Wenn Sie für Ihre RétraiteFrz.: Zurückgezogenheit. Verstaendnis finden wollten,
so konnten Sie sich an keinen
Geeigneteren wenden als an
mich. Ich billige Ihre Zurück- gezogenheit umso freudiger,
als sie mir die Möglichkeit
verschafft, Ihr wachsendes
Clavier Concert zu sehen,
von dem ich mir manche
Erfüllung erwarte.
Ich selbst bin voller
Verstaendnis für Ihre
Situation, da ich mich
in einer aehnlichen u.
leider gezwungeneren
befinde.
Wenn Sie für Ihre RetraiteFrz.: Zurückgezogenheit.
Verständnis finden wollten,
so konnten Sie sich an keinen
Geeigneteren wenden als an
mich. Ich billige Ihre Zurückgezogenheit umso freudiger,
als sie mir die Möglichkeit
verschafft, Ihr wachsendes
Klavierkonzert zu sehen,
von dem ich mir manche
Erfüllung erwarte.
Ich selbst bin voller
Verständnis für Ihre
Situation, da ich mich
in einer ähnlichen und
leider gezwungeneren
befinde.
Die Partitur meiner Oper
ist wieder unterbrochen, und
dafür
habe
ich an den
Chopin-Stücken zu laborieren,
die ich bereits seit 25 Jahren
zu beherrschen glaube und doch
immer wieder erobern muss.
Dem Geiste ist das nun
keine neu-befruchtende
Nahrung, und ich gehe ernstlich
mit dem Gedanken um,
mein Finger- und Handwerk
im Stich zu lassen. –
Das Saint-Saëns’sche
Buch, das Sie mir so freundlich
senden,Das Buch (vermutlich Portraits et souvenirs) erhielt Busoni mit Hubersvorigem Brief.
hat mich nicht
gerade ermutigt. Die Kapitel
über Liszt und Rubinstein
stellen einem die Zwecklosigkeit jedes weiteren Klavierspielens in grausamer Weise
vor Augen. – Immerhin,
ich
habe genug
in die
Tiefen dieser kleinen Kunst
blicken dürfen, um
nicht
an „Wunder“ zu glauben.
Liszt wirkte durch den
Kontrast mit seinen Vorgängern, und Saint-Saëns
berichtet darüber seine
„Jugend“-Eindrücke aus der
Erinnerung. Rubinstein
habe ich selbst gehört. –
Wohin steuert nun dieses
Klavierspiel? Soll aus ihm
noch Weiteres werden, so
brauchen wir eine neue
Literatur und ein bereichertes
Instrument. Während die
Orgelbauer fast an jedem
neuen Instrument Vervollkommnungen und neue
Einrichtungen anbringen,
hat
sich
das Klavier seit 50 Jahren
nicht von der Stelle gerührt.
Meine Vorschläge an
Klavierbauer sind alle
souverainementFrz.: selbstherrlich.
abgewiesen worden. – Enfin! –Frz.: Sei’s drum.
– Ich werde mich immer
unendlich freuen, Sie wiederzusehen, aber nehmen
Sie keine Rücksicht, mein
„altes“ Klavierspiel zu
versäumen. Ich grüße
Sie ebenso herzlich als
hochachtend und bin Ihr
Sehr leid tut es mir
zu hören, dass Sie leidend
sind, und da ist es Ihre
Pflicht, der notwendigen
Diät zu folgen. Ich wünsche,
dass diese einen endgiltigen
Erfolg habe, und bald.
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2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
2XML
Die Partitur meiner Oper ist wieder unterbrochen u.
dafür
weisshabe
ich an den
Chopin Stücken zu laboriren,
die ich bereits seit 25 Jahren
zu beherrschen glaube u. doch
immer wieder erobern muß.
Dem Geiste ist das nun
keine neu=befruchtende
Nahrung u. ich gehe ernstlich
mit dem Gedanken um,
meine Finger= u. Handwerk
im Stich zu laßen. –
*)↗
Sehr leid thut es mir
zu hören, dass Sie leidend
sind und da ist es Ihre
Pflicht, der nothwendigen
Diät zu folgen. Ich wünsche,
dass diese einen endgiltigen
Erfolg habe, und bald.
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<!-- Um welche Chopin-Stücke es sich handelt, ist nicht bekannt. -->
<!-- wirklich nicht? es werden wohl die des anstehenden Konzerts sein -->
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<lb/>Diät zu folgen. Ich wünsche,
<lb/>dass diese einen endgiltigen
<lb/>Erfolg habe, und bald.</p>
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3Faksimile
3Diplomatische Umschrift
3XML
(2)
↗*)
Das Saint-Saëns’sche
Buch, das Sie mir so freundlich
senden,Das Buch (vermutlich Portraits et souvenirs) erhielt Busoni mit Hubersvorigem Brief.
hat mich nicht
gerade ermuthigt. Die Kapitel
über Liszt u. Rubinstein stellen Einem die Zwecklosig- keit jedes weiteren Clavier- -spielens in grausamer Weise
vor Augen. – Immerhin,
ich
bin zu sehrhabe genug
in die
Tiefen dieser kleinen Kunst
blicken dürfen, um
annoch
nicht
an“Wunder” zu glauben.
Liszt wirkte durch den
Konstrast mit seinen Vor- gängern und Saint-Saens berichtet spricht darüber seine
„Jugend“-Eindrücke aus der
Erinnerung. ausRubinstein habe ich selbst gehört –
Wohin steuert nun dieses
Klavierspiel? Soll aus ihm
noch Weiteres werden, so
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Das <persName key="E0300161">Saint-Saëns</persName>’sche
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<lb/>vor Augen. – Immerhin,
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<lb/>Wohin steuert nun dieses
<lb/>Klavierspiel? Soll aus ihm
<lb/>noch Weiteres werden, so
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4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
4XML
brauchen wir eine neue
Literatur und ein bereichertes
Instrument. Während die
Orgelbauer fast an jedem
neuen Instrument Vervoll- kommnungen und neue
Einrichtungen anbringen,
hatistsich
das Clavier seit 50 Jahren
nicht von der Stelle gerührt.
Meine Vorschläge an
Clavierbauer sind alle
souverainementFrz.: selbstherrlich.
abge- wiesen worden. – Enfin! –Frz.: Sei’s drum.
– Ich werde mich immer
unendlich freuen, Sie wie- derzusehen, aber nehmen
Sie keine Rücksicht das mein
„altes“ Klavierspiel zu
versäumen. Sie Ich grüße
Sie ebenso herzlich als
hochachtend u. bin Ihr
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Infolge eines Verweiszeichens Busonis von der Mitte der zweiten zur dritten Seite ergibt sich eine veränderte Lesereihenfolge: 1, 2 (erster Absatz), 3, 4. Wo der zweite Absatz der zweiten Seite einzuordnen ist, lässt sich keiner entsprechenden Kennzeichnung entnehmen; vermutlich handelt es sich um eine nachträgliche Umwidmung zum Postskriptum bei regulärer Schreibreihenfolge 1, 2, 3, 4.
Hände/Stempel
Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat.
Vmtl. Hand des Archivars, der die Ziffer 3 auf dem Brief eingetragen hat.
Brief von Ferruccio Busoni an Hans Huber (Bottmingen, 17. September 1910), bearbeitet von Juliane Imme und Christian Schaper, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Hans Huber, hrsg. von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, März 2017: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0100104 (27. April 2017: zur Freigabe vorgeschlagen)
Download der bereinigten Lesefassung im PDF-Dateiformat (.pdf)
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<title xml:lang="de">Brief von Ferruccio Busoni an Hans Huber (Bottmingen, 17. September 1910)</title>
<title xml:lang="en">Letter by Ferruccio Busoni to Hans Huber (Bottmingen, 17 September 1910)</title>
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<title type="main">Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften</title>
<title type="genre">Briefe</title>
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<summary><persName key="E0300017">Busoni</persName> drückt sein Verständnis für <persName key="E0300125">Hubers</persName> Absage zum Klavierabend aus; reflektiert über die Zukunft des Klavierspiels.</summary>
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<collation>Infolge eines Verweiszeichens <persName key="E0300017">Busonis</persName> von der Mitte der zweiten zur dritten Seite ergibt sich eine veränderte Lesereihenfolge: 1, 2 (erster Absatz), 3, 4. Wo der zweite Absatz der zweiten Seite einzuordnen ist, lässt sich keiner entsprechenden Kennzeichnung entnehmen; vermutlich handelt es sich um eine nachträgliche Umwidmung zum Postskriptum bei regulärer Schreibreihenfolge 1, 2, 3, 4.</collation>
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<p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit einfachen Bindestrichen.</p>
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<p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p>
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<p>Wenn Sie für Ihre R<choice><orig>é</orig><reg>e</reg></choice>traite
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<lb/>Verst<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>ndnis finden wollten,
<lb/>so konnten Sie sich an keinen
<lb/>Geeigneteren wenden als an
<lb/>mich. Ich billige Ihre Zurück
<lb break="no"/>gezogenheit umso freudiger,
<lb/>als sie mir die Möglichkeit
<lb/>verschafft, Ihr wachsendes
<lb/><rs key="E0400206"><choice><orig>Clavier Conc</orig><reg>Klavierkonz</reg></choice>ert</rs> zu sehen,
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<!-- wirklich nicht? es werden wohl die des anstehenden Konzerts sein -->
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<lb/>keine neu<pc>=</pc>befruchtende <!-- Refardt S. 6: neue, befruchtende -->
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<lb/>mit dem Gedanken um,
<lb/>mein<del rend="strikethrough">e</del> Finger<pc>=</pc> <add place="above"><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice></add> Handwerk
<lb/>im Stich zu la<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>en. –
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<!-- Refardt S. 6 fügt den folgenden Absatz vor dem Schlussabsatz S. 4 ein (Ich werde mich immer freuen) -->
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<lb/>stellen <choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>inem die Zwecklosig
<lb break="no"/>keit jedes weiteren <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>lavier
<lb break="no" rend="after:-"/>spielens in grausamer Weise
<lb/>vor Augen. – Immerhin,
<lb/>ich
<subst>
<del rend="strikethrough">bin zu sehr</del>
<add place="above">habe genug</add>
</subst>
in die
<lb/>Tiefen dieser kleinen Kunst
<lb/>blicken dürfen, um
<del rend="strikethrough">
<subst>
<del rend="strikethrough">an</del>
<add place="above">noch</add>
</subst>
</del>
nicht
<lb/><add place="margin-left">an</add> <soCalled rend="dq-uu">Wunder</soCalled> zu glauben.
<lb/><persName key="E0300013">Liszt</persName> wirkte durch den
<lb/>Kon<del rend="strikethrough">s</del>trast mit seinen Vor
<lb break="no"/>gängern<reg>,</reg> und <persName key="E0300161">Saint-Sa<choice><orig>e</orig><reg>ë</reg></choice>ns</persName>
<lb/><subst>
<add place="margin-left">berichtet </add>
<del rend="strikethrough">spricht</del>
</subst> darüber seine
<lb/><soCalled rend="dq-du">Jugend</soCalled>-Eindrücke aus der
<lb/>Erinnerung<add place="inline">.</add> <del rend="strikethrough">aus</del> <persName key="E0300176">Rubinstein</persName>
<lb/>habe ich selbst gehört<reg>.</reg> –
<lb/>Wohin steuert nun dieses
<lb/>Klavierspiel? Soll aus ihm
<lb/>noch Weiteres werden, so
<pb n="4"/>
brauchen wir eine <hi rend="underline">neue
<lb/>Literatur</hi> und ein <hi rend="underline">bereichertes
<lb/>Instrument</hi>. Während die
<lb/>Orgelbauer fast an jedem
<lb/>neuen Instrument Vervoll
<lb break="no"/>kommnungen und neue
<lb/>Einrichtungen anbringen,
<lb/><add place="margin-left">hat</add>
<subst>
<del rend="overwritten">ist</del>
<add place="across">sich</add>
</subst>
das <choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>lavier seit 50 Jahren
<lb/>nicht von der Stelle gerührt.
<lb/>Meine Vorschläge an
<lb/><choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>lavierbauer sind alle
<lb/><foreign xml:lang="fr">souverainement</foreign>
<note type="commentary" resp="#E0300314">Frz.: selbstherrlich.</note>
abge
<lb break="no"/>wiesen worden. – <foreign xml:lang="fr">Enfin</foreign>! –
<note type="commentary" resp="#E0300314">Frz.: Sei’s drum.</note>
</p>
<p>– Ich werde mich immer
<lb/>unendlich freuen, Sie wie
<lb break="no"/>derzusehen, aber nehmen
<lb/>Sie keine Rücksicht<reg>,</reg> <del rend="strikethrough">das</del> mein
<lb/><soCalled rend="dq-du">altes</soCalled> Klavierspiel zu
<lb/>versäumen. <del rend="strikethrough">Sie</del> Ich grüße
<lb/>Sie ebenso herzlich als
<lb/>hochachtend <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> bin Ihr</p>
<closer rend="indent-first">
<salute>sehr ergebener</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">Ferruccio Busoni</persName></signed>
</closer>
</div>
<listTranspose>
<transpose>
<ptr target="#dasSaint"/>
<ptr target="#sehrLeid"/>
</transpose>
</listTranspose>
</div>
</body>
</text>
</TEI>