## Title: Ferruccio Busoni to Philipp Jarnach (Paris, 23–25 March 1920) ## Author: Ferruccio Busoni ## Version: 0.4 ## Origin: https://busoni-nachlass.org/D0101686 ## License: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ | Paris, 23. Mars 1920 L Ph J ich kann schwerlich sagen, wie sehr Ihr Brief mich erfreute! Ich danke Ihnen für das, was darin steht; und noch mehr für das, das es diktierte. – Heute ist mein erster freier Nachmittag, seit ich hier bin: bis Mittag war Orche sterprobe. Das Orchester war sehr entgegenkommend (es überreichte mir seine silberne Medaille), und wenn es entgegenkommend ist, dann ist es eines der wundervollsten Instrumente … Cortège wurde (trotz der scheußlichen Stimmen) so gelesen, dass es schon das zweite Mal technisch und in der richtigen Atmosphäre einwandsfrei stand. Das schwebte und sprang durch die Parmenser Gartenbüsche. – Das ist ein merkwürdiges Volk. Schwer zu interessieren, mit einer souveränen Indifferenz gepanzert, kann es das Höchste leisten und schnell begreifen, sobald seine Auf merksamkeit gewonnen ist. | Stellenweise stößt man auf Individuen tiefsten Ernstes, um fassendsten Wissens, zartesten Gemütes.×) So habe ich die Eroberung eines Professeur Emmanuel gemacht, der alle diese Qualitäten schön in sich birgt und nicht im Mindesten damit prunkt. – Auch traf ich einen Paul Léon (Directeur des Beaux-Arts), dessen Ausdruck man nicht vergisst. – Was hat das 19. Jahrhundert hier zu Wege gebracht! Es hat die Leute verwöhnt, das ist begreiflich. – Daneben kommen Mediokritäten trübsten Wasser[s] – wie auf Verabredung – zur Geltung: überdies ist das System, dass man jeden einzelnen Menschen fischen muss, um ihn auf die eigene Seite zu bringen, ein verhäng nisvolles und ungesundes.××) | Das goldene Licht dieser Frühlingstage ist von unwider stehlichem Zauber. Der Süden vibriert durch die Luft. Und wiederum stehen die teilnahmslosen Gesichter aller Menschen, denen man begegnet, in hartem Wider spruch zu diesem Segen. Wahrlich: so etwas Unmenschliches von Be völkerung ist kaum anderswo an zutreffen. – Sie sehen, ich bewahre mir meine Unparteilichkeit, wenn gleich ich, persönlich, nur das Allerbeste und Herzlichste erfahre! Es gibt eine große Neigung zu Liszt, plötzlich!! (Vor sechs Jahren noch war ich der erste, der im Conservatoire einen Liszt= Abend zu geben wagte.) Man verlangt Liszt-Recitals. Und man schreibt ihn wirklich orthographisch Liszt und nicht mehr Listz (oder Litz) wie noch in der Widmung Balzacs (La Duchesse de Langeais) gedruckt steht. | Etwas verschiebt sich doch allmählich. – Auch meine Wenig keit als Komponist begegnet einem ernsten Empfang – –*) Ich behaupte nicht, dass dieses hoffnungsvoll wäre, für irgendeinen Teil. (Eher umgekehrt.) Die kleine Carmenfantasie (Sonatina super Carmen) ist beendet. – Sie umfasst zwölf Seiten Manuskript, und fünf Motive, und vier Sätzchen. – Bizet ist hier noch nicht frei (erst 50 Jahre nach dem Tode, und überdies da rechnen die erst später verstorbenen Librettisten). Choudens hat es gut. Da in Deutschland nur 30 Jahre gelten, so stehe ich wieder vor einem juristischen Dilemma – denn hier behauptet man, Deutschland hätte kein Recht, die Carmen als frei zu behandeln, in dessen man in dort Bizet in allen Formaten druckt. | Der Einzige also, der nichts davon hat (noch hatte), ist der liebenswerte Bizet selber! Manchmal muss man auch den Bolschewisten Recht geben (aber nur unter uns). Von Gounod hörte ich den netten Spruch: Beethoven, c’est le plus grand, mais Mozart est unique. – Ich betrachtete mir die Nachkommenschaft, die Schule Mozarts. Es sind ihrer wenige Diszipel, aber sie sind Meister. In allererster Reihe sind zu nennen: Cherubini, Rossini und Mendelssohn. Dann kam die fatale Vervolkstümlichung der Neunten, die die Begriffe verwirrte und keine Früchte trug. Die Wagner- Schüler bedeuten einen unun terbrochenen Abstieg. Also wohin? Zur jungen Klassizität, aber nicht zurück, darin liegt des Pudels Kern. | Das Zitat ist nur angebracht, um an den Faust anzuknüpfen. Ich hoffe, noch für die Arbeit, auf diese Wieder- Anknüpfung und ×die rasche Ab spinnung des Fadens. Ob das Puppenspiel zu Ostern noch in Z. sein wird? Ich wünschte es. Aber auch ohne es … Denn ich habe hier noch am 2. April (zum neunten Male) auf zutreten und rechne auf den Ostersonntag daheim. Daheim? – Dieser Begriff ruft alle Probleme, die meiner warten, wieder herbei; und kehrt mich diesmal von Ihnen ab. – Also grüße ich Sie und danke Ihnen noch wärmstens für Ihre Freundschaft (gewiss: unsere Freundschaft!) und bitte Sie, Frau Barbara das Herzlichste in meinem Namen zu sagen. Ihr F. Busoni | Den 25. März Nachschrift. Es ist am Vormittag nach dem Kompositions-Abend, der einer der schönsten Abende meines Lebens war. In diesem alten Konservatorium-Saal, der noch einen Berlioz, einen Bizet sah, saß eine anfangs sehr gesammelte, dann mehr und mehr begeisterte Menge (es war ganz voll), die mit schönstem Verständnis und größter Wärme folgte und anerkannte. Der Schluss des Abends war un beschreiblich, man stand und schrie. Das Orchester tat Wundervolles, namentlich in Sarabande und Cortège. – Allegra spielte sehr gut, wenngleich er von zu vielen Eindrücken der Reise verwirrt und offenbar impressioniert war. – Die kleine, gut abgefasste Note hat offenbar gut gewirkt. – Ich war gestern den ganzen Tag glücklich, schon in der Er wartung; und sehr angeregt, und voller Ideen. So gehe ich, gestärkt, meinen Weg weiter. Ihr F. B. | | | | |