Hans Huber to Ferruccio Busoni arrow_back

Vitznau · September 2, 1920

Facsimile
Diplomatic transcription
Reading version
XML
Mus.ep. H. Huber 87 (Busoni-Nachl. B II) Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2313
2 Sept. 1920

Mein lieber Freund!

Wie oft haben Sie mich auf meinen einsamen Wegen
begleitet & wie stark hat mich der Stil Ihres Lebens &
Ihrer Kunst begeistert, als gehörte ich zu denjenigen Menschen,
die ihre Jugend erst im Alter erleben! Dieser Zweispalt,
der sich in meiner Krankheit im̅er mehr herauskehrte, war
der Grund meines Schweigens. Das scheinbare Verküm̅ern
der geistigen Fakultäten oder das Mühsamwerdende im
Ausdrucke verküm̅erten meine Liebe zu brieflichen
Mittheilungen. Und so lebte ich bereits von Erin̅erungen
oder von der Vergangenheit, welch’ letztere so schön
wirkt, weil ihr, um nur eins zu erwähnen, das
Element der Furcht bereits entzogen ist. –

Für die Gegenwart aber müßen

Vitznau 2. September 1920

Mein lieber Freund!

Wie oft haben Sie mich auf meinen einsamen Wegen begleitet, und wie stark hat mich der Stil Ihres Lebens und Ihrer Kunst begeistert, als gehörte ich zu denjenigen Menschen, die ihre Jugend erst im Alter erleben! Dieser Zweispalt, der sich in meiner Krankheit immer mehr herauskehrte, war der Grund meines Schweigens. Das scheinbare Verkümmern der geistigen Fakultäten oder das Mühsamwerdende im Ausdrucke verkümmerten meine Liebe zu brieflichen Mitteilungen. Und so lebte ich bereits von Erinnerungen oder von der Vergangenheit, welch’ letztere so schön wirkt, weil ihr, um nur eins zu erwähnen, das Element der Furcht bereits entzogen ist. –

Für die Gegenwart aber müssen Sie etwas mit sich herausnehmen, welches zu meinem stärksten Glauben gehört: nämlich die Überzeugung an Ihre allererste Stellung im jetzigen Musikleben. Jede unangenehme Episode des neuen Lebens und der Zukunft sei zum Voraus damit aus dem Wege geschafft! Mit keinem Wanke mehr zurück!

Stetsfort werde ich in Liebe und Treue an Sie und Ihr Zukunftswerk denken und für Ihr Glück beten. Am 1. Oktober gehen wir wieder nach Locarno (Grand-Hôtel), und ich will hoffen, dass es mir dort besser gehen wird als in den letzten Wochen in Vitznau, die mich sehr angegriffen haben. Von meiner Frau und von mir an Sie und Ihre liebe Frau die allerherzlichsten Abschiedsgrüße (ständen sie jetzt vor mir, müsste ich weinen!), und gedenken Sie etwa in großen Momenten an Ihren kleinen, aber treuen

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive"> <del rend="strikethrough" xml:id="delSig">Mus.ep. H. Huber 87 (Busoni-Nachl. <handShift new="#archive_red"/>B II<handShift new="#archive"/>)</del> <add place="margin-left" rend="rotate(-90)" xml:id="addSig">Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2313</add> </note> <opener> <dateline> <fw place="left">Dr. <hi rend="majuscule"><persName key="E0300125">Hans Huber</persName></hi></fw> <fw place="right" rend="majuscule"><placeName key="E0500200">Vitznau</placeName></fw> 2<reg>.</reg> <choice><abbr>Sept.</abbr><expan>September</expan></choice> 1920</dateline> <salute rend="indent">Mein lieber Freund!</salute> </opener> <p>Wie oft haben Sie mich auf meinen einsamen Wegen <lb/>begleitet<reg>,</reg> <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> wie stark hat mich der Stil Ihres Lebens <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> <lb/>Ihrer Kunst begeistert, als gehörte ich zu denjenigen Menschen, <lb/>die ihre Jugend erst im Alter erleben! Dieser Zweispalt, <lb/>der sich in meiner Krankheit i<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>er mehr herauskehrte, war <lb/>der Grund meines Schweigens. Das scheinbare Verkü<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>ern <lb/>der geistigen Fakultäten oder das Mühsamwerdende im <lb/>Ausdrucke verkü<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>erten meine Liebe zu brieflichen <lb/>Mitt<orig>h</orig>eilungen. Und so lebte ich bereits von Eri<choice><abbr>n̅</abbr><expan>nn</expan></choice>erungen <lb/>oder von der Vergangenheit, welch’ letztere so schön <lb/>wirkt, weil ihr, um nur eins zu erwähnen, das <lb/>Element der Furcht bereits entzogen ist. –</p> <p type="pre-split" rend="indent-first">Für die Gegenwart aber mü<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>en </p></div>
2Facsimile
2Diplomatic transcription
2XML

Sie etwas mit sich herausnehmen, welches zu meinem
stärksten Glauben gehört: nämlich die Ueberzeugung
an Ihre allererste Stellung im jetzigen Musikleben.
Jede unangenehme Episode des neuen Lebens & der
Zukunft sei zum Voraus damit aus dem Wege geschafft!
Mit keinem Wanke mehr zurück!

Stetsfort werde ich in Liebe & Treue an Sie & Ihr
Zukunftswerk denken & für Ihr Glück beten.
Am 1. October gehen wir wieder nach Locarno (Grand-Hôtel)
& ich will hoffen, daß es mir dort beßer gehen wird,
als in den letzten Wochen in Vitznau, die mich sehr
angegriffen haben. Von meiner Frau & von mir an Sie
& Ihre liebe Frau die allerherzlichsten Abschiedsgrüße
(ständen sie jetzt vor mir, müßte ich weinen!) &
gedenken Sie etwa in großen Momenten
an Ihren kleinen aber treuen

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"> <add place="margin-left">Sie </add>etwas mit sich herausnehmen, welches zu meinem <lb/>stärksten Glauben gehört: nämlich die <choice><orig>Ue</orig><reg>Ü</reg></choice>berzeugung <lb/>an Ihre <hi rend="underline">allererste Stellung</hi> im jetzigen Musikleben. <lb/>Jede unangenehme Episode des neuen Lebens <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> der <lb/>Zukunft sei zum Voraus damit aus dem Wege geschafft! <lb/>Mit keinem Wanke mehr zurück!</p> <p rend="indent-first">Stetsfort werde ich in Liebe <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> Treue an Sie <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> Ihr <lb/>Zukunftswerk denken <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> für Ihr Glück beten. <lb/>Am <date when-iso="1920-10-01">1. O<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>tober</date> gehen wir wieder nach <placeName key="E0500183">Locarno</placeName> (<placeName key="E0500215">Grand-Hôtel</placeName>)<reg>,</reg> <lb/><choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> ich will hoffen, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> es mir dort be<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>er gehen wird<orig>,</orig> <lb/>als in den letzten Wochen in <placeName key="E0500200">Vitznau</placeName>, die mich sehr <lb/>angegriffen haben. Von <rs key="E0300239">meiner Frau</rs> <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> von mir an Sie <lb/><choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> <rs key="E0300059">Ihre liebe Frau</rs> die allerherzlichsten Abschiedsgrüße <lb/>(ständen sie jetzt vor mir, mü<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>te ich weinen!)<reg>,</reg> <choice><abbr>&amp;</abbr><expan>und</expan></choice> <lb/>gedenken Sie etwa in großen Momenten <lb/>an Ihren kleinen<reg>,</reg> aber treuen</p> <closer><salute rend="align(right)"><persName key="E0300125">Hans Huber</persName></salute></closer> <note type="stamp" place="bottom-center" resp="#dsb_st_red"> <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche <lb/>Staatsbibliothek <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName> </stamp> </note> </div>

Document

buildStatus: proposed XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2313 | olim: Mus.ep. H. Huber 87 (Busoni-Nachl. B II) |

proof Kalliope

Condition
Die Briefkarte ist gut erhalten.
Extent
1 Briefkarte, 2 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Hans Huber, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift.
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen hat.
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 12

Summary
Huber nimmt Abschied von Busoni; dankt für die verjüngende Wirkung durch den „Stil Ihres Lebens und Ihrer Kunst“; begründet sein Schweigen mit krankheitsbedingter Introversion und Nostalgie; betont Busonis allererste Stellung im jetzigen Musikleben“; kündigt Reise nach Locarno an.
Incipit
Wie oft haben Sie mich auf meinen einsamen Wegen begleitet

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
in collaboration with
Revision
November 7, 2017: proposed (transcription and coding done, awaiting proofreading)
Direct context
Preceding
Near in this edition