Ferruccio Busoni an Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · 8. Dezember 1916

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34.8 Dez 1916

Mein verehrter Freund,

ich sitze – spät Abends – an meinem
Schreibtisch u. habe die ersten 5 Seiten
Partitur an der oper Turandot geschrieben.
Ein Anfang! Wie vieles habe ich
angefangen (u. gottlob beendet) seit
bald 2 ½ Jahren Krieg! Welche
Überanstrengung an Entschluss,
immer wieder von vorne zu beginnen,
nachdem jedes Werk verhiess, mit
dem Frieden auszuklingen! Zwei
Jahre sah ich nicht mein Haus,
meine Bücher, meine Freunde,
meine Gewohnheiten! Die gerade
Linie ist unterbrochen. Der gastlichen
Schweiz meine volle Dankbarkeit
aber heisst das: Leben? Und
in den Nebel der Ungewissheit
hinein weiter, mit bald 51 Jahren?
Sie fanden einmal einen Brief
von mir „skeptisch“. Finden Sie
nicht, dass das noch eine milde
Aüsserung ist eines Mannes in
dieser Situation?!

Mein verehrter Freund,

ich sitze – spät abends – an meinem Schreibtisch und habe die ersten fünf Seiten Partitur an der Oper Turandot geschrieben. Ein Anfang! Wie vieles habe ich angefangen (und gottlob beendet) seit bald 2 ½ Jahren Krieg! Welche Überanstrengung an Entschluss, immer wieder von vorne zu beginnen, nachdem jedes Werk verhieß, mit dem Frieden auszuklingen! Zwei Jahre sah ich nicht mein Haus, meine Bücher, meine Freunde, meine Gewohnheiten! Die gerade Linie ist unterbrochen. Der gastlichen Schweiz meine volle Dankbarkeit aber heißt das: Leben? Und in den Nebel der Ungewissheit hinein weiter, mit bald 51 Jahren? Sie fanden einmal einen Brief von mir „skeptisch“. Finden Sie nicht, dass das noch eine milde Äußerung ist eines Mannes in dieser Situation?!

Das Vorige schrieb ich vor zwei Stunden; jetzt ist es Mitternacht, und Freunde hatten sich eingefunden, die zechten und diskursierten; sie sind nun fort, von der sittsamen Turmglocke aufgeschreckt. – (Was ist das für ein strenges Schulmeisterlein, diese Schweiz!) –

Der Liszt-Abend ging gut vonstatten und wird – so Gott will – in Basel eher besser ausfallen.

Die Programme sind hoffentlich bei Ihnen angelangt.

Ich bitte für diesen Überfall um Verzeihung

als des weisen Lesers verehrungsvoll Getreuer

F. Busoni

Z., 7. Dez. 1916.
                                                                
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(2)
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Das Vorige schrieb ich vor 2 Stunden;
jetzt ist es Mitternacht, u. Freunde
hatten sich eingefunden, die
zechten und diskursierten;
sie sind nun fort, von der
sittsamen Thurmglocke auf-
geschreckt. – (Was ist das für ein
strenges Schulmeisterlein, diese
Schweiz!) –

Der Liszt-Abend ging gut
von Statten u. wird – so Gott will –
in Basel eher besser ausfallen.

Die Programme sind hoffent-
lich bei Ihnen angelangt.

Ich bitte für diesen
Überfall um Verzeihung

als des weisen Lesers verehrungsvoller Getreuer

F. Busoni

Z. 7. Dez. 1916.
                                                                
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Zürich 13 – [O]berstrass -8.XII.16.–5
Hans HuberAngensteiner Str 30Basel
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Basel Briefträger -8.XII.16. – 9
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Dokument

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Überlieferung
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Zustand
Brief und Umschlag sind gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten beschrieben. Umschlagrückseite mit Skizze einer Tischordnung von Hubers Hand.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift Nummerierung und Foliierung vorgenommen und das Datum auf die erste Seite übertragen hat.
  • Poststempel (schwarze Tinte)

Incipit
ich sitze – spät Abends – an meinem Schreibtisch

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
unter Mitarbeit von
Stand
24. August 2017: in Bearbeitung (in der Erfassungs-/Codierungsphase)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Refardt 1939, S. 23