Ferruccio Busoni to Heinrich Schenker arrow_backarrow_forward

Berlin · June 29, 1897

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Berlin 129 Juni 97

Sehr geehrter Herr Doctor.

Vielen Dank für Brief
und Aufsätze. Der Styl
ist in allen durchwegs
vornehm u. geistreich;
dem Inhalte nach
schaetze ich den Artikel
über Brahms Verfasst anlässlich von Brahms’ Tod, veröffentlicht in der Neuen Revue und in Die Zukunft. und den über „unpersönl. Musik“ am höchsten.

Über Berlioz gehen
unsere Ansichten sehr
auseinander, Schenker fällt in seinen Aufsätzen ein vernichtendes Urteil über Berlioz, „der vor lauter Ehrgeiz die Musik krank machte“ (Schenker in Johannes Brahms, zit. nach Federhofer 1990, S. 228) und zeigt sich verwundert über die „Krankheit in Deutschland […], die man kurzweg Berlioz und Liszt nennen kann“ (Schenker 1897b, zit. nach ibid., S. 243 f.). Busoni dagegen war ein überzeugter Berlioz-Anhänger: Dieser sei „der einzige Komponist, der immer auf Erfindung hin arbeitet. Jede Seite gibt wieder Neues und Überraschendes“ (Busoni an Philipp Jarnach, Brief vom 7. Juni 1920). „Wie ist das zu erklären, dass die Franzosen so taub verbleiben diesem, ihrem Manne gegenüber? […] Berlioz’ Musik ist, bei allem, keusch.“ (ibid.). was ein-
mal – in Wien – zu einem
anregenden Disput
Anlass geben soll. –

Herzlichst ergeben

Ihr F B Busoni

Freundl. Gruss
von meiner Frau.

Berlin, 29.6.1897

Sehr geehrter Herr Doktor.

Vielen Dank für Brief und Aufsätze. Der Stil ist in allen durchwegs vornehm und geistreich; dem Inhalte nach schätze ich den Artikel über Brahms Verfasst anlässlich von Brahms’ Tod, veröffentlicht in der Neuen Revue und in Die Zukunft. und den über „unpersönliche Musik“ am höchsten.

Über Berlioz gehen unsere Ansichten sehr auseinander, Schenker fällt in seinen Aufsätzen ein vernichtendes Urteil über Berlioz, „der vor lauter Ehrgeiz die Musik krank machte“ (Schenker in Johannes Brahms, zit. nach Federhofer 1990, S. 228) und zeigt sich verwundert über die „Krankheit in Deutschland […], die man kurzweg Berlioz und Liszt nennen kann“ (Schenker 1897b, zit. nach ibid., S. 243 f.). Busoni dagegen war ein überzeugter Berlioz-Anhänger: Dieser sei „der einzige Komponist, der immer auf Erfindung hin arbeitet. Jede Seite gibt wieder Neues und Überraschendes“ (Busoni an Philipp Jarnach, Brief vom 7. Juni 1920). „Wie ist das zu erklären, dass die Franzosen so taub verbleiben diesem, ihrem Manne gegenüber? […] Berlioz’ Musik ist, bei allem, keusch.“ (ibid.). was einmal – in Wien – zu einem anregenden Disput Anlass geben soll. –

Herzlichst ergeben

Ihr F. B. Busoni

Freundlichen Gruß von meiner Frau.

                                                                
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Document

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Provenance
Vereinigte Staaten von Amerika | Riverside | University of California, Special Collections and Archives | Oswald Jonas memorial collection | Box 9, Folder 27
Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
1 Blatt, 1 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.

Summary
Busoni bedankt sich für die Zusendung von Texten Schenkers u. a. über Brahms; konstatiert Dissens und Gesprächsinteresse über Berlioz.
Incipit
Vielen Dank für Brief und Aufsätze.

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler Theresa Menard Maximilian Furthmüller
prepared by
Revision
December 29, 2018: candidate (coding checked, proofread)
Direct context
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Federhofer 1985, S. 78