## Title: Ferruccio Busoni an Hans Huber (30. Mai 1918, vmtl. Zürich) ## Author: Ferruccio Busoni ## Version: 0.4 ## Origin: https://busoni-nachlass.org/D0100211 ## License: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ | 30. Mai 1918 Lieber Verehrter, durch ein Missverständnis (an dem indirekt der Krieg schuld ist) erscheint die Klavierübung ohne die geplante Vorrede. – Es lag mir fern, Klavier Figuren zu konstruieren, die vielleicht kurios, aber unausführbar wären. Der arme Schüler denkt, es ist seine Unfähigkeit, verbohrt sich und verrenkt sich die Finger. – Darum sollen auch die transponablen Beispiele nur so weit geführt werden, als sie keine unnatürlichen Stellungen ergeben. Darum werden Sie auch vorläufig nichts Frappantes zu schauen bekommen, wohin gegen alles in dem Hefte (besonders die Fingersätze) aus der Erfahrung gewonnen ist. Ich rechne auf mindestens vier solcher Hefte (das zwote ist in Arbeit), um ein Ganzes herzustellen: Die erstrebte Universalität dieses Übungswerkes fürchte ich nicht zu erreichen. – Die Don-Juan Fantasie ist – glaub’ ich – der erste Versuch, an Liszt eine analytische Ausgabe zu präsentieren. Damit | hab’ ich mir die größte Mühe gegeben, das aufzuzeichnen, was ich aus jahrelangem Studium für mich festgestellt hatte! Keine Note wurde übergangen. Die deutschen Übersetzungen sind meine eigenen, und sie decken sich treuer mit dem Original (und den Mozart’schen Inter vallen und Rhythmen) als die früheren. Das äußerste schwierige pianistische Problem erscheint fast mühelos gelöst. So kommt es mir vor. Vielleicht, dass ich mich hierin täusche. – Dieser Tage folgt noch eine Sonatina in Diem Nativitatis Christi, ein Weihnachtsstückchen: und damit haben Sie die kleine Ernte meiner klavieristischen Arbeiten von 1917 beisammen. – Nehmen Sie alles freundlich und womöglich freudig auf. Am 24. fand die achte und letzte Aufführung meiner operum theatralicarum statt. Am 10. wurde das Klarinettenkonzert mit Orchester probiert. – Dann Mit diesen Begebenheiten beschlossen meine Saison. – Der Sommer fordert die Vollendung mancher begonnenen Arbeit – bis zum 2. Juni gebe ich mich indessen einer behaglichen Ferienstimung hin. | Eine behagliche Fehrienstimmung, die durch die Jahreszeit und das Atemholen in der Arbeit bedingt, aber durch keine anderen Umstände gestützt wird. Denn ich stehe vor wie am Eingange eines dunklen tiefen Ganges – ich fi[…] in den ich eintreten soll und von dem ich nicht weiß, wohin er führt. Ob man, durch denselben, wieder an das Tageslicht gelangt? – Schwerer Augenblick! Diese Ferien mrüßten also – bevor sie zu Ende gehen – über diese Frage Auf schluss bringen. – Denn, wie denken Sie sich eine weitere Verlängerung meines Schweizer Aufenthaltes? – Er fällt (nach dem Durchführungsteil meines Lebens) in das Moment, wo die Grundtonart wieder rein und endgiltig festgestellt werden sollte! Aber ein neues Motiv in der Coda? (Gehört zu den Ausnahmen, sagte mein Lehrer Remy!). – Ich freue mich gewaltig auf den versprochenen Brief und danke Ihnen dafür, grüße Sie tief-herzlich und hoch-achtend als Ihr Sie verehrender F. Busoni | | |