Ferruccio Busoni an Jella Oppenheimer arrow_backarrow_forward

Lausanne · 27. September 1915

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Mus.ep. F. Busoni 744 (Busoni-Nachl. B I)
Mus.Nachl. F. Busoni B I, 891
[1]
27 Sept.
1915
[ Hotel-Wappen des Hotel Gibbon in Lausanne ]
Lausanne
L. Liebermann
Directeur.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin


Verehrteste
Freundin
;
aus
New York, wohin ich
zu Neujahr mich
wandte, schrieb ich
an Sie zwei Briefe. Diese Briefe sind nicht im Busoni-Nachlass vorhanden.
Eine unüberwindliche
Unruhe, ein unbe-
siegbarer dégout, Frz.: „Ekel“.
trieben mich fort und
– trotz Allem – nach
Europa /zurück. Busoni äußerte während der Konzerttournee in mehreren Briefen seinen Unmut gegenüber den USA (vgl. Roberge 1995, S. 313–315, sowie den Offenen Brief über Amerika vom 21.7.1915). Diese Zeilen
sollen Ihnen mein
Eintreffen im Schwei-
zer Lande
melden.

27. Sept. 1915

Verehrteste Freundin;

aus New York, wohin ich zu Neujahr mich wandte, schrieb ich an Sie zwei Briefe. Diese Briefe sind nicht im Busoni-Nachlass vorhanden. – Eine unüberwindliche Unruhe, ein unbesiegbarer dégoût Frz.: „Ekel“. trieben mich fort und – trotz allem – nach Europa zurück. Busoni äußerte während der Konzerttournee in mehreren Briefen seinen Unmut gegenüber den USA (vgl. Roberge 1995, S. 313–315, sowie den Offenen Brief über Amerika vom 21.7.1915). Diese Zeilen sollen Ihnen mein Eintreffen im Schweizer Lande melden.

Wir nahmen den Weg über Italien auf einem italienischen Boote. Busonis Abreise aus den USA wurde für den 28.8.1915 an Bord des Dampfers „Duca degli Abruzzi“ vermeldet (N. N. 1915d, S. 20). Die landschaftlichen Zauber des Mittelmeeres hielten mich von Gibraltar bis Genova im Banne. Wir fuhren zwischen Sardinien und Korsika und legten in Napoli an: nachts, lichtlos und mit bereiten Rettungskähnen. Ganz erschöpft stieg ich aus und lag in Milano fast zwei Wochen krank und hilflos. Nun bin ich hier konvaleszent; Kräfte gewinnend, um Entschlüsse zu fassen.

Vorläufig aber kann ich wenig bestimmen, ebenso wenig als jedermann. Wie viel wird versäumt! – Ich versuche indessen, was ich vermag, und habe in New York einiges zu Stande gebracht, das nicht ganz vergeblich ist. Darunter Das wohltemperierte Klavier (Zweiter Teil), Rondò Arlecchinesco, Indianisches Tagebuch (Erstes Buch) (vgl. die detaillierte Auflistung von Busonis künstlerischen Aktivitäten in dieser Zeit bei Roberge 1995, S. 319f.). Denn: Was überlebt alle Kriege, wenn nicht die Kunst!

Ich weiß nichts von Ihnen und bitte inständig um Nachricht (am besten nach Basel, bei Gebrüder Hug). – Ich erhoffe sie bald und flehe alles Gute auf Sie herab.

Mit innigsten Grüßen

Ihr treu ergebener

Ferruccio B

                                                                
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Wir nahmen
den Weg über Italien
auf einem italien.
Boote. Busonis Abreise aus den USA wurde für den 28.8.1915 an Bord des Dampfers „Duca degli Abruzzi“ vermeldet (N. N. 1915d, S. 20). Die land-
schaftlichen Zauber
des Mittelmeeres
hielten mich von
Gibraltar bis Genova
g im Banne. Wir
fuhren zwischen Sar-
dinien
u. Corsica u.
legten in Napoli an:
Nachts mit lichtlos
u. mit bereiten
Rettungskähnen.
Ganz erschöpft stieg
ich aus und lag
in Milano fast zwei
Wochen krank und Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
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hilflos. Nun bin
ich hier konvalescent;
Kräfte gewinnend, um
Entschlüße zu fassen.

Vorläufig aber
kann ich Wenig
bestimmen, ebenso
wenig als Jedermann.
Wie viel wird ver-
säumt! – Ich ver-
suche indessen, was
ich vermag und
habe in New York
Einiges zu Stande
gebracht, das nicht
ganz vergeblich ist. Darunter Das wohltemperierte Klavier (Zweiter Teil), Rondò Arlecchinesco, Indianisches Tagebuch (Erstes Buch) (vgl. die detaillierte Auflistung von Busonis künstlerischen Aktivitäten in dieser Zeit bei Roberge 1995, S. 319f.).

                                                                
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Denn: was über-
lebt alle Kriege,
wenn nicht die Kunst!

— Ich weiss nichts
von Ihnen und bitte
instaendig um Nach-
richt; (am besten nach
Basel, bei Gebrüder
Hug
). – Ich erhoffe
sie bald und flehe
Alles Gute auf Sie
herab.

Mit innigsten
Grüssen

Ihr treu ergebener

Ferruccio B

                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 891+891a+891b | olim: Mus.ep. F. Busoni 744+744a.b |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Busoni ist aus den Vereinigten Staaten über Italien zurückgereist und nach Krankheit in Mailand nun in der Schweiz angekommen; hat „in New York einiges zu Stande gebracht“; sieht seinen Handlungsradius stark eingeschränkt; bittet „inständig“ um Rückmeldung.
Incipit
aus New York, wohin ich zu Neujahr mich wandte

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
16. September 2025: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition