Ferruccio Busoni to Jella Oppenheimer arrow_backarrow_forward

Berlin · September 11, 1914

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Mus. Nachl. F. Busoni B I, 890
Mus. ep. F. Busoni 743 (Busoni-Nachl. B I)

[1]

Liebe verehrte
Freundin,
ich wünschte
sehr stark von Ihnen [etwas]
zu erfahren. Im Ganzen
fühlt man hier augen-
blicklich – (Gott gebe: nicht
vorübergehend) – eine
Heiterung der Athmosphäre.

Die Arbeiten, die wie
bestürzt gestockt, beginnen
ihren alten Gang zu gehen,
wenn auch langsamen
Schrittes u. auf kürzere Strecken.

Der Erbauer des Hauses
in welchems eine Wohnung
nach meinen Wünschen
sollte eingefügt werden,

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

hat sich mit Plaenen gemeldet. In der erhaltenen Korrespondenz mit Oppenheimer finden Wohnungspläne keine weitere Erwähnung. Allerdings beschreibt er in einem Brief an seine Frau vom 10. Oktober 1913 ein besichtigtes Haus als mögliche Ferienresidenz für die Wintermonate, nur wenige Tage nachdem Oppenheimer ihn in Bologna besuchte. In diesem Falle könnte es sich beim „Erbauer des Hauses“ um einen gewissen Marquis Marsigli handeln. (Busoni/Weindel 2015, S. 628-629)

Liebe verehrte Freundin,

ich wünschte sehr stark, von Ihnen etwas zu erfahren. Im Ganzen fühlt man hier augenblicklich – (Gott gebe: nicht vorübergehend) – eine Heiterung der Atmosphäre.

Die Arbeiten, die wie bestürzt gestockt, beginnen ihren alten Gang zu gehen, wenn auch langsamen Schrittes und auf kürzere Strecken.

Der Erbauer des Hauses, in welches eine Wohnung nach meinen Wünschen sollte eingefügt werden, hat sich mit Plänen gemeldet. In der erhaltenen Korrespondenz mit Oppenheimer finden Wohnungspläne keine weitere Erwähnung. Allerdings beschreibt er in einem Brief an seine Frau vom 10. Oktober 1913 ein besichtigtes Haus als mögliche Ferienresidenz für die Wintermonate, nur wenige Tage nachdem Oppenheimer ihn in Bologna besuchte. In diesem Falle könnte es sich beim „Erbauer des Hauses“ um einen gewissen Marquis Marsigli handeln. (Busoni/Weindel 2015, S. 628-629)

Die Verleger stehen nicht ganz stille und selbst meine Amerikafahrt wird sich erfüllen müssen! Wie einem späteren Brief Oppenheimers zu entnehmen ist, wurde die Reise zwischenzeitlich abgesagt, ehe sie schließlich vom 3. Januar bis 28. August 1915 stattfand (Roberge 1995, S. 323).

Mit anderen Gefühlen, als zur Zeit, als ich den Vertrag unterzeichnete, werde ich diese Reise antreten; Während Busoni 1894 vereinbarte, neue Originalkompositionen und Transkriptionen bei Breitkopf & Härtel zu veröffentlichen, könnte er hier möglicherweise auch einen Vertrag eigens für die Amerika-Tournee mit Steinway meinen, die ihn zu dieser Zeit vertraten (Roberge 1995, S. 323). meine Kinder nehme ich mit, Während der jüngere Sohn, Rafaello, auch wieder mit Busoni zurück nach Europa reiste, blieb Benvenuto, in Bosten geboren und mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, in New York (Beaumont 1987, S. 213). und es bleibt die bange Frage: Wie werde ich das Land, das ich verlasse, wiederfinden? Wen werde ich missen? Wann werde ich die gerade Linie meines Weges wieder aufnehmen?

Wie, endlich, wird Europa (und auf wie lange) an der Rekonvaleszenz zu tragen haben? Ich fürchte, dass wir den neuen Höhepunkt nicht mehr mit-schauen.

Schreiben Sie, wenn Sie können;

grüßen Sie den Sohn und Ihre Freunde, seien Sie selbst gegrüßt und von allen Segenswünschen begleitet. Ihres treu ergebenen

Ferruccio Busoni

Berlin, 11. September 1914.
                                                                
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B I, 890
[2]

Die Verleger stehen nicht
ganz stille und selbst
meine Americafahrt
wird sich erfüllen müßen! Wie einem späteren Brief Oppenheimers zu entnehmen ist, wurde die Reise zwischenzeitlich abgesagt, ehe sie schließlich vom 3. Januar bis 28. August 1915 stattfand (Roberge 1995, S. 323).

Mit anderen Gefühlen,
als zur Zeit als ich den
Vertrag unterzeichnete,
werde ich diese Reise
antreten; Während Busoni 1894 vereinbarte, neue Originalkompositionen und Transkriptionen bei Breitkopf & Härtel zu veröffentlichen, könnte er hier möglicherweise auch einen Vertrag eigens für die Amerika-Tournee mit Steinway meinen, die ihn zu dieser Zeit vertraten (Roberge 1995, S. 323). meine Kinder
nehme ich mit, Während der jüngere Sohn, Rafaello, auch wieder mit Busoni zurück nach Europa reiste, blieb Benvenuto, in Bosten geboren und mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, in New York (Beaumont 1987, S. 213). und es
bleibt die bange Frage:
wie werde ich das Land,
das ich verlaße, wieder-
finden? Wen werde ich
mißen? Wann werde ich
die gerade Linie meines
Weges wieder aufnehmen?

Wie, endlich, wird Europa
(und auf wie lange) an der
Renkonvaleszenz zu tragen
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
haben?

                                                                
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B I, 890
[3] Ich fürchte, dass wir
den neuen Höhepunkt
nicht mehr mit-schauen.

Schreiben Sie, wenn
Sie können; grüßen Sie
den Sohn und dieIhre Freunde,
seien Sie selbst gegrüsst u.
von allen Segenswünschen
begleitet
Ihres treu ergebenen

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Ferruccio Busoni

Berlin, 11. September 1914.
                                                                
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buildStatus: proposed XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 890+890a+890b | olim: Mus.ep. F. Busoni 743+743a.b |

proof Kalliope

Condition
Fehlende rechte obere Ecke und Rostfleck einer Büroklammer am Mittelfalz links des Textes auf der ersten Seite (recto); kein Textverlust. Ansonsten gut erhalten.
Extent
3 Blatt, 3 beschriebene Seiten
Collation
Nur die Recto-Seiten sind beschrieben; demnach die Seitenfolge: 1, 3, 5, 2, 4, 6.
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen, eine Foliierung vorgenommen und das Briefdatum ergänzt hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Hand Gerda Busonis, die mit Bleistift auf der letzten Seite (verso) fälschlich auf
  • 1919
  • hat.
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Summary
Busoni berichtet Oppenheimer von Wiederaufnahme seiner Arbeit, den Plänen eines Wohnungsbaus und einer bevorstehenden Amerikareise; teilt seine Sorgen in Bezug auf den Ersten Weltkrieg; bittet um Rückmeldung.
Incipit
ich wünschte sehr stark von Ihnen zu erfahren

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
October 17, 2023: proposed (transcription and coding done, awaiting proofreading)
Direct context
Preceding Following
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