Ludwig Rubiner an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Muralto · 21. Februar 1918

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Mus.ep. L. Rubiner 14 (Busoni-Nachl.) B II)
Mus.Nachl. F. Busoni
B II, 4273
21. Februar 1918Donnerstag abend.
[1]

Sehr lieber!

Dass äusserer Aufenthalt Ihre
Partitur
stocken lässt, erfüllt
mich mit Schmerz – auch egoi⸗
stischem: sie war mir ein Ansporn,
das Höchste zu versuchen! Ich erhoffe
Höchstes vom Faust!!!! –

Ihr Brief macht mich gänzlich
glücklich und
legt mir die höchste Verant
wortung auf. – Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Ich kann [an] die Dinge nur heran⸗
gehen; ob ich sie erfülle, weiss
ich nicht. Oft schaudere ich inmitten der Arbeit und
komme mir kindisch oder

21. Februar 1918Donnerstag Abend.

Sehr Lieber!

Dass äußerer Aufenthalt Ihre Partitur stocken lässt, erfüllt mich mit Schmerz – auch egoistischem: sie war mir ein Ansporn, das Höchste zu versuchen! Ich erhoffe Höchstes vom Faust!!!! –

Ihr Brief macht mich gänzlich glücklich und legt mir die höchste Verantwortung auf. –

Ich kann an die Dinge nur herangehen; ob ich sie erfülle, weiß ich nicht. Oft schaudere ich inmitten der Arbeit und komme mir kindisch oder wahnsinnig vor. Dann hält mich aber wieder die Vernunft aufrecht, und das Wissen, dass ich selbst durch die Dinge hindurchgegangen bin.

Mit einer Bemerkung in der Neujahrsnacht haben Sie unendlich recht gehabt. Dies einmal mündlich. Wüsste keinen Menschen, dem ich das geistige Vertrauen so schenken müsste wie Ihnen!

Indes – „zur Sprache gewandelte Musik“ ist fast zu stark für mein Unternehmen. Ich nehme, absichtlich, meiner Sprache den schwingenden Klang, ich nehme ihr die „schönen“ Worte, ich lasse sie oft so sachlich sein, dass das normale Auge sie „hässlich“ nennen müsste. Ich lasse sie streiten, überzeugen, suggerieren, befehlen – wenigstens ich versuche das – und in alltäglicher Sprache.

Ha ragione, ora scorgemi là, dove i suoi voti mi collocavano, Du hast recht, jetzt siehst du mich dort,wo seine Stimmen mich platziert haben aber ich hatte es im Leben nicht billiger, ich musste durch manches. Gerade Sie wissen das, denn Sie haben mich viel genauer beobachtet als irgendjemand; und in den Kern hinein. Immer vorausgesetzt, dass meine Arbeit gelingt.

Neulich, nachdem ich bisher nur je eine halbe Minute mit Huber gesprochen, volle fünf Minuten zusammengesessen. Sie hatten Recht: ein feiner und sympathischer Mensch, ungewohnt beweglich für einen Schweizer. Wir werden uns noch sehen. Doch weiß ich noch nicht, ob nicht zu viel typische Kunstatmosphäre um ihn ist.

Ich traf Wolfgang Hartmann, Hartmann gehörte zu Busonis Zürcher Freundeskreis (Stuckenschmidt 1967, S. 45 f.). er fragte nach Ihnen, sehr bedrückt, keine Antwort auf einen Brief Folgende Brief ist bis jetzt noch nirgendwo aufgetaucht erhalten zu haben. Was er im Inneren ist, weiß ich nicht; vielleicht ist er auch der ewige Neuling, probiert alles irgendwo bis zu einem gewissen Grade aus. Er lockt mich nicht sehr, ist sehr gequält, aber nicht unsympathisch.

Frieden, ja. Natürlich. La paix d’abord. Frieden zuerstDass aber die Brutalitätsschnauze General Hoffmann der „moralische Sieger“ für Generationen sein soll, hat mich vorlaufig zwei Tage meines Lebens gekostet. Und er war doch schon so vernünftig: „Krieg führen wir nicht, aber mit Ihnen machen wir keinen Vertrag!“ Nun ist es nichts, und auch noch 8 Milliarden Rubel Kontributionen! Max Hoffmann und seine Tätigkeit als Generalstabschef spielte eine wichtige Rolle
bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk . Vor allem war Hoffmann
der Anreger der Friedenskonferenz, infolgedessen am 3. März 1918 ein Friedensvertrag zwischen Sowjetrussland und dem Militärbündnis geschlossen wurde.

Händedruck von Herzen Ihnen

                                                                
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wahnsinnig vor. Dann hält mich
aber wieder die Vernunft aufrecht,
und dasss Wissen, dass ich selbst
durch die Dinge hindurchgegangen
bin.

Mit einer Bemerkung in der
Neujahrsnacht haben Sie unendlich
recht gehabt. Dies einmal mündlich.
Wüsste keinen Menschen, dem
ich das geistige Vertrauen
so schenken müsste, wie Ihnen!

Indes – „zur Sprache gewan⸗
delte Musik“
ist fast zu stark
für mein Unternehmen. Ich
nehme, absichtlich, meiner Sprache
den schwingenden Klang, ich
nehme ihr die „schönen“ Worte, ich
lasse sie oft so sachlich
sein, dass das normale

                                                                
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[2] Auge sie „hässlich“ nennen
müsste. Ich lasse sie streiten,
überzeugen, suggerieren, befehlen –
wenigstens ich versuche das –
und in alltäglicher Sprache.

Ha raggione, ora scorgemi là,
dove i suoi voti mi collocavano, Du hast recht, jetzt siehst du mich dort,wo seine Stimmen mich platziert haben
aber ich hatte es im Leben nicht
billiger, ich musste durch manches.
Gerade Sie wissen das, denn Sie
haben mich viel genauer beobach⸗
tet, als irgendjemand; und in den
Kern hinein. Immer voraus⸗
gesetzt, dass meine Arbeit gelingt.

Neulich, nachdem ich bisher
nur je ½ Minute mit Huber gesprochen,
volle 5 Minuten zusammengesessen.
Sie hatten Recht: ein feiner und
sympathischer Mensch, ungewohnt
beweglich für einen Schweizer.
Wir werden uns noch sehen.

                                                                
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Doch weiss ich noch nicht, ob nicht
zuviel typische Kunstatmosphäre
um ihn ist.

Ich traf Wolfgang Hartmann, Hartmann gehörte zu Busonis Zürcher Freundeskreis (Stuckenschmidt 1967, S. 45 f.).
er fragte nach Ihnen, sehr bedrückt,
keine Antwort auf einen Brief Folgende Brief ist bis jetzt noch nirgendwo aufgetaucht
erhalten zu haben. Was er im
Inneren ist, weiss ich nicht; vielleicht
ist er auch der ewige Neuling,
probiert alles irgendwo bis zu
einem gewissen Grade aus. Er
lockt mich nicht sehr, ist sehr
gequält, aber nicht unsympathisch.

Frieden, ja. Natürlich.
La paix d’abord. Frieden zuerstDass aber die
Brutalitätsschnauze General
Hoffmann
der […] mindestens 1 Zeichen: überschrieben. moralische Sieger“
für Generationen sein soll, hat
mich vorlaufig zwei Tage meines
Lebens gekostet. Und er war doch schon
so vernünftig: „Krieg führen wir
nicht, aber mit Ihnen machen wir
keinen Vertrag!“
Nun ist es nichts, und
auch noch 8 Milliarden Rubel Contri⸗
butionen! Max Hoffmann und seine Tätigkeit als Generalstabschef spielte eine wichtige Rolle
bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk . Vor allem war Hoffmann
der Anreger der Friedenskonferenz, infolgedessen am 3. März 1918 ein Friedensvertrag zwischen Sowjetrussland und dem Militärbündnis geschlossen wurde.
Händedruck von Herzen Ihnen

                                                                
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6Diplomatische Umschrift
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Wer ist Ihr biederer
Impresario?
[…] mindestens 1 Wort: unvollständig.
22.II.18–2
Briefträger II
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Nachlaß Busoni B II
Mus.ep. L. Rubiner 14

Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4273-Beil.
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4273 | olim: Mus.ep. L. Rubiner 14 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ludwig Rubiner, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mit Bleistift eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Zusammenfassung
Rubiner bedauert Busonis Stocken bei der Arbeit an Doktor Faust; verzichtet in seiner aktuellen Arbeit bewusst auf „schwingenden Klang“ der Sprache; hat Hans Huber („ungewohnt beweglich für einen Schweizer“) und Wolfgang Hartmann („sehr gequält, aber nicht unsympathisch“) getroffen; beklagt das Agieren des Generals Max Hoffmann bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk.
Incipit
Dass äußerer Aufenthalt Ihre Partitur stocken lässt

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
19. Februar 2018: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition