Hans Huber an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Basel · 9. Dezember 1916

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Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2277Mus.ep. H. Huber 51 (Busoni-Nachl. B II)
9/12

Lieber Freund!

Ihr heutiger Morgengruß,
der aus dem mitternächtlichen Zürcher
stunden stam̅t & dadurch das omen
tristitiae trägt, will mir
nicht aus dem Sin̅: Sie sind
doch neben aller Sklaverei, die
nun einmal mit dem Menschenschicksale
zusam̅enhängt, ein willensfreier
Mensch, der sich nicht an Naturordnung
fremder Gesetze zu kehren braucht,
namentlich, wen̅ diese aus den
schulmeisterlichen & kleinbürgerlichen
Anordnungen der freien Schweiz
kom̅en, die durch die politische
Zerfahrenheit längst nicht mehr
das Ideal einer Rebpublik bedeutet!

9/12

Lieber Freund!

Ihr heutiger Morgengruß, der aus dem mitternächtlichen Zürcherstunden stammt und dadurch das omen tristitiae trägt, will mir nicht aus dem Sinn: Sie sind doch neben aller Sklaverei, die nun einmal mit dem Menschenschicksale zusammenhängt, ein willensfreier Mensch, der sich nicht an Naturordnung fremder Gesetze zu kehren braucht, namentlich, wenn diese aus den schulmeisterlichen und kleinbürgerlichen Anordnungen der freien Schweiz kommen, die durch die politische Zerfahrenheit längst nicht mehr das Ideal einer Republik bedeutet!

Übrigens sind Sie alles weniger als ein grundsätzlicher Revolutionär und sind froh – wenigstens nach allen Indizien, die ich von Ihnen weiß –, wenn Sie in den Bahnen schöner Ordnung – ich meine es äußerlich und nicht innerlich – dahingleiten können. Innerlich sind Sie vielleicht das, was Sie äußerlich verlangen: Revolutionär in Kunstdingen und Kunstanschauungen. Revolutionär heißt aber in diesem Sinne: Autorität! – Nur wenn ein Künstler dieses Stadium erreicht hat, ist er universell und soll sich nicht mehr unterordnen, auch nicht seinen inneren Conflikten. Sie sollen also keine sentimentalen Kopfsenkungen machen, weder in Berlin noch in der Schweiz, in Italien oder anderwärts, weil Sie mit dieser Autorität auch das Prinzip der höchsten Pädagogik verkörpern, worüber erst die Nachlebenszeit die richtige Bewertung finden kann. Gibt es ein höheres Lebensideal? Nur die Energie, die aus diesem Bewusstsein herauskeimt, hilft Ihnen die Zukunftsmusikgedanken schaffen, für die Sie noch gerade so lange Zeit haben, wie Händel und Haydn. 50 Jahre sind kein Alter! – im Gegenteil – da man erst in diesen Jahren die Weisheit begreift, sich vor Zersplitterungen und vor dem Sich-verlieren zu bewahren.

Und wenn die Turmglocken in Zürich les adieux rufen, so bedeuten dieselben die Moral, das Zügellose zu bekämpfen und an die Beherrschung aller unnützen und gefährlichen Triebe ernstlich zu denken! Amen!

Die Programme der Baseler Konzerte sind bereits im Drucke; ich gestatte mir, Ihnen ein Korrekturexemplar zuzusenden!

Wann sind Sie in Bern?

Hier begraben wir in Veranstaltungen im Münster und am Konservatorium den Max Reger! –

Und sonst die herzlichsten und sympathischsten Grüße

Ihr Hans Huber

                                                                
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Uebrigens sind Sie alles weniger
als ein grundsätzlicher Revolutionär
& sind froh – wenigstens nach allen
Indizien, die ich von Ihnen weiß, –
wen̅ Sie in den Bahnen schöner
Ordnung – ich meine es äußerlich &
nicht innerlich – dahingleiten
kön̅en. Innerlich sind Sie vielleicht,
das, was Sie äußerlich verlangen:
Revuolutionär in Kunstdingen
& Kunstanschauungen. Revolutionär
heißt aber in diesem Sin̅e:
Autorität! – Nur wen̅ ein
Künstler dieses Stadium erreicht
hat ist er universell & soll sich
nicht mehr unterordnen, auch
nicht seinen in̅eren Konflikten.
Sie sollen also keine sentimentalen
Kopfsenkungen machen, weder in
Berlin noch in der Schweiz, in Italien
oder anderwärts, weil Sie damitmit dieser Autorität
auch das Princip der höchsten Pädagogik Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
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Bewertung finden kan̅. Gibt es
ein höheres Lebensideal?
Nur die Energie, die aus diesem
Bewußtsein herauskeimt, hilft Ihnen
die Zukunftsmusikgedanken
schaffen, für die Sie noch gerade
so lange Zeit haben, wie Händel
& Haydn. 50 Jahre sind kein Alter!
– im Gegentheil – da man erst
in diesen Jahren die Weisheit
begreift, sich vor Zer[s]plitterungen
& vor dem Sich=verlieren zu bewahren. –

Und wenn die Thurmglocken
in Zürich les adieux rufen, so
bedeuten dieselben die Moral,
das Zügellose zu bekämpfen &
an die Beherrschung aller unnützen
& gefährlichen Triebe ernstlich zu
denken! Amen!

Die Program̅e der

                                                                
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ein Korrekturexemplar zuzusenden!

Wann sind Sie in Bern?

Hier begraben wir in Veranstaltungen
im Münster & am Conservatorium
den Max Reger! –

Und sonst die herzlichsten
& sympathischsten Grüße

Ihr Hans Huber

                                                                
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Basel 2
9.XII.16. – 3
Brf. Exp.
                                                                
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Huber
Zürich
9.XII.16.–11
Brf. Exp.
Nachlaß Busoni B II
Mus.ep. H. Huber 51

Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2277-Beil.
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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2277 | olim: Mus.ep. H. Huber 51 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Brief und Umschlag sind gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Hans Huber, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift.
  • Hand Gerda Busonis, die auf dem Umschlag den Namen Hubers mit Bleistift notiert hat.
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Incipit
Ihr heutiger Morgengruß

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
unter Mitarbeit von
Stand
2. November 2017: in Bearbeitung (in der Erfassungs-/Codierungsphase)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition