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                                                            N.Mus.Nachl. 30, 124 
            
            
               
               Mein lieber Freund und Meister! 
            
            
            
               Empfangen Sie meinen allerherzlichsten Dank
                für die liebe Freundestat Ihrer Empfehlung an
                den Fürsten Fürstenberg.
                                                                Im Sommer 1921 fanden die Donaueschinger Musiktage zum ersten Mal statt. Der Fürst Maximilian Egon zu Fürstenberg finanzierte die Kammermusiktage, stellte die Räumlichkeiten und war Mitglied des Programmausschusses.
               
               
               Ihre Weisung befolgend
                habe ich gestern ein Quintettexemplar nach
                Donaueschingen abgeschickt.
                                                                Busoni war Mitglied des Ehrenausschusses der Donaueschinger Musiktage und empfahl der Jury u. a. Jarnachs Streichquintett op. 10, das zur Aufführung angenommen wurde (vgl. Weiss 1996, S. 133).
               
               – Ich bin ganz
                erfreut zu hören, dass Sie schon Anfang Mai
                zurückgekehrt sein werden und hoffe, dass
                dieser Brief Sie noch vor der Abreise erreicht.
                                                                Im April 1921 spielte Busoni für fünf Konzerte in Rom (vgl. Couling 2005, S. 330).
               
               
                Wir erhielten kürzlich durch Frl. Simon gute
                Nachrichten von Ihnen; ich kann Ihnen gar
                nicht sagen, wie ich mich darauf freue, die
                   Opern in Berlin zu hören, und mit Ihnen zu
                hören!
                                                                Die Berliner Erstaufführungen der Opern Turandot und Arlecchino fanden am 19. Mai 1921 als Doppelvorstellung in der Staatsoper statt. Insgesamt gab es fünf Vorstellungen im Mai und Juni 1921 (vgl. Beaumont 1987, S. 335, Anm. 4; Busoni/Weindel 2015, S. 1136, Anm. 41).
             
            
            Wir denken einige Tage vor dem 20. in
                Berlin zu sein, denn ich möchte ein paar
                Quintettproben mitmachen. Der Abschied von
                Zürich war einfach und kurz. Wir gingen
                in den letzten Tagen einige Male zu Biolleys,
                die sehr lieb mit uns waren. Andreae schien
                betrübt, die meisten aber erstaunt und be- 
                                                         
                                                     | 
                                                    
                                                        
            
            
            
            
               
               Mein lieber Freund und Meister! 
            
            
            
               Empfangen Sie meinen allerherzlichsten Dank
                für die liebe Freundestat Ihrer Empfehlung an
                den Fürsten Fürstenberg.
                                                                Im Sommer 1921 fanden die Donaueschinger Musiktage zum ersten Mal statt. Der Fürst Maximilian Egon zu Fürstenberg finanzierte die Kammermusiktage, stellte die Räumlichkeiten und war Mitglied des Programmausschusses.
               
               
               Ihre Weisung befolgend,
                habe ich gestern ein Quintett-Exemplar nach
                Donaueschingen abgeschickt.
                                                                Busoni war Mitglied des Ehrenausschusses der Donaueschinger Musiktage und empfahl der Jury u. a. Jarnachs Streichquintett op. 10, das zur Aufführung angenommen wurde (vgl. Weiss 1996, S. 133).
               
               – Ich bin ganz
                erfreut zu hören, dass Sie schon Anfang Mai
                zurückgekehrt sein werden, und hoffe, dass
                dieser Brief Sie noch vor der Abreise erreicht.
                                                                Im April 1921 spielte Busoni für fünf Konzerte in Rom (vgl. Couling 2005, S. 330).
               
               
                Wir erhielten kürzlich durch Frl. Simon gute
                Nachrichten von Ihnen; ich kann Ihnen gar
                nicht sagen, wie ich mich darauf freue, die
                   Opern in Berlin zu hören, und mit Ihnen zu
                hören!
                                                                Die Berliner Erstaufführungen der Opern Turandot und Arlecchino fanden am 19. Mai 1921 als Doppelvorstellung in der Staatsoper statt. Insgesamt gab es fünf Vorstellungen im Mai und Juni 1921 (vgl. Beaumont 1987, S. 335, Anm. 4; Busoni/Weindel 2015, S. 1136, Anm. 41).
             
            
            Wir denken einige Tage vor dem 20. in
                Berlin zu sein, denn ich möchte ein paar
                Quintettproben mitmachen. Der Abschied von
                Zürich war einfach und kurz. Wir gingen
                in den letzten Tagen einige Male zu Biolleys,
                die sehr lieb mit uns waren. Andreae schien
                betrübt, die meisten aber erstaunt und befremdet darüber, dass man, als Künstleraufenthalt,
                irgendeine andere Stadt Zürich vorziehen konnte.
                Manche waren sehr kühl, und einige, glaube ich,
                freuen sich. 
            
            Ich freue mich auch. – Obgleich ich nie vergessen
                oder unterschätzen werde, was mir der – fast
                siebenjährige! – Aufenthalt in Zürich Wertvolles
                und Schönes gebracht hat. Liebe Freunde lassen
                wir dort, die uns in schwierigen Zeiten halfen,
                und dort wurde mir das Glück, Sie kennen
                zu lernen. – Aber das Fortgehen war uns wie
                eine Befreiung. 
            
            Ich lese jetzt die „Brautwahl“, und der anfängliche
                Eindruck, von dem ich Ihnen sprach, steigert
                sich von Szene zu Szene. Das Werk ist absolut
                rund und ganz, von einer verwirrenden Fülle
                der Einfälle, die aber alle mit fabelhafter
                Präzision ausgearbeitet sind und einander
                ergänzen, dergestalt, dass, trotz textlicher Ausführlichkeit, nirgends der Eindruck des „Durchkomponierten“ aufkommt. Im Gegenteil:
                dieser Musik ist der Text immer knapp
                angemessen und „sitzt“. Nichts Überflüssiges,
                übergroße Diskretion des Gefühls neben
                flammender Heftigkeit der Charakteristik,
               
               
               
                eine meisterhafte Bühnenschöpfung! Für Inszenator
                und Darsteller allerdings eine schwere, vielleicht
                ebenso schwere Aufgabe wie „Figaro“ und „Don
                   Giovanni“. – Es gilt, wie im Figaro, den Ton eines
                ganz bestimmten Zeitstiles zu treffen und zu wahren, ohne Individualitätsunterschiede irgendwie
                im Typenhaften erstarren zu lassen (eine Gefahr,
                die für die Regie des „Arlecchino“ nicht existiert,
                da dort alle Figuren als absichtlich grelle Typen
                an der Peripherie eines einzigen Persönlichkeitszentrums – Arlecchino – stehen); und, wie im
                Don Giovanni, das immer stärker hereinbrechende phantastische Element und die groteske
                Reaktion des materialistischen Milieus darauf
                mit ernsthafter Realistik zu behandeln. (Sie erinnern sich vielleicht, wie wir einmal davon
                sprachen, dass realistische Genauigkeit das notwendige Ziel alles phantastischen Spieles sei?)
                Dazu bietet Ihr Textbuch die schönste Möglichkeit;
                wie unsre Opernregiekunst aber steht, sind befriedigende Lösungen vorläufig nur als Ausnahmen zu erwarten. Ein fähiger Inszenator für
                die Brautwahl wäre – vielleicht – der Opernhistoriker Ernst Lert, dessen Buch „Mozart auf
                   dem Theater“ mir ein trotz mancher Übertreibung
               
               
               
               sehr wertvolles Werk zu sein scheint. Dieser Mann
                zerstört von vornherein die seit Wagner herkömmliche Regietradition, indem er Stil und Bewegung
                der Darstellung in erster Linie aus der Musik
                herleitet und den Text nur nach der Art seiner
                Auslegung seitens des Komponisten verstanden
                wissen will. Was damit erreicht werden kann,
                zeigt er mit seinen – beschriebenen und illustrierten – Inszenierungen der Mozart’schen Opern. 
            
            Verzeihen Sie das lange Geschwätz, das, ich
                fürchte, für Sie gar nicht aktuell ist. Aber
                bedenken Sie, dass ich erst soeben die Bekanntschaft der „Brautwahl“ machte und an ihr
                eine große Freude erlebte, Freude und vielfältige Anregung. Darüber konnte ich nicht
                schweigen. 
            
            Ich arbeite jetzt wieder an meinem heiteren
                Satz.
                                                                Eine Zuordnung zu Jarnachs fragmentarischen Sinfonischen Skizzen wird durch den Papierbefund nahegelegt (vgl. Weiss 1996, S. 415).
             
            
            
          
                                                     | 
                                                    
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
            
            <note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">N.Mus.Nachl. 30, 124</note>
            
            <opener>
               <dateline rend="align(right) space-above"><placeName key="E0500707">Polling</placeName>, <date when-iso="1921-04-07/1921-04-10">7<reg>.</reg>–10<reg>.</reg> April 1921</date></dateline>
               <salute rend="indent space-above">Mein lieber <persName key="E0300017">Freund und Meister</persName>!</salute>
            </opener>
            
            <p rend="indent-first space-above">
               Empfangen Sie meinen allerherzlichsten Dank
               <lb/>für die liebe Freundestat Ihrer Empfehlung an
               <lb/>den <persName key="E0300661">Fürsten Fürstenberg</persName>.
               
               <note type="commentary" resp="#E0300617">Im Sommer <date when="1921">1921</date> fanden die <orgName key="E0600182"><placeName key="E0500463">Donaueschinger</placeName> Musiktage</orgName> zum ersten Mal statt. Der Fürst <persName key="E0300661">Maximilian Egon zu Fürstenberg</persName> finanzierte die <orgName key="E0600182">Kammermusiktage</orgName>, stellte die Räumlichkeiten und war Mitglied des Programmausschusses<!-- (Vgl. <ref type= "ext" target= "http://www.hindemith.info/de/leben-werk/biographie/1918-1927/leben/donaueschingen-1921/">Seiten der Fondation Hindemith</ref>.)-->.</note>
               <!-- bessere Quelle? -->
               
               Ihre Weisung befolgend<reg>,</reg>
               <lb/>habe ich gestern ein <title key="E0400498">Quintett</title><choice><orig>e</orig><reg>-E</reg></choice>xemplar nach
               <lb/><placeName key="E0500463">Donaueschingen</placeName> abgeschickt.
               
               <note type="commentary" resp="#E0300617"><persName key="E0300017">Busoni</persName> war Mitglied des Ehrenausschusses der <orgName key="E0600182"><placeName key="E0500463">Donaueschinger</placeName> Musiktage</orgName> und empfahl der Jury u. a. <persName key="E0300376">Jarnachs</persName> <title key="E0400498">Streichquintett op. 10</title>, das zur Aufführung angenommen wurde <bibl>(vgl. <ref target="#E0800350"/>, S. 133)</bibl>.</note>
               
               – Ich bin ganz
               <lb/>erfreut zu hören, dass Sie schon Anfang <date when-iso="1921-05">Mai</date>
               <lb/>zurückgekehrt sein werden<reg>,</reg> und hoffe, dass
               <lb/>dieser Brief Sie noch vor der Abreise erreicht.
               
               <note type="commentary" resp="#E0300617">Im <date when-iso="1921-04">April 1921</date> spielte <persName key="E0300017">Busoni</persName> für fünf Konzerte in <placeName key="E0500020">Rom</placeName> <bibl>(vgl. <ref target="#E0800196"/>, S. 330)</bibl>.</note>
               <!-- genauere Reise-/Konzertdaten? Hat Busoni den Brief noch vor Abreise erhalten? (Offenbar nicht, seine Antwort gilt wohl eher Jarnachs vorherigem Brief.) -->
               
               <lb/>Wir erhielten kürzlich durch <persName key="E0300641"><abbr>Frl.</abbr> Simon</persName> gute
               <lb/>Nachrichten von Ihnen; ich kann Ihnen gar
               <lb/>nicht sagen, wie ich mich darauf freue, <rs type="works" key="E0400153 E0400133">die
                  <lb/>Opern</rs> in <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> zu hören, und mit Ihnen zu
               <lb/>hören!
               
               <note type="commentary" resp="#E0300617">Die <placeName key="E0500029">Berliner</placeName> Erstaufführungen der Opern <title key="E0400153">Turandot</title> und <title key="E0400133">Arlecchino</title> fanden am <date when-iso="1921-05-19">19. Mai 1921</date> als Doppelvorstellung in der <orgName key="E0600106">Staatsoper</orgName> statt. Insgesamt gab es fünf Vorstellungen im <date when-iso="1921-05/1921-06">Mai und Juni 1921</date> <bibl>(vgl. <ref target="#E0800060"/>, S. 335, Anm. 4; <ref target="#E0800023"/>, S. 1136, Anm. 41)</bibl>.</note>
            </p>
            
            <p type="pre-split" rend="indent-first">Wir denken einige Tage vor dem <date when-iso="1921-05-20">20.</date> in
               <lb/><placeName key="E0500029">Berlin</placeName> zu sein, denn ich möchte ein paar
               <lb/><title key="E0400498">Quintett</title>proben mitmachen. Der Abschied von
               <lb/><placeName key="E0500132">Zürich</placeName> war einfach und kurz. Wir gingen
               <lb/>in den letzten Tagen einige Male <rs key="E0500847">zu <rs type="persons" key="E0300173 E0300748">Biolleys</rs></rs>,
               <lb/>die sehr lieb mit uns waren. <persName key="E0300129">Andreae</persName> schien
               <lb/>betrübt, die meisten aber erstaunt und be
               
               </p></div> 
                                                             | 
                                                
                                                
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                                                          2Facsimile 
                                                     | 
                                                    
                                                          2Diplomatic transcription 
                                                     | 
                                                    
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               fremdet darüber, dass man, als Künstleraufenthalt,
                irgendeine andre Stadt Zürich vorziehen konnte.
                Manche waren sehr kühl und einige, glaube ich,
                freuen sich. 
            
            Ich freue mich auch. – Obgleich ich nie vergessen
                oder unterschätzen werde, was mir der – fast
                siebenjährige! – Aufenthalt in Zürich, Wertvolles
                und Schönes gebracht hat. Liebe Freunde lassen
                wir dort, die uns in schwierigen Zeiten halfen,
                und dort wurde mir das Glück, Sie kennen
                zu lernen. – Aber das Fortgehen war uns wie
                eine Befreiung. 
            
            Ich lese jetzt die „Brautwahl“ und der anfängliche
                Eindruck, von dem ich Ihnen sprach, steigert
                sich von Szene zu Szene. Das Werk ist absolut
                rund und ganz, von einer verwirrenden Fülle
                der Einfälle, die aber alle mit fabelhafter
                Präzision ausgearbeitet sind und einander
                ergänzen, dergestalt dass, trotz textlicher Ausführ- lichkeit, nirgends der Eindruck des „Durch- komponierten“ aufkommt. Im Gegenteil:
                dieser Musik ist der Text immer knapp
                angemessen und „sitzt“. Nichts Ueberflüssiges,
                übergrosse Diskretion des Gefühls neben
                flammender Heftigkeit der Charakteristik,
                  Preußischer
                      Staats-
                      bibliothek
                      zu Berlin
                      Kulturbesitz
                  
               
               
                
                                                         
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                                                          3Diplomatic transcription 
                                                     | 
                                                    
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                                                                 N.Mus.Nachl. 30, 124 3
               
               eine meisterhafte Buhnenschöpfung! Für Inszenator
                und Darsteller allerdings eine schwere, vielleicht
                ebenso schwere Aufgabe wie  „Figaro“ und  „Don
                   Giovanni“. – Es gilt, wie im  Figaro, den Ton eines
                ganz bestimmten Zeitstiles zu treffen und zu wah- ren, ohne Individualitätsunterschiede irgendwie
                im Typenhaften erstarren zu lassen, (eine Gefahr
                die für die Regie des  „Arlecchino“ nicht existiert,
                da dort alle Figuren als absichtlich grelle Typen
                an der Peripherie eines einzigen Persönlichkeits- zentrums – Arlecchino – stehen;) und wie im
                Don Giovanni, das immer stärker hereinbre- chende phantastische Element und die groteske
                Reaktion des materialistischen Milieus darauf
                mit ernsthafter Realistik zu behandeln. (Sie er- innern sich vielleicht, wie wir einmal davon
                sprachen, dass realistische Genauigkeit das not- wendige Ziel alles phantastischen Spieles sei?)
                Dazu bietet Ihr Textbuch die schönste Möglichkeit;
                wie unsre Opernregiekunst aber steht, sind be- friedigende Lösungen vorläufig nur als Aus- nahmen zu erwarten. Ein fähiger Inszenator für
                die  Brautwahl wäre – vielleicht – der Opern- historiker  Ernst Lert, dessen Buch:  „Mozart auf
                   dem Theater“ mir ein trotz mancher Übertreibung
               
               
                                                          
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                                                          4Diplomatic transcription 
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               sehr wertvolles Werk zu sein scheint. Dieser Mann
                zerstört von vornherein die seit Wagner herkömm- liche Regietradition, indem er Stil u. Bewegung
                der Darstellung in erster Linie aus der Musik
                herleitet und den Text nur nach der Art seiner
                Auslegung seitens des Komponisten verstanden
                wissen will. Was damit erreicht werden kann,
                zeigt er mit seinen – beschriebenen und illustrier- ten – Inszenierungen der Mozart’schen Opern. 
            
            Verzeihen Sie das lange Geschwätz, das, ich
                fürchte, für Sie gar nicht aktuell ist. Aber
                bedenken Sie, dass ich erst soeben die Bekannt- schaft der „Brautwahl“ machte, und an ihr
                eine grosse Freude erlebte, Freude und viel- fältige Anregung. Darüber konnte ich nicht
                schweigen. 
            
            Ich arbeite jetzt wieder an meinem heiteren
                Satz.
                                                                Eine Zuordnung zu Jarnachs fragmentarischen Sinfonischen Skizzen wird durch den Papierbefund nahegelegt (vgl. Weiss 1996, S. 415).
             
            
            
               Auf baldiges Wiedersehen, mein lieber Meister.
                   Grüssen Sie, bitte, Frau Busoni vielmals von
                   uns, und seien Sie selbst herzlichst gegrüsst
                   von Amalie-Ursula und Ihrem treu ergebenen 
                                                                
                                                                    
                  Preußischer
                      Staats-
                      bibliothek
                      zu  Berlin
                     Kulturbesitz
                  
                 
                                                                 
               Philipp Jarnach
                
             
          
                                                     | 
                                                    
                                                            
                                                                <div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
               
               sehr wertvolles Werk zu sein scheint. <rs key="E0300660">Dieser Mann</rs>
               <lb/>zerstört von vornherein die seit <persName key="E0300006">Wagner</persName> herkömm
               <lb break="no"/>liche Regietradition, indem er Stil <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Bewegung
               <lb/>der Darstellung in erster Linie aus der Musik
               <lb/>herleitet und den Text nur nach der Art seiner
               <lb/>Auslegung seitens des Komponisten verstanden
               <lb/>wissen will. Was damit erreicht werden kann,
               <lb/>zeigt er mit seinen – beschriebenen und illustrier
               <lb break="no"/>ten – Inszenierungen der <persName key="E0300010">Mozart</persName>’schen Opern.</p>
            
            <p rend="space-above">Verzeihen Sie das lange Geschwätz, das, ich
               <lb/>fürchte, für Sie gar nicht aktuell ist. Aber
               <lb/>bedenken Sie, dass ich erst soeben die Bekannt
               <lb break="no"/>schaft der <title key="E0400138" rend="dq-du">Brautwahl</title> machte<orig>,</orig> und an ihr
               <lb/>eine gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e Freude erlebte, Freude und viel
               <lb break="no"/>fältige Anregung. Darüber konnte ich nicht
               <lb/>schweigen.</p>
            
            <p>Ich arbeite jetzt wieder an <rs key="E0400619">meinem heiteren
               <lb/>Satz</rs>.
               
               <note type="commentary" resp="#E0300314">Eine Zuordnung zu Jarnachs fragmentarischen <title key="E0400618">Sinfonischen Skizzen</title> wird durch den Papierbefund nahegelegt <bibl>(vgl. <ref target="#E0800350"/>, S. 415)</bibl>.</note>
            </p>
            
            <closer>
               <salute>Auf baldiges Wiedersehen, mein lieber Meister.
                  <lb/>Grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Sie, bitte, <persName key="E0300059">Frau Busoni</persName> vielmals von
                  <lb/>uns, und seien Sie selbst herzlichst gegrü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>t
                  <lb/>von <persName key="E0300664">Amalie-Ursula</persName> und Ihrem treu ergebenen</salute>
               
               <note type="stamp" place="margin-right" resp="#sbb_st_red">
                  <stamp rend="round border align(center) majuscule tiny">Preußischer
                     <lb/>Staats-
                     <lb/>bibliothek
                     <lb/>zu <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
                     <lb/>Kulturbesitz
                  </stamp>
               </note>
               <signed rend="space-above align(right) underline"><persName key="E0300376">Philipp Jarnach</persName>
               </signed>
            </closer>
         </div> 
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