Sehr verehrter Freund.
Ihre freundlichen
Grüße will ich persönlich
erwidern und Ihnen
dafür danken. Zugleich
darf ich Ihnen ausdrücken
wie sehr wir, dass heißt
ich und die Ihren,
Ihre Anwesenheit in
Weimar ersehnen und
erhoffen, wäre sie auch
von nur kurzer Dauer!
Ihre Persönlichkeit,
die mir zuerst Hochachtung
und Sympathie in reichem
Maße abzwang, ist
mir in der Folge
nöthig geworden. Ich
bedarf der Nähe eines
solchen Mannes und
Freundes, als Sie einer
sind, und wenn ich
auch nicht im Mindesten
darauf Anspruch
erheben kann, dass
Sie wegen meiner Ihren
Wohnsitz nach Berlin
verlegen, so gestehe
ich Ihnen doch ein,
dass ich einen solchen
Entschluss Ihrerseits
als ein Geschenk des
Schicksals an meinen
künstlerischen und
menschlichen Menschen
betrachten würde.
Als Etel dieser Tage zum ersten Male vor
einem größeren Kreise spielte, konnte
ich die richtige »perspektivische« Wirkung
ihrer Leistung erst übersehen und
es sei gleich hinzugefügt, dass ich
an dem Spiele Etelkas – deren
verschwenderischen Naturgaben ich
immer mehr und mit einer gewissen
Ergriffenheit hervortreten sehe –
doch Einiges vermisste, was für ihren
Erfolg bei den »Massen« unentbehrlich
ist.
Ohne zu sehr ins Einzelne gehen
zu wollen, wage ich den Satz, dass Etelkas
Vortrag eine aus Verschämtheit und
Stolz gezeugte, scheinbare Gleichgültigkeit
hervorkehrt und vielleicht das gegenteilige
Bild ihres wahren Inneren wiedergibt.
So weit dieser Mangel in klaviertechnischen
Gründen wurzelt, glaube ich – dank
Etelka’s blitzartiger Auffassung meiner
Anweisungen – dass ihm bei
konsequenter Berücksichtigung dieses
Punktes leicht abgeholfen wird; sofern
aber ihre Charaktereigenheiten dabei
mitspielen ist abzuwarten, wie das
Leben dieselben verarbeiten und zu
Mitarbeitern ihrer
Kunst gestalten wird.
Ihre technische u.
musikalische Beherrschung des pianistischen
Materials hat mich
indessen von Neuem
zur Bewunderung
gezwungen und sie
spielte die Paganini
Variationen v. Brahms,
so wie ich – um irgend
einen Massstab anzu
wenden – in ihrem
Alter nicht gekonnt
hätte.
Es würde mich
freuen und interessieren
zu wissen, wie weit Sie,
verehrter Freund, diesen
meinen Auslassungen
beistimmen oder
wiedersprechen, so
dass ich mir aus
Ihrem Urteile
darüber eine Richtschnur für mein
weiteres Verhalten
als Etelka’s Rathgeber
bilden könnte.
Indessen grüße ich
Sie und Ihre verehrte
liebe Frau von ganzem
Herzen und mit
höchster Schätzung.
Ihr treu ergebener
Ferruccio Busoni