Ludwig Rubiner to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Muralto · March 16, 1918

Facsimile
Diplomatic transcription
Reading version
XML
Muralto-Locarno.
Mus.Nachl. F. Busoni
16.III.1918.
Villa Roma.
B II. 4276
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Mus.ep. L. Rubiner 17
(Busoni-Nachl.B II)

Lieber und verehrter Freund!

nur einige wenige Zeilen heute, um Ver-
bindung herzustellen, und zu erfahren, wie
es Ihnen geht. Die beiden Opern Turandot. Eine chinesische Fabel und Arlecchino, oder die Fenster, las ich,
wurden auf Freitag angesetzt; schon schlug
ich mir in die Hände, um auf 1 1/2 Tage nach
Zürich zu fahren, dabei zu sein, und dann
wieder in die Arbeit zurückzukehren,
da las ich an ihrer Stelle den Namen einer
Operette noch zu spezifizieren. Was ist? Hat man schlecht funktion-
niert, intrigiert oder sind Sie gar von
neuem krank siehe Brief vom tba ???
Ich las hier in der Confiserie, wo Zeitungen
hängen (was meine Person anbetrifft, würde ich
es wohl mehr Tabagie Bezeichnung für Wirtschaften mit eher zweifelhaftem Ruf, in den Tabak genossen wurde nennen) Berichte
über die neuen Opern tba von d’Albert;
das scheint ein wahrhaft unwahrschein-
licher Dreck zu sein; dass man dergleichen
aufführt und nach dazu bespricht, beweist
mir doch, dass ich mich offenbar in einem
feenhaften Wolkenreich aufhalte, wo
ich sowas für unmöglich hielt; es
als ausserhalb menschlicher Begriffe stehend

Muralto-Locarno. 16.03.1918 Villa Roma.

Lieber und verehrter Freund!

nur einige wenige Zeilen heute, um Verbindung herzustellen, und zu erfahren, wie es Ihnen geht. Die beiden Opern Turandot. Eine chinesische Fabel und Arlecchino, oder die Fenster, las ich, wurden auf Freitag angesetzt; schon schlug ich mir in die Hände, um auf 1 1/2 Tage nach Zürich zu fahren, dabei zu sein, und dann wieder in die Arbeit zurückzukehren, da las ich an ihrer Stelle den Namen einer Operette noch zu spezifizieren. Was ist? Hat man schlecht funktionniert, intrigiert oder sind Sie gar von neuem krank siehe Brief vom tba ??? Ich las hier in der Confiserie, wo Zeitungen hängen (was meine Person anbetrifft, würde ich es wohl mehr Tabagie Bezeichnung für Wirtschaften mit eher zweifelhaftem Ruf, in den Tabak genossen wurde nennen) Berichte über die neuen Opern tba von d’Albert; das scheint ein wahrhaft unwahrscheinlicher Dreck zu sein; dass man dergleichen aufführt und nach dazu bespricht, beweist mir doch, dass ich mich offenbar in einem feenhaften Wolkenreich aufhalte, wo ich sowas für unmöglich hielt; es als ausserhalb menschlicher Begriffe stehend betrachtete. –

Hätte, bei einer Zwischenpause der Arbeit, grösste Lust in den angeblichen „Streit“ PfitznerBusoni; einzugreifen, der gar kein Streit ist, sondern von der einen Seite Unrecht und dumpfes, niedriges Niveau, von der anderen : das Ideenreich. Mit schwerem Geschütz, in Berlin und hier, gleichzeitig. –

Ich glaube, ich bin ganz leichtfertig geworden. Habe eine orientalische (persische).... ... Oper entdeckt, vielmehr den Stoff, deren Textbuch ich nach Beendigung meiner jetzigen Arbeit, zu schreiben die grösste Lust habe. Ein schönes Opernbuch, handlungsvoll, phantastisch, dabei wirklich gedichtet und gewissermassen der Raum für die Musik in allen Poren errichtet. Manchmal, bei Spazierengehen, macht mich der Gedanke daran heiter. Haben Sie diese Leichtfertigkeit bei mir vermutet? Aber, vorläufig bin ich ja noch mit meiner Arbeit nicht zu Ende. Es ist also eine Would-be Leichtfertigkeit. Wie geht es Ihnen? Die Absetzung Ihrer Opern hat mich, und Ihre hiesigen Freunde, beunruhigt ! Ich umarme Sie herzlichst

PS de Quincey haben Sie richtig geschrieben, ich hielt mich an Ihre Orthographie.

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <opener> <dateline> <placeName key="E0500291">Muralto-Locarno</placeName>. <note type="shelfmark" resp="#archive" place="inline"> <add xml:id="addSig">Mus.Nachl. F. Busoni </add> </note> <date rend="align(right)" when-iso="1918-03-16">16<choice><orig>.III.</orig><reg>.03.</reg></choice><choice><orig>1918.</orig><reg>1918</reg></choice></date> <lb/> <seg rend="indent">Villa Roma.</seg> <note type="shelfmark" resp="#archive" place="right-of"> <add>B II. 4276</add> </note> <note type="stamp" place="right" resp="#dsb_st_red"> <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche <lb/>Staatsbibliothek <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName> </stamp> </note> <note type="shelfmark" resp="#archive" place="right"> <del rend="strikethrough" xml:id="delSig">Mus.ep. L. Rubiner 17</del> <lb/><del rend="strikethrough">(Busoni-Nachl.<handShift new="#archive_red"/>B II<handShift new="#archive"/>)</del> </note> </dateline> <salute rend="indent">Lieber und verehrter Freund!</salute> </opener> <p type="pre-split">nur einige wenige Zeilen heute, um Ver <lb break="no"/>bindung herzustellen, und zu erfahren, wie <lb/>es Ihnen geht. Die beiden Opern <note type="commentary" resp="#E0300446">Turandot. Eine chinesische Fabel und Arlecchino, oder die Fenster</note>, las ich, <lb/>wurden auf Freitag angesetzt; schon schlug <lb/>ich mir in die Hände, um auf 1 1/2 Tage nach <lb/><placeName key="E0500132">Zürich</placeName> zu fahren, dabei zu sein, und dann <lb/>wieder in die Arbeit zurückzukehren, <lb/>da las ich an ihrer Stelle den Namen einer <lb/>Operette<note type="commentary" resp="#E0300446">noch zu spezifizieren</note>. Was ist? Hat man schlecht funktion <lb break="no"/>niert, intrigiert oder sind Sie gar von <lb/>neuem krank<note type="commentary" resp="#E0300446">siehe Brief vom tba</note> ??? <lb/>Ich las hier in der Confiserie, wo Zeitungen <lb/>hängen (was meine Person anbetrifft, würde ich <lb/>es wohl mehr Tabagie<note type="commentary" resp="#E0300446">Bezeichnung für Wirtschaften mit eher zweifelhaftem Ruf, in den Tabak genossen wurde</note> nennen) Berichte <lb/>über die neuen Opern<note type="commentary" resp="#E0300446">tba</note> von d’Albert; <lb/>das scheint ein wahrhaft unwahrschein <lb break="no"/>licher Dreck zu sein; dass man dergleichen <lb/>aufführt und nach dazu bespricht, beweist <lb/>mir doch, dass ich mich offenbar in einem <lb/>feenhaften Wolkenreich aufhalte, wo <lb/>ich sowas für unmöglich hielt; es <lb/>als ausserhalb menschlicher Begriffe stehend </p></div>
2Facsimile
2Diplomatic transcription
2XML


betrachtete. –

Hätte, bei einer Zwischenpause der
Arbeit, grösste Lust in den angeblichen
„Streit“ PfitznerBusoni; einzugreifen,
der gar kein Streit ist, sondern von
der einen Seite Unrecht und dumpfes, niedriges
Niveau, von der anderen : das Ideenreich.
Mit schwerem Geschütz, in Berlin und hier,
gleichzeitig. –

Ich glaube, ich bin ganz leichtfertig
geworden. Habe eine orientalische
(persische).... ... Oper entdeckt, vielmehr
den Stoff, deren Textbuch ich nach Beendi-
gung meiner jetzigen Arbeit, zu schreiben die
grösste Lust habe. Ein schönes Opernbuch,
handlungsvoll, phantastisch, dabei wirklich
gedichtet und gewissermassen der Raum
für die Musik in allen Poren errichtet. Manch-
mal, bei Spazierengehen, macht mich der Gedanke
daran heiter. Haben Sie diese Leichtfertig-
keit bei mir vermutet? Aber, vorläufig
bin ich ja noch mit meiner Arbeit nicht zu
Ende. Es ist also eine Would-be Leichtfertigkeit.
Wie geht es Ihnen? Die Absetzung Ihrer
Opern hat mich, und Ihre hiesigen Freunde, beun-
ruhigt ! Ich umarme Sie herzlichst

P.S. de Quincey haben
Sie richtig geschrieben,
ich hielt mich an Ihre
Orthographie.

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"> <lb/>betrachtete. –</p> <p>Hätte, bei einer Zwischenpause der <lb/>Arbeit, grösste Lust in den angeblichen <lb/><soCalled rend="dq-du">Streit</soCalled><persName key="E0300084"> Pfitzner</persName>–<persName key="E0300017">Busoni</persName>; einzugreifen, <lb/>der gar kein Streit ist, sondern von <lb/>der einen Seite Unrecht und dumpfes, niedriges <lb/>Niveau, von der anderen : das Ideenreich. <lb/>Mit schwerem Geschütz, in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> und hier, <lb/>gleichzeitig. –</p> <p>Ich glaube, ich bin ganz leichtfertig <lb/>geworden. Habe eine orientalische <lb/>(persische).... ... Oper entdeckt, vielmehr <lb/>den Stoff, deren Textbuch ich nach Beendi <lb break="no"/>gung meiner jetzigen Arbeit, zu schreiben die <lb/>grösste Lust habe. Ein schönes Opernbuch, <lb/>handlungsvoll, phantastisch, dabei wirklich <lb/>gedichtet und gewissermassen der Raum <lb/>für die Musik in allen Poren errichtet. Manch <lb break="no"/>mal, bei Spazierengehen, macht mich der Gedanke <lb/>daran heiter. Haben Sie diese Leichtfertig <lb break="no"/>keit bei mir vermutet? Aber, vorläufig <lb/>bin ich ja noch mit meiner Arbeit nicht zu <lb/>Ende. Es ist also eine Would-be Leichtfertigkeit. <lb/><seg rend="indent">Wie geht es Ihnen? Die Absetzung Ihrer</seg> <lb/>Opern hat mich, und Ihre hiesigen Freunde, beun <lb break="no"/>ruhigt ! Ich umarme Sie herzlichst</p> <closer> <signed rend="large">Ihr <persName key="E0300126">Ludwig Rubiner</persName></signed> </closer> <postscript> <p rend="inline right small">P<orig>.</orig>S<orig>.</orig> <persName key="E0300349">de Quincey</persName> haben <lb/><hi rend="underline">Sie</hi> richtig geschrieben, <lb/>ich hielt mich an Ihre <lb/>Orthographie.</p> </postscript> </div>

Document

buildStatus: proposed XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4276 | olim: Mus.ep. L. Rubiner 17 (Busoni-Nachl. B II) |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten. Briefumschlag fehlt.
Extent
1 Bogen, 2 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ludwig Rubiner, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mit Bleistift eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 12

Summary
Rubiner erkundigt sich nach dem Ergehen Busoni, da zwei Opern vom Spielplan abgesetzt wurden; Beschreibt seine ablehnende Haltung zu Albert, Eugen d’ neuen Opern; Bezieht in einem kurzem Einschub Stellung zum Streit PfitznerBusoni; Berichtet über die Entdeckung einer geeigneten Textbuchvorlage für eine potentielle Oper;
Incipit
nur einige wenige Zeilen heute, um Verbindung herzustellen

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
April 6, 2018: proposed (transcription and coding done, awaiting proofreading)
Direct context
Preceding Following
Near in this edition