Philipp Jarnach to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Berlin · November 28, 1921

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Berlin den 28. Nov. 21

Mein lieber Meister! – Nur ein Wort
um mich zu entschuldigen, daß ich
gestern nicht zu Ihnen kam. Ich hatte
vergessen, daß wir bei alten Tanten
– den Töchtern des Malers Knaus
einer Pflichteinladung zu genügen
hatten. Abends mußte ich eine kleine
Probe mit Warlich halten, der heute
abends bei Gelegenheit einer Privat-
aufführung meines Quintetts die Ih-
nen kürzlich gezeigten Melodeien
singen wird.

Kreiden Sie es mir, bitte, nicht zu dick
an, daß ich in der letzten Zeit so
selten zu Ihnen kam; ich bin selbst
unmutig darüber. Grund hierfür ist,
daß wir seit vierzehn Tagen fast keine
freien Abende hatten – in der letzten
Woche nicht einen; und am Nach-
mittag komme ich nicht gern, erstens
weil wir immer nach 2 Uhr speisen
und ich Sie um drei oder halb vier

Berlin, den 28. Nov. 21

Mein lieber Meister!

Nur ein Wort, um mich zu entschuldigen, dass ich gestern nicht zu Ihnen kam. Ich hatte vergessen, dass wir bei alten Tanten – den Töchtern des Malers Knaus – einer Pflichteinladung zu genügen hatten. Abends musste ich eine kleine Probe mit Warlich halten, der heute abends bei Gelegenheit einer Privataufführung meines Quintetts die Ihnen kürzlich gezeigten Melodeien singen wird.

Kreiden Sie es mir, bitte, nicht zu dick an, dass ich in der letzten Zeit so selten zu Ihnen kam; ich bin selbst unmutig darüber. Grund hierfür ist, dass wir seit vierzehn Tagen fast keine freien Abende hatten – in der letzten Woche nicht einen; und am Nachmittag komme ich nicht gern, erstens, weil wir immer nach 2 Uhr speisen und ich Sie um drei oder halb vier nicht stören mag, und dann auch, weil man bei der um diese Zeit gewöhnlich zahlreichen Gesellschaft wenig Chancen hat, mit Ihnen plaudern zu können, was ich November 19, 1921vorigen Samstag wieder erprobte. In dieser einen Beziehung sehne ich mich oft nach der ersten Zürcher Zeit zurück, wo wir so oft zusammen kneipten und Ihr freiwilliges Kriegsexil mir unverdientermaßen das Erlebnis Ihres Umgangs schenkte. Ich sage: unverdientermaßen, denn was ich damals noch für ein dummer Junge war, haben Sie, hoffe und wünsche es, seither vergessen; kann ich mich doch selbst nicht mehr so recht darauf besinnen. Aber sagen Sie mir, mein lieber Meister, wollen wir nicht, wenigstens einmal von Zeit zu Zeit, die alte Tradition erneuern? Ist die Frage unbescheiden, dann betrachten Sie sie als ungeschehen.

Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr Philipp J.

                                                                
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weil man bei der um diese Zeit ge-
wöhnlich zahlreichen Gesellschaft, wenig
Chancen hat, mit Ihnen plaudern zu
können, was ich November 19, 1921vorigen Samstag wieder
erprobte. In dieser einen Beziehung sehne
ich mich oft nach der ersten Zürcher
Zeit zurück, wo wir so oft zusammen
kneipten und Ihr freiwilliges Kriegsexil
mir unverdientermaßen das Erlebnis
Ihres Umgangs schenkte. Ich sage: un-
verdientermaßen, denn was ich damals
noch für ein dummer Junge war,
haben Sie, hoffe u. wünsche es, seither
vergessen; kann ich mich doch selbst
nicht mehr so recht darauf besinnen.
Aber sagen Sie mir, mein lieber Meister,
wollen wir nicht, wenigstens einmal
von Zeit zu Zeit, die alte Tradition
erneuern? Ist die Frage unbescheiden,
dann betrachten Sie sie als ungeschehen. Preußischer
Staats-
bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz

Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr
Philipp J.

                                                                
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Charlottenburg
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zu N.Mus.Nachl. 30, 129

Preußischer
Staats-
bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
                                                                
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Document

doneStatus: candidate XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Nachl. 30,129 |

proof Kalliope

Condition
Brief und Umschlag sind gut erhalten.
Extent
1 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Philipp Jarnach, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signatur eingetragen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)

Summary
Jarnach entschuldigt sein Ausbleiben bei Busoni mit einer anderweitigen „Pflichteinladung“; beklagt fehlende Zeit für spontane Treffen; schlägt Wiederaufnahme der Kneipenabende wie in der Zürcher Zeit vor.
Incipit
Nur ein Wort, um mich zu entschuldigen

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
May 17, 2022: candidate (coding checked, proofread)
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