Ferruccio Busoni an Robert Freund arrow_backarrow_forward

Wien · 7. Mai 1908

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Mus.ep. F. Busoni 41
(Busoni-Nachl. B I)

Mus.Nachl. F. Busoni B I, 538
Wien, Wallfisch-
gasse 4
. – am
7. Mai – 1908.
[1]

Verehrtester Freund.

Ihre Ansichten sind mir
stets ein Wegweiser gewesen
u. ich habe nur den Wunsch,
dass Sie die Geduld bewahren
mögen, mir auch weiter zu
folgen und – zu kritisiren.

Ihren reizendenr Brief
über Benni
blieb bisher
unbeantwortet – ich
will diesen zweiten gleich
mit dem frischen Ein-
druck erwiedern und
Ihnen dafürfür beide herzlich
danken.

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Nachlaß Busoni
Wien, Walfischgasse 4, am 7. Mai 1908.

Verehrtester Freund.

Ihre Ansichten sind mir stets ein Wegweiser gewesen, und ich habe nur den Wunsch, dass Sie die Geduld bewahren mögen, mir auch weiter zu folgen und – zu kritisieren.

Ihr reizender Brief über Benni blieb bisher unbeantwortet – ich will diesen zweiten gleich mit dem frischen Eindruck erwidern und Ihnen für beide herzlich danken.

Die Elegien – gestatten Sie, dass ich mich ein wenig über mich selbst auslasse? Es geschieht nicht aus Selbstgefälligkeit – die Elegien bedeuten eine Stufe in meiner Entwicklung. Fast Verwandlung. Deswegen der Titel „Nach der Wendung“. Und diese zeigt sich in der ersten, dritten und sechsten Nummer am vollständigsten. – Davon liegt mir wiederum die dritte am nächsten. –

Die „Erscheinung“ ist eine kleine Paraphrasieirung einer Szene aus der „Brautwahl“, der Erscheinung am Rathausfenster. Von dem Augenblick an, wo sie Ihnen gefällt, folgt sie der Oper fast treu.

Sie sehen, dass zu dem Verdi und Mozart, die sich darin als meine Meister zeigen werden (ich sagte es Ihnen schon), auch eine eigene Note hinzukommt.

Verzeihen Sie diese Selbstbetrachtung, die mir interessanter ist als Ihnen, wo ich jetzt mitten im Arbeiten stehe.

Diese freiwillige Wiener Tätigkeit bringt mir eine Art Ruhe; doch ist die Stimmung – im fremden Hause und in der besonderen Stadt – schwer zu beschwören.

Heute – in einer Stunde – wird das Brahms-Denkmal enthüllt. Am gleichen Tag schreibt schreibt Busoni an seine Frau: „In ein Paar Stunden wird heute das Brahms-Denkmal eingeweiht. Ich gehe hin, will mir all die Typen ansehen. So Etwas vermeidet man hier nicht – in Berlin sind ziemlich 50 Monumente aufgestellt worden, ohne dass man es merkte. Die ‚Feuilletons‘ haben Brahms aufgewärmt, (‚unser‘ Brahms), waren gemüthvoll, neckisch u. versuchten vergebens, tiefer zu gehen.“ (Busoni/Weindel 2015, S. 411). Ich weiß, dieser Meister ist Ihnen teuer: mich stören seine Bequemlichkeit und sein Deutschtum. Mit Bequemlichkeit meine ich: sein Aus-dem-Wege-Gehen jedem neuen Problem. Darin weichen vielleicht die Paganini-Variationen ab. Musik, nach meinen Idealen, ist bei ihm nur die Introduktion zum Finale der c-Moll-Symphonie. Vgl. in Busonis Entwurf einer neuen Ästhektik der Tonkunst den Passus zu „Vorspielen und Übergängen“ als der bis dato einzig wahren und freien Musik (Ausgabe 1907, S. 9). Wissen Sie übrigens, dass das Thema darin das Glockenspielmotiv der Londoner Kirchtürme ist? Natürlich wissen Sie’s.

Haben Sie nochmals Dank, auch für das Durchlesen dieses Briefes. –

Empfehlen Sie mich herzlichst Ihrer Frau Gemahlin, ich grüße Sie als Ihr treu ergebener

F. Busoni

                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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Die Elegien – gestatten Sie
dass ich mich ein wenig
über mich selbst auslasse?
es geschieht nicht aus Selbst-
gefälligkeit – die Elegien
bedeuten eine Stufe in meiner
Entwicklung. Fast Verwandlung.
Deswegen der Titel „nach der
Wendung“
. Und diese zeigt
sich in der 1. 3. u. 6. Nummer
am vollständigsten. – Davon
liegt mir wiederum die dritte
am nächsten. –

Die „Erscheinung“ ist eine
kleine Paraphrasiirung einer
Scene aus der “Brautwahl”,
der Erscheinung am Rath-
-hausfenster
. Von dem
Augenblick an, wo Sie Ihnen
gefällt, folgt sie der Oper
fast treu.

                                                                
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Sie sehen, dass zu dem Verdi u.
Mozart, die sich darin als Meine Meister
zeigen werden (ich sagte es Ihnen
schon), auch eine eigene Note
hinzukommt.

Verzeihen Sie diese Selbst-Be-
-trachtung, die mir interessanter
ist als Ihnen, wo ich jetzt
mitten im Arbeiten stehe.

Diese freiwillige Wiener Thätigkeit
bringt mir eine Art Ruhe;
doch ist die Stimmung –
im fremden Hause und in
der besonderen Stadt – schwer
zu beschwören.

                                                                
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Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Heute – in einer Stunde – wird
das Brahms-Denkmal ent-
hüllt. Am gleichen Tag schreibt schreibt Busoni an seine Frau: „In ein Paar Stunden wird heute das Brahms-Denkmal eingeweiht. Ich gehe hin, will mir all die Typen ansehen. So Etwas vermeidet man hier nicht – in Berlin sind ziemlich 50 Monumente aufgestellt worden, ohne dass man es merkte. Die ‚Feuilletons‘ haben Brahms aufgewärmt, (‚unser‘ Brahms), waren gemüthvoll, neckisch u. versuchten vergebens, tiefer zu gehen.“ (Busoni/Weindel 2015, S. 411). Ich weiss, dieser Meister
ist Ihnen theuer: mich stören
seine Bequemlichkeit u. sein
Deutschthum. Mit Bequemlichkeit
meine ich: Sein Aus-dem-Wege-
gehen jedem neuen Problem.
Darin weichen vielleicht die Paganini-
Variationen
ab. Musik, nach
meinen Idealen, ist bei ihm nur
die Introduction zum Finale der
C-moll Symphonie. Vgl. in Busonis Entwurf einer neuen Ästhektik der Tonkunst den Passus zu „Vorspielen und Übergängen“ als der bis dato einzig wahren und freien Musik (Ausgabe 1907, S. 9). Wissen [Sie] übrigens,
dass das Thema darin das
Glockenspielmotiv der Londoner
Kirchthürme ist? Natürlich wissen Sie’s.


[am linken Rand, längs:]

Haben Sie nochmals Dank, auch
für das Durchlesen dieses Briefes. –

Empfehlen Sie mich herzlichst Ihrer
Frau Gemahlin, ich grüße Sie als Ihr
treu ergebener

F. Busoni
                                                                
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Staatsbibliothek
Berlin
u. Zäune 7?
[…] unleserlich. Wien […] unleserlich.
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7.5.08.
12-1N
                                                                
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6Diplomatische Umschrift
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Zürich 1
-8.V.08.–3
Briefträger III
Mus.Nach. F. Busoni B I 538-Beil.7 Mai 1908 Mus.ep. F. Busoni 41
Nachlaß Busoni B I
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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 538 | olim: Mus.ep. F. Busoni 41 (Busoni-Nachl. B I) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Kollation
Seitenfolge: 1, 3, 2, 4 (2 und 4 im Querformat)
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mit Bleistift eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
  • Hand eines Postbediensteten, der die Adresse mit schwarzem Stift ergänzt hat.
  • Hand Gerda Busonis, die das Datum auf der Umschlagrückseite mit Bleistift notiert hat.
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Zusammenfassung
Busoni dankt für Freunds Kritik der Elegien; bezeichnet diese als „Stufe in meiner Entwicklung. Fast Verwandlung“; erklärt anlässlich der Enthüllung des Wiener Brahms-Denkmals über den von Freund geschätzten Komponisten: „mich stören seine Bequemlichkeit und sein Deutschtum“.
Incipit
Ihre Ansichten sind mir stets ein Wegweiser gewesen

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
12. Dezember 2018: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Beaumont 1987, S. 88 f.