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N.Mus.Depos. 56, 90 1
Lieber Jarnach,
ich danke Ihnen, dafür,
dass Sie die Improvisation
Busoni hatte zuvor zwei Zürcher Aufführungen seiner Improvisation für zwei Klaviere durch Jarnach und Ernst Lochbrunner verpasst (vgl. Brief an Jarnach, 1. Dezember 1919; Brief von Jarnach, 29. Januar 1920). Unter den geplanten Konzerten Busonis in Paris war kein Rezital für zwei Klaviere vorgesehen.
geschickt
haben. Da wir schon beim Notenleihen
sind, so bitte ich Sie, bei nächster (Ihnen
passender) Gelegenheit, die Partitur
von van Dieren an Andreae zu geben.
Um welches Werk es sich handelt, geht auch aus Busonis Briefwechsel mit Volkmar Andreae (Willimann 1994) nicht hervor. Diesen bittet Busoni, sich noch vor seiner Abreise nach London zu van Dieren als Komponist zu äußern, damit er den Kommentar – wohl an den Komponisten selbst – übermitteln könne (Brief vom 27. Mai 1920,vgl. ibid., S. 125). Gegenüber Emil Hertzka setzte sich Busoni für die Veröffentlichung zweier Werke van Dierens ein, der 6 Skizzen für Klavier sowie der (hier möglicherweise gemeinten) Carnival Ouverture für 16 Instrumente (Briefe an Hertzka vom 20. November 1919 und 5. Januar 1920, vgl. Beaumont 1987, S. 298 bzw. 303).
Ich habe versprochen, dies zu thun,
u. bin darin skrupulös. (Sie haben
sie etwa drei Monate bei sich.)
Bei Beaumont 1987 (304) ist der Briefbeginn bis hierhin ausgelassen.
Ich schrieb Ihnen
vom Hôtel aus. Nun bin ich Gast
des Hôteliers in seinem PrivatHause.
Seinen Gastgeber, den Hotelier Leonhard Tauber, kannte Busoni noch aus seiner Jugendzeit (vgl. Willimann 1994, S. 118 f.; Dent 1974, S. 246).
Was ich Ihnen schrieb, war mir
ganz impulsiv in den Kopf, und
von dort in die Feder gekommen.
Es war mehr eine allgemeine
Reflexion, als ein persönlicher
Wink.
Beaumont 1987 (262) übersetzt „Wink“ eher im wörtlichen („gesture“) als im übertragenen Sinn („hint“).
Ich hoffe, dass Sie dieses
von mir nicht als unbescheiden
empfanden.
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Lieber Jarnach,
ich danke Ihnen dafür,
dass Sie die Improvisation
Busoni hatte zuvor zwei Zürcher Aufführungen seiner Improvisation für zwei Klaviere durch Jarnach und Ernst Lochbrunner verpasst (vgl. Brief an Jarnach, 1. Dezember 1919; Brief von Jarnach, 29. Januar 1920). Unter den geplanten Konzerten Busonis in Paris war kein Rezital für zwei Klaviere vorgesehen.
geschickt
haben. Da wir schon beim Notenleihen
sind, so bitte ich Sie, bei nächster (Ihnen
passender) Gelegenheit die Partitur
von van Dieren an Andreae zu geben.
Um welches Werk es sich handelt, geht auch aus Busonis Briefwechsel mit Volkmar Andreae (Willimann 1994) nicht hervor. Diesen bittet Busoni, sich noch vor seiner Abreise nach London zu van Dieren als Komponist zu äußern, damit er den Kommentar – wohl an den Komponisten selbst – übermitteln könne (Brief vom 27. Mai 1920,vgl. ibid., S. 125). Gegenüber Emil Hertzka setzte sich Busoni für die Veröffentlichung zweier Werke van Dierens ein, der 6 Skizzen für Klavier sowie der (hier möglicherweise gemeinten) Carnival Ouverture für 16 Instrumente (Briefe an Hertzka vom 20. November 1919 und 5. Januar 1920, vgl. Beaumont 1987, S. 298 bzw. 303).
Ich habe versprochen, dies zu tun,
und bin darin skrupulös. (Sie haben
sie etwa drei Monate bei sich.)
Ich schrieb Ihnen
vom Hôtel aus. Nun bin ich Gast
des Hôteliers in seinem Privathause.
Seinen Gastgeber, den Hotelier Leonhard Tauber, kannte Busoni noch aus seiner Jugendzeit (vgl. Willimann 1994, S. 118 f.; Dent 1974, S. 246).
Was ich Ihnen schrieb, war mir
ganz impulsiv in den Kopf und
von dort in die Feder gekommen.
Es war mehr eine allgemeine
Reflexion als ein persönlicher
Wink.
Ich hoffe, dass Sie dieses
von mir nicht als unbescheiden
empfanden.
Die Kunst hat so viele
Enden, dass man von Zeit zu Zeit
auf die hingewiesen werden muss,
die auf der anderen Seite der
eigenen Betätigung und Forschung
liegen. Das gilt für alle. Darum
sollen Sie meine Bemerkung – die
ich auch zu meiner eigenen Befestigung
aufschrieb – nicht als Rechthaberei
von meiner Seite auffassen.
Nach Zürichs Sanatorium-Dasein
wirkt Paris befreiend. Der Bogen
der weit ausgreifenden Geste (so
schrieb ich an Andreae)
„Es thut mir wohl, große Verhältnisse zu sehen, im Raum und in der Verausgabung der Mittel, den Bogen der weitausgreifenden Geste, den immer übrigbleibenden Rest von Unbekanntem und Unnahbarem im Bewusstsein zu hüten, kurz: die Mystik des Unüberschaulichen um mir [sic] zu empfinden.“ (Busoni an Volkmar Andreae, Paris, 9. März 1920, zit. nach Willimann 1994, S. 118 f.).
ist mir wie
eine Heimkehr, so vertraut und
lang entbehrt. Man zählt hier
einem auch weder die Jahre an,
noch was er ausgibt, noch
ob er in Begleitung einer Dame
gesehen wird, noch ob er ein
Automobil besteigt. Ich war mit
der großen Geste erzogen und konnte mich
nie dareinfinden, dass sie etwas
Tadelnswertes sei, wie Zürcher gelten
lassen wollen.
Ich war überhaupt damit
aufgewachsen, nie sichtbar
werden zu lassen, ob ich arm
oder reich war. (Ich war arm
und galt für reich.) Nun ist
mir dieses Abrechnen auf Heller
und Pfennig, im Vermögen, im
öffentlichen und privaten Leben,
sehr verletzend. Das ist in der
Schweiz normal und selbst offiziell.
Mein erster Abend – der
auf meinen Brief an Sie folgte –
war vibrierend und erschütternd.
Ich werde ihn nie vergessen.
Nicht als Virtuose, aber als Mensch
empfand ich diese unbändige Hingabe eines fast fremden Publikums
in einer verwöhnten und geprüften
Weltstadt als wie ein Phänomen.
Der Applaus dauerte den ganzen
Abend von dem Schluss einer Nummer
bis zum Anfang der nächsten: dazwischen die religiöseste Stille.
Alle Abende sind ausverkauft,
zwei additionale Recitals
(26. und 27.) schon festgesetzt.
Am Abend des 4. März 1920 spielte Busoni Werke von Franz Liszt im Pariser Konservatorium. Zu den geplanten Rezitals am 12. und 19. März sowie den drei geplanten Orchesterkonzerten am 14., 21. und 24. März wurden zwei weitere Rezitals am 26. und 27. März sowie ein weiteres Orchesterkonzert am 2. April anberaumt (vgl. Busonis Brief an Volkmar Andreae, 9. März 1920, in: Willimann 1994, S. 118 f.; siehe auch Beaumont 1987, S. 304, Anm. 2).
Das Wetter, bis vor vier Tagen
unnatürlich heiß, hat jäh
umgeschlagen: Ich habe mich
dabei ernstlich erkältet.
So sitze ich zu Hause
(ich bewohne zwei ganze Etagen
auf der Avenue du Bois de Boulogne)
und beschäftige mich in verschiedener
Weise. Zum Dank an meinen
Wirt versuche ich eine kleine
Carmenfantasie zu konstruieren,
die mich nett anregt.
Die Sonatina super Carmen datiert Busoni auf den 20. März 1920. Die Originalausgabe von 1921 trägt die Widmung: „En souvenir d’éstime et de reconnaissance, à Monsieur Tauber, Paris, Mars 1920“ (vgl. Kindermann 1980, S. 342).
– Aber
im Hintergrunde des Bewusstseins
lauert das ungeduldige Gewissen;
ich sehe „la Peau de Chagrin“
ziemlich nutzlos zusammenschrumpfen;
In Honoré de Balzacs Roman La Peau de chagrin geht der Protagonist einen Teufelspakt mit einem Chagrinleder ein, das ihm sämtliche Wünsche erfüllt, mit jedem Mal jedoch schrumpft und damit sein Leben verkürzt.
diesem Zustande ein Ende zu bereiten,
ist meine Sehnsucht, die mich –
wie fast in meinem ganzen Leben –
den Augenblick versäumen lässt.
Leben Sie wohl und befriedigt.
Herzlichste Grüße. Freundschaftlichst
F. Busoni
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<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">N.Mus.Depos. 56, 90</note>
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<salute>Lieber <persName key="E0300376">Jarnach</persName>,</salute>
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<!-- lt. Beaumont aber auch ein Konzert mit 6 Pianisten, die Busonis Werke spielten – vielleicht also dort die Improvisation?-->
geschickt
<lb/>haben. Da wir schon beim Notenleihen
<lb/>sind, so bitte ich Sie, bei nächster (Ihnen
<lb/>passender) Gelegenheit<orig>,</orig> die <rs>Partitur</rs>
<lb/>von <hi rend="underline"><persName key="E0300077">van Dieren</persName></hi> an <hi rend="underline"><persName key="E0300129">Andreae</persName></hi> zu geben.
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<lb/>Ich habe versprochen, dies zu t<orig>h</orig>un,
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> bin darin skrupulös. (Sie haben
<lb/>sie etwa drei Monate bei sich.)
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<p rend="first-right"><ref target="#D0101683">Ich schrieb Ihnen</ref>
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<lb/><hi rend="underline">Was</hi> ich Ihnen schrieb, war mir
<lb/>ganz impulsiv in den Kopf<orig>,</orig> und
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<lb/>Wink.
<note type="commentary" subtype="ed_diff" resp="#E0300314"><bibl><ref target="#E0800060"/> (262)</bibl> übersetzt <mentioned>Wink</mentioned> eher im wörtlichen (<q xml:lang="en">gesture</q>) als im übertragenen Sinn (<mentioned xml:lang="en">hint</mentioned>).</note>
Ich hoffe, dass Sie dieses
<lb/>von mir nicht als unbescheiden
<lb/>empfanden.</p>
</div>
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2
Die Kunst ist so hat so viele
Enden, dass man von Zeit zu Zeit
auf die hingewiesen werden muss,
die auf der anderen Seite der
eigenen Bethätigung u. Forschung
liegen. Das gilt für Alle
transcription uncertain.
alternative reading:
Alles. Darum
sollen Sie meine Bemerkung – die
ich auch zu meiner eigenen Befestigung
aufschrieb – nicht als Rechthaberei
von meiner Seite auffassen.
Nach Zürich’s Sanatorium-Dasein
wirkt Paris befreiend. Der Bogen
der weitausgreifenden Geste (so
schrieb ich an Andreae)
„Es thut mir wohl, große Verhältnisse zu sehen, im Raum und in der Verausgabung der Mittel, den Bogen der weitausgreifenden Geste, den immer übrigbleibenden Rest von Unbekanntem und Unnahbarem im Bewusstsein zu hüten, kurz: die Mystik des Unüberschaulichen um mir [sic] zu empfinden.“ (Busoni an Volkmar Andreae, Paris, 9. März 1920, zit. nach Willimann 1994, S. 118 f.).
ist mir wie
eine Heimkehr, so vertraut und
n lang entbehrt. Man zählt hier
Einem auch weder die Jahre an,
noch was er ausgiebt, noch
ob er in Begleitung einer Dame
gesehen wird, noch ob er ein
Automobil besteigt. Ich war mit
der großen Geste erzogen, dass u. konnte mich
nie darein finden, dass sie etwas
Tadelnswerthes sei, wie Zürcher gelten
lassen wollen.
Bei Beaumont 1987 (305) ohne den folgenden Absatzwechsel.
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<p rend="indent-first">Die Kunst <del rend="strikethrough">ist so</del> hat so viele
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<lb/>die auf der anderen Seite der
<lb/>eigenen Bet<orig>h</orig>ätigung <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Forschung
<lb/>liegen. Das gilt für <choice><unclear cert="high"><choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>lle</unclear><unclear cert="low"><choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>lles</unclear></choice>. Darum
<lb/>sollen Sie meine Bemerkung – die
<lb/>ich auch zu meiner eigenen Befestigung
<lb/>aufschrieb – nicht als Rechthaberei
<lb/>von meiner Seite auffassen.</p>
<p rend="indent-first">Nach <placeName key="E0500132">Zürich<orig>’</orig>s</placeName> Sanatorium-Dasein
<lb/>wirkt <placeName key="E0500012">Paris</placeName> befreiend. Der Bogen
<lb/>der weit<reg> </reg>ausgreifenden Geste (so
<lb/>schrieb ich an <persName key="E0300129">Andreae</persName>)
<note type="commentary" resp="#E0300616"><q>Es thut mir wohl, große Verhältnisse zu sehen, im Raum und in der Verausgabung der Mittel, den Bogen der weitausgreifenden Geste, den immer übrigbleibenden Rest von Unbekanntem und Unnahbarem im Bewusstsein zu hüten, kurz: die Mystik des Unüberschaulichen um mir [sic] zu empfinden.</q> <bibl>(<persName key="E0300017">Busoni</persName> an <persName key="E0300129">Volkmar Andreae</persName>, <placeName key="E0500012">Paris</placeName>, <date when-iso="1920-03-09">9. März 1920</date>, zit. nach <ref target="#E0800058"/>, S. 118 f.)</bibl>.</note>
ist mir wie
<lb/>eine <hi rend="underline">Heimkehr</hi>, so vertraut und
<lb/><del rend="strikethrough">n</del> lang entbehrt. Man zählt hier
<lb/><choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>inem auch weder die Jahre an,
<lb/>noch was er ausgi<orig>e</orig>bt, noch
<lb/>ob er in Begleitung einer Dame
<lb/>gesehen wird, noch ob er ein
<lb/>Automobil besteigt. Ich war <add place="inline">mit</add>
<lb/><add place="margin-left">der großen Geste</add> erzogen<orig>,</orig> <del rend="strikethrough">dass</del> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> konnte mich
<lb/>nie darein<orig> </orig>finden, dass sie etwas
<lb/>Tadelnswert<orig>h</orig>es sei, wie <placeName key="E0500132">Zürcher</placeName> gelten
<lb/><seg rend="align(center)">lassen wollen.</seg>
<note type="commentary" subtype="ed_diff_minor" resp="#E0300314">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (305)</bibl> ohne den folgenden Absatzwechsel.</note>
</p>
</div>
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3
Ich war überhaupt damit
aufgewachsen, nie sichtbar zu
werden zu lassen, ob ich arm
oder reich war. (Ich war arm,
und galt für reich). Nun ist
mir dieses Abrechnen auf Heller
u. Pfennig, im Vermögen, im
öffentlichen u. privaten Leben,
sehr verletzend. Das ist in der
Schweiz normal u. selbst offiziell.
– Mein erster Abend – der
auf meinen Brief an Sie folgte –
war vibrirend u. erschütternd.
Ich werde ihn nie vergessen.
Nicht als Virtuose, aber als Mensch,
empfand ich diese unbändige Hin- -gabe eines fast fremden Publikums,
in einer verwöhnten u. geprüften
Weltstadt, als wie ein Phänomen.
Bei Beaumont 1987 (305) danach Absatzwechsel.
Der Applaus dauerte den ganzen
Abend von dem Schluss einer Nummer
bis zum Anfang der nächsten: Da- -zwischen die religiöseste Stille.
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
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<p rend="indent-first">Ich war überhaupt damit
<lb/>aufgewachsen, nie sichtbar <del rend="strikethrough">zu</del>
<lb/>werden zu lassen, ob ich arm
<lb/>oder reich war. (Ich war arm<orig>,</orig>
<lb/>und galt für reich<choice><orig>).</orig><reg>.)</reg></choice> Nun ist
<lb/>mir dieses Abrechnen auf Heller
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Pfennig, im Vermögen, im
<lb/>öffentlichen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> privaten Leben,
<lb/>sehr verletzend. Das ist in der
<lb/><placeName key="E0500092">Schweiz</placeName> normal <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> selbst offiziell.</p>
<p type="pre-split"><orig>– </orig>Mein <date when-iso="1920-03-04">erster Abend</date> – der
<lb/>auf <ref target="#D0101683">meinen Brief an Sie</ref> folgte –
<lb/>war vibri<reg>e</reg>rend <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> erschütternd.
<lb/>Ich werde ihn nie vergessen.
<lb/>Nicht als Virtuose, aber als Mensch<orig>,</orig>
<lb/>empfand ich diese unbändige Hin
<lb break="no" rend="after:-"/>gabe eines fast fremden Publikums<orig>,</orig>
<lb/>in einer verwöhnten <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> geprüften
<lb/><rs key="E0500012">Weltstadt</rs><orig>,</orig> als wie ein Phänomen.
<note type="commentary" subtype="ed_diff_minor" resp="#E0300314">Bei <bibl><ref target="#E0800060"/> (305)</bibl> danach Absatzwechsel.</note>
<lb/>Der Applaus dauerte den ganzen
<lb/>Abend von dem Schluss einer Nummer
<lb/>bis zum Anfang der nächsten: <choice><orig>D</orig><reg>d</reg></choice>a
<lb break="no" rend="after:-"/>zwischen die religiöseste Stille.
</p></div>
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4
Alle Abende sind ausverkauft,
zwei additionale Recitals
(26. u. 27.) schon festgesetzt.
Am Abend des 4. März 1920 spielte Busoni Werke von Franz Liszt im Pariser Konservatorium. Zu den geplanten Rezitals am 12. und 19. März sowie den drei geplanten Orchesterkonzerten am 14., 21. und 24. März wurden zwei weitere Rezitals am 26. und 27. März sowie ein weiteres Orchesterkonzert am 2. April anberaumt (vgl. Busonis Brief an Volkmar Andreae, 9. März 1920, in: Willimann 1994, S. 118 f.; siehe auch Beaumont 1987, S. 304, Anm. 2).
– Das Wetter, bis vor 4 Tagen,
unnatürlich heiss, hat jäh
umgeschlagen: ich habe mich
dabei ernstlich erkältet. –
So sitze ich zu Hause
(ich bewohne zwei ganze Etagen
auf der Avenue du Bois de Boulogne)
u. beschäftige mich in verschiedener
Weise. Zum Dank an meinen
Wirth, versuche ich eine kleine
Carmenfantasie zu konstruieren,
die mich nett anregt.
Die Sonatina super Carmen datiert Busoni auf den 20. März 1920. Die Originalausgabe von 1921 trägt die Widmung: „En souvenir d’éstime et de reconnaissance, à Monsieur Tauber, Paris, Mars 1920“ (vgl. Kindermann 1980, S. 342).
– Aber
im Hintergrunde des Bewusstseins
lauert das ungeduldige Gewissen;
ich sehe “la Peau de Chagrin”
ziemlich nutzlos zusammenschrumpfen;
In Honoré de Balzacs Roman La Peau de chagrin geht der Protagonist einen Teufelspakt mit einem Chagrinleder ein, das ihm sämtliche Wünsche erfüllt, mit jedem Mal jedoch schrumpft und damit sein Leben verkürzt.
diesem Zustande ein Ende zu bereiten
ist meine Sehnsucht, die mich –
wie fast in meinem ganzen Leben –
den Augenblick versäumen lässt.
Leben Sie wohl und befriedigt.
Herzlicheste Grüsse. Freundschaftlichst
F. Busoni
|
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<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive">4</note>
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<lb/>(<date when-iso="1920-03-26/1920-03-27">26. <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> 27.</date>) schon festgesetzt.
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</p>
<p><orig>– </orig>Das Wetter, bis vor <choice><orig>4</orig><reg>vier</reg></choice> Tagen<orig>,</orig>
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<lb/>umgeschlagen: <choice><orig>i</orig><reg>I</reg></choice>ch habe mich
<lb/>dabei ernstlich erkältet.<orig> –</orig></p>
<p rend="indent-first">So sitze ich <rs key="E0500764">zu Hause</rs>
<lb/>(ich bewohne zwei ganze Etagen
<lb/>auf der <placeName key="E0500765">Avenue du Bois de Boulogne</placeName>)
<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> beschäftige mich in verschiedener
<lb/>Weise. Zum Dank an <rs key="E0300640">meinen
<lb/>Wirt<orig>h</orig></rs><orig>,</orig> versuche ich eine kleine
<lb/><hi rend="underline"><title key="E0400479"><title key="E0400483">Carmen</title>fantasie</title></hi> zu konstruieren,
<lb/>die mich nett anregt.
<note type="commentary" resp="#E0300616">Die <title key="E0400479">Sonatina super <title key="E0400483">Carmen</title></title> datiert <persName key="E0300017">Busoni</persName> auf den <date when-iso="1920-03-20">20. März 1920</date>. Die Originalausgabe von <date when-iso="1921">1921</date> trägt die Widmung: <q>En souvenir d’éstime et de reconnaissance, à <persName key="E0300640">Monsieur Tauber</persName>, <placeName key="E0500012">Paris</placeName>, <date when-iso="1920-03">Mars 1920</date></q> <bibl>(vgl. <ref target="#E0800121"/>, S. 342)</bibl>.</note>
– Aber
<lb/>im Hintergrunde des Bewusstseins
<lb/>lauert das ungeduldige Gewissen;
<lb/>ich sehe <title rend="dq-uu" key="E0400532" xml:lang="fr">la Peau de Chagrin</title>
<lb/>ziemlich nutzlos zusammenschrumpfen;
<note type="commentary" resp="#E0300616">In <persName key="E0300345">Honoré de Balzacs</persName> Roman <title key="E0400532">La Peau de chagrin</title> geht der Protagonist einen Teufelspakt mit einem Chagrinleder ein, das ihm sämtliche Wünsche erfüllt, mit jedem Mal jedoch schrumpft und damit sein Leben verkürzt.</note>
<lb/>diesem Zustande ein Ende zu bereiten<reg>,</reg>
<lb/>ist meine Sehnsucht, die mich –
<lb/>wie fast in meinem ganzen Leben –
<lb/>den Augenblick versäumen lässt.</p>
<closer>
<salute>Leben Sie wohl und befriedigt.</salute>
<salute rend="indent-2-first">Herzlich<subst><del rend="overwritten">e</del><add place="across">s</add></subst>te Grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e. Freundschaftlichst</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName></signed>
</closer>
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[Rückseite von Textseite 4]
(Paris)
10 März 20
4 Blätter
Busoni an Ph. Jarnach
Nr. 2
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(<placeName key="E0500012">Paris</placeName>)
<lb/><handShift new="#gerda.busoni"/><date when-iso="1920-03-10" xml:id="gerda_date">10 März 20</date>
<lb/><handShift new="#unknown_hand"/><hi rend="underline">4 Blätter</hi>
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