Ferruccio Busoni an Martin Wegelius arrow_backarrow_forward

Berlin · 28. Februar 1897

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a)5/
Berlin 28 F 97

Mein lieber, guter und
hochgeschaetzter Freund Wegelius!

Trotzdem ich mitten wichtiger Concerte
und eiliger Reisen, Familienherzens-
=stürme und zahlreicher aufregender
u. zeitraubender Festlichkeiten und
Wiedersehensfeiern – trotzdem ich in
Oesterreich, der Heimath meiner Kindheit
war – Busoni war am 7. Februar mit Gerda und Benvenuto nach Wien gereist, wo er am 11. und 17. Februar Klavierabende im Bösendorfer-Saal gab. Das erste Konzert bestand aus den Etüden op. 25 von Chopin, Beethovens Klaviersonate c-Moll op. 111, Bachs Präludium und Fuge D-Dur für Orgel in Busonis Klavier-Bearbeitung, Liszts Bénédiction de Dieu dans la solitude und der Tannhäuser-Ouvertüre in Liszts Bearbeitung. Am zweiten Abend spielte Busoni Bachs Präludium und Fuge Es-Dur für Orgel in seiner Bearbeitung für Klavier, Beethovens „Hammerklavier-Sonate“ sowie Schumanns Abegg-Variationen und Toccata. Neben kleineren Stücken von Chopin standen zudem die Zwei Legenden Liszts und dessen Mephisto-Walzer auf dem Programm (vgl. Helm/Jentsch/Lvovský 1897, S. 4). Dazwischen spielte Busoni noch ein Konzert in Graz mit einem gemischten Programm der beiden Wien-Konzerte (vgl. von Hausegger 1897). Anschließend reisten sie für eine Woche nach Triest zu Busonis Eltern Ferdinando Busoni und Anna Weiss-Busoni. so ging mir doch dein Brief
kein Moment aus dem Kopfe und,
eben zurückgekehrt, muss ich dir gleich
antworten. Die Antwort ist nicht
leicht und es ist um so schwieriger,
wenn sie augenblicklich eine
entschiedene sein soll!

Dein Vorschlag ist ehrenvoll,
schmeichelhaft und vortheilhaft.
Er macht die denkbarsten Concessionen
an meine Unabhaengigkeit und
ich muß dir in diesem Sinne
zu großem Dank verpflichtet sein!

Berlin, 28. Februar 97

Mein lieber, guter und hochgeschätzter Freund Wegelius!

Trotzdem ich mitten wichtiger Konzerte und eiliger Reisen, Familienherzensstürme und zahlreicher aufregender und zeitraubender Festlichkeiten und Wiedersehensfeiern – trotzdem ich in Österreich, der Heimat meiner Kindheit war –, Busoni war am 7. Februar mit Gerda und Benvenuto nach Wien gereist, wo er am 11. und 17. Februar Klavierabende im Bösendorfer-Saal gab. Das erste Konzert bestand aus den Etüden op. 25 von Chopin, Beethovens Klaviersonate c-Moll op. 111, Bachs Präludium und Fuge D-Dur für Orgel in Busonis Klavier-Bearbeitung, Liszts Bénédiction de Dieu dans la solitude und der Tannhäuser-Ouvertüre in Liszts Bearbeitung. Am zweiten Abend spielte Busoni Bachs Präludium und Fuge Es-Dur für Orgel in seiner Bearbeitung für Klavier, Beethovens „Hammerklavier-Sonate“ sowie Schumanns Abegg-Variationen und Toccata. Neben kleineren Stücken von Chopin standen zudem die Zwei Legenden Liszts und dessen Mephisto-Walzer auf dem Programm (vgl. Helm/Jentsch/Lvovský 1897, S. 4). Dazwischen spielte Busoni noch ein Konzert in Graz mit einem gemischten Programm der beiden Wien-Konzerte (vgl. von Hausegger 1897). Anschließend reisten sie für eine Woche nach Triest zu Busonis Eltern Ferdinando Busoni und Anna Weiss-Busoni. so ging mir doch dein Brief keinen Moment aus dem Kopfe und, eben zurückgekehrt, muss ich dir gleich antworten. Die Antwort ist nicht leicht und umso schwieriger, wenn sie augenblicklich eine entschiedene sein soll!

Dein Vorschlag ist ehrenvoll, schmeichelhaft und vorteilhaft. Er macht die denkbarsten Konzessionen an meine Unabhängigkeit, und ich muss dir in diesem Sinne zu großem Dank verpflichtet sein!

Die Vorteile und Nachteile abgewogen, die ich dabei genießen und erleiden würde, würde sich folgende Bilanz ergeben.

    Von der Vorteilsschale der Waage:

  • Ein sicheres Einkommen
  • Ein Heim
  • Ruhe zur Arbeit

    Von der Nachteilsschale:

  • Gebundenheit (immerhin)
  • Entfernung vom Zentrum
  • Unmöglichkeit während der fünf Jahre, jede wenn noch so wichtige andere Offerte anzunehmen.

Aber auch die Vorteile werden sehr verringert, wenn man bedenkt:

  • Dass mein Einkommen beinahe ganz zur Bezahlung des Heims aufgeht, also illusorisch wird.
  • Dass das Heim selbst, wenn ich es nach dem fünften Jahre besitze, wieder verlassen wird.

Wenn das Haus etwa 20000 kostet, so kommt die innere Einrichtung, kommen einige Komfortartikel hinzu, welche den Preis wenigstens bis 30000 steigern. Das ist also meine Gage.

Aber das wäre noch immer vorteilhaft. Was mich schreckt, ist die Entfernung und die fünfjährige Gebundenheit.

Ich befinde mich gerade in den Jahren des Aufsteigens, und eben die nächsten fünf können Unerwartetes bringen. Ich bin in der Periode des „Zugreifens“ der Glücksgelegenheiten; wenn sich mir während dieser Zeit etwas präsentiert, was dann für immer verloren wäre, wenn ich es nicht augenblicklich erfasste, wie dann?

Kurz, die Antwort ist mir geradezu schmerzlich zu entscheiden.

Ich neige etwas mehr auf der Seite des Nein, war auch schon entschlossen, dir abzusagen, und werde wahrscheinlich verzichten müssen.

Aber ich tue es heute noch nicht. Gib mir noch ein wenig Zeit. Im hier beigelegten Brief an Martin und Hanna Wegelius schreibt Gerda Busoni, sie habe ihren Mann noch nie so unentschlossen gesehen wie bei dieser Entscheidung. Sie hätten über die gesamte Reise den Bau ihres Hauses in Helsinki geplant, und Busoni würde keinen Moment zögern, wenn Helsinki etwas zentraler in Europa läge (vgl. Brief von Gerda Busoni an Martin Wegelius, 28. Februar 1897, im Nachlass Andersson, Otto 58 (I:4-5) der Åbo Akademi. – Lass mich sehen, ob und wie sich London gestaltet, was für Folgen davon zu erwarten sind. Busoni plante für den Herbst seine erste Konzertreise nach London, wo er trotz seiner Erfolge in Kontinental-Europa und in Amerika noch gänzlich unbekannt war. Er gab sein Debüt in London zwischen dem 30. Oktober und dem 11. Dezember mit sechs Konzerten vor, die sich nicht nur selbst finanziell lohnten, sondern auch Einladungen im folgenden Jahr nach Paris, Budapest und erneut nach London nach sich zogen (vgl. Couling 2005, S. 166 f.; Dent 1974, S. 121 f.).

Zum Beispiel ist es beinahe vorauszusehen, dass ich innerhalb der nächsten fünf Jahre nach Amerika für einen ganzen Winter engagiert werde. Das ist für mich, finanziell gesprochen, eine Lebensfrage. Es kann mir die Freiheit für das ganze Leben geben! Wenn die Helsingforser mich nicht fortlassen?

Auch innerhalb eines jeden Jahres können in kleinerem Maßstabe solche Gelegenheiten erscheinen.

Nun, wir wollen sehen. Vorläufig Dank und herzlichste Grüße und der lebhafte Wunsch, dass wir beide das Beste treffen.

Gott zum Gruß. Dein alter und treuer

Ferro

                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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Die Vortheile und Nachtheile
abgewogen, die ich dabei genießen
und erleiden würde,
würde sich folgende Bilanz
ergeben.

    Von der Vortheilsschale der
    Wage:

  • Ein sicheres Einkom̅en
  • Ein Heim
  • Ruhe zur Arbeit

    Von der Nachtheilsschale:

  • Gebundenheit (immerhin)
  • Entfernung von Centrum
  • Unmöglichkeit waehrend
    der fünf Jahre, jede wenn
    noch so wichtige andere Offerte
    anzunehnehmen.

Aber auch die Vortheile werden
sehr verringert, wenn man
bedenkt:

  • Daß mein Einkommen
                                                                
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3Diplomatische Umschrift
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  • beinahe ganz zur Bezahlung des
    Heims aufgeht, also illusorisch
    wird.
  • Dass Das Heim selbst, wenn ich es nach
    dem 5. Jahre besitze, wieder
    verlassen wird.

Wenn das Haus etwa 20.tausd
kostet, so kommt die innere
Einrichtung, einige kommen
einige Comfort Artikel hinzu,
welche den Preis wenigstens
bis 30.tausend steigern. Das
ist also meine Gage.

Aber das waere noch immer
vortheilhaft. Was mich
schreckt, ist die Entfernung
u. die fünfjährige Gebunden-
heit.

Ich befinde mich gerade
in den Jahren des Aufsteigens
u. eben die nächsten fünf

                                                                
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koennen Unerwartetes
bringen. Ich bin in der
Periode des „Zugreifens“
der Glücksgelegenheiten;
wenn sich mir waehrend
dieser Zeit etwas praesentirt
was dann für immer
verloren waere, wenn
ich es nicht augenblicklich
erfasste, wie dann?

Kurz die Antwort ist
mir geradezu Transkription unsicher. Alternative Lesart:
gerade zu
schmerzlich
zu entscheiden.

Ich neige Etwas mehr
auf der Seite des Nein,
war auch schon entschloßen
dir abzusagen und werde
wahrscheinlich verzichten
müßen.

                                                                
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b)

Aber ich thue es heute
noch nicht. Gieb mir noch ein
wenig Zeit. Im hier beigelegten Brief an Martin und Hanna Wegelius schreibt Gerda Busoni, sie habe ihren Mann noch nie so unentschlossen gesehen wie bei dieser Entscheidung. Sie hätten über die gesamte Reise den Bau ihres Hauses in Helsinki geplant, und Busoni würde keinen Moment zögern, wenn Helsinki etwas zentraler in Europa läge (vgl. Brief von Gerda Busoni an Martin Wegelius, 28. Februar 1897, im Nachlass Andersson, Otto 58 (I:4-5) der Åbo Akademi. – Lass mich
sehen wieob und wie sich
London gestaltet, was
für Folgen davon zu erwarten
sind. Busoni plante für den Herbst seine erste Konzertreise nach London, wo er trotz seiner Erfolge in Kontinental-Europa und in Amerika noch gänzlich unbekannt war. Er gab sein Debüt in London zwischen dem 30. Oktober und dem 11. Dezember mit sechs Konzerten vor, die sich nicht nur selbst finanziell lohnten, sondern auch Einladungen im folgenden Jahr nach Paris, Budapest und erneut nach London nach sich zogen (vgl. Couling 2005, S. 166 f.; Dent 1974, S. 121 f.).

Zum Beispiel: ist es
beinahe vorauszusehen
daß ich innerhalb
der naechsten fünf
Jahre nach Amerika
für einen ganzen Winter
engagirt werde. Das
ist für mich, finanziell
gesprochen, eine Lebens-
Frage. Es kann mir die
Freiheit für das ganze Leben
geben! Wenn die Helsingforser

                                                                
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mich nicht fortlassen?

Auch innerhalb eines
jeden Jahres koennen
in kleinerem Maassstabe
solche Gelegenheiten
erscheinen. –

Nun, wir wollen sehen.
Vorlaüfig Dank und
herzlichste Grüße und
der lebhafte Wunsch
dass wir Beide das Beste
treffen.

Gott zum Gruss.
Dein Alter u treuer

Ferro

                                                                
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Überlieferung
Finnland | Turku | Åbo Akademi University Library | Manuskriptsammlungen | Nachlass Otto Andersson, Band 58
Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
2 Bogen, 6 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Zählung des Korrespondenzstücks eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat

Zusammenfassung
Busoni entschuldigt seine späte Antwort mit einer ausgedehnten Reise durch Österreich und Italien; antwortet unbestimmt auf die Frage, ob er erneut eine Festanstellung am Musikinstitut Helsinki annehmen würde, tendiert aber dagegen; wägt Vor- und Nachteile ab und erbittet Bedenkzeit bis nach seiner Konzertreise nach London.
Incipit
Trotzdem ich mitten wichtiger Konzerte

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
19. März 2024: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition