## Title: Ferruccio Busoni an Hans Huber (22. April 1919, vmtl. Zürich) ## Author: Ferruccio Busoni ## Version: 0.4 ## Origin: https://busoni-nachlass.org/D0100218 ## License: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ | Hochverehrter Freund, schön, dass Sie am Ostersonntag meiner gedachten: es ist mein eigentlicher Geburtstag, da 1866 der 1. April ^auf Domenica di Pasqua fiel. Ein höchst beweglicher Geburtstag, der mich diesjahr um ganze drei Wochen verjüngte! (Trotzdem es mich sehr direkt betrifft, habe ich die Kalender berechnung – die den Tag ^scheinbar ganz unre gelmässig verschiebt – nie völlig erfasst.) Wolfrum ist im Engadin. Er schickte mir die Korrektur eines Vorwortes zu Liszts Kirchenwerken; und da dieses ausführlich bespricht, was Sie zuletzt um Liszt beschäftigte, so habe ich Wolfrum aufgefordert, das Schriftstück an Sie (nach Vitznau) zu senden. – Es wird Sie sicherlich interessieren, obwohl wenn auch nicht überraschen. Ob Schoecks Oper Sie überra schen würde, kann ich nicht ermessen, da ich nicht genau weiß, wie Sie seine Fähigkeiten einschätzen. | Ein ehrlicher und braver Schweizer bub’, wie Sie ihn nennen, ist noch nicht alles, um ein Werk auf die Beine zu stellen, das in seinen Aspirationen Don Quixote und Figaro vereinen sollte und demnach und überdies nicht am Züricher See sich abspielt. – Ich glaube einen Fortschritt zu hören, und es sind hübsche Einfälle und wohl getroffene Töne darin. Es sind sogar Ansätze zu Theatralik vor handen, und – ich wiederhole – es hört sich meist angenehm an und gefällt. – Weit lieber als Klose ist es mir; aber gemeinsam haben die Beiden, dass sie retrospektiv sind. Es ist aber sympathischer, Lortzing zu verjüngen, als Nibelungenkohl aufzuwärmen. – Wenn Schoeck die nächsten zehn Jahre sehr streng mit sich selber vorginge, dann würde er ein liebenswerter, sogar ein ernster Meister. Ich wünsche es ihm, da ich ebenfalls ihn herzlich gern habe. | Meine Kritik (ich gab ihm das Sujet ein) habe ich ihm offen vorgetragen: Er hörte sie gerne an. Sein Librettist, ein Berner Apotheker, hat dem Komponisten oft den Weg verstellt. Schoeck war nicht erfahren genug, um dieses vorher zu überschauen. Ich werde mir das Stück am Freitag zum zweiten Male anhören. – Schoeck hat Vertrag mit Br. & H. und ist im ganzen in einer günstigen Situation. Dieser Aladdin-Rolle ist er etwas bewusst und gibt sich vielleicht ihr ein wenig hin. Hätte er Oehlenschläger’s Aladdin gelesen, so wüßte er, dass diesem Glückskind mit der Kindheit auch das Glück ferne rückt, dass er durch viele Prüfungen schreiten muss, wogegen ihm die Wunderlampe immer weniger hilft; und dass er endlich – zu ernster Männlichkeit durch Leiden gereift – der Wunderlampe entsagt, die der er nicht mehr nöthig hat bedarf. Das wäre eine Oper! Ihr herzlich und verehrungsvoll ergebener F. Busoni 22. A. 1919. | | |