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Mus.ep. R. L. Rubiner 12 (Busoni-Nachl.B II)Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4271
[1]
Lieber Herr Busoni!
Deutsche
Staatsbibliothek Berlin
Ihre Güte sendet mir Freund- schaftszeichen, die mich ganz und
gar froh machen; und die mir
nur die leise Unruhe aufkom- men lassen, dass ich Ihnen viel- leicht nicht einen Bruchteil
der Freude irgendwie gehen kann,
die Sie mir bereiten!
Nun habe ich Ihnen Brief,
Der vorangehende Brief von Busoni liegt dem Nachlass aktuell nicht vor. habe
den den Klavierauszug des Turandot
Die Oper Turandot
wurde 1917 von Ferrucio Busoni
veröffentlicht. Die Originalvorlage hierzu ist das Theaterstück von Carlo Gozzi
aus dem Jahre 1762. Busonis Oper wird oft zusammen mit seiner früheren, kürzeren Oper
Arlecchino aufgeführt.
habe das Schönbergsche Büchlein.
Turandot wird, wie ich lese,
in Frankfurt aufgeführt. Das
freut mich von Herzen. Ganz
abgesehen, von persönlichen
Gründen, schon darum, weil
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Lieber Herr Busoni!
Ihre Güte sendet mir Freundschaftszeichen, die mich ganz und
gar froh machen; und die mir
nur die leise Unruhe aufkommen lassen, dass ich Ihnen vielleicht nicht einen Bruchteil
der Freude irgendwie gehen kann,
die Sie mir bereiten!
Nun habe ich Ihnen Brief,
Der vorangehende Brief von Busoni liegt dem Nachlass aktuell nicht vor. habe
den den Klavierauszug des Turandot
Die Oper Turandot
wurde 1917 von Ferrucio Busoni
veröffentlicht. Die Originalvorlage hierzu ist das Theaterstück von Carlo Gozzi
aus dem Jahre 1762. Busonis Oper wird oft zusammen mit seiner früheren, kürzeren Oper
Arlecchino aufgeführt.
habe das Schönbergsche Büchlein.
Turandot wird, wie ich lese,
in Frankfurt aufgeführt. Das
freut mich von Herzen. Ganz
abgesehen, von persönlichen
Gründen, schon darum, weil
diese Aufführung – die Tatsache,
das man sich ernstlich um
das Werk kümmert – dem
Kunstleben einen sehr starken Stoß nach vorwärts
geben wird. Erfindung,
Leichtigkeit, Klarheit, Heiterkeit, Singbarkeit und wiederum
Erfindung: Das wird wohl
wie ein außerordentliches
Belehrungsmittel – oder wie
eine Guillotine – wirken.
Dann der außerordentliche
Mut, mit der einfachsten
Selbstverständlichkeit von
der Welt, richtige Oper zu
machen: Unerhört. Und
bei allen die vollkommene
Traumartigkeit des Ganzen,
das Unirdische, das wahrhaft
„Fabel"hafte der Atmosphäre,
das Wunderbare ohne
Maschinenwunder
Der Begriff
Maschinenwunder lässt sich möglicherweise aus dem Surrealismus ableiten und wurde
bereits von Walter Benjamin verwendet.
, allein durch
Musik und heiter–phantastisches
Szenarium! Und vor allem
die große Einfachkeit, die
freilich nicht billig zu haben
ist, sondern hinter der ein
Leben steht. Das nicht nur
Ausgedachte, sondern auch
im phantastischsten Bezirk
noch Empfundene; — ein
Zeichen dafür die menschliche
Vielseitigkeit: köstlichstes
Stück der heiter–melancholische
Resignationscharakter Altoums
Altoum ist die Rolle des Kaisers in Turandot,
die der Tenor übernimmt.
Lieber Herr Busoni und
Freund, das sind Geschenke,
die den Menschen wirklich
weiterhelfen.– So lass ich
Mir auch nicht nehmen, was der
Arlecchino
Die Figur des
Arlecchino stammt aus der italienischen Theaterform der Commedia dell’arte,
die sich ab dem 16. Jahrhundert verbreitete. Für gewöhnlich wird er mit den Charaktereigenschaften naiv, fröhlich,
ironisch und lustig verkörpert. wirklich ist. Sie, mit
der edlen Haltung des Schöpfers,
brauchen nur das Vorbildliche
darin nicht abzustreiten. Denn
unter Vorbild verstehe ich ja
gar kein Muster und
Exemplum, de nach dem
man im Atelier seine Regeln
lehrt, sondern ich meine
das wirklich geschaffene
Imaginäre. So glaube ich
persönlich, dass ein wahrhaftes
Vorbild gar kein lebender oder
toter Mensch sein kann, sondern
nur das Überwirkliche, also eine
geistige Schöpfung. Der Mensch ist
vielleicht der große Anreger, er
ist vielleicht Helfer, Heiler, Arzt,
Tröster, Schenker, – aber nur seine
Schöpfung ist das Vorbild. Also
nicht Mozart, sondern Don Giovanni,
nicht Goethe, sondern der Werther,
oder der Wilhelm Meister..., nicht
Roussau, sonder die Confessions.
Stellt man sich so ein, dann ist
es z. B. unmöglich, nachzuahmen.
Denn dann erscheint das Werk,
die Gestalt, die einem Vorbild
ist, immerfort als Ziel, als
Letztes, als Vollkommenes für
die künftige Arbeit. Stellt man
sich aber auf die wirkliche, historische Menschenperson ein, dann
beginnt sofort der Wunsch, zu
übertrumpfen – und das kann ja
nur auf (schöpfungsarmer) Nachahmung beruhen.
So meine ich also wirklich, dass
Ihr Arlecchino ein Vorbild ist.
Und ich muss ihn, ob Sie sich
gleich dagegen in einer edlen
Geste sträuben, zu den großen
Vorbildern der Kunst zählen.
Innerlich wissen Sie es ja wohl
selbst. Die absolute Rundung
des Auflebens und der Gestalten –
nirgends ein toter Punkt, nirgends
eine flach angepappte Figur –
um jede Gestalt kann man textlich
und musikalisch gewissermaßen
herumgehen, jede ist vollkommen
da. Am Auffallendsten für den
wirklichen inneren Schaffensvorgang,
der nichts Statistenhaftes duldet,
ist mir, dass sogar Abbate und
Dottore
Abbate Cospicuo
und Doctor Bombasto sind die Bariton- und Bassrolle in Busonis
Oper Arlecchino. ihre eigene Szene
haben:
Dieses alles sagt mir eben,
dass man es in diesem Werk mit
einem wirklichen Vorbild zu
tun hat. Das sage ich doch
nicht, um Ihnen zu schmeicheln,
denn dann würden wir uns
beide schämen. Auch nicht einmal in der Bewegung von
Freundschaftsgefühlen, sondern
ganz sachlich und objektiv.
Weil ich es nun einmal
weiß! Übrigens werden Sie
es ja in den nächsten Jahren
erleben, dass es stimmte.
(Kommt noch hinzu, dass der
Arlecchino ja nicht nur eine
von Ihren gestaltete Figur ist,
sondern eine, mit deren
Art der Empfindung Sie sich
identifizieren. Das ist das
größte Mittel – stärker als
die stärkste Reklame – um einer
Gestalt vorbildliches Leben zu
geben!)
Nun, nach diesen vielleicht
langatmigen Auseinandersetzungen
verstehen Sie, wenn ich solche
Diskussionen von Werfel, Stefan
Erwerbszweig und handevelde
den ich für viel klüger gehalten
hätte), was für eine Art Genie
Goethe war, und ob Dostojevski
mehr oder weniger als Goethe gewesen
sei, für recht ekelerregend halte.
Übrigens verstehe ich die Frage garnicht,
glaube, dass man sie nicht stellen
kann, und finde das alles sehr
töricht, schulmäßig und historisierend. — Übrigens ist Dostojewski ganz gewiss ein plebejisches
lateinisch:
zum gemeinen römischen Volk (Plebs) zugehörig; umgangssprachlich: gewöhnlich, ordinär
Genie, was ihn natürlich nicht
herabsetzt. Das ist sogar sein grösstes
Moment (und nicht das Psychologische, das ich für umständlich halte),
wenn er moralisch ganz tief
hinunter bis zum letzten Punkt des
Plebs steigt, und so tief steigt,
bis Christus an der Hölle auftaucht.
Einen solchen Richter müsste man
wohl – wenn schon die Welt unter
Genies aufgeteilt werden soll –
ein plebejisches Genie nennen.
Das man aber einen gegen den
anderen hält ist blödsinnig.
Ich selbst bin davon überzeugt, dass Goethe den Deutschen
viel Unglück gebracht hat, und
der übrigen Welt viel Glück.
und das wird wohl mit jedem
großen Mann so gehen, dass
er ein mondialer
französisch, hier: weltweiter Glückbringer
ist, und die nationale Entwicklung
daran glauben muss. —
Und nun, lieber Herr Busoni,
liegt, während ich schreibe, vor
mir auf dem Tische Schönbergs
„Glückliche Hand“. Da wir
uns momentan nur brieflich
verständigen können, erlauben
Sie mir, hier einige meiner Eindrücke
Zu diesem Werk, dessen Kenntnis
ich Ihrer gütigen Sendung verdanke, zu sagen.
Das „Drama mit Musik“ Schönbergs,
dessen Musik ich leider, wie Sie wissen,
nicht kenne, macht durch
seine ausserordentliche Intensität einen sehr bedeutenden
Eindruck. Dabei schadet es nichts,
dass die gesamte Art der
Mise–en–scéne
franzöisch: In-Szene-Setzen, das eigentlich
Neue an der symbolischen
Inszenierung, von Kandinsky
ist, und zwar von Kandinsky
viel souveräner erdacht und
gehandhabt in seiner Pantomime
„Der gelbe Klang“
Leider hat das bedeutende erdachte
Drama von Schönberg einen
Fehler: Es ist völlig impotent.
Ferner hat es die mir persönlich
furchtbare Eigenschaft: Ich
fühlte mich bei der Lektüre
plötzlich um eine bis zwei
Generationen zurückgestossen.
Der umgekehrte Wagner
bleibt immer noch Wagner.
Das ist nämlich Tristan und
Isolde aus der Brille
Weiningers
Mit der "Brille Weiningers" spielt
Rubiner wahrscheinlich auf eine besonders frauen- und körperfeindliche Sichtweise an, die
gerade Otto Weininger vorwiegend vertrat. dargestellt. Gut,
das ist ja nicht die Hauptsache.
Alles ist offenbar in breitestem
Maßauf eine schildernde
Musik angelegt! Auch das lasse
ich noch dahingestellt; ich wollte
nur daranmit diesen Bemerkungen nur andeuten, was ich
daran gräulich und modernistischaltmodisch finde.
Die Hauptsache: Das sogenannte
Drama ist keines, sondern nur
der Plan zu einem, von dem
nichts ausgeführt wurde! (Denn
Dekorationsbeschreibungen sind
ja kein Drama, auch wenn sie
abwechseln.) Aber auch der Plan
zu diesem Drama ist nicht zu
Ende empfunden oder auch nur
zu Ende gedacht. Er ist
ein psychologisches Aperon
Apeiron, alt-griechisch: philosophischer Begriff, der um 600 v. Chr. geprägt wurde.
Er bezeichnet das Unendliche, Unbestimmte und Unbegrenzte.: Der
Mann ist ruhelos, das Weib ist
seine Schöpfung, es gehört dem fremden
oberflächlichen Herren im Zylinder, der
es verachtet. (Wie impotent die
Symbolik Schönbergs ist: Der Herr
im Zylinder wirft zweimal aus
den Kleidern des Weibes einen
Fetzen auf die Bühne. "Fetzen" heisst
ja bekanntlich im Wiener Dialekt
eine leichtfertige Frau. Auf diesen
kindischen psychoanalytischen
Trick bidet sich Schönberg gewiss
viel ein.)
Aber weiter: Dieser impotente
Dramatiker Schönberg glaubt weiß
nicht, dass auch auch der Herr im Zylinder
andererseits der "Mann" ist, der
andererseits dasselbe Frauenerlebnis
hat. Oder haben kann; aber hier
haben müsste, da ja dieses spezifische
Erlebnis in den Mittelpunkt
gerückt ist. Schönberg weiss es
nicht. Aber der Zuschauer
weiß es instinktiv und fordert
die Gestaltung. Geschieht sie nicht,
so ist also ein Loch da. Man
kann nicht um diese Gestalten
herumgehen. Von Drama also
gar keine Rede. Feuer hat
das "Drama" zwar einen Abschluss,
indem nämlich hinter dem letzten
gedruckten Wort ein Punkt steht.
Aber keinen Schluss. Denn:
die Scenerie hat uns bisher
das normale, wirkliche psychologische Leben gezeigt; es hat aber
noch mit nun ist auch beim
winzigsten Drama dies nur
die Voraussetzung zum Hochsprung,
also die materielle Grundlage der
Exposition. Dann geht es ja erst
los. Keine Spur davon bei
Schönberg. Der mystische Chor singt
bei ihm am Schluss zum Mann:
"Und bist ruhelos!" – Gewiss,
das ist ja Vorbedingung jedes
Dramas. Nun fragen wir aber:
"Was wird er tun?" Worauf
Schönberg antwortet: "Nichts.
Er ist eben ruhelos".
Aber die Pflicht de Dramatikers,
selbst wenn er Dilettant ist,
ist doch die überwirkliche
Lösung der aufeinanderprallenden
Willenskräfte zu finden. Die
tragische oder die untragische
Lösung. Jedenfalls aber die Lösung.
Bei Schönberg nichts davon.
Und selbst der Rest, der
nach alldem noch übrig bleibt,
ist nicht ausgeführt. Die
paar Worte, die vorgim
Text vorkommen und
gesprochen oder gesungen werden,
sind von schrecklichster,
süsslicher Plattheit. Impotenz,
wohin ich in diesem spätwagnerianischen Werk greife. Gut sind
nur die ausführlichen Regiebemerkungen aus zweiter Hand
(nach Kandinsky ).– Da ich
mich aber von Schönbergs
Musik gerne von Zeit zu Zeit
am nackten Körper bürsten
lasse; ich große Achtung vor
den erbitterten, jahrelangen Anstrengungen dieses Mannes habe,
so würde ich nach diesem
misslungenen Seelenkino mit
Musik nicht sagen: Ganz
aufhören!, sondern würde
vorschlagen: Schönberg soll
von nun an Lieder schreiben, nur
noch Lieder, und zwar Lieder
aus dem psychoanalytischen
Familienleben. (Z.B. 72 Takte
musikalische Beschreibung eines
symbolisch wichtigen Kleiderschran-
kes. Es geht alles. Bis zur psychologischen Stiefelbürste.)
Spaß beseite. Ich habe mich
um zwei Generationen zurückgeworfen gefühlt. Schade.
Es ist alles genau das Entgegengesetzte von dem was ich denke
empfinde, wünsche, fühle, billige und
tue. – Ich meine, unter diese
Spätgeburtwagnerei müssten doch
ihre Opern wie Blitze hineinfahren.
Mit heimlicher Freude,
mit recht herzlicher, erfüllte mich
Ihre Nachricht, dass Sie in der
angegebenen Art etwas für Goetz
getan haben!– Zweygberg führte
mich neulich zu einem Basler Maler
mit ausgezeichneter Villa, pompösen
Atelier. Heißt Garnjobst. Unglaublicher
Kitsch. (Und ich wüsste doch soviel Jahre
nicht mehr, was Kitsch ist!) Danach
möchte ich Hubers Bekanntschaft doch
lieber nicht machen. Ich glaube, ich lasse
ihn lieber in Frieden. Seien Sie und
die liebe Frau Gerda herzlichst und
freundschaftlichst gegrüßt von Ihrem
Ludwig Rubiner.
P.S.
Bis jetzt wartete ich vergeblich
auf ein anständiges gebundenes
Tolstoi–Exemplar, das für
Sie bestimmt ist. Ich bekam aber keines.
Aus Ihrem Brief schloss ich,
dass Sie das gewöhnliche Exemplar früher als ich in Händen
hielten. Haben Sie etwa eines
gekauft? Wäre schade. Ich
freute mich auf eine persönliche Übersendung.
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diese Aufführung – die Tatsache,
das man sich ernstlich um
das Werk kümmert – dem
Kunstleben einen sehr star- ken Stoss nach vorwärts
geben wird. Erfindung,
Leichtigkeit, Klarheit, Heiter- keit, Singbarkeit und wiederum
Erfindung: Das wird wohl
wie ein ausserordentliches
Belehrungsmittel – oder wie
eine Guillotine wirken.
Dann der ausserordentliche
Mut, mit der einfachsten
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machen: Unerhört. Und
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„Fabel"hafte der Atmosphäre,
das Wunderbare ohne
Maschinenwunder
Der Begriff
Maschinenwunder lässt sich möglicherweise aus dem Surrealismus ableiten und wurde
bereits von Walter Benjamin verwendet.
, allein durch
Musik und heiter–phantastisches
Szenarium! Und vor allem
die grosse Einfachkeit, die
freilich nicht billig zu haben
ist, sondern hinter der ein
Leben steht. Das nicht nur
Ausgedachte, sondern auch
im phantastischsten Bezirk
noch Empfundene; — ein
Zeichen dafür die menschliche
Vielseitigkeit: köstlichstes
Stück der heiter–melancholische
Resignationscharakter Altoums
Altoum ist die Rolle des Kaisers in Turandot,
die der Tenor übernimmt.
Lieber Herr Busoni und
Freund, das sind Geschenke,
die den Menschen wirklich
weiterhelfen.– So lass ich
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4Diplomatische Umschrift
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4
Mir auch nicht nehmen, was der
Arlecchino
Die Figur des
Arlecchino stammt aus der italienischen Theaterform der Commedia dell’arte,
die sich ab dem 16. Jahrhundert verbreitete. Für gewöhnlich wird er mit den Charaktereigenschaften naiv, fröhlich,
ironisch und lustig verkörpert. wirklich ist. Sie, mit
der edlen Haltung des Schöpfers,
brauchen nur das Vorbildliche
darin nicht abzustreiten. Denn
unter Vorbild verstehe ich ja
gar kein Muster und
Exemplum, de nach dem
man im Atelier seine Regeln
lehrt, sondern ich meine
das wirklich geschaffene
Imaginäre. So glaube ich
persönlich, dass ein wahrhaftes
Vorbild gar kein lebender oder
toter Mensch sein kann, sondern
nur das Überwirkliche, also eine
geistige Schöpfung. Der Mensch ist
vielleicht der grosse Anreger, er
ist vielleicht Helfer, Heiler, Arzt,
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BII, 42715
oder der Wilhelm Meister.....; nicht
Roussau, sonder die Confessions.
Stellt man sich so ein, dann ist
es z. B. unmöglich, nachzuahmen.
Denn dann erscheint das Werk,
die Gestalt die einem Vorbild
ist, immerfort als Ziel, als
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die künftige Arbeit. Stellt man
sich aber auf die wirkliche, histo- rische Menschenperson ein, dann
beginnt sofort der Wunsch, zu
übertrumpfen – und das kann ja
nur auf (schöpfungsarmer) Nach- ahmung beruhen.
Deutsche
Staatsbibliothek Berlin
So meine ich also wirklich, dass
Ihr Arlecchino ein Vorbild ist.
Und ich muss ihn, ob Sie sich
gleich dagegen in einer edlen
Geste sträuben, zu den grossen
Vorbildern der Kunst zählen.
Innerlich wissen Sie es ja wohl
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selbst. Die absolute Rundung
des Auflebens und der Gestalten –
nirgends ein toter Punkt, nirgends
eine flach angepappte Figur –
um jede Gestalt kann man textlich
und musikalisch gewissermassen
herumgehen, jede ist vollkommen
da. Am auffallendsten für den
wirklichen inneren Schaffensvorgang,
der nichts Statistenhaftes duldet,
ist mir, dass sogar Abbate und
Dottore
Abbate Cospicuo
und Doctor Bombasto sind die Bariton- und Bassrolle in Busonis
Oper Arlecchino. ihre eigene Scene
haben::
Dieses alles sagt mir eben,
dass man es in diesem Werk mit
einem wirklichen Vorbild zu
tun hat. Das sage ich doch
nicht, um Ihnen zu schmeicheln,
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<lb/>herumgehen, jede ist vollkommen
<lb/>da. Am <choice><orig>a</orig><reg>A</reg></choice>uffallendsten für den
<lb/>wirklichen inneren Schaffensvorgang,
<lb/>der nichts Statistenhaftes duldet,
<lb/>ist mir, dass sogar Abbate und
<lb/>Dottore <note type="commentary" resp="#E0300417">Abbate Cospicuo
und Doctor Bombasto sind die Bariton- und Bassrolle in <persName key="E0300017">Busonis</persName>
Oper <title key="E0400133">Arlecchino</title>.</note> ihre eigene S<choice><orig>c</orig><reg>z</reg></choice>ene
haben<orig>:</orig>:</p>
<p>Dieses alles sagt mir eben,
<lb/>dass man es in diesem Werk mit
<lb/>einem wirklichen Vorbild zu
<lb/>tun hat. Das sage ich doch
<lb/>nicht, um Ihnen zu schmeicheln,
<lb/>denn dann würden wir uns
<lb/>beide schämen. Auch nicht ein
<lb break="no"/>mal in der Bewegung von
<lb/>Freundschaftsgefühlen, sondern
<lb/>ganz sachlich und objektiv.
<lb/>Weil ich es nun einmal</p>
</div>
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weiss! Übrigens werden Sie
es ja in den nächsten Jahren
erleben, dass es stimmte.
(Kommt noch hinzu, dass der
Arlecchino ja nicht nur eine
von Ihren gestaltete Figur ist,
sondern eine, mit deren
Art der Empfindung Sie sich
identifizieren. Das ist das
grösste Mittel – stärker als
die stärkste Reklame – um einer
Gestalt vorbildliches Leben zu
geben!)
Nun, nach diesen vielleicht
langatmigen Auseinandersetzungen
verstehen Sie, wenn ich solche
Diskussionen von Werfel, Stefan
Erwerbszweig und handevelde
den ich für viel klüger gehalten
hätte), was für eine Art Genie
Goethe war, und ob Dostojevski
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">7</note>
<p>wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>! Übrigens werden Sie
<lb/>es ja in den nächsten Jahren
<lb/>erleben, dass es stimmte.
<lb/>(Kommt noch hinzu, dass der
<lb/>Arlecchino ja nicht nur eine
<lb/>von Ihren gestaltete Figur ist,
<lb/>sondern eine, mit deren
<lb/>Art der Empfindung <!-- Empfindungen und Charaktereigenschaften des Arleccino? -->Sie sich
<lb/>identifizieren. Das ist das
<lb/>grö<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>te Mittel – stärker als
<lb/>die stärkste Reklame – um einer
<lb/>Gestalt vorbildliches Leben zu
<lb/>geben!)
</p>
<p>Nun, nach diesen vielleicht
<lb/>langatmigen Auseinandersetzungen
<lb/>verstehen Sie, wenn ich solche
<lb/>Diskussionen von Werfel, Stefan
<lb/>Erwerbszweig und handevelde <!-- ???? -->
<lb/>den ich für viel klüger gehalten
<lb/>hätte), was für eine Art Genie
<lb/><persName key="E0300124">Goethe</persName> war, und ob <persName key="E0300423">Dostojevski</persName>
</p>
</div>
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mehr oder weniger als Goethe gewesen
sei, für recht ekelerregend halte.
Übrigens verstehe ich die Frage garnicht,
glaube, dass man sie nicht stellen
kann, und finde das alles sehr
töricht, schulmässig und histo- risierend. — Übrigens ist Dosto- jewski ganz gewiss ein plebejisches
lateinisch:
zum gemeinen römischen Volk (Plebs) zugehörig; umgangssprachlich: gewöhnlich, ordinär
Genie, was ihn natürlich nicht
herabsetzt. Das ist sogar sein grösstes
Moment (und nicht das Psychologi- sche, das ich für umständlich halte),
wenn er moralisch ganz tief
hinunter bis zum letzten Punkt des
Plebs steigt, und so tief steigt,
bis Christus an der Hölle auftaucht.
Einen solchen Richter müsste man
wohl – wenn schon die Welt unter
Genies aufgeteilt werden soll –
ein plebejisches Genie nennen.
Das man aber einen gegen den
anderen hält ist blödsinnig.
Ich selbst bin davon über- zeugt, dass Goethe den Deutschen
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">8</note>
<p>mehr oder weniger als <persName key="E0300124">Goethe</persName> gewesen
<lb/>sei, für recht ekelerregend halte.
<lb/>Übrigens verstehe ich die Frage garnicht,
<lb/>glaube, dass man sie nicht stellen
<lb/>kann, und finde das alles sehr
<lb/>töricht, schulmä<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>ig und histo
<lb break="no"/>risierend. — Übrigens ist <persName key="E0300423">Dosto
<lb break="no"/>jewski</persName> ganz gewiss ein plebejisches<note type="commentary" resp="#E0300417">lateinisch:
zum gemeinen römischen Volk (Plebs) zugehörig; umgangssprachlich: gewöhnlich, ordinär</note>
<lb/>Genie, was ihn natürlich nicht
<lb/>herabsetzt. Das ist sogar sein grösstes
<lb/>Moment (und nicht das Psychologi
<lb break="no"/>sche, das ich für umständlich halte),
<lb/>wenn er <hi rend="underline">moralisch</hi> ganz tief
<lb/>hinunter bis zum letzten Punkt des
<lb/>Plebs steigt, und so tief steigt,
<lb/>bis Christus an der Hölle auftaucht.
<lb/>Einen solchen Richter müsste man
<lb/>wohl – wenn schon die Welt unter
<lb/><hi rend="dq-du">Genies</hi> aufgeteilt werden soll –
<lb/>ein plebejisches Genie nennen.
<lb/>Das man aber einen gegen den
<lb/>anderen hält ist blödsinnig.</p>
<p rend="indent-first">Ich selbst bin davon über
<lb break="no"/>zeugt, dass <persName key="E0300124">Goethe</persName> den Deutschen</p>
</div>
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BII, 42719
viel Unglück gebracht hat, und
der übrigen Welt viel Glück.
und das wird wohl mit jedem
grossen Mann so gehen, dass
er ein mondialer
französisch, hier: weltweiter Glückbringer
ist, und die nationale Entwicklung
daran glauben muss. —
Und nun, lieber Herr Busoni,
liegt, während ich schreibe, vor
mir auf dem Tische Schönbergs
„Glückliche Hand“. Da wir
uns momentan nur brieflich
verständigen können, erlauben
Sie mir, hier einige meiner Eindrücke
Zu diesem Werk, dessen Kenntnis
ich Ihrer gütigen Sendung ver- danke, zu sagen.
Deutsche
Staatsbibliothek Berlin
Das „Drama mit Musik“ Schönbergs,
dessen Musik ich leider, wie Sie wissen,
nicht kenne, macht durch
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-left" resp="#archive">BII, 4271</note>
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">9</note>
<p>viel Unglück gebracht hat, und
<lb/>der übrigen Welt viel Glück.
<lb/>und das wird wohl mit jedem
<lb/>gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Mann so gehen, dass
<lb/>er ein <hi rend="underline">mondialer</hi><note type="commentary" resp="#E0300417">französisch, hier: weltweiter</note> Glückbringer
<lb/>ist, und die nationale Entwicklung
<lb/>daran glauben muss. —</p>
<p rend="indent-first">Und nun, lieber <persName key="E0300017">Herr Busoni</persName>,
<lb/>liegt, während ich schreibe, vor
<lb/>mir auf dem Tische <persName key="E0300023">Schönbergs</persName>
<lb/><title rend="dq-du" key="E0400021">Glückliche Hand</title>. Da wir
<lb/>uns momentan nur brieflich
<lb/>verständigen können, erlauben
<lb/>Sie mir, hier einige meiner Eindrücke
<lb/>Zu diesem Werk, dessen Kenntnis
<lb/>ich Ihrer gütigen Sendung ver
<lb break="no"/>danke, zu sagen.</p>
<note type="stamp" place="right-of" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
<p type="pre-split">Das <rs key="E0400021" rend="dq-du">Drama mit Musik</rs> <persName key="E0300023">Schönbergs</persName>,
<lb/>dessen Musik ich leider, wie Sie wissen,
<lb/>nicht kenne, macht durch
</p></div>
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seine ausserordentliche Inten- sität einen sehr bedeutenden
Eindruck. Dabei schadet es nichts,
dass die gesamte Art der
Mise–en–scéne
franzöisch: In-Szene-Setzen, das eigentlich
Neue an der symbolischen
Inszenierung, von Kandinsky
ist, und zwar von Kandinsky
viel souveräner erdacht und
gehandhabt in seiner Pantomime
„Der gelbe Klang“
Leider hat das bedeutende erdachte
Drama von Schönberg einen
Fehler: Es ist völlig impotent.
Ferner hat es die mir persönlich
furchtbare Eigenschaft: Ich
fühlte mich bei der Lektüre
plötzlich um eine bis zwei
Generationen zurückgestossen.
Der umgekehrte Wagner
bleibt immer noch Wagner.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">10</note>
seine ausserordentliche Inten
<lb break="no"/>sität einen sehr bedeutenden
<lb/>Eindruck. Dabei schadet es nichts,
<lb/>dass die <hi rend="underline">gesamte</hi> Art der
<lb/>Mise–en–scéne<note type="commentary" resp="#E0300417">franzöisch: In-Szene-Setzen</note>, das eigentlich
<lb/>Neue an der <hi rend="underline">symbolischen</hi>
<lb/>Inszenierung, von <persName key="E0300067">Kandinsky </persName>
<lb/>ist, und zwar von <persName key="E0300067">Kandinsky </persName>
<lb/>viel souveräner erdacht und
<lb/>gehandhabt in seiner Pantomime
<lb/>„<title key="E0400362">Der gelbe Klang</title>“
<lb/>Leider hat das bedeutende erdachte
<lb/>Drama von <persName key="E0300023" type="automated" nymRef="Arnold Schönberg">Schönberg</persName> einen
<lb/>Fehler: Es ist völlig <hi rend="underline">impotent</hi>.
<lb/>Ferner hat es die mir persönlich
<lb/>furchtbare Eigenschaft: Ich
<lb/>fühlte mich bei der Lektüre
<lb/>plötzlich um eine bis zwei
<lb/>Generationen zurückgestossen.
<lb/>Der umgekehrte <persName key="E0300006">Wagner</persName>
<lb/>bleibt immer noch <persName key="E0300006">Wagner</persName>.</p>
</div>
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Das ist nämlich Tristan und
Isolde aus der Brille
Weiningers
Mit der "Brille Weiningers" spielt
Rubiner wahrscheinlich auf eine besonders frauen- und körperfeindliche Sichtweise an, die
gerade Otto Weininger vorwiegend vertrat. dargestellt. Gut,
das ist ja nicht die Hauptsache.
Alles ist offenbar in breitestem
Maassauf eine schildernde
Musik angelegt! Auch das lasse
ich noch dahingestellt; ich wollte
nur daranmit diesen Bemer- kungen nur andeuten, was ich
daran gräulich und modernistisch- altmodisch finde.
Die Hauptsache: Das sogenannte
Drama ist keines, sondern nur
der Plan zu einem, von dem
nichts ausgeführt wurde! (Denn
Dekorationsbeschreibungen sind
ja kein Drama, auch wenn sie
abwechseln.) Aber auch der Plan
zu diesem Drama ist nicht zu
Ende empfunden oder auch nur
zu Ende gedacht. Er ist
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-left" resp="#archive" rend="underline">11</note>
<p>Das ist nämlich <title key="E0400011">Tristan und
<lb/>Isolde</title> aus der Brille
<lb/><persName key="E0300442">Weiningers</persName><note type="commentary" resp="#E0300417">Mit der "Brille <persName key="E0300442">Weiningers</persName>" spielt
<persName key="E0300126">Rubiner</persName> wahrscheinlich auf eine besonders frauen- und körperfeindliche Sichtweise an, die
gerade <persName key="E0300442">Otto Weininger</persName> vorwiegend vertrat.</note> dargestellt. Gut,
<lb/>das ist ja nicht die Hauptsache.
<lb/>Alles ist offenbar in breitestem
<lb/>Ma<orig>a</orig><choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>auf eine <hi rend="underline">schildernde</hi>
<lb/>Musik angelegt! Auch das lasse
<lb/>ich noch dahingestellt; ich wollte
<lb/><hi rend="strikethrough">nur daran</hi>mit diesen Bemer
<lb break="no"/>kungen nur andeuten, was ich
<lb/>daran gräulich und modernistisch
<lb break="no"/>altmodisch finde.</p>
<p>Die Hauptsache: Das sogenannte
<lb/>Drama ist keines, sondern nur
<lb/>der Plan zu einem, von dem
<lb/><hi rend="underline">nichts</hi> ausgeführt wurde! (Denn
<lb/>Dekorationsbeschreibungen sind
<lb/>ja kein Drama, auch wenn sie
<lb/>abwechseln.) Aber auch der Plan
<lb/>zu diesem Drama ist nicht zu
<lb/>Ende empfunden oder auch nur
<lb/>zu Ende gedacht. Er ist</p>
</div>
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ein psychologisches Aperon
Apeiron, alt-griechisch: philosophischer Begriff, der um 600 v. Chr. geprägt wurde.
Er bezeichnet das Unendliche, Unbestimmte und Unbegrenzte.: Der
Mann ist ruhelos, das Weib ist
seine Schöpfung, es gehört dem fremden
oberflächlichen Herren im Cylinder, der
es verachtet. (Wie impotent die
Symbolik Schönbergs ist: Der Herr
im Cylinder wirft zweimal aus
den Kleidern des Weibes einen
Fetzen auf die Bühne. "Fetzen" heisst
ja bekanntlich im Wiener Dialekt
eine leichtfertige Frau. Auf diesen
kindischen psychoanalytischen
Trick bidet sich Schönberg gewiss
viel ein.)
Aber weiter: Dieser impotente
Dramatiker Schönberg glaubt weiss
nicht, dass auch auch der Herr im Cylinder
andererseits der "Mann" ist, der ,
andrerseits dasselbe Frauenerlebnis
hat. Oder haben kann; aber hier
haben müsste, da ja dieses spezifische
Erlebnis in den Mittelpunkt
gerückt ist. Schönberg weiss es
nicht. Aber der Zuschauer
weiss es instinktiv und fordert
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">12</note>
<p>ein psychologisches Aperon<note type="commentary" resp="#E0300417">Apeiron, alt-griechisch: philosophischer Begriff, der um 600 v. Chr. geprägt wurde.
Er bezeichnet das Unendliche, Unbestimmte und Unbegrenzte.</note>: Der
<lb/>Mann ist ruhelos, das Weib ist
<lb/>seine Schöpfung, es gehört dem fremden
<lb/>oberflächlichen Herren im <choice><orig>C</orig><reg>Z</reg></choice>ylinder, der
<lb/>es verachtet. (Wie impotent die
<lb/>Symbolik <persName key="E0300023">Schönbergs</persName> ist: Der Herr
<lb/>im <choice><orig>C</orig><reg>Z</reg></choice>ylinder wirft zweimal aus
<lb/>den Kleidern des Weibes einen
<lb/>Fetzen auf die Bühne. "Fetzen" heisst
<lb/>ja bekanntlich im Wiener Dialekt
<lb/>eine leichtfertige Frau. Auf diesen
<lb/>kindischen psychoanalytischen
<lb/>Trick bidet sich <persName key="E0300023">Schönberg</persName> gewiss
<lb/>viel ein.)
</p>
<p>Aber weiter: Dieser impotente
<lb/>Dramatiker <persName key="E0300023">Schönberg</persName> <hi rend="strikethrough">glaubt</hi> wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>
<lb/>nicht, dass auch <hi rend="underline">auch</hi> der <hi rend="underline">Herr im <choice><orig>C</orig><reg>Z</reg></choice>ylinder</hi>
<lb/>andererseits der "Mann" ist, der <orig>,</orig>
<lb/><hi rend="underline">and<reg>e</reg>re</hi>rseits dasselbe Frauenerlebnis
<lb/>hat. Oder haben kann; aber hier
<lb/>haben müsste, da ja dieses spezifische
<lb/>Erlebnis in den Mittelpunkt
<lb/>gerückt ist. <persName key="E0300023">Schönberg</persName> weiss es
<lb/>nicht. Aber der <hi rend="underline">Zuschauer</hi>
<lb/>wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> es instinktiv und fordert</p>
</div>
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13BII, 4271
die Gestaltung. Geschieht sie nicht,
so ist also ein Loch da. Man
kann nicht um diese Gestalten
herumgehen. Von Drama also
gar keine Rede. Feuer hat
das "Drama" zwar einen Abschluss,
indem nämlich hinter dem letzten
gedruckten Wort ein Punkt steht.
Aber keinen Schluss. Denn:
die Scenerie hat uns bisher
das normale, wirkliche psycholo- gische Leben gezeigt; es hat aber
noch mit nun ist auch beim
winzigsten Drama dies nur
die Voraussetzung zum Hochsprung,
also die materielle Grundlage der
Exposition. Dann geht es ja erst
los. Keine Spur davon bei
Schönberg. Der mystische Chor singt
bei ihm zumam Schluss zum Mann:
"Und bist ruhelos!" – Gewiss,
das ist ja Vorbedingung jedes
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">13</note>
<note type="foliation" place="top-left" resp="#archive" rend="underline">BII, 4271</note>
<p>die Gestaltung. Geschieht sie nicht,
<lb/>so ist also ein Loch da. Man
<lb/>kann nicht um diese Gestalten
<lb/>herumgehen. Von Drama also
<lb/>gar keine Rede. Feuer hat
<lb/>das "Drama" zwar einen Abschluss,
<lb/>indem nämlich hinter dem letzten
<lb/>gedruckten Wort ein Punkt steht.
<lb/>Aber keinen Schluss. Denn:
<lb/>die Scenerie hat uns bisher
<lb/>das normale, wirkliche psycholo
<lb break="no"/>gische Leben gezeigt; <hi rend="strikethrough"> es hat aber
<lb/>noch mit</hi> nun ist auch beim
<lb/>winzigsten Drama dies nur
<lb/>die Voraussetzung zum Hochsprung,
<lb/>also die materielle Grundlage der
<lb/>Exposition. Dann geht es ja erst
<lb/>los. Keine Spur davon bei
<lb/><persName key="E0300023">Schönberg</persName>. Der mystische Chor singt
<lb/>bei ihm <del rend="strikethrough">zum</del><add place="above">am</add> Schluss zum Mann:
<lb/>"Und bist ruhelos!" – Gewiss,
<lb/>das ist ja Vorbedingung jedes</p>
</div>
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Dramas. Nun fragen wir aber:
"Was wird er tun?" Worauf
Schönberg antwortet: "Nichts.
Er ist eben ruhelos".
Aber die Pflicht de Dramatikers,
selbst wenn er Dilettant ist,
ist doch die überwirkliche
Lösung der aufeinanderprallenden
Willenskräfte zu finden. Die
tragische oder die untragische
Lösung. Jedenfalls aber die Lösung.
Bei Schönberg nichts davon.
Und selbst der Rest, der
nach alldem noch übrig bleibt,
ist nicht ausgeführt. Die
paar Worte die vorgim
Text vorkommen und
gesprochen oder gesungen werden,
sind von schrecklichster,
süsslicher Plattheit. Impotenz,
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">14</note>
<p>Dramas. Nun fragen wir aber:
<lb/>"Was wird er tun?" Worauf
<lb/><persName key="E0300023">Schönberg</persName> antwortet: "Nichts.
<lb/>Er ist eben ruhelos".</p>
<p>Aber die Pflicht de Dramatikers,
<lb/>selbst wenn er Dilettant ist,
<lb/>ist doch die überwirkliche
<lb/>Lösung der aufeinanderprallenden
<lb/>Willenskräfte zu finden. Die
<lb/>tragische oder die untragische
<lb/>Lösung. Jedenfalls aber die Lösung.
<lb/>Bei <persName key="E0300023">Schönberg</persName> nichts davon.</p>
<p>Und selbst der Rest, der
<lb/>nach alldem noch übrig bleibt,
<lb/>ist nicht ausgeführt. Die
<lb/>paar Worte<reg>,</reg> die <hi rend="strikethrough">vorg</hi>im
<lb/>Text vorkommen und
<lb/>gesprochen oder gesungen werden,
<lb/>sind von schrecklichster,
<lb/>süsslicher Plattheit. Impotenz,</p>
</div>
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wohin ich in diesem spätwagneria- nischen Werk greife. Gut sind
nur die ausführlichen Regie- bemerkungen aus zweiter Hand
(nach Kandinsky ).– Da ich
mich aber von Schönbergs
Musik gerne von Zeit zu Zeit
am nackten Körper bürsten
lasse; ich grosse Achtung vor
den erbitterten, jahrelangen An- strengungen dieses Mannes habe,
so würde ich nach diesem
misslungenen Seelenkino mit
Musik nicht sagen: Ganz
aufhören!, sondern würde
vorschlagen: Schönberg soll
von nun an Lieder schreiben, nur
noch Lieder, und zwar Lieder
aus dem psychoanalytischen
Familienleben. (Z.B. 72 Takte
musikalische Beschreibung eines
symbolisch wichtigen Kleiderschran-
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">15</note>
<p>wohin ich in diesem spätwagneria
<lb break="no"/>nischen Werk greife. Gut sind
<lb/>nur die ausführlichen Regie
<lb break="no"/>bemerkungen aus zweiter Hand
<lb/>(nach <persName key="E0300067">Kandinsky </persName>).– Da ich
<lb/>mich aber von <persName key="E0300023">Schönbergs</persName>
<lb/>Musik <hi rend="underline">gerne</hi> von Zeit zu Zeit
<lb/>am nackten Körper bürsten
<lb/>lasse; ich gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Achtung vor
<lb/>den erbitterten, jahrelangen An
<lb break="no"/>strengungen dieses Mannes habe,
<lb/>so würde ich nach diesem
<lb/>misslungenen Seelenkino mit
<lb/>Musik nicht sagen: Ganz
<lb/>aufhören!, sondern würde
<lb/>vorschlagen: <persName key="E0300023">Schönberg</persName> soll
<lb/>von nun an Lieder schreiben, nur
<lb/>noch Lieder, und zwar Lieder
<lb/>aus dem psychoanalytischen
<lb/>Familienleben. (Z.B. 72 Takte
<lb/>musikalische Beschreibung eines
<lb/>symbolisch wichtigen Kleiderschran-
</p>
</div>
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16Diplomatische Umschrift
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kes. Es geht alles. Bis zur psycho- logischen Stiefelbürste.)
Spass beseite. Ich habe mich
um zwei Generationen zurück- geworfen gefühlt. Schade.
Es ist alles genau das Entgegen- gesetzte von dem was ich denke
empfinde, wünsche, fühle, billige und
tue. – Ich meine, unter diese
Spätgeburtwagnerei müssten doch
ihre Opern wie Blitze hineinfahren.
Deutsche
Staatsbibliothek Berlin
Mit heimlicher Freude,
mit recht herzlicher, erfüllte mich
Ihre Nachricht, dass Sie in der
angegebenen Art etwas für Goetz
getan haben!– Zweygberg führte
mich neulich zu einem Basler Maler
mit ausgezeichneter Villa, pompösen
Atelier. Heisst Garnjobst. Unglaublicher
Kitsch. (Und ich wüsste doch soviel Jahre
nicht mehr, was Kitsch ist!) Danach
möchte ich Hubers Bekanntschaft doch
lieber nicht machen. Ich glaube, ich lasse
ihn lieber in Frieden. Seien Sie und
die liebe Frau Gerda herzlichst und
freundschaftlichst gegrüsst von Ihrem
Ludwig Rubiner.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive" rend="underline">16</note>
<p>kes. Es geht alles. Bis zur psycho
<lb break="no"/>logischen Stiefelbürste.)
</p>
<p>Spa<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> beseite. Ich habe mich
<lb/>um zwei Generationen zurück
<lb break="no"/>geworfen gefühlt. Schade.</p>
<p>Es ist alles genau das Entgegen
<lb break="no"/>gesetzte von dem was ich denke
<lb/>empfinde, wünsche, fühle, billige und
<lb/>tue. – Ich meine, unter diese
<lb/>Spätgeburtwagnerei müssten doch
<lb/>ihre Opern wie Blitze hineinfahren.</p><note type="stamp" place="right" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
<p rend="indent-first">Mit heimlicher Freude,
<lb/>mit recht herzlicher, erfüllte mich
<lb/>Ihre Nachricht, dass Sie in der
<lb/>angegebenen Art etwas für <persName key="E0300192">Goetz</persName>
<lb/>getan haben!– <persName key="E0300206">Zweygberg</persName> führte
<lb/>mich neulich zu einem <placeName key="E0500097">Basler</placeName> Maler
<lb/>mit ausgezeichneter Villa, pompösen
<lb/>Atelier. Hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t <persName key="E0300471">Garnjobst</persName>. Unglaublicher
<lb/>Kitsch. (Und ich wüsste doch soviel Jahre
<lb/>nicht mehr, was Kitsch ist!) Danach
<lb/>möchte ich <persName key="E0300125">Hubers</persName> Bekanntschaft doch
<lb/>lieber nicht machen. Ich glaube, ich lasse
<lb/>ihn lieber in Frieden. Seien Sie und
<lb/>die liebe <persName key="E0300059">Frau Gerda</persName> herzlichst und
<lb/>freundschaftlichst gegrü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t von Ihrem
<lb/><seg rend="align(right)"><persName key="E0300126">Ludwig Rubiner</persName>.</seg></p>
</div>
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17Diplomatische Umschrift
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B II, 4271
P.S.
Bis jetzt wartete ich vergeblich
auf ein anständiges gebundenes
Tolstoi–Exemplar, das für
Sie bestimmt ist. Ich be- kam aber keines.
Aus Ihrem Brief schloss ich,
dass Sie das gewöhnliche Exem- plar früher als ich in Händen
hielten. Haben Sie etwa eines
gekauft? Wäre schade. Ich
freute mich auf eine persön- liche Übersendung.
Deutsche
Staatsbibliothek Berlin
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<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="shelfmark" resp="#archive" place="top-left">B II, 4271</note>
<p>P.S.</p>
<p>Bis jetzt wartete ich vergeblich
<lb/>auf ein anständiges gebundenes
<lb/><persName key="E0300091">Tolstoi</persName>–Exemplar, das für
<lb/>Sie bestimmt ist. Ich be
<lb break="no"/>kam aber keines.</p>
<p>Aus Ihrem Brief schloss ich,
<lb/>dass Sie das gewöhnliche Exem
<lb break="no"/>plar früher als ich in Händen
<lb/>hielten. Haben Sie etwa eines
<lb/>gekauft? Wäre schade. Ich
<lb/>freute mich auf eine persön
<lb break="no"/>liche Übersendung.</p>
<closer>
<salute rend="indent-first"> Ihr <persName key="E0300126">L. R.</persName>!</salute>
</closer>
<note type="stamp" place="bottom-center" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
</div>
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<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="annotation" place="top-left" rend="large" resp="#post"><hi rend="underline">Express</hi></note>
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="top-right" resp="#post">
<stamp xml:id="post_abs" rend="round border majuscule align(center)">
<placeName key="E0500183">Locarno</placeName> …
<lb/>-<date when-iso="1918-11-07">7.11.18</date>.-4
<lb/>XI
<lb/>LETTERE
</stamp>
</note>
<address xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0">
<addrLine>Herrn</addrLine>
<addrLine rend="indent"><persName key="E0300017">Prof. Ferruccio Busoni</persName></addrLine>
<addrLine rend="align(right) underline"><placeName key="E0500132" rend="underline">Zürich</placeName> VI</addrLine>
<addrLine rend="align(right)"><placeName key="E0500189">Scheuchzerstr. 36</placeName></addrLine>
</address>
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Zürich 3
-8.11.18IX-
VIII Eildienst & Fächer
Deutsche
Staatsbibliothek Berlin
Nachlaß Busoni B II
Mus.ep. L. Rubiner 12Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4271-Beil.
7. Feb. 1918
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<address xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" rend="align(center)">
<addrLine>Abs.:<persName key="E0300017">L. Rubiner</persName></addrLine>
<addrLine><placeName key="E0500291">Muralto</placeName> – <placeName key="E0500183">Locarno</placeName></addrLine>
<addrLine><placeName key="E0500447">Villa Rossa</placeName>.</addrLine>
</address>
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="left" resp="#post">
<stamp xml:id="post_rec" rend="round border majuscule align(center)">
<placeName key="E0500132">Zürich</placeName> 3
<lb/>-<date when-iso="1918-11-08">8.11.18</date>IX-
<lb/>VIII<lb/>Eildienst & Fächer </stamp>
</note>
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="right" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
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<subst><del rend="strikethrough"><stamp resp="#sbb_st_blue">Nachlaß Busoni <handShift new="#archive_red"/>B II</stamp>
<lb/>Mus.ep. L. Rubiner 12</del><add place="right-of">Mus.Nachl.<lb/>F. Busoni<lb/>B II, 4271-Beil.<lb/></add></subst>
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<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="dating" place="bottom-center" resp="#gerda.busoni"><date when-iso="1918-02-07">7. Feb. 1918</date></note>
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