Elisabeth vermisste ich in
Luzern! Dieser Satz über Elisabeth Huber fehlt bei Refardt 1939 (18).

Ihr treu ergebener

Ferruccio Busoni

7. S. 1916.
                                                                
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Überlieferung
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
3 Blatt, 3 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift Nummerierung und Foliierung vorgenommen und das Datum auf die erste Seite übertragen hat.
  • Unbekannte Hand, die eine römische Nummerierung mit Bleistift eingetragen hat.
  • Unbekannte Hand (Anstreichungen mit Rotstift am linken Rand).

Zusammenfassung
Busoni weist auf Zensur-Bedingungen seines Boccioni-Artikels hin; sucht Ablenkung vom Kriegsgeschehen durch die Arbeit; trägt Huber die Widmung seiner Revision der Bach-Toccaten BWV 914, 915, 916 an; weist auf seine Ausgabe von Liszts Paganini-Etüde La campanella, auf Hugo Leichtentritts Busoni-Biographie sowie auf die bevorstehende Neuausgabe des Entwurfs einer neuen Ästhetik der Tonkunst hin; hofft auf eine Arlecchino-Aufführung in Zürich; hat Bachs Fantasie und Fuge a-Moll BWV 904 bearbeitet und eine Improvisation für zwei Klaviere über Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen komponiert; schlägt für die Klavierabende ein Honorar von CHF 6.000 vor.
Incipit
Ihre guten Zeilen thaten mir besonders wohl.

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
unter Mitarbeit von
Stand
13. November 2017: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Refardt 1939, S. 18