Mus.ep. A. Schönberg 20
(Busoni-Nachl.
B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4559
Arnold Schönberg, Berlin-Zehlendorf-Wannseebahn
Machnower Chaussee, Villa Lepcke.
22/.1.1912
Lieber verehrter Herr Busoni, nun habe ich
die Besetzung für meine 8achthändige Orchesterstück⸗
Aufführung beisammen.
Nicht nur die Neuartigkeit von Schönbergs Orchesterstücken, auch ihre große Orchesterbesetzung verhinderte lange Zeit die Uraufführung. Daher veranlasste Schönberg eine Bearbeitung für Klavier, wovon die Nummern 1, 2 und 4 im Rahmen einer Matinée am 4. Februar 1912 im Berliner Harmoniumsaal erstmals aufgeführt wurden (, S. 44). Es spielten die Busoni-Schüler Louis Closson, Louis Gruenberg und Eduard Steuermann sowie Schönbergs Schüler Anton Webern (, S. 145).
Und jetzt, wo ich nicht
mehr in den Verdacht kommen kann – denn
diese Möglichkeit hielt mich tatsächlich ab –, daßss
ich mir durch Schmeichelei Ihre Mitwirkung
errobern will,
Schönberg hatte zunächst Busoni und dessen Schüler Egon Petri gefragt, ob sie bei der Aufführung mitwirken wollen. Busoni lehnte ab; Schönberg vermerkte im Tagebuch: keine Zeit (offenbar keine Lust)
(, S. 9). Petri hingegen war für die Uraufführung von Schönbergs 6 kleinen Klavierstücken op. 19 vorgesehen, konnte nach Verschiebung des Konzerts vom 28. Januar auf den 4. Februar 1912 aber schließlich nicht teilnehmen (für ihn übernahm Louis Closson). U.a. um die vermeintliche Mitwirkung Petris entspann sich eine Kontroverse Schönbergs mit Leopold Schmidt, auf dessen Kritik im Berliner Tageblatt () Schönberg im Pan reagierte ().
kann ich Ihnen über Ihre
Kompositionen mit aller Wärme das sagen,
wozu es mich drängt.
Schönberg hatte am 19. Januar 1912 gemeinsam mit seinem Schüler Anton Webern ein Konzert in Berlin unter der Leitung Oskar Frieds besucht, in dem drei Werke Busonis zur Aufführung gelangt waren: die Fantasia contrappuntistica in einer Bearbeitung für Orgel und Orchester, die Berceuse élégiaque sowie das Klavierkonzert (, S. 113).
Am nächsten gieng mir die Berceuse,
die ein sehr schönes, tief ergreifendes Stück
ist. Die hat durchaus, vom Anfang bis zum
Schlußss stark auf mich gewirkt und mich, wie
gesagt, wirklich bewegt.
Erwin Stein fertigte 1921 für den Verein für musikalische Privataufführungen auf Anregung Schönbergs eine Bearbeitung für neun Instrumente der Berceuse an.
Dann aber hat mir
auch das
Klavier-Kkonzert, das mir seiner
zeit
in
Wien
Gemeint ist evtl. das [Konzert am 13. Dezember 1910](https://www.wienersymphoniker.at/de/veranstaltung/busoni-sirota-wiener-maennergesangsverein-busoni) im Wiener Musikverein (vgl. Anm. im [vorherigen Brief](#D0100028)).
(ich sage es ehrlich) gänzlich
mi
ßssfallen hat, diesmal auch ausgezeichnet
gefallen. Ich verstehe das nicht, und es scheint,
da
ßss wir, die wir zu den Besten zu gehören
glauben, doch oft genug versagen. Ich hatte
wirklich einen ausgezeichneten Eindruck.
Das Stück ist von A
– bis Z ein Satz von fabel
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
[1]
hafter Architektur, ununterbrochen fließend, voller
Einfälle und wunderbarer Stimmungen. Stau
nenswert ist es, da
ßss Sie sich über ein so großes
,
umfangreiches Stück immer den
UeÜberblick ge
wahrt haben, da
ßss es wirklich als etwas
eEinheitliches
,
uUnunterbrochenes wirkt. Nun: bei der
Fuge kam
ich zu keinem rechten Genu
ßss wegen der sehr
schlechten Aufführung und der unglaublich unrichtigen
Instrumentation. Ich sagte zu
Webern
während des Konzerts:
Man hört gar
nie die Hauptstimmen, sondern immer
nur das Thema.
Das ist zu gleichen T
heilen
Schuld der Aufführung und der Instrumentation.
Denn bei der Fuge sind es naturgemäß
die Nebenstimmen, welche die zusammen
hangbildenden Gegensätze herbei
schaffen.
Aber die ausschließliche Hervorhebung
der Hauptthemen, die macht sich sehr
gelehrt, bringt aber nie eine Musik
⸗
Wirkung hervor. Ich meine fast, das Thema
mu
ßss meistens als Begleitung zu
den Nebenstimmen
erscheinen. Das Thema
ist
Bei (190) und (193) fehlt ist
.
sozusagen die Grundfarbe, der neutrale
Hintergrund, au
fs dem die Zeichnung, die
Formen und Farben hervortreten sollen. Wenn
aber der Hintergrund hervortritt (!!!)
, dann
liegt alles
UeÜbrige im Schatten. Jede
Stimmung, jeder Flu
ßss, alle Gegensätze hören
sich auf. — Nichtsdestoweniger spürte
ich – was mir ja auch vom Lesen der
Klavierausgabe her
bekannt war – de
mn
großen Zug und die Ausdruckskraft
auch dieses Werkes. Vor
Aallem aber die
kontrapunktische Kunst!
Es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen
das Aalles sagen zu können, denn vielleicht konnte
ich zu Ihnen jenes richtige Verhältnis bis jetzt noch
nicht finden, weil ich zu Ihren Kompositionen
in einem schiefen Verhältnis stand. Nun
ich aber zu meiner größten Freude, Sie auch von
dieser Seite her schätzen gelernt habe, hoffe ich,
daßss das bestimmt anders sein wird. Ich
habe Sie natürlich als Reproduczierendern,
(190) und (193): Reproducierenden
.
als
KCharakter und Menschen immer geschätzt. Aber
mir ist der Prozduzierende das Wichtige, und
deshalb wurde ich Ihnen bisher nicht gerecht.
Den Wandel in Schönbergs Urteil bestätigen seine Tagebuch-Einträge (, S. 9); dort heißt es am 2. Februar 1912, nachdem Busoni am 22. und 29. Januar die letzten beiden Vorträge Schönbergs am Stern’schen Konservatorium besucht hatte: Busoni war dort. Bedankte sich sehr warm für meinen Brief und war wirklich sehr nett. Ich halte es doch noch für möglich, daß ich mit ihm mich zusammenfinde. Gewünscht habe ich es immer. Denn er ist zweifellos ein genialer Mensch
(, S. 15 f.).
Ich grüße Sie vielmals herzlichst und bin Ihr
ergebener
Arnold Schönberg
NB Möchten Sie nicht eine Probe meiner
Orchesterstücke an
hören?
Busoni ließ Schönberg ausrichten, er danke für den Brief, könne aber weder zur Probe kommen noch zurückschreiben, weil er zu sehr beschäftigt sei
, worüber sich Schönberg ärgerte: Ich hätte in so einem Fall Zeit zum Schreiben gefunden! In meine Probe kommt er nicht. Offenbar weil ich nicht in der seinigen war
(, S. 12). Das Konzert besuchte Busoni nicht nur – Busoni sehr lieb. Kam zu mir und sprach mit wirklicher Wärme
(, S. 19) –, sondern verfasste auch eine Kurzrezension, die allerdings offenbar erst 1921 veröffentlicht wurde ().
Die erste ist bei Ibach (Steglitzer Straße 38) am Dienstag um 3 Uhr!
[2]
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Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Nachlaß Busoni