Der herannahende erste April mahnt mich an Ihren
Geburtstag, und ich ergreife gern diese Gelegenheit, einige
Zeilen an Sie zu richten. Zunächst meinen herzlichen
Glückwunsch. Mögen Leben und Kunst Ihnen im neuen
Jahre Erfreuliches und Gedeihliches bringen! Ab und zu lese
ich in amerikanischen Blättern von Ihren Konzerten. Wenn
dieser Brief Sie erreicht, so wird Ihre Tournée wohl schon so
ziemlich zu Ende gekommen sein, und die Frage der
Rückkehr nach Europa wird Sie zweifellos stark beschäftigen.Busoni war am 5. Januar 1915 für eine Konzertreise durch Amerika nach New York aufgebrochen. Aufgrund des Krieges in Europa und der unklaren Bündnislage war die Rückkehr nach Berlin für Busoni als Italiener zunächst nicht möglich, sodass er sich im Herbst 1915 vorläufig in Zürich niederließ (vgl. Riethmüller/Weindel/Shin 2000, Sp. 1381 f.). Ob Sie in New York ein richtiges Bild von der Lage erhalten
werden, ist nicht so sicher, und daher wird es Ihnen vielleicht
nicht uninteressant sein, zu erfahren, was man hier glaubt.
Der herannahende 1. April mahnt mich an Ihren
Geburtstag, und ich ergreife gern diese Gelegenheit, einige
Zeilen an Sie zu richten. Zunächst meinen herzlichen
Glückwunsch. Mögen Leben und Kunst Ihnen im neuen
Jahre Erfreuliches und Gedeihliches bringen! Ab und zu lese
ich in amerikanischen Blättern von Ihren Konzerten. Wenn
dieser Brief Sie erreicht, wird Ihre Tournee wohl schon so
ziemlich zu Ende gekommen sein, und die Frage der
Rückkehr nach Europa wird Sie zweifellos stark beschäftigen.Busoni war am 5. Januar 1915 für eine Konzertreise durch Amerika nach New York aufgebrochen. Aufgrund des Krieges in Europa und der unklaren Bündnislage war die Rückkehr nach Berlin für Busoni als Italiener zunächst nicht möglich, sodass er sich im Herbst 1915 vorläufig in Zürich niederließ (vgl. Riethmüller/Weindel/Shin 2000, Sp. 1381 f.).
Ob Sie in New York ein richtiges Bild von der Lage erhalten
werden, ist nicht so sicher, und daher wird es Ihnen vielleicht
nicht uninteressant sein, zu erfahren, was man hier glaubt.
Vor einigen Wochen war man hier sehr nervös, als in Italien
alles zum Losbrechen bereit schien. Indessen hat die kluge,
überlegte Haltung von Griechenland und der Misserfolg der
Engländer und Franzosen bei den Dardanellen die Neutralen
doch etwas zur Vernunft gebracht.Am 18. März 1915, dem Beginn der Schlacht von Gallipoli, erlitten die Engländer und die Franzosen bei einer Seeoffensive eine schwere Niederlage. Als sie versuchten, sich den Weg durch die osmanischen Dardanellen freizumachen, um schließlich Konstantinopel zu erobern bzw. Zugang zum Schwarzen Meer zu gewinnen, gerieten sie in Seeminen der osmanischen Flotte. In Griechenland nahm man den Kriegseintritt der Türkei und den Angriff auf die Meerengen zum Anlass, über den eigenen Kriegseintritt zu diskutieren und die griechischen Expansionspläne umzusetzen. Die royalistische Regierung lehnte dieses Vorhaben jedoch ab, sodass Griechenland erst 1917 in den Krieg eintrat und damit seine Neutralität aufgab.
Die Krise scheint überwunden zu sein, von Italien hört man sehr wenig, und
man glaubt, dass alles beim Alten bleiben wird.Keine zwei Monate später, am 23. Mai 1915, trat Italien gegen Österreich-Ungarn in den Krieg ein. Wiewohl damit de facto auf Seiten der Entente zugleich Gegner aller Mittelmächte, erklärte Italien gegenüber dem Deutschen Reich formell erst am 28. August 1916 den Krieg.
Die Lage
in Deutschland hat sich nicht wesentlich verändert. Noch immer
lebt man in Berlin angenehm und ohne eigentliche
Entbehrungen, wennschon man mit Mehl und Brot sparsam
wirtschaften muss. Seit dem ungeheuren Erfolg Hindenburgs
im Februar, als die Russen eine Armee von 200.000 Mann
verloren (darunter mehr als die Hälfte gefangen),Die Winterschlacht in Masuren vom 7. bis 22. Februar 1915 forderte 200.000 Opfer auf russischer Seite, darunter 90.000 Gefangene (vgl. Tucker 1998, S. 74f.).
hat sich
die Waage noch entschiedener zu Gunsten Deutschlands
geneigt. Man weiß, dass noch schwere Kämpfe und Opfer
bevorstehen, ist aber von einer erstaunlichen Gelassenheit.
Ich bin der Ansicht, dass Sie nirgends in Europa ruhiger
und sicherer leben werden als in Berlin, und sehe
keinen Grund, warum Sie nicht hierher kommen sollten,
wenn Sie überhaupt nach Europa kommen wollen.
Bei Schirmers kommt jetzt eine neue Vierteljahrsschrift heraus.
Ich habe schon eine größere Studie dafür geschrieben: The renaissance attitude towards music, die im Juli erscheinen
soll.Der Aufsatz erschien im Oktober 1915.
Für den kommenden Winter habe ich mir einen umfassenden
Essay über Ihre Kompositionen vorgenommen, eine Gesamtübersicht Ihres Lebenswerkes, wie es sich mir darstellt:Gemeint ist der im Januar 1917 erschienene Artikel Ferruccio Busoni as a Composer (vgl. Beaumont 1987, S. 210f.).
immer vorausgesetztnatürlich, dass Ihnen dies willkommen
ist und dass auch Schirmers und der Redakteur Sonneck
zustimmen. Von mir selbst habe ich nicht viel mitzuteilen.
Ich erwarte im Mai die Einberufung zum Militärdienst.Hugo Leichtentritt wurde in seinen Zwanzigern aufgrund seiner Größe und wegen mangelnder Fitness vom Militärdienst befreit. 1915 folgte die unerwartete Vorladung zur erneuten Musterung, bei der er als „dauernd untauglich“ eingestuft wurde. Am 2. Januar 1917 wurde Leichtentritt schließlich doch zum Wehrdienst einberufen, nachdem er aufgrund der vielen Verluste im Krieg nach einer dritten Musterung als „kriegsverwendungsfähig“ galt (vgl. Leichtentritt/DeVoto 2014, S. 351).
Ich arbeite mancherlei, ohne indessen zur rechten Sammlung
zu kommen, wegen vieler und starker seelischer Aufregungen.
Indes hoffe ich auf den Frühling, der mir immer wie
ein Labsal, ein Geschenk des Himmels erscheint und mir
Welt und Leben in neuem Licht erstrahlen lässt.
Ihnen und Ihren Angehörigen geht es hoffentlich gut.
Ich begrüße Sie alle herzlichst und drücke die Hoffnung aus
auf baldiges Wiedersehen.
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</addrLine></address><datewhen-iso="1915-03-26"><choice><abbr>d.</abbr><expan>den</expan></choice> 26. M<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>rz 1915.
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<lb/>werden, ist nicht so sicher, und daher wird es Ihnen vielleicht
<lb/>nicht uninteressant sein, zu erfahren, was man hier glaubt.</p></div>
2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
2XML
Vor einigen Wochen war man hier sehr nervös, als in Italien alles zum Losbrechen bereit schien. Indessen hat die kluge,
überlegte Haltung von Griechenland und der Mißerfolg der
Engländer und Franzosen bei den Dardanellen die Neutralen
doch etwas zur Vernunft gebracht.Am 18. März 1915, dem Beginn der Schlacht von Gallipoli, erlitten die Engländer und die Franzosen bei einer Seeoffensive eine schwere Niederlage. Als sie versuchten, sich den Weg durch die osmanischen Dardanellen freizumachen, um schließlich Konstantinopel zu erobern bzw. Zugang zum Schwarzen Meer zu gewinnen, gerieten sie in Seeminen der osmanischen Flotte. In Griechenland nahm man den Kriegseintritt der Türkei und den Angriff auf die Meerengen zum Anlass, über den eigenen Kriegseintritt zu diskutieren und die griechischen Expansionspläne umzusetzen. Die royalistische Regierung lehnte dieses Vorhaben jedoch ab, sodass Griechenland erst 1917 in den Krieg eintrat und damit seine Neutralität aufgab.
Die Krise scheint über⸗ wunden zu sein, von Italien hört man sehr wenig, und
man glaubt, daß alles beim Alten bleiben wird.Keine zwei Monate später, am 23. Mai 1915, trat Italien gegen Österreich-Ungarn in den Krieg ein. Wiewohl damit de facto auf Seiten der Entente zugleich Gegner aller Mittelmächte, erklärte Italien gegenüber dem Deutschen Reich formell erst am 28. August 1916 den Krieg.
Die Lage
in Deutschland hat sich nicht wesentlich verändert. Noch immer
lebt man in Berlin angenehm und ohne eigentliche
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin Entbehrungen, wennschon man mit Mehl und Brot sparsam
wirtschaften muß. Seit dem ungeheuren Erfolg Hindenburg’s im Februar, als die Russen eine Armee von 200000 Mann
verloren (darunter mehr als die Hälfte gefangen)Die Winterschlacht in Masuren vom 7. bis 22. Februar 1915 forderte 200.000 Opfer auf russischer Seite, darunter 90.000 Gefangene (vgl. Tucker 1998, S. 74f.).
hat sich
die Wage noch entschiedener zu Gunsten Deutschlands geneigt. Man weiß, daß noch schwere Kämpfe und Opfer
bevorstehen, ist aber von einer erstaunlichen Gelassenheit.
Ich bin der Ansicht, daß Sie nirgends in Europa ruhiger
und sicherer leben werden, als in Berlin, und sehe
<divxmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0"type="split"><ptype="pre-split"rend="indent-first">Vor einigen Wochen war man hier sehr nervös, als in <placeNamekey="E0500013">Italien</placeName><lb/>alles zum Losbrechen bereit schien. Indessen hat die kluge,
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Die Lage
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3Faksimile
3Diplomatische Umschrift
3XML
[2]
keinen Grund, warum Sie nicht hierher kommen sollten,
wenn Sie überhaupt nach Europa kommen wollen.
Bei Schirmer’s kommt jetzt eine neue Vierteljahrsschrift heraus.
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größere Studie dafür geschrieben: The re- naissance attitude towards music, die im Juli erscheinen
soll.Der Aufsatz erschien im Oktober 1915.
Für den kommenden Winter habe ich mir einen umfassend[…]mindestens 1 Zeichen: überschrieben.
en
Essay über Ihre Kompositionen vorgenommen, eine Gesamt⸗ übersicht Ihres Lebenswerkes, wie es sich mir darstellt:Gemeint ist der im Januar 1917 erschienene Artikel Ferruccio Busoni as a Composer (vgl. Beaumont 1987, S. 210f.). immer vorausgesetzt, natürlich, daß Ihnen dies willkommen
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin ist, und daß auch Schirmer’s und der Redakteur Sonneck zustimmen. Von mir selbst habe ich nicht viel mitzuteilen.
Ich erwarte im Mai die Einberufung zum Militärdienst.Hugo Leichtentritt wurde in seinen Zwanzigern aufgrund seiner Größe und wegen mangelnder Fitness vom Militärdienst befreit. 1915 folgte die unerwartete Vorladung zur erneuten Musterung, bei der er als „dauernd untauglich“ eingestuft wurde. Am 2. Januar 1917 wurde Leichtentritt schließlich doch zum Wehrdienst einberufen, nachdem er aufgrund der vielen Verluste im Krieg nach einer dritten Musterung als „kriegsverwendungsfähig“ galt (vgl. Leichtentritt/DeVoto 2014, S. 351). Ich arbeite mancherlei, ohne indessen zur rechten Sammlung
zu kommen, wegen vieler und starker seelischer Aufregungen.
Indes hoffe ich auf den Frühling, der mir immer wie
ein Labsal, ein Geschenk des Himmels erscheint und mir
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<lb/>Staatsbibliothek
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Ich begrüße Sie alle herzlichst und drücke die Hoffnung aus
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Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2765 | olim:
Mus.ep. H. Leichtentritt 8 (Busoni-Nachl. B II)
|
Brief von Hugo Leichtentritt an Ferruccio Busoni (Berlin, 26. März 1915), bearbeitet von Juliane Imme, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Hugo Leichtentritt, hrsg. von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, : Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0101501 (14. November 2020: zur Freigabe vorgeschlagen)
Download der bereinigten Lesefassung im PDF-Dateiformat (.pdf)
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<TEIxmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0"xml:id="D0101501"><teiHeader><fileDesc><titleStmt><titlexml:lang="de">Brief von Hugo Leichtentritt an Ferruccio Busoni (Berlin, 26. 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F. Busoni B II, 2765</idno><altIdentifier><idnotype="D-B.olim">Mus.ep. H. Leichtentritt 8 (Busoni-Nachl. B II)</idno></altIdentifier><altIdentifier><institution>Kalliope-Verbund</institution><idno>DE-611-HS-639443</idno></altIdentifier></msIdentifier><msContents><summary><persNamekey="E0300093">Leichtentritt</persName> gratuliert <persNamekey="E0300017">Busoni</persName> zum Geburtstag; schildert die Lage in <placeNamekey="E0500943">Europa</placeName> und ermutigt <persNamekey="E0300017">Busoni</persName>, nach <placeNamekey="E0500029">Berlin</placeName> zurückzukehren; kündigt neuen <rskey="E0800294">Aufsatz</rs> über <persNamekey="E0300017">Busonis</persName> Lebenswerk an.</summary><msItem><docDate><datewhen-iso="1915-03-26"/></docDate><incipit>Der herannahende <datewhen-iso="1915-04-01"><choice><orig>erste</orig><reg>1.</reg></choice> April</date> mahnt mich</incipit></msItem></msContents><physDesc><objectDesc><supportDesc><extent><measuretype="folio">1 Bogen</measure><measuretype="pages">4 beschriebene Seiten</measure></extent><foliationresp="#archive_fol">Foliierung durch das Archiv, mit Bleistift oben rechts auf den Vorderseiten.</foliation><condition>Der Brief ist gut erhalten, ohne Briefumschlag.</condition></supportDesc></objectDesc><handDesc><handNotexml:id="major_hand"scope="major"medium="black_ink"scribe="author"scribeRef="#E0300093">Hand des Absenders Hugo Leichtentritt, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift.</handNote><handNotexml:id="archive_sig"scope="minor"medium="pencil"scribe="archivist">Hand des Archivars, der die Signaturen mit Beistift eingetragen hat.</handNote><handNotexml:id="archive_fol"scope="minor"medium="pencil"scribe="archivist">Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat.</handNote><handNotexml:id="archive_red"scope="minor"medium="red_pen"scribe="archivist">Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift eingetragen hat.</handNote><handNotexml:id="dsb_st_red"scope="minor"medium="red_ink"scribe="archivist">Bibliotheksstempel (rote Tinte)</handNote><handNotexml:id="sbb_st_blue"scope="minor"medium="blue_ink"scribe="archivist">Bibliotheksstempel (blaue Tinte)</handNote><handNotexml:id="unknown_hand"scope="minor"medium="red_pen"scribe="unknown">Unbekannte Hand, die auf der letzten Briefseite eine Skizze mit Rotstift gezeichnet hat.</handNote></handDesc></physDesc><history><origin><origPlacekey="E0500029">Berlin</origPlace><origDatewhen-iso="1915-03-26"/></origin></history></msDesc></sourceDesc></fileDesc><encodingDesc><projectDesc><p>Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.</p></projectDesc><editorialDecl><hyphenationeol="hard"rend="dh"><p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit Doppelbindestrichen (⸗).</p></hyphenation><punctuationmarks="all"placement="external"><p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p></punctuation><quotationmarks="none"><p>Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut <att>rend</att> der entsprechenden Elemente codiert.</p></quotation><p>Die Übertragung folgt den Editionsrichtlinien des Projekts. <ptrtarget="http://www.busoni-nachlass.org/E1000003"/></p></editorialDecl></encodingDesc><profileDesc><correspDescref="http://www.busoni-nachlass.org/D0101501"><correspActiontype="sent"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/116878363"key="E0300093">Leichtentritt, Hugo</persName><datewhen="1915-03-26"/><placeNameref="http://www.geonames.org/2950159"key="E0500029">Berlin</placeName></correspAction><correspActiontype="received"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118518011"key="E0300017">Busoni, Ferruccio</persName></correspAction><correspContext><reftype="previous"target="#D0101548"/><reftype="next"target="#D0101536"/></correspContext></correspDesc><langUsage><languageident="de"/></langUsage></profileDesc><revisionDescstatus="candidate"><changewhen-iso="2020-02-21"who="#E0300327">Erstellung der Datei und erstmalige Bearbeitung; status="unfinished".</change><changewhen-iso="2020-09-24"who="#E0300327">Kommentierung abgeschlossen; status="proposed".</change><changewhen-iso="2020-11-14"who="#E0300314">Durchsicht abgeschlossen; status="candidate"</change></revisionDesc></teiHeader><facsimile><graphicn="1"url="#local"/><graphicn="2"url="#local"/><graphicn="3"url="#local"/><graphicn="4"url="#local"/></facsimile><texttype="letter"><body><divtype="transcription"><pbn="1"/><notetype="shelfmark"place="top-left"resp="#archive_sig"><subst><delrend="strikethrough">Mus.ep. H. Leichtentritt 8 (Busoni-Nachl. <handShiftnew="#archive_red"/>B II<handShiftnew="#archive_sig"/>)</del><addplace="below">Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2765</add></subst></note><notetype="foliation"place="top-right"resp="#archive_fol"rend="space-below">[1]</note><opener><datelinerend="space-above right align(center) latin"><address><addrLine><placeNamekey="E0500634">Berlin W.<reg>,</reg> Winterfeld<choice><orig> S</orig><reg>ts</reg></choice>tr. 25<hirend="sup underline2">a</hi></placeName>.
</addrLine></address><datewhen-iso="1915-03-26"><choice><abbr>d.</abbr><expan>den</expan></choice> 26. M<choice><orig>ae</orig><reg>ä</reg></choice>rz 1915.
</date></dateline><saluterend="indent">Sehr verehrter Meister <persNamekey="E0300017"rend="latin">Busoni</persName>!</salute></opener><prend="indent-first">
Der herannahende <datewhen-iso="1915-04-01"><choice><orig>erste</orig><reg>1.</reg></choice> April</date> mahnt mich an Ihren
<lb/>Geburtstag, und ich ergreife gern diese Gelegenheit, einige
<lb/>Zeilen an Sie zu richten. Zunächst meinen herzlichen
<lb/>Glückwunsch. Mögen Leben und Kunst Ihnen im neuen
<lb/>Jahre Erfreuliches und Gedeihliches bringen! Ab und zu lese
<lb/>ich in <placeNamekey="E0500942">amerikanischen</placeName> Blättern von Ihren Konzerten. Wenn
<lb/>dieser Brief Sie erreicht, <delrend="strikethrough">so</del> wird Ihre Tourn<choice><orig>é</orig><reg>e</reg></choice>e wohl schon so
<lb/>ziemlich zu Ende gekommen sein, und die Frage der
<lb/>Rückkehr nach <placeNamekey="E0500943">Europa</placeName> wird Sie zweifellos stark beschäftigen.
<notetype="commentary"resp="#E0300327"><persNamekey="E0300017">Busoni</persName> war am <datewhen-iso="1915-01-05">5. Januar 1915</date> für eine Konzertreise durch <placeNamekey="E0500942">Amerika</placeName> nach <placeNamekey="E0500031">New York</placeName> aufgebrochen. Aufgrund des Krieges in <placeNamekey="E0500943">Europa</placeName> und der unklaren Bündnislage war die Rückkehr nach <placeNamekey="E0500029">Berlin</placeName> für <persNamekey="E0300017">Busoni</persName> als Italiener zunächst nicht möglich, sodass er sich im Herbst <datewhen-iso="1915">1915</date> vorläufig in <placeNamekey="E0500132">Zürich</placeName> niederließ (vgl. <bibl><reftarget="#E0800012"/>, Sp. 1381 f.</bibl>).</note><lb/>Ob Sie in <placeNamekey="E0500031"rend="latin">New York</placeName> ein richtiges Bild von der Lage erhalten
<lb/>werden, ist nicht so sicher, und daher wird es Ihnen vielleicht
<lb/>nicht uninteressant sein, zu erfahren, was man hier glaubt.</p><pbn="2"/><prend="indent-first">Vor einigen Wochen war man hier sehr nervös, als in <placeNamekey="E0500013">Italien</placeName><lb/>alles zum Losbrechen bereit schien. Indessen hat die kluge,
<lb/>überlegte Haltung von <placeNamekey="E0500635">Griechenland</placeName> und der Mi<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>erfolg der
<lb/>Engländer und Franzosen bei den <placeNamekey="E0500636">Dardanellen</placeName> die Neutralen
<lb/>doch etwas zur Vernunft gebracht.
<notetype="commentary"resp="#E0300327">Am <datewhen-iso="1915-03-18">18. März 1915</date>, dem Beginn der Schlacht von <placeNamekey="E0500653">Gallipoli</placeName>, erlitten die Engländer und die Franzosen bei einer Seeoffensive eine schwere Niederlage. Als sie versuchten, sich den Weg durch die osmanischen <placeNamekey="E0500636">Dardanellen</placeName> freizumachen, um schließlich <placeNamekey="E0500618">Konstantinopel</placeName> zu erobern bzw. Zugang zum Schwarzen Meer zu gewinnen, gerieten sie in Seeminen der osmanischen Flotte. In <placeNamekey="E0500635">Griechenland</placeName> nahm man den Kriegseintritt der Türkei und den Angriff auf die Meerengen zum Anlass, über den eigenen Kriegseintritt zu diskutieren und die griechischen Expansionspläne umzusetzen. Die royalistische Regierung lehnte dieses Vorhaben jedoch ab, sodass <placeNamekey="E0500635">Griechenland</placeName> erst <datewhen-iso="1917">1917</date> in den Krieg eintrat und damit seine Neutralität aufgab.</note>
Die Krise scheint über
<lbbreak="no"/>wunden zu sein, von <placeNamekey="E0500013">Italien</placeName> hört man sehr wenig, und
<lb/>man glaubt, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> alles beim Alten bleiben wird.
<notetype="commentary"resp="#E0300314">Keine zwei Monate später, am <datewhen-iso="1915-05-23">23. Mai 1915</date>, trat <placeNamekey="E0500013">Italien</placeName> gegen <placeNamekey="E0500515">Österreich-Ungarn</placeName> in den Krieg ein. Wiewohl damit de facto auf Seiten der Entente zugleich Gegner aller Mittelmächte, erklärte <placeNamekey="E0500013">Italien</placeName> gegenüber dem <placeNamekey="E0500015">Deutschen Reich</placeName> formell erst am <datewhen-iso="1916-08-28">28. August 1916</date> den Krieg.</note>
Die Lage
<lb/>in <placeNamekey="E0500015">Deutschland</placeName> hat sich nicht wesentlich verändert. Noch immer
<lb/>lebt man in <placeNamekey="E0500029"rend="latin">Berlin</placeName> angenehm und ohne eigentliche
<notetype="stamp"place="margin-right"resp="#dsb_st_red"><stampxml:id="dsb_p2"rend="round border align(center) small rotate(90)">
Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeNamekey="E0500029"><hirend="spaced-out">Berlin</hi></placeName></stamp></note><lb/>Entbehrungen, wennschon man mit Mehl und Brot sparsam
<lb/>wirtschaften mu<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>. Seit dem ungeheuren Erfolg <persNamekey="E0300562"rend="latin">Hindenburg<orig>’</orig>s</persName><lb/>im <datefrom-iso="1915-02"rend="latin">Februar</date>, als die Russen eine Armee von 200<reg>.</reg>000 Mann
<lb/>verloren (darunter mehr als die Hälfte gefangen)<reg>,</reg><notetype="commentary"resp="#E0300327">Die Winterschlacht in <placeNamekey="E0500029">Masuren</placeName> vom <datefrom-iso="1915-02-07"to-iso="1915-02-22">7. bis 22. Februar 1915</date> forderte 200.000 Opfer auf russischer Seite, darunter 90.000 Gefangene (vgl. <bibl><reftarget="#E0800292"/>, S. 74f.</bibl>).</note>
hat sich
<lb/>die Wa<reg>a</reg>ge noch entschiedener zu Gunsten <placeNamekey="E0500015">Deutschlands</placeName><lb/>geneigt. Man weiß, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> noch schwere Kämpfe und Opfer
<lb/>bevorstehen, ist aber von einer erstaunlichen Gelassenheit.
<lb/>Ich bin der Ansicht, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> Sie nirgends in <placeNamekey="E0500943">Europa</placeName> ruhiger
<lb/>und sicherer leben werden<orig>,</orig> als in <placeNamekey="E0500029"rend="latin">Berlin</placeName>, und sehe
<pbn="3"/><notetype="foliation"place="top-right"resp="#archive_fol">[2]</note>
keinen Grund, warum Sie nicht hierher kommen sollten,
<lb/>wenn Sie überhaupt nach <placeNamekey="E0500943">Europa</placeName> kommen wollen.
</p><prend="indent-first">Bei <orgNamekey="E0600129"rend="latin">Schirmer<orig>’</orig>s</orgName> kommt jetzt eine neue <rskey="E0600154">Vierteljahrsschrift</rs> heraus.
<lb/>Ich habe schon ein<addplace="inline">e</add><subst><delrend="overwritten"><gapextent="1"unit="char"reason="overwritten"/></del><addplace="across">g</add></subst>rößere Studie dafür geschrieben: <titlekey="E0800293"rend="latin"xml:lang="en">The re
<lbbreak="no"rend="sh"/>naissance attitude towards music</title>, die im <datewhen-iso="1915-07">Juli</date> erscheinen
<lb/>soll.
<notetype="commentary"resp="#E0300327">Der <bibl><reftarget="#E0800293">Aufsatz</ref></bibl> erschien im <datewhen-iso="1915-10">Oktober 1915</date>.</note>
Für den <addplace="above">kommenden</add> Winter habe ich mir eine<addplace="inline">n</add> umfassend<subst><delrend="overwritten"><gapatLeast="1"unit="char"reason="overwritten"/></del><addplace="across">en</add></subst><lb/><rskey="E0800294">Essay</rs> über Ihre Kompositionen vorgenommen, eine Gesamt
<lbbreak="no"/>übersicht Ihres Lebenswerkes, wie es sich mir darstellt:
<notetype="commentary"resp="#E0300327">Gemeint ist der im <datewhen-iso="1917-01">Januar 1917</date> erschienene Artikel <bibl><reftarget="#E0800294">Ferruccio Busoni as a Composer</ref></bibl> (vgl. <bibl><reftarget="#E0800060"/>, S. 210f.</bibl>).</note><lb/>immer vorausgesetzt<subst><delrend="transformed">, </del><addplace="transformed">n</add></subst>atürlich, da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> Ihnen dies willkommen
<notetype="stamp"place="margin-left"resp="#dsb_st_red"><stampsameAs="#dsb_p2"rend="round border align(center) small rotate(90)">
Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeNamekey="E0500029"><hirend="spaced-out">Berlin</hi></placeName></stamp></note><lb/>ist<orig>,</orig> und da<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> auch <orgNamekey="E0600129"rend="latin">Schirmer<orig>’</orig>s</orgName> und der Redakteur <persNamekey="E0300563"rend="latin">Sonneck</persName><lb/>zustimmen. Von mir selbst habe ich nicht viel mitzuteilen.
<lb/>Ich erwarte im <datewhen-iso="1915-05">Mai</date> die Einberufung zum Militärdienst.
<notetype="commentary"resp="#E0300327"><persNamekey="E0300093">Hugo Leichtentritt</persName> wurde in seinen Zwanzigern aufgrund seiner Größe und wegen mangelnder Fitness vom Militärdienst befreit. <datewhen-iso="1915">1915</date> folgte die unerwartete Vorladung zur erneuten Musterung, bei der er als <q>dauernd untauglich</q> eingestuft wurde. Am <datewhen-iso="1917-01-02">2. Januar 1917</date> wurde <persNamekey="E0300093">Leichtentritt</persName> schließlich doch zum Wehrdienst einberufen, nachdem er aufgrund der vielen Verluste im Krieg nach einer dritten Musterung als <q>kriegsverwendungsfähig</q> galt (vgl. <bibl><reftarget="#E0800277"/>, S. 351</bibl>).</note><lb/>Ich arbeite mancherlei, ohne indessen zur rechten Sammlung
<lb/>zu kommen, wegen vieler und starker seelischer Aufregungen.
<lb/>Indes hoffe ich auf den Frühling, der mir immer wie
<lb/>ein Labsal, ein Geschenk des Himmels erscheint und mir
<lb/>Welt und Leben in neuem Licht erstrahlen lä<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>t.
<lb/>Ihnen und Ihren Angehörigen geht es hoffentlich gut<choice><sic>,</sic><corr>.</corr></choice><pbn="4"/>
Ich begrüße Sie alle herzlichst und drücke die Hoffnung aus
<lb/>auf baldiges Wiedersehen.
</p><closerrend="align(center)">
Ihr sehr ergebener
<lb/><signedrend="latin"><persNamekey="E0300093">H. Leichtentritt</persName>.</signed></closer><notetype="stamp"place="bottom-center"resp="#sbb_st_blue"><stamp>Nachlaß Busoni</stamp></note></div></body></text></TEI>