Jella Oppenheimer to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Bad Ischl · December 16, 1918

Facsimile
Diplomatic transcription
Reading version
XML
Mus.ep. J. Oppenheimer 25 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 3456
[1]
Ischl, Hotel Post
den 16.12.1918

Lieber, teuerer Freund,

Die Ereignisse haben mich die Worte nicht mehr
finden lassen, ich konnte mich zu keinem
Brief entschliessen, so sehr ich mich auch gesehnt
habe von Ihnen zu hören. Ihr Brief, für den ich
innigst danke, hat mir die Zunge gelöst und ich
bin glücklich Ihre Schriftzüge zu sehen, zu wissen,
dass Sie alle gesund sind. Ich habe Wien im
Juni verlassen und bin seither nur 8 Tage im
September dort gewesen, die restliche Zeit habe ich,
mit Ausnahme von 4 Wochen in Gastein, Oppenheimer hielt sich wegen Rückenschmerzen und Schlaflosigkeit wiederholt zur Kur in Bad Gastein auf (vgl. ihre Briefe vom 18.7.1905, 11.7.1912 und 30.6.1924). ganz
in Aussee verbracht. Ich wäre wahrscheinlich
trotz der drückenden Einsamkeit noch dort,
wenn nicht der gänzliche Lichtmangel mich
fortgetrieben hätte. Wir haben weder Gas noch
elektr. Licht und das Petroleum war zu Ende.
Ich habe in Ischl Zuflucht genommen und
will hier abwarten wie alle Verhältnisse sich
gestalten und die Reise halbwegs annehmbar
wird. Statt 8 St, dauert die Fahrt jetzt mehr
als 18, meist in ungeheiztem Wagen und so eng
gedrängt, dass man von Glück sagen muss

Ischl, Hotel Post, den 16.12.1918

Lieber, teuerer Freund,

die Ereignisse haben mich die Worte nicht mehr finden lassen, ich konnte mich zu keinem Brief entschließen, sosehr ich mich auch gesehnt habe, von Ihnen zu hören. Ihr Brief, für den ich innigst danke, hat mir die Zunge gelöst, und ich bin glücklich, Ihre Schriftzüge zu sehen, zu wissen, dass Sie alle gesund sind. Ich habe Wien im Juni verlassen und bin seither nur acht Tage im September dort gewesen, die restliche Zeit habe ich, mit Ausnahme von vier Wochen in Gastein, Oppenheimer hielt sich wegen Rückenschmerzen und Schlaflosigkeit wiederholt zur Kur in Bad Gastein auf (vgl. ihre Briefe vom 18.7.1905, 11.7.1912 und 30.6.1924). ganz in Aussee verbracht. Ich wäre wahrscheinlich trotz der drückenden Einsamkeit noch dort, wenn nicht der gänzliche Lichtmangel mich fortgetrieben hätte. Wir haben weder Gas noch elektrisches Licht, und das Petroleum war zu Ende. Ich habe in Ischl Zuflucht genommen und will hier abwarten, wie alle Verhältnisse sich gestalten und die Reise halbwegs annehmbar wird. Statt acht Stunden dauert die Fahrt jetzt mehr als 18, meist in ungeheiztem Wagen und so eng gedrängt, dass man von Glück sagen muss, wenn man einen Sitzplatz erringt.

Obwohl ich im Sommer fast immer von lieben Freunden umgeben war, konnte weder ich noch die anderen eine Stunde froh werden, nie sorglos sein, es stand alles gleichsam unter trüben Zeichen, und ein schwerer Druck hat gelastet. Im Herbst haben sich alle düsteren Ahnungen schmerzvoll erfüllt, und seither erlitten wir Schlag auf Schlag, so schwer, so hart, dass man verstummt.

Der Krieg ist zu Ende, heißt es, man spricht von Frieden – ja, man spricht –, aber das Wort hat keinen Inhalt, solange die Menschen sich in anderer Form bekämpfen, solange der Hass über die Welt geht und der Jammer, das Elend nicht gelindert sind. Es herrscht Hunger und Not bei uns, die Bevölkerung hat keine Lebensmittel, keine Bekleidung und leidet bitter durch die Kälte, der Mangel an Kohlen droht katastrophal zu werden. Gott helfe! Das ist alles, was sich sagen und hoffen lässt.

Ich flüchte zu dem Glauben, dass es geschichtliche Notwendigkeiten sind, die sich vollziehen, dass alle Geschehnisse nicht zwecklos gewesen sind, nicht Einzelne daran Schuld tragen, aber das nimmt nichts von dem Leid der Gegenwart, nichts von dem unsäglichen Mitleid, das mir das Herz zusammenpresst. Das Mitleid ist so groß, dass es die eigenen, schweren Sorgen ganz zum Schweigen bringt.

Es war wahrlich nicht meine Absicht, Ihnen zu klagen, lieber, verehrter Freund, aber was ich empfinde, kommt unwillkürlich zum Ausdruck.

Wie werden Ihre Entschlüsse fallen?

Ehe Sie Dauerndes bestimmen, wird wohl noch eine Spanne Zeit vergehen müssen, es heißt noch abwarten, wie die Welt sich formt und gestaltet. Ich habe mir in diesen letzten Wochen nichts mehr gewünscht, als in die Schweiz zu kommen, leider vergebens. Augenblicklich ist es unerreichbar. Niemand erhält hier die Erlaubnis, und noch weniger das notwendige Geld in Francs.

Ich muss es also aufgeben und auch dafür auf andere Verhältnisse warten und hoffen! Die Welt ist für uns eng geworden, wie mit eisernen Ringen umklammert, heißt es stillhalten und bleiben, wo man ist; einmal wird sich ja die Zwangsjacke lösen.

Vielleicht bringt mir das Frühjahr, der Sommer die innig und lang ersehnte Freude, Sie und Ihre liebe Frau wieder zu sehen, zu sprechen, ich will darauf hoffen und mich daran aufrichten.

Dass Ihre beiden lieben Söhne bewahrt bleiben, nicht mehr Gefahr laufen und mit ihnen so viele Hunderttausende nicht mehr hingeopfert werden, ist ein unendlicher, unaussprechlicher Segen, das einzige Licht in tiefer Nacht.

Die Publikation des Faust erbitte ich und erwarte dieselbe mit Spannung.

Sie sagen in Ihrem Brief, dass Sie wirtschaftlich von vorne anfangen müssen, das macht mich tief erbeben, jetzt – in einer Lebensphase, die Freiheit und Ruhe fordert, damit Sie ungestört und ohne Sorgen schaffen, komponieren. Auch darin hat der Krieg Furchtbares verschuldet, vieles, was fest gesichert und gefügt war, entwurzelt.

Schriftlich lässt sich alles nur unvollkommen sagen, und so heißt es immer wieder schweigen und warten.

Ihr armer Freund Kapff hat ausgelitten und war in seiner Krankheit zuletzt gut und liebevoll von einem Freund umgeben, der mir den Tod des Herrn von Kapff mitgeteilt hat. Dieser Freund, namens Lampa, hat, wie es scheint, für alles bestens gesorgt und versichert, dass das Ende schmerzlos war. Anton Lampa hatte Busoni bereits selbst über den Tod des gemeinsamen Freundes Otto von Kapff informiert (Brief vom 2.9.1918, D-B, Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2702).

Bald geht das Jahr zur Neige und gibt uns damit sein erstes freundliches Geschenk. Möge es viel von allem Unglück, das es gebracht, mitnehmen und 1919 die heißen Wünsche erfüllen, die ich für Sie und Ihre Lieben hege.

Innigste Grüße für Sie und Frau Gerda.

In unveränderlicher Freundschaft

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive"> <subst><del rend="strikethrough">Mus.ep. J. Oppenheimer 25 (Busoni-Nachl. B II)</del><add place="below">Mus.Nachl. F. Busoni B II, 3456</add></subst> </note> <note type="foliation" place="top-right" resp="#archive">[1]</note> <opener> <dateline rend="space-above align(right)"> <seg rend="indent-neg"><placeName key="E0500936">Ischl</placeName>, <placeName key="E0500973">Hotel Post</placeName><reg>,</reg></seg> <lb/>den <date when-iso="1918-12-16">16.12.1918</date> </dateline> <salute rend="indent-2"><rs key="E0300017">Lieber, teuerer Freund</rs>,</salute> </opener> <p type="pre-split" rend="indent-first"> <choice><orig>D</orig><reg>d</reg></choice>ie Ereignisse haben mich die Worte nicht mehr <lb/>finden lassen, ich konnte mich zu keinem <lb/>Brief entschlie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en, so<orig> </orig>sehr ich mich auch gesehnt <lb/>habe<reg>,</reg> von Ihnen zu hören. <ref target="#D0102113">Ihr Brief</ref>, für den ich <lb/>innigst danke, hat mir die Zunge gelöst<reg>,</reg> und ich <lb/>bin glücklich<reg>,</reg> Ihre Schriftzüge zu sehen, zu wissen, <lb/>dass Sie alle gesund sind. Ich habe <placeName key="E0500002">Wien</placeName> im <lb/><date when-iso="1918-06">Juni</date> verlassen und bin seither nur <choice><orig>8</orig><reg>acht</reg></choice> Tage im <lb/><date when-iso="1918-09">September</date> dort gewesen, die restliche Zeit habe ich, <lb/>mit Ausnahme von <choice><orig>4</orig><reg>vier</reg></choice> Wochen in <placeName key="E0500907">Gastein</placeName>, <note type="commentary" resp="#E0300826"><persName key="E0300819">Oppenheimer</persName> hielt sich wegen Rückenschmerzen und Schlaflosigkeit wiederholt zur Kur in <placeName key="E0500907">Bad Gastein</placeName> auf (vgl. ihre Briefe vom <ref target="#D0102144"><date when-iso="1905-07-18">18.7.1905</date></ref>, <ref target="#D0102121"><date when-iso="1912-07-11">11.7.1912</date></ref> und <ref target="#D0102136"><date when-iso="1924-06-30">30.6.1924</date></ref>).</note> ganz <lb/>in <placeName key="E0500901">Aussee</placeName> verbracht. Ich wäre wahrscheinlich <lb/>trotz der drückenden Einsamkeit noch dort, <lb/>wenn nicht der gänzliche Lichtmangel mich <lb/>fortgetrieben hätte. Wir haben weder Gas noch <lb/><choice><abbr>elektr.</abbr><expan>elektrisches</expan></choice> Licht<reg>,</reg> und das Petroleum war zu Ende. <lb/>Ich habe in <placeName key="E0500936">Ischl</placeName> Zuflucht genommen und <lb/>will hier abwarten<reg>,</reg> wie alle Verhältnisse sich <lb/>gestalten und die Reise halbwegs annehmbar <lb/>wird. Statt <choice><orig>8</orig><reg>acht</reg></choice> <choice><abbr>St</abbr><expan>Stunden</expan></choice><orig>,</orig> dauert die Fahrt jetzt mehr <lb/>als 18, meist in ungeheiztem Wagen und <add place="above">so</add> eng <lb/>gedrängt, dass man von Glück sagen muss<reg>,</reg> </p></div>
2Facsimile
2Diplomatic transcription
2XML

wenn man einen Sitzplatz erringt.

Obwohl ich im Sommer fast immer von
lieben Freunden umgeben war, konnte weder ich
noch die anderen eine Stunde froh werden, nie
sorglos sein, es stand alles gleichsam unter
trüben Zeichen und ein schwerer Druck hat
gelastet. Im Herbst haben sich alle düsteren
Ahnungen schmerzvoll erfüllt und seither
erlitten wir Schlag auf Schlag, so schwer, so
hart, dass man verstummt.

Der Krieg ist zu Ende, heisst es, man
spricht von Frieden – ja man spricht – aber
nhoch hat das Wort ˅hat keinen Inhalt so lange
die Menschen sich in anderer Form bekämpfen,
so lange der Hass über die Welt geht, und der
Jammer, das Elend nicht gelindert sind.
Es herrscht Hunger und Not bei uns, die
Bevölkerung hat keine Lebensmitteln, keine
Bekleidung und leidet bitter durch die Kälte,
der Mangel an Kohlen droht katastrophal
zu werden.
Gott helfe! das ist alles was sich sagen
und hoffen lässt.

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"> wenn man einen Sitzplatz erringt.</p> <p>Obwohl ich im Sommer fast immer von <lb/>lieben Freunden umgeben war, konnte weder ich <lb/>noch die anderen eine Stunde froh werden, nie <lb/>sorglos sein, es stand alles gleichsam unter <lb/>trüben Zeichen<reg>,</reg> und ein schwerer Druck hat <lb/>gelastet. Im Herbst haben sich alle düsteren <lb/>Ahnungen schmerzvoll erfüllt<reg>,</reg> und seither <lb/>erlitten wir Schlag auf Schlag, so schwer, so <lb/>hart, dass man verstummt.</p> <p>Der Krieg ist zu Ende, hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t es, man <lb/>spricht von Frieden – ja<reg>,</reg> man spricht –<reg>,</reg> aber <lb/><del rend="strikethrough"><subst><del rend="transformed">n</del><add place="transformed">h</add></subst>och</del> <del rend="strikethrough" xml:id="del_hat">hat</del> das Wort <metamark function="insertion" target="#add_hat">˅</metamark><add xml:id="add_hat" place="above">hat</add><substJoin target="#del_hat #add_hat"/> keinen Inhalt<reg>,</reg> so<orig> </orig>lange <lb/>die Menschen sich in anderer Form bekämpfen, <lb/>so<orig> </orig>lange der Hass über die Welt geht<subst><del rend="overwritten">,</del><add rend="across"> und</add></subst> der <lb/>Jammer, das Elend nicht gelindert sind. <lb/>Es herrscht Hunger und Not bei uns, die <lb/>Bevölkerung hat keine Lebensmittel<orig>n</orig>, keine <lb/>Bekleidung und leidet bitter durch die Kälte, <lb/>der Mangel an Kohlen droht katastrophal <lb/>zu werden. <lb/><seg rend="indent">Gott helfe!</seg> <choice><orig>d</orig><reg>D</reg></choice>as ist alles<reg>,</reg> was sich sagen <lb/>und hoffen lässt.</p> <note type="stamp" place="bottom-center" resp="#sbb_st_red"> <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche <lb/>Staatsbibliothek <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName> </stamp> </note> </div>
3Facsimile
3Diplomatic transcription
3XML
 2 
B II, 3456

Ich flüchte zu dem Glauben, dass es
geschichtliche Notwendigkeiten sind, die
sich vollziehen, dass alle Geschehnisse nicht
zwecklos gewesen sind, nicht Einzelne daran
Schuld tragen, aber das nimmt nichts von
dem Leid der Gegenwart, nichts von dem
unsäglichen Mitleid, das mir das Herz
zusammen presst. Das Mitleid ist so gross,
dass es die eigenen, schweren Sorgen ganz
zum Schweigen bringt.

Es war wahrlich nicht meine Absicht
Ihnen zu klagen, lieber, verehrter Freund,
aber was ich empfinde kommt unwillkürlich
zum Ausdruck.

Wie werden Ihre Entschlüsse fallen?

Ehe Sie Dauerndes bestimmen wird wohl noch
eine Spanne Zeit vergehen müssen, es heisst
noch abwarten wie die Welt sich formt und
gestaltet. Ich habe mir in diesen letzten
Wochen nichts mehr gewünscht als in
die Schweiz zu kommen, leider vergebens.
Augenblicklich ist es unerreichbar. Niemand
erhält hier die Erlaubnis und noch weniger

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="foliation" place="top-left" resp="#major_hand" rend="underline rotate(-45)"> 2 </note> <note type="shelfmark" place="right-of" rend="indent" resp="#archive">B II, 3456</note> <p>Ich flüchte zu dem Glauben, dass es <lb/>geschichtliche Notwendigkeiten sind, die <lb/>sich vollziehen, dass alle Geschehnisse nicht <lb/>zwecklos gewesen sind, nicht Einzelne daran <lb/>Schuld tragen, aber das nimmt nichts von <lb/>dem Leid der Gegenwart, nichts von dem <lb/>unsäglichen Mitleid, das mir das Herz <lb/>zusammen<orig> </orig>presst. Das Mitleid ist so gro<orig>ss</orig><reg>ß</reg>, <lb/>dass es die eigenen, schweren Sorgen ganz <lb/>zum Schweigen bringt.</p> <p>Es war wahrlich nicht meine Absicht<reg>,</reg> <lb/>Ihnen zu klagen, <rs key="E0300017">lieber, verehrter Freund</rs>, <lb/>aber was ich empfinde<reg>,</reg> kommt unwillkürlich <lb/>zum Ausdruck.</p> <p>Wie werden Ihre Entschlüsse fallen?</p> <p type="pre-split">Ehe Sie Dauerndes bestimmen<reg>,</reg> wird wohl noch <lb/>eine Spanne Zeit vergehen müssen, es hei<orig>ss</orig><reg>ß</reg>t <lb/>noch abwarten<reg>,</reg> wie die Welt sich formt und <lb/>gestaltet. Ich habe mir in diesen letzten <lb/>Wochen nichts mehr gewünscht<reg>,</reg> als in <lb/>die <placeName key="E0500092">Schweiz</placeName> zu kommen, leider vergebens. <lb/>Augenblicklich ist es unerreichbar. Niemand <lb/>erhält hier die Erlaubnis<reg>,</reg> und noch weniger </p></div>
4Facsimile
4Diplomatic transcription
4XML

das notwendige Geld in francs[.]

Ich muss es also aufgeben und auch dafür
auf andere Verhältnisse warten und hoffen!
Die Welt ist für uns eng geworden, wie mit
eisernen Ringen umklammert, heisst es still
halten und bleiben wo man ist; einmal wird
sich ja die Zwangsjacke lösen.

Vielleicht bringt mir das Frühjahr, der Sommer
die innig und lang ersehnte Freude Sie
und Ihre liebe Frau wieder zu sehen, zu
sprechen., Ich will darauf hoffen und mich
daran aufrichten.

Dass Ihre beiden lieben Söhne bewahrt bleiben,
nicht mehr Gefahr laufen und mit ihnen so
viele Hunderttausende nicht mehr hingeopfert
werden, ist ein unendlicher, unaussprechliche[r]
Segen, das einzige Licht in tiefer Nacht.

Die Publikation des Faust erbitte ich und erwarte
dieselbe mit Spannung.

Sie sagen in Ihrem Brief, dass Sie wirtschaftlich
von vorne anfangen müssen, das macht
mich tief erbeben, jetzt – in einer Lebensphase, Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"> das notwendige Geld in <choice><orig>f</orig><reg>F</reg></choice>rancs<supplied reason="omitted">.</supplied></p> <p>Ich muss es also aufgeben und auch dafür <lb/>auf andere Verhältnisse warten und hoffen! <lb/>Die Welt ist für uns eng geworden, wie mit <lb/>eisernen Ringen umklammert, hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t es still<choice><orig> <lb/></orig><reg><lb break="no"/></reg></choice>halten und bleiben<reg>,</reg> wo man ist; einmal wird <lb/>sich ja die Zwangsjacke lösen.</p> <p>Vielleicht bringt mir das Frühjahr, der Sommer <lb/>die innig und lang ersehnte Freude<reg>,</reg> Sie <lb/>und <rs key="E0300059">Ihre liebe Frau</rs> wieder zu sehen, zu <lb/>sprechen<subst><del rend="overwritten">.</del><add place="across">,</add></subst> <orig>I</orig><reg>i</reg>ch will darauf hoffen und mich <lb/>daran aufrichten.</p> <p>Dass <rs type="persons" key="E0300060 E0300153">Ihre beiden lieben Söhne</rs> bewahrt bleiben, <lb/>nicht mehr Gefahr laufen und mit ihnen so <lb/>viele Hunderttausende nicht mehr hingeopfert <lb/>werden, ist ein unendlicher, unaussprechliche<supplied reason="omitted">r</supplied> <lb/>Segen, das einzige Licht in tiefer Nacht.</p> <p><rs key="E0800136">Die Publikation</rs> des <title key="E0400218">Faust</title> erbitte ich und erwarte <lb/>dieselbe mit Spannung.</p> <p type="pre-split">Sie sagen in <ref target="#D0102113">Ihrem Brief</ref>, dass Sie wirtschaftlich <lb/>von vorne anfangen müssen, das macht <lb/>mich tief erbeben, jetzt – in einer Lebensphase, <note type="stamp" place="bottom-center" resp="#sbb_st_red"> <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche <lb/>Staatsbibliothek <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName> </stamp> </note> </p></div>
5Facsimile
5Diplomatic transcription
5XML

 3 

B II, 3456


die Freiheit und Ruhe fordert, damit Sie
ungestört und ohne Sorgen schaffen, komponiren[.]
Auch darin hat der Krieg Furchtbares verschuldet,
vieles was fest gesichert und gefügt war,
entwurzelt.

Schriftlich lässt sich alles nur unvollkommen
sagen und so heisst es immer wieder warschweigen
und warten.

Ihr armer Freund Kapff hat ausgelitten, und war
in seiner Krankheit zuletzt gut und liebevoll
von einem Freund umgeben, der mir den Tod
des Herrn v Kapff mitgeteilt hat. Dieser Freund,
Namens Lampa hat wie es scheint für alles
bestens gesorgt und versichert, dass das Ende
schmerzlos war. Anton Lampa hatte Busoni bereits selbst über den Tod des gemeinsamen Freundes Otto von Kapff informiert (Brief vom 2.9.1918, D-B, Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2702).

Bald geht das Jahr zur Neige und giebt uns
damit d sein erstes freundliches Geschenk.
Möge es viel von allem Unglück, das es
gebracht, mitnehmen und 1919 die heissen
Wünsche erfüllen, die ich für Sie und Ihre
Lieben hege.

Innigste Grüsse für Sie und
Frau Gerda. In unveränderlicher Freundschaft

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split"> <note type="foliation" place="top-left" resp="#major_hand" rend="underline rotate(-45)"> 3 </note> <note type="shelfmark" place="right-of" rend="indent" resp="#archive">B II, 3456</note> <lb/><lb/>die Freiheit und Ruhe fordert, damit Sie <lb/>ungestört und ohne Sorgen schaffen, komponi<reg>e</reg>ren<supplied reason="omitted">.</supplied> <lb/>Auch darin hat der Krieg Furchtbares verschuldet, <lb/>vieles<reg>,</reg> was fest gesichert und gefügt war, <lb/>entwurzelt.</p> <p>Schriftlich lässt sich alles nur unvollkommen <lb/>sagen<reg>,</reg> und so hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t es immer wieder <subst><del rend="overwritten">war</del><add place="across">sch</add></subst>weigen <lb/>und warten.</p> <p>Ihr armer Freund <persName key="E0300855">Kapff</persName> hat ausgelitten<subst><del rend="overwritten">,</del><add place="across"> und</add></subst> war <lb/>in seiner Krankheit zuletzt gut und liebevoll <lb/>von einem Freund umgeben, der mir den Tod <lb/>des <persName key="E0300855">Herrn <choice><abbr>v</abbr><expan>von</expan></choice> Kapff</persName> mitgeteilt hat. Dieser Freund, <lb/><choice><orig>N</orig><reg>n</reg></choice>amens <persName key="E0300881">Lampa</persName><reg>,</reg> hat<reg>,</reg> wie es scheint<reg>,</reg> für alles <lb/>bestens gesorgt und versichert, dass das Ende <lb/>schmerzlos war. <note type="commentary" resp="#E0300314"><persName key="E0300881">Anton Lampa</persName> hatte <persName key="E0300017">Busoni</persName> bereits selbst über den Tod des gemeinsamen Freundes <persName key="E0300855">Otto von Kapff</persName> informiert (Brief vom <date when-iso="1918-09-02">2.9.1918</date>, D-B, <ref type="ext" subtype="kalliope" target="#DE-611-HS-638215">Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2702</ref>).</note> </p> <p>Bald geht das Jahr zur Neige und gi<orig>e</orig>bt uns <lb/>damit <del rend="strikethrough">d</del> sein erstes freundliches Geschenk. <lb/>Möge es viel von allem Unglück, das es <lb/>gebracht, mitnehmen und <date when-iso="1919">1919</date> die hei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en <lb/>Wünsche erfüllen, die ich für Sie und Ihre <lb/>Lieben hege.</p> <p rend="inline">Innigste Grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e für Sie und <lb/><persName key="E0300059">Frau Gerda</persName>. <seg type="closer" subtype="salute">In unveränderlicher Freundschaft</seg></p> <closer> <signed rend="align(right)">Ihre <persName key="E0300819">Jella Oppenheimer</persName></signed> </closer> </div>
6Facsimile
6Diplomatic transcription
6XML
[Rückseite von Textseite 5]
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Oppenheimer
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0300826">[Rückseite von Textseite 5]</note> <note type="stamp" place="bottom-center" resp="#sbb_st_red"> <stamp rend="round border align(center) small">Deutsche <lb/>Staatsbibliothek <lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName> </stamp> </note> <note type="annotation" place="bottom-center" rend="rotate(180)" resp="#gerda.busoni">Oppenheimer</note> </div>

Document

doneStatus: candidate XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 3456 | olim: Mus.ep. J. Oppenheimer 25 |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
3 Blatt, 5 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Jella Oppenheimer, Brieftext und Foliierung in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Hand Gerda Busonis, die den Absendernamen mit Bleistift notiert hat
Foliations
  • Foliierung durch das Archiv, mit Bleistift oben rechts auf der Vorderseite von Blatt 1.
  • Foliierung durch Jella Oppenheimer, mit schwarzer Tinte oben links auf den Vorderseiten von Blatt 2 und 3.
Image source
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Summary
Oppenheimer beklagt die Lebensumstände der Nachkriegszeit und versucht diese einzuordnen; berichtet über Aufenthaltsorte der vergangenen Monate; erwartet die Zusendung des publizierten Librettos zu Doktor Faust; bedauert Busonis finanzielle Schwierigkeiten; berichtet über Tod von Otto von Kapff.
Incipit
die Ereignisse haben mich die Worte

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
October 10, 2025: candidate (coding checked, proofread)
Direct context
Preceding Following
Near in this edition