Hugo Leichtentritt an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Berlin · 26. März 1915

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Diplomatische Umschrift
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Mus.ep. H. Leichtentritt 8 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2765
[1]
Berlin W. Winterfeld Str. 25a.
d. 26. Maerz 1915.

Sehr verehrter Meister Busoni!

Der herannahende erste April mahnt mich an Ihren
Geburtstag, und ich ergreife gern diese Gelegenheit, einige
Zeilen an Sie zu richten. Zunächst meinen herzlichen
Glückwunsch. Mögen Leben und Kunst Ihnen im neuen
Jahre Erfreuliches und Gedeihliches bringen! Ab und zu lese
ich in amerikanischen Blättern von Ihren Konzerten. Wenn
dieser Brief Sie erreicht, so wird Ihre Tournée wohl schon so
ziemlich zu Ende gekommen sein, und die Frage der
Rückkehr nach Europa wird Sie zweifellos stark beschäftigen. Busoni war am 5. Januar 1915 für eine Konzertreise durch Amerika nach New York aufgebrochen. Aufgrund des Krieges in Europa und der unklaren Bündnislage war die Rückkehr nach Berlin für Busoni als Italiener zunächst nicht möglich, sodass er sich im Herbst 1915 vorläufig in Zürich niederließ (vgl. Riethmüller/Weindel/Shin 2000, Sp. 1381 f.).
Ob Sie in New York ein richtiges Bild von der Lage erhalten
werden, ist nicht so sicher, und daher wird es Ihnen vielleicht
nicht uninteressant sein, zu erfahren, was man hier glaubt.

Berlin W., Winterfeldtstr. 25a.
den 26. März 1915.

Sehr verehrter Meister Busoni!

Der herannahende 1. April mahnt mich an Ihren Geburtstag, und ich ergreife gern diese Gelegenheit, einige Zeilen an Sie zu richten. Zunächst meinen herzlichen Glückwunsch. Mögen Leben und Kunst Ihnen im neuen Jahre Erfreuliches und Gedeihliches bringen! Ab und zu lese ich in amerikanischen Blättern von Ihren Konzerten. Wenn dieser Brief Sie erreicht, wird Ihre Tournee wohl schon so ziemlich zu Ende gekommen sein, und die Frage der Rückkehr nach Europa wird Sie zweifellos stark beschäftigen. Busoni war am 5. Januar 1915 für eine Konzertreise durch Amerika nach New York aufgebrochen. Aufgrund des Krieges in Europa und der unklaren Bündnislage war die Rückkehr nach Berlin für Busoni als Italiener zunächst nicht möglich, sodass er sich im Herbst 1915 vorläufig in Zürich niederließ (vgl. Riethmüller/Weindel/Shin 2000, Sp. 1381 f.). Ob Sie in New York ein richtiges Bild von der Lage erhalten werden, ist nicht so sicher, und daher wird es Ihnen vielleicht nicht uninteressant sein, zu erfahren, was man hier glaubt.

Vor einigen Wochen war man hier sehr nervös, als in Italien alles zum Losbrechen bereit schien. Indessen hat die kluge, überlegte Haltung von Griechenland und der Misserfolg der Engländer und Franzosen bei den Dardanellen die Neutralen doch etwas zur Vernunft gebracht. Am 18. März 1915, dem Beginn der Schlacht von Gallipoli, erlitten die Engländer und die Franzosen bei einer Seeoffensive eine schwere Niederlage. Als sie versuchten, sich den Weg durch die osmanischen Dardanellen freizumachen, um schließlich Konstantinopel zu erobern bzw. Zugang zum Schwarzen Meer zu gewinnen, gerieten sie in Seeminen der osmanischen Flotte. In Griechenland nahm man den Kriegseintritt der Türkei und den Angriff auf die Meerengen zum Anlass, über den eigenen Kriegseintritt zu diskutieren und die griechischen Expansionspläne umzusetzen. Die royalistische Regierung lehnte dieses Vorhaben jedoch ab, sodass Griechenland erst 1917 in den Krieg eintrat und damit seine Neutralität aufgab. Die Krise scheint überwunden zu sein, von Italien hört man sehr wenig, und man glaubt, dass alles beim Alten bleiben wird. Keine zwei Monate später, am 23. Mai 1915, trat Italien gegen Österreich-Ungarn in den Krieg ein. Wiewohl damit de facto auf Seiten der Entente zugleich Gegner aller Mittelmächte, erklärte Italien gegenüber dem Deutschen Reich formell erst am 28. August 1916 den Krieg. Die Lage in Deutschland hat sich nicht wesentlich verändert. Noch immer lebt man in Berlin angenehm und ohne eigentliche Entbehrungen, wennschon man mit Mehl und Brot sparsam wirtschaften muss. Seit dem ungeheuren Erfolg Hindenburgs im Februar, als die Russen eine Armee von 200.000 Mann verloren (darunter mehr als die Hälfte gefangen), Die Winterschlacht in Masuren vom 7. bis 22. Februar 1915 forderte 200.000 Opfer auf russischer Seite, darunter 90.000 Gefangene (vgl. Tucker 1998, S. 74f.). hat sich die Waage noch entschiedener zu Gunsten Deutschlands geneigt. Man weiß, dass noch schwere Kämpfe und Opfer bevorstehen, ist aber von einer erstaunlichen Gelassenheit. Ich bin der Ansicht, dass Sie nirgends in Europa ruhiger und sicherer leben werden als in Berlin, und sehe keinen Grund, warum Sie nicht hierher kommen sollten, wenn Sie überhaupt nach Europa kommen wollen.

Bei Schirmers kommt jetzt eine neue Vierteljahrsschrift heraus. Ich habe schon eine größere Studie dafür geschrieben: The renaissance attitude towards music, die im Juli erscheinen soll. Der Aufsatz erschien im Oktober 1915. Für den kommenden Winter habe ich mir einen umfassenden Essay über Ihre Kompositionen vorgenommen, eine Gesamtübersicht Ihres Lebenswerkes, wie es sich mir darstellt: Gemeint ist der im Januar 1917 erschienene Artikel Ferruccio Busoni as a Composer (vgl. Beaumont 1987, S. 210f.). immer vorausgesetztnatürlich, dass Ihnen dies willkommen ist und dass auch Schirmers und der Redakteur Sonneck zustimmen. Von mir selbst habe ich nicht viel mitzuteilen. Ich erwarte im Mai die Einberufung zum Militärdienst. Hugo Leichtentritt wurde in seinen Zwanzigern aufgrund seiner Größe und wegen mangelnder Fitness vom Militärdienst befreit. 1915 folgte die unerwartete Vorladung zur erneuten Musterung, bei der er als „dauernd untauglich“ eingestuft wurde. Am 2. Januar 1917 wurde Leichtentritt schließlich doch zum Wehrdienst einberufen, nachdem er aufgrund der vielen Verluste im Krieg nach einer dritten Musterung als „kriegsverwendungsfähig“ galt (vgl. Leichtentritt/DeVoto 2014, S. 351). Ich arbeite mancherlei, ohne indessen zur rechten Sammlung zu kommen, wegen vieler und starker seelischer Aufregungen. Indes hoffe ich auf den Frühling, der mir immer wie ein Labsal, ein Geschenk des Himmels erscheint und mir Welt und Leben in neuem Licht erstrahlen lässt. Ihnen und Ihren Angehörigen geht es hoffentlich gut. Ich begrüße Sie alle herzlichst und drücke die Hoffnung aus auf baldiges Wiedersehen.

Ihr sehr ergebener

H. Leichtentritt.

                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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Vor einigen Wochen war man hier sehr nervös, als in Italien
alles zum Losbrechen bereit schien. Indessen hat die kluge,
überlegte Haltung von Griechenland und der Mißerfolg der
Engländer und Franzosen bei den Dardanellen die Neutralen
doch etwas zur Vernunft gebracht. Am 18. März 1915, dem Beginn der Schlacht von Gallipoli, erlitten die Engländer und die Franzosen bei einer Seeoffensive eine schwere Niederlage. Als sie versuchten, sich den Weg durch die osmanischen Dardanellen freizumachen, um schließlich Konstantinopel zu erobern bzw. Zugang zum Schwarzen Meer zu gewinnen, gerieten sie in Seeminen der osmanischen Flotte. In Griechenland nahm man den Kriegseintritt der Türkei und den Angriff auf die Meerengen zum Anlass, über den eigenen Kriegseintritt zu diskutieren und die griechischen Expansionspläne umzusetzen. Die royalistische Regierung lehnte dieses Vorhaben jedoch ab, sodass Griechenland erst 1917 in den Krieg eintrat und damit seine Neutralität aufgab. Die Krise scheint über⸗
wunden zu sein, von Italien hört man sehr wenig, und
man glaubt, daß alles beim Alten bleiben wird. Keine zwei Monate später, am 23. Mai 1915, trat Italien gegen Österreich-Ungarn in den Krieg ein. Wiewohl damit de facto auf Seiten der Entente zugleich Gegner aller Mittelmächte, erklärte Italien gegenüber dem Deutschen Reich formell erst am 28. August 1916 den Krieg. Die Lage
in Deutschland hat sich nicht wesentlich verändert. Noch immer
lebt man in Berlin angenehm und ohne eigentliche Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Entbehrungen, wennschon man mit Mehl und Brot sparsam
wirtschaften muß. Seit dem ungeheuren Erfolg Hindenburg’s
im Februar, als die Russen eine Armee von 200000 Mann
verloren (darunter mehr als die Hälfte gefangen) Die Winterschlacht in Masuren vom 7. bis 22. Februar 1915 forderte 200.000 Opfer auf russischer Seite, darunter 90.000 Gefangene (vgl. Tucker 1998, S. 74f.). hat sich
die Wage noch entschiedener zu Gunsten Deutschlands
geneigt. Man weiß, daß noch schwere Kämpfe und Opfer
bevorstehen, ist aber von einer erstaunlichen Gelassenheit.
Ich bin der Ansicht, daß Sie nirgends in Europa ruhiger
und sicherer leben werden, als in Berlin, und sehe

                                                                
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[2] keinen Grund, warum Sie nicht hierher kommen sollten,
wenn Sie überhaupt nach Europa kommen wollen.

Bei Schirmer’s kommt jetzt eine neue Vierteljahrsschrift heraus.
Ich habe schon eine […] 1 Zeichen: überschrieben. größere Studie dafür geschrieben: The re-
naissance attitude towards music
, die im Juli erscheinen
soll. Der Aufsatz erschien im Oktober 1915. Für den kommenden Winter habe ich mir einen umfassend[…] mindestens 1 Zeichen: überschrieben. en
Essay über Ihre Kompositionen vorgenommen, eine Gesamt⸗
übersicht Ihres Lebenswerkes, wie es sich mir darstellt: Gemeint ist der im Januar 1917 erschienene Artikel Ferruccio Busoni as a Composer (vgl. Beaumont 1987, S. 210f.).
immer vorausgesetzt, natürlich, daß Ihnen dies willkommen Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

ist, und daß auch Schirmer’s und der Redakteur Sonneck
zustimmen. Von mir selbst habe ich nicht viel mitzuteilen.
Ich erwarte im Mai die Einberufung zum Militärdienst. Hugo Leichtentritt wurde in seinen Zwanzigern aufgrund seiner Größe und wegen mangelnder Fitness vom Militärdienst befreit. 1915 folgte die unerwartete Vorladung zur erneuten Musterung, bei der er als „dauernd untauglich“ eingestuft wurde. Am 2. Januar 1917 wurde Leichtentritt schließlich doch zum Wehrdienst einberufen, nachdem er aufgrund der vielen Verluste im Krieg nach einer dritten Musterung als „kriegsverwendungsfähig“ galt (vgl. Leichtentritt/DeVoto 2014, S. 351).
Ich arbeite mancherlei, ohne indessen zur rechten Sammlung
zu kommen, wegen vieler und starker seelischer Aufregungen.
Indes hoffe ich auf den Frühling, der mir immer wie
ein Labsal, ein Geschenk des Himmels erscheint und mir
Welt und Leben in neuem Licht erstrahlen läßt.
Ihnen und Ihren Angehörigen geht es hoffentlich gut,

                                                                
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Ich begrüße Sie alle herzlichst und drücke die Hoffnung aus
auf baldiges Wiedersehen.

Ihr sehr ergebener

H. Leichtentritt.

Nachlaß Busoni
                                                                
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doneStatus: zur Freigabe vorgeschlagen XML Faksimile Download / Zitation

Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2765 | olim: Mus.ep. H. Leichtentritt 8 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten, ohne Briefumschlag.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Hugo Leichtentritt, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mit Beistift eingetragen hat.
  • Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift eingetragen hat.
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Unbekannte Hand, die auf der letzten Briefseite eine Skizze mit Rotstift gezeichnet hat.
Foliierungen
  • Foliierung durch das Archiv, mit Bleistift oben rechts auf den Vorderseiten.

Zusammenfassung
Leichtentritt gratuliert Busoni zum Geburtstag; schildert die Lage in Europa und ermutigt Busoni, nach Berlin zurückzukehren; kündigt neuen Aufsatz über Busonis Lebenswerk an.
Incipit
Der herannahende 1. April mahnt mich

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
14. November 2020: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition