Ferruccio Busoni an Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · 30. Mai 1918

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62.
30 Mai 1918

Lieber Verehrter,

durch ein Misverständnis
(an dem indirekt der Krieg Schuld ist)
erscheint die KlavierÜbung ohne die
geplante Vorrede. – Es lag mir fern,
Klavier Figuren zu konstruieren, die vielleicht
kurios, aber unausführbar wären. Der
arme Schüler denkt, es ist seine Unfähigkeit,
verbohrt sich u. verrenkt sich die Finger. –
Darum sollen auch die „transponablen“
Beispiele nur so weit geführt werden, als
sie keine unnatürlichen Stellungen ergeben.
Darum werden Sie auch vorläufig nichts
„Frappantes“ zu schauen bekommen, wohin-
-gegen Alles in dem Hefte (besonders die
Fingersätze) aus der Erfahrung gewonnen ist.
Ich rechne auf mindestens vier solcher
Hefte, (das zwote ist in Arbeit) um
ein Ganzes herzustellen: Die erstrebte
Universalität dieses Übungswerkes fürchte
ich nicht zu erreichen. – Die Don Juan
Fantasie ist – glaub’ ich – der erste
Versuch, an Liszt, eine analytische
Ausgabe zu präsentieren. Damit

30. Mai 1918

Lieber Verehrter,

durch ein Missverständnis (an dem indirekt der Krieg schuld ist) erscheint die Klavierübung ohne die geplante Vorrede. – Es lag mir fern, Klavier Figuren zu konstruieren, die vielleicht kurios, aber unausführbar wären. Der arme Schüler denkt, es ist seine Unfähigkeit, verbohrt sich und verrenkt sich die Finger. – Darum sollen auch die „transponablen“ Beispiele nur so weit geführt werden, als sie keine unnatürlichen Stellungen ergeben. Darum werden Sie auch vorläufig nichts „Frappantes“ zu schauen bekommen, wohingegen alles in dem Hefte (besonders die Fingersätze) aus der Erfahrung gewonnen ist. Ich rechne auf mindestens vier solcher Hefte (das zwote ist in Arbeit), um ein Ganzes herzustellen: Die erstrebte Universalität dieses Übungswerkes fürchte ich nicht zu erreichen. – Die Don-JuanFantasie ist – glaub’ ich – der erste Versuch, an Liszt eine analytische Ausgabe zu präsentieren. Damit hab’ ich mir die größte Mühe gegeben, das aufzuzeichnen, was ich aus jahrelangem Studium für mich festgestellt hatte! Keine Note wurde übergangen. Die deutschen Übersetzungen sind meine eigenen, und sie decken sich treuer mit dem Original (und den Mozart’schen Intervallen und Rhythmen) als die früheren. Das äußerst schwierige pianistische Problem erscheint fast mühelos gelöst. So kommt es mir vor. Vielleicht, dass ich mich hierin täusche. – Dieser Tage folgt noch eine Sonatina in Diem Nativitatis Christi, ein Weihnachtsstückchen: und damit haben Sie die kleine Ernte meiner klavieristischen Arbeiten von 1917 beisammen. – Nehmen Sie alles freundlich und womöglich freudig auf.

Am 24. fand die achte und letzte Aufführung meiner operum theatralicum statt. Am 10. wurde das Klarinettenkonzert mit Orchester probiert. – diese Begebenheiten beschlossen meine „Saison“. – Der Sommer fordert die Vollendung mancher begonnenen Arbeit – bis zum 2. Juni gebe ich mich indessen einer behaglichen „Ferienstimung“ hin.

Eine behagliche Ferienstimmung, die durch die Jahreszeit und das Atemholen in der Arbeit bedingt, aber durch keine anderen Umstände gestützt wird. Denn ich stehe wie am Eingange eines dunklen tiefen Ganges – in den ich eintreten soll und von dem ich nicht weiß, wohin er führt. Ob man, durch denselben, wieder an das Tageslicht gelangt? – Schwerer Augenblick! Diese Ferien mrüßten also – bevor sie zu Ende gehen – über diese Frage Aufschluss bringen. – Denn, wie denken Sie sich eine weitere Verlängerung meines Schweizer Aufenthaltes? – Er fällt (nach dem Durchführungsteil meines Lebens) in das Moment, wo die Grundtonart wieder rein und endgiltig festgestellt werden sollte! Aber ein neues Motiv in der Coda? (Gehört zu den Ausnahmen, sagte mein Lehrer Remy!). – Ich freue mich gewaltig auf den versprochenen Brief und danke Ihnen dafür, grüße Sie tief-herzlich und hoch-achtend

als Ihr Sie verehrender

                                                                
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(2)
hab’ ich mir die grösste Mühe gegeben,
das aufzuzeichnen, was ichist aus jahrelangem
Studium für mich festgestellt hatte!
Keine Note wurde übergangen. Die
deutschen Übersetzungen sind meine
eigenen, u. sie decken sich treuer mit
dem Original (u. den Mozart’schen Inter-
vallen u. Rhythmen), als die früheren.
Das äusserste schwierige pianistische
Problem erscheint fast mühelos gelöst.
So kommt es mir vor. Vielleicht, dass ich
mich hierin taüsche. – Dieser Tage folgt
noch eine Sonatina in Diem Nativitatis
Christi
, ein Weihnachtsstückchen: und
damit haben Sie die kleine Ernte
meiner klavieristenischen Arbeiten von 1917
beisammen. – Nehmen Sie Alles freundlich
und womöglich freudig auf. –

Am 24. fand die 8. u. letzte Aufführung
meiner operum theatralicarum statt.
Am 10. wurde das Klarinetten Konzert
mit Orchester probiert. – Dann Mit
Ddiesen Begebenheiten beschlossen meine
„Saison“. – Der Sommer fordert
die Vollendung mancher begonnenen
Arbeit – bis zum 2. Juni gebe ich
mich indessen einer behaglichen „Ferienstimung“ hin.

                                                                
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Eine behagliche Fehrienstimmung,
die durch die Jahreszeit und das
Athemholen in der Arbeit bedingt,
aber durch keine anderen Umstände
gestützt wird. Denn ich stehe vor
wie am Eingange eines dunklen
tiefen Ganges – ich fi[…] mindestens 1 Zeichen: unleserlich. in den
ich eintreten soll u. von dem ich nicht
weiss, wohin er führt. Ob man, durch
denselben, wieder an das Tageslicht
gelangt? – Schwerer Augenblick!
Diese Ferien mrüssten also – bevor sie
zu Ende gehen – über diese Frage Auf-
schluss bringen. – Denn, wie denken
Sie sich eine weitere Verlängerung
meines Schweizer Aufenthaltes? – er
fällt (nach dem Durchführungstheil
meines Lebens) in das Moment, wo
die Grundtonart wieder rein und
endgiltig festgestellt werden sollte!
Aber ein neues Motiv in der Coda?
(Gehört zu den Ausnahmen, sagte
mein Lehrer Remy!). – Ich freue
mich gewaltig auf den versprochenen
Brief u. danke Ihnen dafür,
grüsse Sie tief-herzlich und
hoch-achtend als Ihr Sie verehrender

                                                                
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warningStatus: in Bearbeitung XML Faksimile Download / Zitation

Überlieferung
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
3 Blatt, 3 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der Nummerierung und Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat.

Incipit
durch ein Misverständnis (an dem indirekt der Krieg schuld ist)

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
unter Mitarbeit von
Stand
24. August 2017: in Bearbeitung (in der Erfassungs-/Codierungsphase)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Refardt 1939, S. 38 f. Beaumont 1987, S. 272 f.