| Faksimile | Diplomatische Umschrift | Lesefassung | XML | 
                                                
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                    [1]
                
                    
                        Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4277Mus.ep. L. Rubiner 18 (Busoni-Nachl. B II) 
                                                                
                        Deutsche
                             Staatsbibliothek
                            Berlin Lieber Verehrter! Zuerst will ich Ihnen noch schnell
                    eine ganze Kleinigkeit sagen, die
 sachlich unwichtig ist, die Ihnen aber
 Spass machen wird; gleich sagen,
 sonst vergess ich es, wie ich es schon
 ein paar Mal vergass: Also das
 Gedichtbuch „Kondor“,
                    
                    das Sie am
 Helmhaus für 3 frcs kauften (oder
 gar für 2,50), ist heute vergriffen
 und selten, und erzielte in Berlin
 auf einer Versteigerung (durch Perl)
 65 Mark. – Genau den Aufsatz
 über d’Albert,
                    den Sie mir sandten,
 hatte ich gelesen, er hatte mein Herz
 nicht ganz gleichgültig gelassen, mich
 mit Wut und Ekel erfüllt und
 einen Niederschlag in einem Brief an
 Sie gefunden. – Ich finde, dass der
 Aufsatz von Goetz im Programmheft
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                    Lieber Verehrter! Zuerst will ich Ihnen noch schnell
                     eine ganze Kleinigkeit sagen, die
                     sachlich unwichtig ist, die Ihnen aber
                     Spaß machen wird; gleich sagen,
                     sonst vergesse ich es, wie ich es schon
                     ein paar Mal vergaß: Also das
                     Gedichtbuch „Kondor“,
                    
                    das Sie am 
                     Helmhaus für 3 Francs kauften (oder
                     gar für 2,50), ist heute vergriffen
                     und selten und erzielte in Berlin
                     auf einer Versteigerung (durch Perl)
                     65 Mark. – Genau den Aufsatz
                     über d’Albert,
                    den Sie mir sandten,
                     hatte ich gelesen, er hatte mein Herz
                     nicht ganz gleichgültig gelassen, mich
                     mit Wut und Ekel erfüllt und
                     einen Niederschlag in einem Brief an
                     Sie gefunden. – Ich finde, dass der
                     Aufsatz von Goetz im Programmheft
                    
                    
                    des Theaters eine ausgezeichnete
                     Arbeit  ist. Ich nehme an, dass
                     ich, wenn ich im April in Zürich
                     bin, die Opern hören werde, denn
                     nach allem, was ich höre, scheint
                     doch auch diesmal ein klarer
                     Erfolg dazusein, und es werden
                     wohl Repertoire-Opern werden.
                     Ein klein wenig  Angst, als ich las:
                     Denzler und Conrad – hatte ich
                     ja, dass mir das strahlende
                     innere Abbild, das der Klavierauszug
                     gefestigt hat, verschoben würde.
                     Jedoch scheint das nach Ihrem
                     eigenen Urteil, das Sie mir
                     schrieben, nicht der Fall zu sein.
                     Denzler, jedenfalls, muss dann viel
                     gelernt und Conrad seine
                     widerwärtige Routine beiseite
                     gelassen haben. Nur die drei
                     Schriftsteller, die Sie mir nennen,
                     sollen im Theater auf Ihrer Seite
                     gewesen sein? Das erscheint
                     mir ernstlich unmöglich! Der
                    
                    
                    inneren Leichtigkeit kann sich
                     niemand entziehen. 
                    
                        
                             Freitag, den 29. März.
                         Ich musste gestern mitten im 
                         Brief aufhören; so furchtbar
                         liegt mir das Gemetzel, das im
                         Westen begonnen hat, in den
                                                                    Deutsche Frühjahrsoffensive 1918
                         Gliedern. Herr van Beethoven,
                         der mitten im Kanonendonner
                         komponiert hat, mag wohl der
                         vorzüglichste Modekomponist
                         des 19. Jahrhunderts gewesen sein:
                         Mit der Ewigkeit hat dieser Herr
                         nicht zu tun. Dante hätte nicht
                         während einer Schlächterei gedichtet,
                         Goethe nicht, Mozart hätte niemals
                         das fertig bekommen, wie überhaupt
                         kein Mensch, der bei Gott steht.
                         Aber Wagner hätte es gewiss getan,
                         hätte während der Schlacht mit 
                         dem Füllfederhalter komponiert
                         und extra ein paar Maschinengewehrschüsse selbst abgegeben, nur
                        
                        
                        
                        um seine Person ultrabeethovenisch
                         zu machen. Es ist auch wohl
                         nicht Wagner, der nur Nachahmer
                         darin ist, sondern Beethoven,
                         dem man das Vorbild des
                         romantisch skrupellosen
                         Kompo-Onanisten verdankt. Diese Tage hätte ich nie
                         überstanden, hätte ich nicht
                         für die Nacht Manzoni,
                         für den Tag Dante bei mir.
                         Ich habe mich am Paradiso
                         wahrhaft aufrechterhalten.
                         Und ich glaube, gerade das
                         Paradiso war während des
                         ganzen 19. Jahrhunderts als langweilig
                         verrufen, nur darum, weil es
                         voll von der ungeheuersten
                         Weisheit ist, die freilich den
                         Herren Naturwissenschaftlern
                         zu mühevoll ist. (Warum
                         ich Tolstoi liebe? Nicht wegen
                        
                        
                        seiner Fehler, sondern weil der
                         ebenso ursprünglich aus genau
                         denselben urchristlichen
                         Quellen geschöpft hat. „L’amor
                             che muove il Sole e le altre stelle“,
                                                                    Dante, Divina commedia, Schlussvers (Paradiso, 33. Gesang, V. 145): „die Liebe, die die Sonne und die anderen Sterne bewegt“.
                         um nur das Einfachste zu nennen.
                         Unbegreiflich ist mir, wie
                         ganze Generationen diese 
                         absolut helle, übernaturwissenschaftliche Gotteserkenntnis
                         haben missverstehen, fälschen und
                         ins elegant Salonmäßige haben
                         umbiegen können.) – Und bei der Gelegenheit Dante gleich
                         die Frage von dem Zusammentreffen Ihres Geburtstages mit 
                         dem Ostersonntage. Habe ich die 
                         Frage nun einfach zu verstehen
                         oder mit einer geheimnisvolleren
                         Beziehung? Sie ist, wie Sie wissen,
                         eine astronomische Frage; unabhängig von der Person könnte
                        
                        
                        
                        sie heißen „Wie oft fällt der erste
                             Vollmond nach dem Frühlingsäquinoktium (21. März) in die 
                             letzte Märzwoche?“ (Da, wie Sie
                         ja wissen, der Ostersonntag der
                         erste Sonntag nach dem Vollmond ist,
                         der auf die Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche folgt. Der Ostersonntag
                         verschiebt sich also, auch der
                         Pfingstsonntag; ich bin am
                         12. Juni geboren und habe 
                         zweimal im Leben Geburtstag
                         zu Pfingsten gehabt.) Aber über
                         das Kalendermäßige werden Sie 
                         ebenso gut Bescheid wissen wie 
                         die von Ihnen Angefragten.
                         Hätte ich nur die geringsten astronomischen Hilfsmittel bei der Hand,
                         so könnte ich doch leichtlich
                         finden, wann der 1. April
                         wiederum auf den ersten Sonntag 
                         nach Vollmond, der auf den 21. März
                         folgt, treffen wird. – Sollte
                         nun aber Ihre Frage
                        
                        
                        etwa lauten: Wie steht das
                         Zusammentreffen in Verbindung
                         mit den Zahlen: 11. 22. 33.
                         (11 + 22 = 33.
                         33 + 33 = 66.
                         1866.
                         Quersumme: 1 + 8 + 6 + 6 = 21, Quersumme 2 + 1 = 3
                         3 × 11 = 33
                         Quersumme von 33 = 6
                         Dazu Ihre Monatszahlen
                         1. IV.
                         1 + 4 + 6 = 11)!!! 
                         so muss ich Ihnen sagen, dass ich
                         trotz Ihrer äußert interessanten
                         kabbalistischen Quersummen
                         ohne astronomische Hilfsmittel
                         nicht weiß,  in welchem
                         Verhältnis Ihre Hauptzahlen
                         zum Mondumlauf stehen. Es
                        
                        
                        
                        ist aber sicherlich eine Beziehung
                         da. Wenn ich in Zürich bin,
                         stürze ich mich in Ihr
                         Horoskopisches! Wollen Sie
                         aber, zur Steuer der Gewissenhaftigkeit, bemerken, dass meine
                         Arbeit mit den Quersummen,
                         durch die ich zu jenen verblüffenden Bestätigungen Ihrer Grundzahlen gekommen bin, nicht
                         naturwissenschaftlicher Art sind,
                         sondern lediglich phantastisch-kabbalistischer. – Ich persönlich glaube, dass nur
                         ganz einfache Zahlenverhältnisse
                         eine tiefere Bedeutung haben.
                         Alle Jahreszahlen sind aber
                         ungeheuer kompliziert, das heißt,
                         sie sind schon sehr willkürlich.
                         Denn wenn wir solche Vorgänge
                         wie Umlauf der Erde um die
                         Sonne und Umlauf des Mondes
                         um die Erde und überdies noch
                        
                        
                        um die Sonne, dazu noch die 
                         Stellung, die der Mond zum
                         Kreuz am Himmel (das die Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche bildet) einnimmt,
                         betrachten, so erscheint uns 
                         eine Jahreszahl wie „1918“
                         als etwas recht Wirres und
                         Willkürliches. Die Welt hat
                         nicht erst vor 1919 Jahren
                         angefangen, die Juden haben
                         eine höhere Jahreszahl, die Buddhisten
                         eine noch höhere, die Veden
                         rechnen nach Millionen Jahren,
                         und die Mohammedaner haben
                         eine viel niedrigere Zahl als das
                         heutige Europa. In Wirklichkeit
                         ist jede Jahreszahl ganz willkürlich, es kommt nur darauf an,
                         auf welchem Turm man steht
                         und nach ihr blickt. Nicht ganz
                         so willkürlich sind die Zahlen
                         unserer Lebensjahre, denn sie
                        
                        
                        
                        richten sich ja nach dem Umlauf
                         der Erde um die Sonne, sie sind
                         aber auch nicht wahrhaft genau,
                         sondern nur zur  Bequemlichkeit
                         abgerundet. Ist man aber
                         an einem kalendermäßig so
                         auffallenden Tag geboren wie Sie,
                         am 1. April,  das heißt
                         an dem berühmtesten der
                         merkwürdigen Tage der antiken
                         Mythologie (der in Urzeiten
                         wirklich der erste Ostertag war,
                         nicht, wie heute, nur durch gelegentliche Kombination), so hat
                         man schon ein sehr
                         seltsames Prognostikon.
                         (Prognostikon bezieht sich 
                         bei Menschen von bewusstem
                         Willen ja stets auf den
                         Willen, denn das Können
                        
                        
                        
                        wird vorausgesetzt.) Der 1. April ist nämlich nicht
                         zufällig der Tag der Scherze
                         geworden; sondern nach
                         meiner heutigen Einsicht alter
                         Quellen und privater Erkenntnis
                         hat das einen tiefen, mythologischen Sinn. Ich persönlich
                         vermute auch, dass der
                         1. April der Festtag für 
                         die antike Komödie, das
                         Satyrspiel war (der 
                         Dionysostag, d. h. auch der 
                         Bockstag); und, da in der
                         Götterlehre Zerfleischung und
                         Auferstehung dasselbe ist: der
                         Tag des Lachens und der Wiedergeburt.
                         Ostern hat es, als uraltes
                         Fest dieses Sinnes, schon lange
                        
                        
                        
                        vor der Zeit Christi gegeben;
                         damals – und bis in die
                         ersten Jahrhunderte der christlichen
                         Kirche, fiel es mit dem 1. April zusammen, weil dies der
                         natürliche Erd-Mond-Sonnenzusammenklang ist. Erst seit
                         dem gregorianischen Kalender
                         ist Ostern verschiebbar. Ginge
                         es also natürlich in der
                         Welt her, so müsste Ihr Geburtstag in jedem Jahr auf den
                         Ostersonntag fallen. Dass es
                         das nicht tut, ist Willkürlichkeit
                         der heutigen Zeitrechnung. Und
                         so ist überhaupt die ganze
                         Welt. Immerhin kann man
                         sich gratulieren, dass es einen
                         Menschen gibt, dessen Geburtstag vom 1. April wenigstens
                         einige Male im Leben auf den
                         Ostersonntag fällt, der also,
                         mit meinen Begriffen ausgedrückt, in dieser wirren
                         und willkürlichen Welt wenigstens noch in der Tradition
                         steht, der höchstes Lachen und
                             höchstes Wissen dasselbe ist.
                         Und dies sind meine Gedanken 
                         zu Ihrem diesjährigen Geburtstag, die Sie durch Ihre interessante 
                         Zahlenfrage angeregt haben. — Frau Gerda, sagen Sie
                         mir, ist in ihrer Krankheit
                         ungeduldig. Lieber Verehrter –
                         die Erkrankung Ihrer lieben 
                         Frau Gerda dauert schon lange,
                         und ich frage mich, ob sie nicht
                         am Ende die Krankheit vernachlässigt. Nämlich: vielleicht 
                         ist, umgekehrt, die Krankheit
                         mit der Patientin ungeduldig,
                        
                        
                        
                        läuft auf kurze Zeit davon,
                         kommt wieder, macht neuerdings 
                         Miene zu verschwinden – und
                         bleibt im ganzen Großen. Habt
                         Ihr auch einen sehr sehr 
                         guten Arzt? Vielleicht wird
                         das nun doch wichtig.
                         Ich wünsche Frau Gerda,
                         dass sie Ihre Erkrankung
                         wie einen Nebel, der am Abend 
                         dalag, loswird, bald, schnell,
                         im Hauch, in schönem, trockenem,
                         hellem Wetter. Und dass sie
                         zunächst schon über die
                         Ostertage nichts mehr davon
                         merke! — Die Nachricht von Ihrem
                         Klarinetten-Concertino hat
                         mich ordentlich froh gemacht.
                         Ja, so etwas muss man 
                        
                        
                        machen, und gerade hinein,
                         mitten in die wichtigsten,
                         ernstesten Dinge. Dass dies
                         nun eine geringe Ausbeute 
                         sein soll für 1918, kann ich
                         gar nicht mit Ihnen finden.
                         Im Gegenteil, da doch die
                         Ausbeute unmöglich nach 
                         dem Pfundgewicht des 
                         beschreibenen Papiers beurteilt 
                         werden kann, erscheint es 
                         nur als ein Zeichen von 
                         unbekümmertster, heiterster
                         Schöpferkraft, mitten unter
                         seinen Arbeiten eine solche 
                         zu unternehmen. Ein Beweis,
                         dass man nicht dekorativ 
                         arbeitet, sondern aus der 
                         wirklichen Ideen-Arbeit
                         herkommt.  — „Der Zauberflöte zweiten Teil“
                         habe ich in meiner Jugend oft 
                         gelesen. Nehme ich meine ganze 
                         Erinnerung von Goethe zusammen, so erscheint mir dies 
                         als das dichterisch und formal 
                         gelungenste und edelste 
                         seiner ganzen dramatischen 
                         Produktion. Ich stell es – in 
                         meiner Erinnerung – höher als 
                         alle großen „Klassiker“-Dramen
                         Goethes. Dies kleine Werkchen ist 
                         gewiss auch gelungener als der Faust.
                         (Meiner Erinnerung nach könnte 
                         ich es aber nicht als Opernbuch 
                         bezeichnen, sondern eher als 
                         Kantate. Doch ist hier ein 
                         Erinnerungsirrtum nicht ausgeschlossen.) – Ich würde es heute 
                         wohl mit dem größten Nutzen 
                         lesen. (In Locarno nicht 
                         aufzutreiben. Ich werde
                        
                        
                        Goetz bitten, mir diesen Band 
                             Goethe zu leihen. Ebenso Pfitzners
                         musiktheoretische Schriften.)
                                                                    Wahrscheinlich Pfitzners Vom musikalischen Drama.
                         Ich 
                         erlaubte mir noch etwas Ketzerisches:
                         Für Goethes edelstes Prosawerk,
                         für  den seiner Romane,
                         der am schönsten geschrieben ist,
                         halte ich seine Übersetzung 
                         des Benvenuto Cellini. — — Huber war vor einigen Tagen 
                         noch in der Arbeit an seinem 
                         offenen Brief fürs „Journal
                             de Genève“; er wird ihn jetzt
                        
                        
                         wohl, denk ich, abgeschickt 
                         haben. Er ist ein kluger, herzensguter Mensch, höchstgebildet,
                         ungewöhnlich behend für einen
                         Schweizer, und er hätte alle 
                         Eigenschaften, um liebenswert 
                         zu sein, wäre er nicht so eine
                         Art bejahrter Schmetterling. Ich 
                         fürchte, dieser Mann wird nie 
                        
                        
                        
                        wagen, etwas Eigenes zu schreiben.
                         Und dabei eben ein wirklich 
                         lieber Mensch, und es wäre
                         gut, wenn die Welt aus 
                         mehr solchen Menschen wie
                         er bestände. Ob wir uns
                         nahekommen können, weiß
                         ich bis heute nicht. So ungefähr
                         stelle ich mir Mendelssohn vor;
                         mit dem hätte ich auch nur 
                         kurze, freundliche Bildungsgespräche gehabt – Herzensgüte
                         vorausgesetzt. Und zum Schluss
                         möchte man dann gern irgendwelche ganz unvermutete
                         Kapriolen machen, nur um 
                         zu zeigen, dass das Menschenleben 
                         nicht so ein fein geordneter
                         Patrizier-Leihbibliothekskatalog
                         ist.  — Es gab einen Tag in
                         Locarno, da wimmelte
                        
                        
                        
                        es hier von Menschen, darunter 
                         Bekannte, die nicht zur Arbeit
                         anregen, denen ich dagegen
                         auf Schritt und Tritt begegnen
                         musste, wenn ich einmal
                         in eine „Tabagie“ gehen wollte.
                         Das hinderte mich sehr bedenklich
                         in der Arbeit. Ich telegraphierte
                         meiner Frau; die kam nach
                         größtem Widerstreben auf
                         einige Tage her, nahm die
                         ganze Bande auf sich, und
                         nachdem der erste Schock
                         vorüber war, hatte ich wieder
                         den Kopf frei. Nun ist meine Frau
                             wieder in Zürich.   — Ich selbst stelle heute die 
                         höchsten Anforderungen an
                         meine Arbeit. Sie geht
                         weiter. An den komischen 
                         Stellen am schwersten. Mit 
                         großer Bitterkeit erfüllt
                        
                        
                        
                        mich, dass ich die Zeit zur Fertigstellung zu kurz angesetzt hatte. Ich 
                         dachte, Ende März mit dem Ganzen
                         fertig zu sein, und dabei bin
                         ich heute noch nicht mit dem 
                         II. Akt fertig, wenn ich mich 
                         auch seinem Ende nähere. Ich 
                         bin aber so in der Arbeit , dass
                         ich einen Vortrag, den ich am
                         6. April in Zürich halten sollte,
                         deswegen abgesagt habe. – Ich 
                         zittre eben heute nur vor dem
                         einen: dass mir etwas passiert,
                         ehe ich fertig werde. — Ihren Rat, die Ausarbeitung 
                         der projektierten Operndichtung, 
                         von der ich Ihnen schrieb,
                         auf spätere Jahre aufzuschieben, 
                         nahm ich zuerst mit Verblüffung 
                         auf. Einige Tage später wurde 
                         mir aber klar, dass Sie völlig
                         recht hatten, dass Sie mir
                         geraten hatten aus tiefer
                         Kenntnis der menschlichen 
                        
                        
                        Natur heraus, und aus einer
                         ganz besonderen, ungewöhnlich
                         tiefen und genauen Kenntnis
                         meiner speziellen Geistesverfassung.
                         Es gibt nun wirklich in der
                         Welt keinen Menschen, der
                         mich so gut und genau kennt
                         wie Sie, und keinen einzigen,
                         der mir mit solcher Geduld,
                         solchem menschlichen Interesse 
                         und solcher Liebe Ratschläge 
                         gegeben hat wie Sie. Jedes Mal,
                         wenn ich Ihren Rat befolgte,
                         ist mir das gut ausgeschlagen.
                         So hat auch diesmal schon 
                         das Nachdenken über Ihre
                         Worte betr. der Operndichtung
                          mich von irgendwoher 
                         mit einer gewissen Freude erfüllt,
                         die mir dann zu der Arbeit
                         an der momentan schwersten
                         Stelle meiner Arbeit verholfen hat. —  — Nun ist Locarno für
                         diese Tage des Andranges 
                         von Menschen wirklich 
                         etwas klein. Indessen
                         soll es üblich sein, dass bald
                         nach Ostern die meisten
                         Leute wieder verschwinden 
                         und mir die Kranken,
                         Ruhebedürftigen und Arbeitslustigen übrig bleiben, also
                         die, von denen man nicht
                         viel sieht. — „Der Mensch“, schrieben Sie
                         mir neulich, „ist dumm 
                             und schlecht“. Nur, solange
                         die eine Partei oder die andere
                         siegt, mit brutaler, gemeiner
                         Blutgewalt, mit Gift und 
                        
                        
                        
                        mit niederträchtiger List.
                         Dante hat mich auch hier
                         aufgerichtet, und ich weiß
                         von ihm, was ich von mir 
                         schon lange wusste, dass
                         der Mensch von Gott abstammt,
                         und nicht von naturwissenschaftlichen Zellen oder von Giftgasen.
                         Ich akzeptiere aber völlig 
                         Ihr Wort, mit einem kleinen 
                         Zusatz: Der Mensch ist heute
                         dumm und schlecht. Folglich ist
                         er verpflichtet, morgen weise
                         und heilig zu werden. – Ich
                         glaube nicht an eine „Entwicklung“,
                         noch weniger an eine „Entwicklung
                             zum Bessern“ und erst recht 
                         nicht an einen „Fortschritt“.
                         Ich glaube aber, dass es gute
                         und böse Zeiten gibt, materielle
                         und geistige Strömungen.
                        
                        
                        
                        Auf den Erfolg, à la Wertheim-Rathenau, kommt es gar nicht an!
                         Sondern nur auf das, was man
                         für wahr erkannt hat. Z. B.
                         ist es gut, dass sich einmal das 
                         Urchristentum gebildet hat; die 
                         heutige Zeit ist kein Beweis dagegen,
                         da wir ja keine Herzensverkäufer
                         sind, sondern beweist nur, dass sich
                         wieder eins wird bilden müssen.
                         Ebenso bin ich sicher, dass Christus 
                         wiederkommen muss, vielleicht sogar
                         in mehreren Gestalten und mehreren
                         Verkörperungen gleichzeitig. — Genau so, wie man im vorigen Jahrhundert Dantes Paradiso für langweilig und das sog. Böse für „interessant“
                         gehalten hat, genau so wird man
                         bald alle diese Herrschaften vom
                         Bösen und der Materie als herzlich 
                         dumm und grausam langweilig erkennen
                         und mit einem fröhlichen Oster-Wiedergeburts-Gelächter aus dem Gedächtnis der Welt lachen!  In Freundschaft
                             mit einer herzlichen Umarmung 
                    Zusatz:Ich wage kaum, Ihnen den
                         Vorschlag zu machen. Aber
                         es wäre Ihnen nicht 
                         nur wohl, sondern auch 
                         im höchsten Grade schön,
                         wenn Sie – zu einer Zeit,
                         wo der Schwarm sich
                         verlaufen hat – nach
                         Locarno kämen. Für
                         Sie eine Erholung höchsten 
                         Grades, für andere eine
                         Freude. Und Frau Gerda
                         würde hier in dem gleichmäßigen Klima in wenigen 
                         Wochen Ihren Rheumatismus
                         loswerden! Wär das nicht
                         vernünftig und schön?  Ihr L. 
                    Noch eins. Dieses Buch
                         lege ich dazu, in 
                         der Erwartung, dass es 
                         Ihnen einige weitere 
                         Stunden verschaffen
                         wird, so wie es sie mir
                         verschaffte. Der einzige 
                         Fall in der Literatur, in
                         der ich die „Unwirklichkeit“
                         derb zupackend am Werk
                         sah. | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
                <note type="shelfmark" resp="#archive" place="top-left">
                    <del rend="strikethrough" xml:id="delSig">Mus.ep. L. Rubiner 18 (Busoni-Nachl. <handShift new="#archive_red"/>B II<handShift new="#archive"/>)</del>
                </note>
                <note type="foliation" resp="#archive" place="top-right">[1]</note>
                <opener>
                    <dateline>
                        <seg rend="align(right)"><date when-iso="1918-03-27">27. März 1918</date>.</seg> 
                        <address>
                            <addrLine><placeName key="E0500291">Muralto</placeName> – <placeName key="E0500183">Locarno</placeName></addrLine>
                            <addrLine rend="indent"><placeName key="E0500447">Villa Rossa</placeName>.</addrLine>
                        </address>
                    </dateline>
                    
                    <note type="shelfmark" resp="#archive" place="margin-left" rend="rotate(-90)">
                        <add xml:id="addSig">Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4277</add>
                    </note>
                    <substJoin target="#delSig #addSig"/>
                    
                    <note type="stamp" place="left" resp="#dsb_st_red">
                        <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                            <lb/>Staatsbibliothek
                            <lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
                        </stamp>
                    </note>
                    <salute rend="indent">Lieber Verehrter!</salute>
                </opener>
                <p type="pre-split">Zuerst will ich Ihnen noch schnell
                    <lb/>eine ganze Kleinigkeit sagen, die
                    <lb/>sachlich unwichtig ist, die Ihnen aber
                    <lb/>Spa<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> machen wird; gleich sagen,
                    <lb/>sonst vergess<reg>e</reg> ich es, wie ich es schon
                    <lb/>ein paar Mal verga<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>: Also das
                    <lb/>Gedichtbuch <title key="E0800167" rend="dq-du">Kondor</title>,
                    
                    das Sie am 
                    <lb/><orgName key="E0600100">Helmhaus</orgName> für 3 <choice><abbr>frcs</abbr><expan>Francs</expan></choice> kauften (oder
                    <lb/>gar für 2,50), ist heute vergriffen
                    <lb/>und selten<orig>,</orig> und erzielte in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
                    <lb/>auf einer Versteigerung (durch <orgName key="E0600101">Perl</orgName>)
                    <lb/>65 Mark. – Genau den Aufsatz
                    <lb/>über <persName key="E0300143">d’Albert</persName>,
                    den Sie mir sandten,
                    <lb/>hatte ich gelesen, er hatte mein Herz
                    <lb/>nicht ganz gleichgültig gelassen, mich
                    <lb/>mit Wut und Ekel erfüllt und
                    <lb/>einen Niederschlag in einem Brief an
                    <lb/>Sie gefunden. – Ich finde, dass der
                    <lb/>Aufsatz von <persName key="E0300192">Goetz</persName> im Programmheft
                    
                    </p></div> | 
                                                
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                    des Theaters eine ausgezeichnete
                    Arbeit  ist. Ich nehme an, dass
 ich, wenn ich im April in Zürich
 bin, die Opern hören werde, denn
 nach allem, was ich höre, scheint
 doch auch diesmal ein klarer
 Erfolg dazusein, und es werden
 wohl Repertoire-Opern werden.
 Ein klein wenig
 hatte ichAngst, als ich las:Denzler und Conrad – hatte ich
 ja, dass mir das strahlende
 innere Abbild, da
 sss der Klavierauszuggefestigt hat, verschoben würde.
 Jedoch scheint das nach Ihrem
 eigenen Urteil, das Sie mir
 schrieben, nicht der Fall zu sein.
 Denzler, jedenfalls, muss dann viel
 gelernt, und Conrad seine
 widerwärtige Routine beiseite
 gelassen haben. Nur die drei
 Schriftsteller, die Sie mir nennen,
 sollen im Theater auf Ihrer Seite
 gewesen sein? Das erscheint
 mir ernstlich unmöglich! Der
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
                    <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">2</note>
                    des Theaters eine ausgezeichnete
                    <lb/>Arbeit  ist. Ich nehme an, dass
                    <lb/>ich, wenn ich im <date when-iso="1918-04">April</date> in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName>
                    <lb/>bin, <rs type="works" key="E0400153 E0400133">die Opern</rs> hören werde, denn
                    <lb/>nach allem, was ich höre, scheint
                    <lb/>doch auch diesmal ein klarer
                    <lb/>Erfolg dazusein, und es werden
                    <lb/>wohl Repertoire-Opern werden.
                    <lb/>Ein klein wenig <del rend="strikethrough"><add place="above">hatte ich</add></del> Angst, als ich las:
                    <lb/><persName key="E0300370">Denzler</persName> und <persName key="E0300399">Conrad</persName> – hatte ich
                    <lb/>ja, dass mir das strahlende
                    <lb/>innere Abbild, da<subst><del rend="overwritten">ss</del><add place="across">s</add></subst> <hi rend="sup">der</hi> Klavierauszug
                    <lb/>gefestigt hat, verschoben würde.
                    <lb/>Jedoch scheint das nach Ihrem
                    <lb/>eigenen Urteil, das Sie mir
                    <lb/>schrieben, nicht der Fall zu sein.
                    <lb/><persName key="E0300370">Denzler</persName>, jedenfalls, muss dann viel
                    <lb/>gelernt<orig>,</orig> und <persName key="E0300399">Conrad</persName> seine
                    <lb/>widerwärtige Routine beiseite
                    <lb/>gelassen haben. Nur die drei
                    <lb/>Schriftsteller, die Sie mir nennen,
                    <lb/>sollen im Theater auf Ihrer Seite
                    <lb/>gewesen sein? Das erscheint
                    <lb/>mir ernstlich unmöglich! Der
                    
                    </p></div> | 
                                                
                                                    |  3Faksimile |  3Diplomatische Umschrift |  3XML | 
                                                
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                    inneren Leichtigkeit kann sich
                    niemand entziehen.
 
                    
                        
                             Freitag, d. 29. März.
                         Ich musste gestern mitten im 
                        Brief aufhören; so furchtbar
 liegt mir das Gemetzel, das im
 Westen begonnen hat, in den
                                                                    Deutsche Frühjahrsoffensive 1918
 Gliedern. Herr van Beethoven,
 der mitten im Kanonendonner
 komponiert hat, mag wohl der
 vorzüglichste Modekomponist
 des 19. Jahrhunderts gewesen sein:
 Mit der Ewigkeit hat dieser Herr
 nicht zu tun. Dante hätte nicht
 während einer Schlächterei gedichtet,
 Goethe nicht, Mozart hätte niemals
 das fertig bekommen, wie überhaupt
 kein Mensch, der bei Gott steht.
 Aber Wagner hätte es gewiss getan,
 hätte während der Schlacht mit
 dem Füllfederhalter komponiert
 und extra ein paar Maschinen⸗
 gewehrschüsse selbst abgegeben, nur
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
                    <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">3</note>
                    inneren Leichtigkeit kann sich
                    <lb/>niemand entziehen.</p>
                <postscript type="pre-split">
                    <opener>
                        <dateline rend="indent">
                            <date when-iso="1918-03-29"> Freitag, <choice><abbr>d.</abbr><expan>den</expan></choice> 29. März</date>.
                        </dateline>
                    </opener>
                    <p type="pre-split">Ich musste gestern mitten im 
                        <lb/>Brief aufhören; so furchtbar
                        <lb/>liegt mir das Gemetzel, das im
                        <lb/>Westen begonnen hat, in den <note type="commentary" resp="#E0300364 #E0300365">Deutsche Frühjahrsoffensive 1918</note>
                        <lb/>Gliedern. <persName key="E0300001">Herr van Beethoven</persName>,
                        <lb/>der mitten im Kanonendonner
                        <lb/>komponiert hat, mag wohl der
                        <lb/>vorzüglichste Modekomponist
                        <lb/>des 19. Jahrhunderts gewesen sein:
                        <lb/>Mit der Ewigkeit hat dieser Herr
                        <lb/>nicht zu tun. <persName key="E0300215">Dante</persName> hätte nicht
                        <lb/>während einer Schlächterei gedichtet,
                        <lb/><persName key="E0300124">Goethe</persName> nicht, <persName key="E0300010">Mozart</persName> hätte niemals
                        <lb/>das fertig bekommen, wie überhaupt
                        <lb/>kein Mensch, der bei Gott steht.
                        <lb/>Aber <persName key="E0300006">Wagner</persName> hätte es gewiss getan,
                        <lb/>hätte während der Schlacht mit 
                        <lb/>dem Füllfederhalter komponiert
                        <lb/>und extra ein paar Maschinen
                        <lb break="no"/>gewehrschüsse selbst abgegeben, nur
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
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                        um seine Person ultrabeethovenisch
                        zu machen. Es ist auch wohl
 nicht Wagner, der nur Nachahmer
 
 istdarin ist, sondern Beethoven,dem man das Vorbild des
 romantisch scrupellosen
 Kompo-Onanisten verdankt.
 Diese Tage hätte ich nie
                        überstanden, hätte ich nicht
 für die Nacht Manzoni,
 für den Tag Dante bei mir.
 Ich habe mich am Paradiso
 wahrhaft aufrechterhalten.
 Und ich glaube, gerade das
 Paradiso war während des
 ganzen 19. Jhdts. als langweilig
 verrufen, nur darum, weil es
 voll von der ungeheuersten
 Weisheit ist, die freilich den
 Herren Naturwissenschaftlern
 zu mühevoll ist. (Warum
 ich Tolstoi liebe? Nicht wegen
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
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                        um seine Person ultra<persName key="E0300001">beethoven</persName>isch
                        <lb/>zu machen. Es ist auch wohl
                        <lb/>nicht <persName key="E0300006">Wagner</persName>, der nur Nachahmer
                        <lb/><subst><del rend="overwritten">ist</del><add place="across">da</add></subst>rin ist, sondern <persName key="E0300001">Beethoven</persName>,
                        <lb/>dem man das Vorbild des
                        <lb/>romantisch s<choice><orig>c</orig><reg>k</reg></choice>rupellosen
                        <lb/>Kompo-Onanisten verdankt.</p>
                    <p type="pre-split" rend="indent-first">Diese Tage hätte ich nie
                        <lb/>überstanden, hätte ich nicht
                        <lb/>für die Nacht <persName key="E0300371">Manzoni</persName>,
                        <lb/>für den Tag <persName key="E0300215">Dante</persName> bei mir.
                        <lb/>Ich habe mich am <title key="E0400605">Paradiso</title>
                        <lb/>wahrhaft aufrechterhalten.
                        <lb/>Und ich glaube, gerade das
                        <lb/><title key="E0400605">Paradiso</title> war während des
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                        <lb/>verrufen, nur darum, weil es
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                        <lb/>Herren Naturwissenschaftlern
                        <lb/>zu mühevoll ist. (Warum
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                                                                     B II, 42775 
                        seiner Fehler, sondern weil der
                         ebenso ursprünglich aus genau
                         denselben urchristlichen
                         Quellen geschöpft hat. „L’amor che muove il Sole e le altre stelle“
                                                                    Dante, Divina commedia, Schlussvers (Paradiso, 33. Gesang, V. 145): „die Liebe, die die Sonne und die anderen Sterne bewegt“.
 um nur das  eEinfachste zu nennen.
                         Unbegreiflich ist mir, wie
                         ganze Generationen diese 
                         absolut helle, übernaturwissen⸗ schaftliche Gotteserkenntnis
                         haben missverstehen, fälschen und
                         ins elegant Salonmässige haben
                         umbiegen können.) –
                     Und bei der Gelegenheit Dante gleich
                        die Frage von dem Zusammen⸗
 treffen Ihres Geburtstages mit
 dem Ostersonntage. Habe ich die
 Frage nun einfach zu verstehen
 oder mit einer geheimnisvolleren
 Beziehung? Sie ist, wie Sie wissen,
 eine astronomische Frage; unab⸗
 hängig von der Person könnte
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p rend="indent-first" type="split">
                        <note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">B II, 4277</note>
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">5</note>
                        seiner Fehler, sondern weil der
                        <lb/>ebenso ursprünglich aus genau
                        <lb/>denselben urchristlichen
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                        <lb/>um nur das <subst><del rend="overwritten">e</del><add place="across">E</add></subst>infachste zu nennen.
                        <lb/>Unbegreiflich ist mir, wie
                        <lb/>ganze Generationen diese 
                        <lb/>absolut helle, übernaturwissen
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                        <lb/>haben missverstehen, fälschen und
                        <lb/>ins elegant Salonmä<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ige haben
                        <lb/>umbiegen können.) –</p>
                    <p type="pre-split">Und bei der Gelegenheit <persName key="E0300215">Dante</persName> gleich
                        <lb/>die Frage von dem Zusammen
                        <lb break="no"/>treffen Ihres Geburtstages mit 
                        <lb/>dem Ostersonntage. Habe ich die 
                        <lb/>Frage nun einfach zu verstehen
                        <lb/>oder mit einer geheimnisvolleren
                        <lb/>Beziehung? Sie ist, wie Sie wissen,
                        <lb/>eine astronomische Frage; unab
                        <lb break="no"/>hängig von der Person könnte
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  6Faksimile |  6Diplomatische Umschrift |  6XML | 
                                                
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                        sie heissen „Wie oft fällt der erste
                            Vollmond nach dem Frühlings⸗
 aequinoctium (21. März) in die
 letzte Märzwoche?“ (Da, wie Sie
 ja wissen, der Ostersonntag der
 1. Sonntag nach dem Vollmond ist,
 der auf die Frühlings-TagundNacht⸗
 gleiche folgt. Der Ostersonntag
 verschiebt sich also, auch der
 Pfingstsonntag; ich bin am
 12. Juni geboren und habe
 zweimal im Leben Geburtstag
 zu Pfingsten geha
 lbbt.) Aber überdas Kalendermässige werden Sie
 ebenso gut bescheid wissen wie
 die von Ihnen Angefragten.
 Hätte ich nur [die] geringsten astrono⸗
 mischen Hilfsmittel bei der Hand,
 so könnte ich doch leichtlich
 finden, wann der 1. April
 wiederum auf den 1. Sonntag
 nach Vollmond der auf d. 21. März
 folgt, treffen wird. – Sollte
 nun aber Ihre Frage
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
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                        sie hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en <q rend="dq-du">Wie oft fällt der erste
                            <lb/>Vollmond nach dem Frühlings
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                        <lb/>ja wissen, der Ostersonntag der
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                        <lb/>verschiebt sich also, auch der
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                        <lb/><date when-iso="1881-06-12">12. Juni</date> geboren und habe 
                        <lb/>zweimal im Leben Geburtstag
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                        <lb/>das Kalendermä<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ige werden Sie 
                        <lb/>ebenso gut <choice><orig>b</orig><reg>B</reg></choice>escheid wissen wie 
                        <lb/>die von Ihnen Angefragten.
                        <lb/>Hätte ich nur <supplied reason="omitted">die</supplied> geringsten astrono
                        <lb break="no"/>mischen Hilfsmittel bei der Hand,
                        <lb/>so könnte ich doch leichtlich
                        <lb/>finden, wann der 1. April
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                        <lb/>nach Vollmond<reg>,</reg> der auf <choice><abbr>d.</abbr><expan>den</expan></choice> 21. März
                        <lb/>folgt, treffen wird. – Sollte
                        <lb/>nun aber Ihre Frage
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  7Faksimile |  7Diplomatische Umschrift |  7XML | 
                                                
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                        etwa lauten: Wie steht das
                        Zusammentreffen in Verbindung
 mit den Zahlen:
 11. 22. 33.
                        (11 + 22 = 33.
 33 + 33 = 66.
 1866.
 Quersumme: 1 + 8 + 6 + 6 = 21, Quersumme 2 + 1 = 3
 3 × 11 = 33
 Quersumme von 33 = 6
 Dazu Ihre Monatszahlen
 1. IV
 1 + 4 + 6 = 11)!!!
 so muss ich Ihnen sagen, dass ich
 trotz Ihrer äussert interessanten
 kabbalistischen Quersummen
 ohne astronomische Hilfsmittel
 nicht weiss,
 wiein welchemVerhältnis Ihre Hauptzahlen
 zum Mondumlauf stehen. Es
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">7</note>
                        etwa lauten: Wie steht das
                        <lb/>Zusammentreffen in Verbindung
                        <lb/>mit den Zahlen:</p>
                    <p type="pre-split" rend="indent-first"><hi rend="underline2">11</hi>. 22. 33.
                        <lb/>(11 + 22 = 33.
                        <lb/>33 + 33 = 66.
                        <lb/>1866.
                        <lb/>Quersumme: 1 + 8 + 6 + 6 = 21, Quersumme 2 + 1 = 3
                        <lb/>3 × 11 = <hi rend="underline2">33</hi>
                        <lb/>Quersumme von 33 = 6
                        <lb/>Dazu Ihre Monatszahlen
                        <lb/><seg rend="indent">1. IV<reg>.</reg></seg>
                        <lb/>1 + 4 + 6 = <hi rend="underline2">11</hi>)!!! 
                        <lb/>so muss ich Ihnen sagen, dass ich
                        <lb/>trotz Ihrer äu<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ert interessanten
                        <lb/>kabbalistischen Quersummen
                        <lb/>ohne astronomische Hilfsmittel
                        <lb/>nicht wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>, <del rend="strikethrough">wie</del> in welchem
                        <lb/>Verhältnis Ihre Hauptzahlen
                        <lb/>zum Mondumlauf stehen. Es
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  8Faksimile |  8Diplomatische Umschrift |  8XML | 
                                                
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                        ist aber sicherlich eine Beziehung
                        da. Wenn ich in Zürich bin,
 stürze ich mich in Ihr
 Horoskopisches! Wollen Sie
 aber, zur Steuer der Gewissen⸗
 haftigkeit, bemerken, dass meine
 Arbeit mit den Quersummen,
 durch die ich zu jenen verblüffen⸗
 den
 bBestätigungen Ihrer Grund⸗zahlen gekommen bin, nicht
 naturwissenschaftlicher Art sind,
 sond[.] lediglich phantastisch=kabbalisti⸗
 scher. –
 Ich persönlich glaube, dass nur
                        ganz einfache Zahlenverhältnisse
 eine tiefere Bedeutung haben.
 Alle Jahreszahlen sind aber
 ungeheuer kompliciert, das heisst
 sie sind schon sehr willkürlich.
 Denn wenn wir solche Vorgänge,
 wie Umlauf der Erde um die
 Sonne, und Umlauf des Mondes
 um die Erde u. überdies noch
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p rend="indent-first" type="split">
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                        ist aber sicherlich eine Beziehung
                        <lb/>da. Wenn ich in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName> bin,
                        <lb/>stürze ich mich in Ihr
                        <lb/>Horoskopisches! Wollen Sie
                        <lb/>aber, zur Steuer der Gewissen
                        <lb break="no"/>haftigkeit, bemerken, dass meine
                        <lb/>Arbeit mit den Quersummen,
                        <lb/>durch die ich zu jenen verblüffen
                        <lb break="no"/>den <subst><del rend="overwritten">b</del><add place="across">B</add></subst>estätigungen Ihrer Grund
                        <lb break="no"/>zahlen gekommen bin, nicht
                        <lb/>naturwissenschaftlicher Art sind,
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                        <lb break="no"/>scher. –</p>
                    <p type="pre-split">Ich persönlich glaube, dass nur
                        <lb/>ganz einfache Zahlenverhältnisse
                        <lb/>eine tiefere Bedeutung haben.
                        <lb/>Alle <hi rend="underline">Jahreszahlen</hi> sind aber
                        <lb/>ungeheuer kompli<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>iert, das hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t<reg>,</reg>
                        <lb/>sie sind schon sehr willkürlich.
                        <lb/>Denn wenn wir solche Vorgänge<orig>,</orig>
                        <lb/>wie Umlauf der Erde um die
                        <lb/>Sonne<orig>,</orig> und Umlauf des Mondes
                        <lb/>um die Erde <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> überdies noch
                        
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                                                    |  9Faksimile |  9Diplomatische Umschrift |  9XML | 
                                                
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                            BII, 4277
                        9 
                        um die Sonne, dazu noch die 
                         Stellung, die der Mond zum
                         Kreuz am Himmel (das die Frühlings= Tag=und Nachtgleiche bildet) einnimmt,
                         betrachten, so erscheint uns 
                         eine Jahreszahl wie „1918“ als etwas recht wirres und
                         willkürliches. Die Welt hat
                         nicht erst vor 1919 Jahren
                         angefangen, die Juden haben
                         eine höhere Jahreszahl, die Buddhisten
                         eine noch höhere, die Veden
                         rechnen nach Millionen Jahren,
                         und die Mohammedaner haben
                         eine viel niedrigere Zahl als das
                         heutige Europa . In Wirklichkeit
                         ist jede Jahreszahl ganz will⸗ kürlich, es kommt nur darauf an,
                         auf welchem Turm man steht
                         und nach ihr blickt. Nicht ganz
                         so willkürlich sind die Zahlen
                         unserer Lebensjahre, denn sie
                        
                        
                                                             | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
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                            <add>BII, 4277</add>
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                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">9</note>
                        um die Sonne, dazu noch die 
                        <lb/>Stellung, die der Mond zum
                        <lb/>Kreuz am Himmel (das die Frühlings<pc>=</pc>
                        <lb break="no"/>Tag<pc>=</pc>und<choice><orig> Nachtg</orig><reg>-Nacht-G</reg></choice>leiche bildet) einnimmt,
                        <lb/>betrachten, so erscheint uns 
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                        <lb/>eine höhere Jahreszahl, die Buddhisten
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                        <lb/>ist jede Jahreszahl ganz will
                        <lb break="no"/>kürlich, es kommt nur darauf an,
                        <lb/>auf welchem Turm man steht
                        <lb/>und nach ihr blickt. Nicht ganz
                        <lb/>so willkürlich sind die Zahlen
                        <lb/>unserer Lebensjahre, denn sie
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  10Faksimile |  10Diplomatische Umschrift |  10XML | 
                                                
                                                    |  | 
                                                            
                                                                10
                        
                        richten sich ja nach dem Umlauf
                        der Erde um die Sonne, sie sind
 aber auch nicht wahrhaft genau,
 sondern nur zur  Bequemlichkeit
 abgerundet. Ist man aber
 an einem kalendermässig so
 auffallenden Tag geboren, wie Sie,
 am 1. April,
 dazudas heisstan dem berühmtesten der
 merkwürdigen Tage der antiken
 Mythologie (der in Urzeiten
 wirklich der erste Ostertag war,
 nicht, wie heute, nur durch gele⸗
 gentliche Combination), so hat
 man schon ein sehr
 seltsames Prognostikon.
 (Prognostikon bezieht sich
 bei Menschen von bewusstem
 Willen ja stets auf den
 Willen, denn das Können
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">10</note>
                        
                        richten sich ja nach dem Umlauf
                        <lb/>der Erde um die Sonne, sie sind
                        <lb/>aber auch nicht wahrhaft genau,
                        <lb/>sondern nur zur  Bequemlichkeit
                        <lb/>abgerundet. Ist man aber
                        <lb/>an einem kalendermä<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ig so
                        <lb/>auffallenden Tag geboren<orig>,</orig> wie Sie,
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                        <lb/>an dem berühmtesten der
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                        <lb/>(Prognostikon bezieht sich 
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                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  11Faksimile |  11Diplomatische Umschrift |  11XML | 
                                                
                                                    |  | 
                                                            
                                                                11
                        
                        wird vorausgesetzt.) Der 1. April ist nämlich nicht
                        zufällig der Tag der Scherze
 geworden; sondern nach
 meiner heutigen Einsicht alter
 Quellen und privater Erkenntnis
 hat das einen tiefen, mytholo⸗
 gischen Sinn. Ich persönlich
 vermute auch, dass der
 erste April, der Festtag für
 die antike Komödie, das
 Satyrspiel war; (der
 Dyoniso
                                                                            Transkription unsicher:
                    unleserlich.
                DeutscheStaatsbibliothek
 Berlin
 Dionysostag, d. h. auch der
 Bockstag,) und, da in der
 Götterlehre Zerfleischung und
 Auferstehung dasselbe ist: Der
 Tag des Lachens und der Wiedergeburt.
 Ostern hat es, als uraltes
 Fest dieses Sinnes, schon lange
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">11</note>
                        
                        wird vorausgesetzt.)</p>
                    <p type="pre-split">Der 1. April ist nämlich nicht
                        <lb/>zufällig der Tag der Scherze
                        <lb/>geworden; sondern nach
                        <lb/>meiner heutigen Einsicht alter
                        <lb/>Quellen und privater Erkenntnis
                        <lb/>hat das einen tiefen, mytholo
                        <lb break="no"/>gischen Sinn. Ich persönlich
                        <lb/>vermute auch, dass der
                        <lb/><choice><orig>erste </orig><reg>1. </reg></choice>April<orig>,</orig> der Festtag für 
                        <lb/>die antike <hi rend="underline">Komödie</hi>, das
                        <lb/>Satyrspiel war<orig>;</orig> (der <del rend="strikethrough"><unclear reason="illegible" cert="high">Dyoniso</unclear></del>
                        <note type="stamp" place="margin-right" resp="#dsb_st_red">
                            <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                                <lb/>Staatsbibliothek
                                <lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
                            </stamp>
                        </note>
                        <lb/>Dionysostag, d. h. auch der 
                        <lb/>Bockstag<choice><orig>,)</orig><reg>);</reg></choice> und, da in der
                        <lb/>Götterlehre Zerfleischung und
                        <lb/>Auferstehung dasselbe ist: <choice><orig>D</orig><reg>d</reg></choice>er
                        <lb/>Tag des Lachens <hi rend="underline">und</hi> der Wiedergeburt.
                        <lb/>Ostern hat es, als uraltes
                        <lb/>Fest dieses Sinnes, schon lange
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
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                        vor der Zeit Christi gegeben;
                        damals – und bis in die
 ersten Jahrhunderte der christlichen
 Kirche, fiel es mit dem ersten
 April zusammen, weil dies der
 natürliche Erd=Mond=Sonnen⸗
 zusammenklang ist. Erst seit
 dem gregorianischen Kalender
 ist Ostern verschiebbar. Ginge
 es also natürlich in der
 Welt her, so müsste Ihr Geburts⸗
 tag in jedem Jahr auf den
 Ostersonntag fallen. Dass es
 das nicht tut, ist Willkürlichkeit
 der heutigen Zeitrechnung. Und
 so ist überhaupt die ganze
 Welt. Immerhin kann man
 sich gratulieren, dass es einen
 Menschen giebt, dessen Geburts⸗
 tag vom 1. April wenigstens
 einige Male im Leben auf den
 Ostersonntag fällt, der also,
 mit meinen Begriffen aus⸗
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
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                        vor der Zeit Christi gegeben;
                        <lb/>damals – und bis in die
                        <lb/>ersten Jahrhunderte der christlichen
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                            <lb/></orig><reg>1. </reg></choice>April zusammen, weil dies der
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                        <lb break="no"/>zusammenklang ist. Erst seit
                        <lb/>dem gregorianischen Kalender
                        <lb/>ist Ostern verschiebbar. Ginge
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                        <lb/>der heutigen Zeitrechnung. Und
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                        <lb break="no"/>tag vom 1. April wenigstens
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                        <lb/>Ostersonntag fällt, der also,
                        <lb/>mit meinen Begriffen aus
                        
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                                                                     B II, 427713 
                        gedrückt, in dieser wirren
                         und willkürlichen Welt wenigs⸗ tens noch in der Tradition
                         steht, der höchstes Lachen und höchstes Wissen dasselbe ist.
 Und dies sind meine Gedanken 
                         zu Ihrem diesjährigen Geburts⸗ tag, die Sie durch Ihre interessante 
                         Zahlenfrage angeregt haben.
                     — Frau Gerda, sagen Sie
                        mir, ist in ihrer Krankheit
 ungeduldig. Lieber Verehrter –
 die Erkrankung Ihrer lieben
 Frau Gerda dauert schon lange,
 und ich frage mich, ob sie nicht
 am Ende die Krankheit ver⸗
 nachlässigt. Nämlich: vielleicht
 ist, umgekehrt, die Krankheit
 mit der Patientin ungeduldig,
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
                        <note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">B II, 4277</note>
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">13</note>
                        gedrückt, in dieser wirren
                        <lb/>und willkürlichen Welt wenigs
                        <lb break="no"/>tens noch in der Tradition
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                        <lb/>die Erkrankung Ihrer lieben 
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                        <lb break="no"/>nachlässigt. Nämlich: vielleicht 
                        <lb/>ist, umgekehrt, die Krankheit
                        <lb/>mit der Patientin ungeduldig,
                        
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                        läuft auf kurze Zeit davon,
                        kommt wieder, macht neuerdings
 Miene zu verschwinden – und
 bleibt im ganzen Grossen. Habt
 Ihr auch einen sehr sehr
 guten Arzt? Vielleicht wird
 das nun doch wichtig.
 Ich wünsche Frau Gerda,
 dass sie Ihre Erkrankung
 wie einen Nebel, der am Abend
 dalag, los wird, bald, schnell,
 im Hauch, in schönem, trockenem,
 hellen Wetter. Und dass sie
 zunächst schon über die
 Ostertage nichts mehr davon
 merke!
 — Die Nachricht von Ihrem
                        Klarinetten-Concertino hat
 mich ordentlich froh gemacht.
 Ja, so etwas muss man
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p rend="indent-first" type="split">
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                        läuft auf kurze Zeit davon,
                        <lb/>kommt wieder, macht neuerdings 
                        <lb/>Miene zu verschwinden – und
                        <lb/>bleibt im ganzen Gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en. Habt
                        <lb/>Ihr auch einen <hi rend="underline">sehr</hi> <hi rend="underline">sehr</hi> 
                        <lb/>guten Arzt? Vielleicht wird
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                        <lb/>Ich wünsche <persName key="E0300059">Frau Gerda</persName>,
                        <lb/>dass sie Ihre Erkrankung
                        <lb/>wie einen Nebel, der am Abend 
                        <lb/>dalag, los<orig> </orig>wird, bald, schnell,
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                    <p type="pre-split" rend="indent-first">Die Nachricht von Ihrem
                        <lb/><title key="E0400330">Klarinetten-Concertino</title> hat
                        <lb/>mich ordentlich froh gemacht.
                        <lb/>Ja, so etwas muss man 
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  15Faksimile |  15Diplomatische Umschrift |  15XML | 
                                                
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                        machen, und gerade hinein,
                        mitten in die wichtigsten,
 ernstesten Dinge. Dass dies
 nun eine geringe Ausbeute
 sein soll für 1918 kann ich
 garnicht mit Ihnen finden.
 Im Gegenteil, da doch die
 Ausbeute unmöglich nach
 dem Pfundgewicht des
 beschreibenen Papiers beurteilt
 werden kann, erscheint es
 nur als ein Zeichen von
 unbekümmertster, heiterster
 Schöpferkraft, mitten unter
 seinen Arbeiten eine solche
 zu unternehmen. Ein Beweis,
 dass man nicht dekorativ
 arbeitet, sondern aus der
 wirklichen Ideen-Arbeit
 herkommt. —
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p rend="indent-first" type="split">
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">15</note>
                        machen, und gerade hinein,
                        <lb/>mitten in die wichtigsten,
                        <lb/>ernstesten Dinge. Dass dies
                        <lb/>nun eine geringe Ausbeute 
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                                                    |  16Faksimile |  16Diplomatische Umschrift |  16XML | 
                                                
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                                                            16
                    
                    „Der Zauberflöte zweyten Theil“
                        habe ich in meiner Jugend oft
 gelesen. Nehme ich meine ganze
 Erinnerung von Goethe zusam⸗
 men, so erscheint mir dies
 als das dichterisch und formal
 gelungenste und edelste
 seiner ganzen dramatischen
 Produktion. Ich stell es – in
 meiner Erinnerung – höher als
 alle grossen „Klassiker“-Dramen
 Goethes. Dies kleine Werkchen ist
 gewiss auch gelungener als der Faust.
 (Meiner Erinnerung nach könnte
 ich es aber nicht als Opernbuch
 bezeichnen, sondern eher als
 Cantate. Doch ist hier ein
 Erinnerungsirrtum nicht aus⸗
 geschlossen.) – Ich
 […]
                                                                            mindestens 1 Zeichen: überschrieben.                   
            würde es heutewohl mit dem grössten Nutzen
 lesen. (In Locarno nicht
 aufzutreiben. Ich werde
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                        <lb/>gelesen. Nehme ich meine ganze 
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                        <lb/>meiner Erinnerung – höher als 
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                        <lb/>aufzutreiben. Ich werde
                        
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                                                                     B II, 427717
                        Goetz  bitten, mir diesen Band Goethe
  zu leihen. Ebenso Pfitzners musiktheoretische Schriften.)
                                                                    Wahrscheinlich Pfitzners Vom musikalischen Drama.  Ich 
                         erlaubte mir noch etwas Ketzerisches:
                         Für Goethes  edelstes Pros[a]werk,
                         für  seine den seiner Romane,
                         der am schönsten geschrieben ist,
                         halte ich seine Übersetzung des Benvenuto Cellini . —
                     — Huber war vor einigen Tagen 
                        noch in der Arbeit an seinem
 offenen Brief fürs „Journal
 de Genève“; er wird ihn jetzt
 wohl, denk ich, abgeschickt
 haben. Er ist ein kluger, herzens⸗
 guter Mensch, höchstgebildet,
 ungewöhnlich behend für einen
 Schweizer, und er hätte alle
 Eigenschaften um liebenswert
 zu sein, wäre er nicht so eine
 Art bejahrter Schmetterling. Ich
 fürchte, dieser Mann wird nie
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
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                        <lb/>musiktheoretische Schriften.)<note type="commentary" resp="#E0300364 #E0300365">Wahrscheinlich <persName key="E0300084">Pfitzners</persName> <title key="E0800168">Vom musikalischen Drama</title>.<!-- in den Bibliographie-Index aufnehmen! -->
                        </note> Ich 
                        <lb/>erlaubte mir noch etwas Ketzerisches:
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                        <lb/>der am schönsten geschrieben ist,
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                        <lb/>noch in der Arbeit an seinem 
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                        <lb/>wohl, denk ich, abgeschickt 
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                        <lb/>zu sein, wäre er nicht so eine
                        <lb/>Art bejahrter Schmetterling. Ich 
                        <lb/>fürchte, dieser Mann wird nie 
                        
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                        wagen, etwas Eigenes zu schreiben.
                        Und dabei eben ein wirklich
 lieber Mensch, und es wäre
 gut, wenn die Welt aus
 mehr solchen Menschen wie
 er bestände. Ob wir uns
 nahekommen können, weiss
 ich bis heute nicht. So ungefähr
 stelle ich mir Mendelssohn vor;
 mit dem hätte ich auch nur
 kurze, freundliche Bildungs⸗
 gespräche gehabt – Herzensgüte
 vorausgesetzt. Und zum Schluss
 möchte man dann gern irgend
 welche ganz unvermutete
 Capriolen machen, nur um
 zu zeigen, dass das Menschenleben
 nicht so ein fein geordneter
 Patricier-Leihbibliothekskatalog
 ist. —
 Es gab einen Tag in
                        Locarno, da wimmelte
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
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                        wagen, etwas Eigenes zu schreiben.
                        <lb/>Und dabei eben ein wirklich 
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                        es hier von Menschen, darunter 
                        Bekannte, die nicht zur Arbeit
 anregen, denen ich dagegen
 auf Schritt und Tritt begegnen
 musste, wenn ich einmal
 in eine „Tabagie“ gehen wollte.
 Das hinderte mich sehr bedenklich
 in der Arbeit. Ich telegraphierte
 meiner Frau; die kam, nach
 grösstem Widerstreben auf
 einige Tage her, nahm die
 ganze Bande auf sich, und
 nachdem der erste Chok
 vorüber war, hatte ich wieder
 den Kopf frei. Nun ist meine Frau
 wieder in Zürich.  —
 Ich selbst stelle heute die 
                        höchsten Anforderungen an
 meine Arbeit. Sie geht
 weiter. An den komischen
 Stellen am schwersten. Mit
 grosser Bitterkeit erfüllt
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p rend="indent-first" type="split">
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                        es hier von Menschen, darunter 
                        <lb/>Bekannte, die nicht zur Arbeit
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                                                                20
                        
                        mich, dass ich die Zeit zur Fertig⸗stellung zu kurz angesetzt hatte. Ich
 dachte Ende März mit dem Ganzen
 fertig zu sein, und dabei bin
 ich heute noch nicht mit dem
 II. Akt fertig, wenn ich mich
 auch seinem Ende nähere. Ich
 bin aber so in der Arbeit , dass
 ich einen Vortrag, den ich am
 6. April in Zürich halten sollte,
 deswegen abgesagt habe. – Ich
 zittre eben heute nur vor dem
 einen: Dass mir etwas passiert,
 ehe ich fertig werde. —
 Ihren Rat, die Ausarbeitung 
                        der projektierten Operndichtung,
 von der ich Ihnen schrieb,
 auf spätere Jahre aufzuschieben,
 nahm ich zuerst mit Verblüffung
 auf. Einige Tage später wurde
 mir aber klar, dass Sie völlig
 recht hatten, dass Sie mir
 geraten hatten aus tiefer
 Kenntnis der menschlichen
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p type="split">
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">20</note>
                        
                        mich, dass ich die Zeit zur Fertig
                        <lb break="no"/>stellung zu kurz angesetzt hatte. Ich 
                        <lb/>dachte<reg>,</reg> Ende <date when-iso="1918-03">März</date> mit <rs key="E0400316">dem Ganzen</rs>
                        <lb/>fertig zu sein, und dabei bin
                        <lb/>ich heute noch nicht mit dem 
                        <lb/>II. Akt fertig, wenn ich mich 
                        <lb/>auch seinem Ende nähere. Ich 
                        <lb/>bin aber so in der Arbeit , dass
                        <lb/>ich einen Vortrag, den ich am
                        <lb/><date when-iso="1918-04-06">6. April</date> in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName> halten sollte,
                        <lb/>deswegen abgesagt habe. – Ich 
                        <lb/>zittre eben heute nur vor dem
                        <lb/>einen: <choice><orig>D</orig><reg>d</reg></choice>ass mir etwas passiert,
                        <lb/>ehe ich fertig werde. —</p> 
                    <p type="pre-split" rend="indent-first">Ihren Rat, die Ausarbeitung 
                        <lb/>der projektierten Operndichtung, 
                        <lb/>von der ich Ihnen schrieb,
                        <lb/>auf spätere Jahre aufzuschieben, 
                        <lb/>nahm ich zuerst mit Verblüffung 
                        <lb/>auf. Einige Tage später wurde 
                        <lb/>mir aber klar, dass Sie völlig
                        <lb/>recht hatten, dass Sie mir
                        <lb/>geraten hatten aus tiefer
                        <lb/>Kenntnis der menschlichen 
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  21Faksimile |  21Diplomatische Umschrift |  21XML | 
                                                
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                                                                     B II, 427721 
                        Natur heraus, und aus einer
                         ganz besonderen, ungewöhnlich
                         tiefen und genauen Kenntnis
                         meiner speciellen Geistesverfassung.
                         Es giebt nun wirklich in der
                         Welt keinen Menschen, der
                         mich so gut und genau kennt
                         wie Sie, und keinen einzigen,
                         der mir mit solcher Geduld,
                         solche rm menschlichen Interesse 
                         und solcher Liebe Ratschläge 
                         gegeben hat wie Sie. Jedes Mal,
                         wenn ich Ihren Rat befolgte,
                         ist mir das gut ausgeschlagen.
                         So hat auch diesmal schon 
                         das Nachdenken über Ihre
                         Worte betr. der Operndichtung
                         mit mich von irgendwoher 
                         mit einer gewissen Freude erfüllt,
                         die mir dann zu der Arbeit
                         an der momentan schwersten
                         Stelle meiner Arbeit  ver⸗
                                                             | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p rend="indent-first" type="split">
                        <note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">B II, 4277</note>
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">21</note>
                        Natur heraus, und aus einer
                        <lb/>ganz besonderen, ungewöhnlich
                        <lb/>tiefen und genauen Kenntnis
                        <lb/>meiner spe<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>iellen Geistesverfassung.
                        <lb/>Es gi<orig>e</orig>bt nun wirklich in der
                        <lb/>Welt keinen Menschen, der
                        <lb/>mich so gut und genau kennt
                        <lb/>wie Sie, und keinen einzigen,
                        <lb/>der mir mit solcher Geduld,
                        <lb/>solche<subst><del rend="overwritten">r</del><add place="across">m</add></subst> menschlichen Interesse 
                        <lb/>und solcher Liebe Ratschläge 
                        <lb/>gegeben hat wie Sie. Jedes Mal,
                        <lb/>wenn ich Ihren Rat befolgte,
                        <lb/>ist mir das gut ausgeschlagen.
                        <lb/>So hat auch diesmal schon 
                        <lb/>das Nachdenken über Ihre
                        <lb/>Worte betr. der Operndichtung
                        <lb/><del rend="strikethrough">mit</del> mich von irgendwoher 
                        <lb/>mit einer gewissen Freude erfüllt,
                        <lb/>die mir dann zu der Arbeit
                        <lb/>an der momentan schwersten
                        <lb/>Stelle <rs key="E0400316">meiner Arbeit</rs> ver
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  22Faksimile |  22Diplomatische Umschrift |  22XML | 
                                                
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                                                                22
                        holfen hat. — — Nun ist Locarno für
                        diese Tage des Andranges
 von Menschen wirklich
 etwas klein. Indessen
 soll es üblich sein, dass bald
 nach Ostern die meisten
 Leute wieder verschwinden
 und mir die Kranken,
 Ruhebedürftigen und Arbeits⸗
 lustigen übrig bleiben, also
 die von denen man nicht
 viel sieht. —
 
                                                                    
                        Deutsche
                             Staatsbibliothek
                            Berlin „Der Mensch“, schrieben Sie
                        mir neulich, „ist dumm
 und schlecht“. Nur, solange
 die eine Partei oder die andere
 siegt, mit brutaler, gemeiner
 Blutgewalt, mit Gift und
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p rend="indent-first" type="split">
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">22</note>
                        holfen hat. — <milestone unit="section" style="—" rend="inline"/></p>
                    
                    <p>Nun ist <placeName key="E0500183">Locarno</placeName> für
                        <lb/>diese Tage des Andranges 
                        <lb/>von Menschen wirklich 
                        <lb/>etwas klein. Indessen
                        <lb/>soll es üblich sein, dass bald
                        <lb/>nach Ostern die meisten
                        <lb/>Leute wieder verschwinden 
                        <lb/>und mir die Kranken,
                        <lb/>Ruhebedürftigen und Arbeits
                        <lb break="no"/>lustigen übrig bleiben, also
                        <lb/>die<reg>,</reg> von denen man nicht
                        <lb/>viel sieht. —</p> 
                    <note type="stamp" place="right" resp="#dsb_st_red">
                        <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                            <lb/>Staatsbibliothek
                            <lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
                        </stamp>
                    </note>
                    <p type="pre-split" rend="indent-first"><q rend="dq-du">Der Mensch</q>, schrieben Sie
                        <lb/>mir neulich, <q rend="dq-du">ist dumm 
                            <lb/>und schlecht</q>. Nur, solange
                        <lb/>die eine Partei oder die andere
                        <lb/>siegt, mit brutaler, gemeiner
                        <lb/>Blutgewalt, mit Gift und 
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  23Faksimile |  23Diplomatische Umschrift |  23XML | 
                                                
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                                                                23
                        
                        mit niederträchtiger List.
                        Dante hat mich auch hier
 aufgerichtet, und ich weiss
 von ihm, was ich von mir
 schon lange wusste, dass
 der Mensch von Gott abstammt,
 und nicht von naturwissenschaftli⸗
 chen Zellen oder von Giftgasen.
 Ich acceptiere aber völlig
 Ihr Wort, mit einem kleinen
 Zusatz: Der Mensch ist heute
 dumm und schlecht. Folglich ist
 er verpflichtet morgen weise
 und heilig zu werden. – Ich
 glaube nicht an eine „Entwicklung“,
 noch weniger an eine „Entwicklung
 zum Bessern“ und erst recht
 nicht an einen „Fortschritt“.
 Ich glaube aber, dass es gute
 und böse Zeiten giebt, materielle
 und geistige Strömungen.
 | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><postscript type="split"><p rend="indent-first" type="split">
                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">23</note>
                        
                        mit niederträchtiger List.
                        <lb/><persName key="E0300215">Dante</persName> hat mich auch hier
                        <lb/>aufgerichtet, und ich wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>
                        <lb/>von ihm, was ich von mir 
                        <lb/>schon lange wusste, dass
                        <lb/>der Mensch von Gott abstammt,
                        <lb/>und nicht von naturwissenschaftli
                        <lb break="no"/>chen Zellen oder von Giftgasen.
                        <lb/>Ich a<choice><orig>cc</orig><reg>kz</reg></choice>eptiere aber völlig 
                        <lb/>Ihr Wort, mit einem kleinen 
                        <lb/>Zusatz: Der Mensch ist <hi rend="underline">heute</hi>
                        <lb/>dumm und schlecht. Folglich ist
                        <lb/>er <hi rend="underline">verpflichtet</hi><reg>,</reg> morgen weise
                        <lb/>und heilig zu werden. – Ich
                        <lb/>glaube <hi rend="underline">nicht</hi> an eine <soCalled rend="dq-du">Entwicklung</soCalled>,
                        <lb/>noch weniger an eine <soCalled rend="dq-du">Entwicklung
                            <lb/>zum Bessern</soCalled> und erst recht 
                        <lb/>nicht an einen <soCalled rend="dq-du">Fortschritt</soCalled>.
                        <lb/>Ich glaube aber, dass es gute
                        <lb/>und böse Zeiten gi<orig>e</orig>bt, materielle
                        <lb/>und geistige Strömungen.
                        
                        </p></postscript></div> | 
                                                
                                                    |  24Faksimile |  24Diplomatische Umschrift |  24XML | 
                                                
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                                                                24
                        
                        Auf den Erfolg, à la Wertheim=Rathenau, kommt es gar nicht an!
 Sondern nur auf das, was man
 für wahr erkannt hat. Z. B.
 ist es gut, dass sich einmal das
 Urchristentum gebildet hat; die
 heutige Zeit ist kein Beweis dagegen,
 da wir ja keine Herzensverkäufer
 sind, sondern beweist nur, dass sich
 wieder eins wird bilden müssen.
 Ebenso bin ich sicher, dass Christus
 wiederkommen muss, vielleicht sogar
 in mehreren Gestalten und mehreren
 Verkörperungen gleichzeitig. —
 Genau so, wie man im vorigen Jahr⸗hundert Dantes Paradiso für lang⸗
 weilig und das sog. Böse für „interessant“
 gehalten hat, genau so wird man
 bald alle diese Herrschaften vom
 Bösen und der Materie als herzlich
 dumm und grausam langweilig erkennen,
 und mit einem fröhlichen Oster=
 Wiedergeburts=Gelächter aus dem Gedächt⸗
 nis der Welt lachen! In Freundschaft
 mit einer herzlichen Umarmung
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                        <note type="pagination" resp="#major_hand_pag" place="top-right">24</note>
                        
                        Auf den <hi rend="underline">Erfolg</hi>, à la <persName key="E0300400">Wertheim</persName><pc>=</pc>
                        <lb break="no"/><persName key="E0300401">Rathenau</persName>, kommt es <hi rend="underline2">gar nicht</hi> an!
                        <lb/>Sondern nur auf das, was man
                        <lb/>für <hi rend="underline2">wahr</hi> erkannt hat. Z. B.
                        <lb/>ist es gut, dass sich einmal das 
                        <lb/>Urchristentum gebildet hat; die 
                        <lb/>heutige Zeit ist kein Beweis dagegen,
                        <lb/>da wir ja keine Herzensverkäufer
                        <lb/>sind, sondern beweist nur, dass sich
                        <lb/>wieder eins wird bilden müssen.
                        <lb/>Ebenso bin ich sicher, dass Christus 
                        <lb/>wiederkommen muss, vielleicht sogar
                        <lb/>in mehreren Gestalten und mehreren
                        <lb/>Verkörperung<add place="below">en</add> gleichzeitig. —</p>
                    <p>Genau so, wie man im vorigen Jahr
                        <lb break="no"/>hundert <persName key="E0300215">Dantes</persName> <title key="E0400605">Paradiso</title> für lang
                        <lb break="no"/>weilig und das sog. Böse für <soCalled rend="dq-du">interessant</soCalled>
                        <lb/>gehalten hat, genau so wird man
                        <lb/>bald alle diese Herrschaften vom
                        <lb/>Bösen und der Materie als herzlich 
                        <lb/>dumm und grausam langweilig erkennen<orig>,</orig>
                        <lb/>und mit einem fröhlichen Oster<pc>=</pc>
                        <lb break="no"/>Wiedergeburts<pc>=</pc>Gelächter aus dem Gedächt
                        <lb break="no"/>nis der Welt lachen! <seg type="closer" subtype="salute">In Freundschaft
                            <lb/>mit einer herzlichen Umarmung</seg></p>
                    
                    <closer>
                        <signed>Ihr <persName key="E0300126">Ludwig Rubiner</persName>.</signed>
                    </closer>
                </postscript>
                
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                                                    |  25Faksimile |  25Diplomatische Umschrift |  25XML | 
                                                
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                                                            B II, 4277[25] 
                    Zusatz:
                                                                    
                        Deutsche
                             Staatsbibliothek
                            Berlin Ich wage kaum, Ihnen den
                        Vorschlag zu machen. Aber
 es wäre Ihnen nicht
 nur wohl, sondern auch
 im höchsten Grade schön,
 wenn Sie – zu einer Zeit,
 wo der Schwarm sich
 verlaufen hat – nach
 Locarno kämen. Für
 Sie eine Erholung höchsten
 Grades, für andere eine
 Freude. Und Frau Gerda
 würde hier in dem gleich⸗
 mässigen Klima in wenigen
 Wochen Ihren Rheumatismus
 los werden! Wär das nicht
 vernünftig und schön? Ihr L.
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                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
                <note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive" rend="indent">B II, 4277</note>
                <note type="pagination" resp="#archive" place="top-right">[25]</note>
                <postscript>
                    <head rend="underline">Zusatz:</head>
                    <note type="stamp" place="right" resp="#dsb_st_red">
                        <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                            <lb/>Staatsbibliothek
                            <lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
                        </stamp>
                    </note>
                    <p>Ich wage kaum, Ihnen den
                        <lb/>Vorschlag zu machen. Aber
                        <lb/>es wäre Ihnen nicht 
                        <lb/>nur wohl, sondern auch 
                        <lb/>im höchsten Grade schön,
                        <lb/>wenn Sie – zu einer Zeit,
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                        <lb/>Wochen Ihren Rheumatismus
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                                                    |  26Faksimile |  26Diplomatische Umschrift |  26XML | 
                                                
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                    Noch eins. Dieses Buch
                        lege ich dazu, in
 der Erwartung, dass es
 Ihnen einige weitere
 Stunden verschaffen
 wird, so wie es sie mir
 verschaffte. Der einzige
 Fall in der Literatur, in
 der ich die „Unwirklichkeit“
 derb zupackend am Werk
 sah.
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                    <p>Noch eins. Dieses Buch<!-- ermittelbar? -->
                        <lb/>lege ich dazu, in 
                        <lb/>der Erwartung, dass es 
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                        <lb/>derb zupackend am Werk
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                                                    |  27Faksimile |  27Diplomatische Umschrift |  27XML | 
                                                
                                                    |  | [26]
                                                                Recte: [27] (irrtümlich Foliierung statt Paginierung).
                
                                                            [Seite 3 des 7. Bogens] | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
                <note type="foliation" resp="#archive" place="top-right">[26]
                    <note type="commentary" resp="#E0300314">Recte: [27] (irrtümlich Foliierung statt Paginierung).</note>
                </note>
                <note type="objdesc" resp="#E0300314">[Seite 3 des 7. Bogens]</note>
                
                </div> | 
                                                
                                                    |  28Faksimile |  28Diplomatische Umschrift |  28XML | 
                                                
                                                    |  | 
                                                            [Seite 4 des 7. Bogens]27 März 1918 
                                                                
                    Deutsche
                         Staatsbibliothek
                        Berlin | 
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
                <note type="objdesc" resp="#E0300314">[Seite 4 des 7. Bogens]</note>
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                    <date when-iso="1918-03-27">27 März 1918</date>
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                    <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
                        <lb/>Staatsbibliothek
                        <lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
                    </stamp>
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