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3 Januar (1918)
Lieber Freund!
Unter tausend Gedanken, die
der Spezies „Albumblatt“ gewidmet
sind, findet sich höchst selten ein
Stück, das den wahren Charakter dieser
im̅er – einer zweiten Individualität
zugedichteten Idee – entspricht!
Die nöthige Intimität dazu heraus- zubringen, braucht es neben der
Weltweite des Gefühls ein sehr
fein besaitetes Gemüth, ohne starke
Kontraste, aber mit starker lyrischer
Unterlage! – So ungefähr sagt’s
der Schulmeister, werden Sie ausrufen!
Item, ich finde alle diese Dinge in
Ihren 3 Seiten vereinigt u. habe
deßhalb beim Durchlesen derselben
ein sehr großes Vergnügen empfunden.
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3. Januar
Lieber Freund!
Unter tausend Gedanken, die
der Spezies „Albumblatt“ gewidmet
sind, findet sich höchst selten ein
Stück, das dem wahren Charakter dieser
immer – einer zweiten Individualität
zugedichteten Idee – entspricht!
Die nötige Intimität dazu herauszubringen, braucht es neben der
Weltweite des Gefühls ein sehr
fein besaitetes Gemüt, ohne starke
Kontraste, aber mit starker lyrischer
Unterlage! – So ungefähr sagt’s
der Schulmeister, werden Sie ausrufen!
Item, ich finde alle diese Dinge in
Ihren drei Seiten vereinigt und habe
deshalb beim Durchlesen derselben
ein sehr großes Vergnügen empfunden.
Möge das Albumblatt ein gutes
Omen für das ganze kommende Jahr
bedeuten!
Auch bei mir wächst mit
jedem Tage die Lust zur Arbeit, und
es fängt an, mir das größte
Vergnügen zu machen, die schwellende
Frucht an der prachtvollen südlichen
Sonne noch mehr ausreifen zu lassen.
Es bedeutet dies ein richtiges
Zeichen, dass die physische Seite
meines Zustandes sich nach aufwärts
bewegt. Nichtdestoweniger bleibe
ich zur Befestigung des Ganzen noch
bis ins Frühjahr hier. Sie wissen
ja, wie vornehm meine Basler Freunde
in mein materielles Dasein eingegriffen und mir ein noch nicht abgeschlossenes
Geschenk (bis jetzt 110.000 frs) überreichen
wollen. (Entre nous, je vous prie!)
Frz.: „Das bleibt bitte unter uns!“
Und wenn ich mir diese Opulenz
richtig überlege, so sind auch Sie indirekt
dabei beteiligt, indem ich meine
Begeisterung für Sie, Ihre Taten und für
Ihr Werk überhaupt auch auf die
Basler selbst übertragen habe, so dass
Sie auf diese Weise mit Ihrer hohen
Kunst als leuchtender Stern auf
die Generosität meiner Freunde
wirken mussten. Ich hoffe, dass
Sie meinen Dank ganz stillschweigend
zu meiner Baumfreundschaft
akzeptieren!
Meine Hauptlektüre konzentrierte
sich bis jetzt auf die vielen Bände
des J. Ruskin, der auf der einen
Seite als Vielschreiber anzusehen ist,
aber auf der anderen mir als einer der
vielseitigsten Köpfe Englands erscheint,
der dem viel genialeren O. Wilde
das tägliche literarische Futur
geliefert hat. Aber ich lasse mich
von Ihnen gerne eines anderen Standpunktes
belehren. Sie sitzen ja am
Platze Karls des Großen und dürfen
Recht sprechen wie er und dazu den
23. Psalm singen:
Das Bild Karls des Großen als Richter zu Zürich in Verbindung mit dem Psalmzitat hat Huber offenbar seiner Ruskin-Lektüre entnommen (Praeterita, Bd. 3, Kap. 2, Abschnitt 37).
„In loco pascue, ibi
collocavit me, super aquam refectionis
educavit!“
Lat.: „Auf einem Weideplatz, dort hat er mich gelagert, am Wasser der Erquickung hat er mich erzogen“ (Ps 23,2).
Damit empfangen Sie
die herzlichsten Neujahrsgrüße Ihres
treu ergebenen
Hans Huber
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Möge das Albumblatt ein gutes
omen für das ganze kom̅ende Jahr
bedeuten! –
Auch bei mir wächst mit
jedem Tage die Lust zur Arbeit und
es fängt an, mir das größte
Vergnügen zu machen, die schwellende
Frucht an der prachtvollen südlichen
Son̅e noch mehr ausreifen zu laßen.
Es bedeutet dieß ein richtiges
Zeichen, daß die physische Seite
meines Zustandes sich nach aufwärts
bewegt. Nicht desto weniger bleibe
ich zur Befestigung des Ganzen noch
bis ins Frühjahr hier. Sie wißen
ja, wie vornehm meine Basler Freunde
in mein materielles Dasein einge- griffen und mir ein noch nicht abgeschloßenes
Geschenk (bis jetzt 110.000 frs) überreichen
wollen. (Entre nous, je vous prie!)
Frz.: „Das bleibt bitte unter uns!“
Und wen̅ ich mir diese Opulenz
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richtig überlege, so sind auch Sie indirekt
dabei betheiligt, indem ich meine
Begeisterung für Sie, Ihre Thaten u. für
Ihr Werk überhaupt auch auf die
Basler selbst übertragen habe, so daß
Sie auf diese Weise mit Ihrer hohen
Kunst als leuchtender Stern auf
die Generosität meiner Freunde
wirken mußten. Ich hoffe, daß
Sie meinen Dank ganz stillschweigend
zu meiner Baumfreundschaft
acceptiren! –
Meine Hauptlektüre konzentrirte
sich bis jetzt auf die vielen Bände
des J. Ruskin, der auf der einen
Seite als Vielschreiber anzusehen ist,
aber auf der anderen mir als einer der
vielseitigsten Köpfe Englands erscheint,
denr derem viel genialeren O. Wilde
das tägliche literarische Futur
geliefert hat. Aber ich laße mich
von Ihnen gerne eines anderen Standpunktes
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belehren. Sie sitzen ja am
Platze Karl des Grossen u. dürfen
Recht sprechen wie er u. dazu den
23 Psalm singen:
Das Bild Karls des Großen als Richter zu Zürich in Verbindung mit dem Psalmzitat hat Huber offenbar seiner Ruskin-Lektüre entnommen (Praeterita, Bd. 3, Kap. 2, Abschnitt 37).
„In loco pascue, ibi
collocavit me, super aquam refectionis
educavit!“
Lat.: „Auf einem Weideplatz, dort hat er mich gelagert, am Wasser der Erquickung hat er mich erzogen“ (Ps 23,2).
Damit empfangen Sie
die herzlichsten Neujahrsgrüße Ihres
treu ergebenen
Hans Huber
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