Philipp Jarnach to Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Obstalden · July 14, 1917

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N.Mus.Nachl. 30,93
Obstalden den 14. Juli 1917.

Verehrter Meister und Freund!

Vielen Dank für Ihren lieben Brief und die Uebersendung
des Tonhalleberichtes. Ich wollte Ihnen sofort antworten, aber
der „Prolog zu einem Ritterspiele“ spielt mir böse Streiche.
Ich schlage mich durch ein zähes Gestrüpp schlechter Kontra⸗
punkte hindurch; erst heute abends erblickte ich den rettenden
Ausgang, der zu einem dämmerigen und wollustweichen Des-Dur
mich führen soll …

Die Abschrift des „Wandbildes“ ist fertig; morgen schicke ich
Ihnen das Originalmanuskript zurück. Auch habe ich ange⸗
fangen den Arlecchino=Auszug zu revidieren. Die Unspielbarkeit
mancher Stelle ist auf unnötige Oktavverdoppelungen des
Diskants zurückzuführen, – was aber leicht umzuändern ist.
Ich bin auf Seite 40 gekommen. Das übrige lässt sich in
vier oder fünf Stunden erledigen. – Nicht so mit der „Turan⸗
dot“
, woran neu zu schreiben ist. Auch möchte ich, bevor die
Auszüge
zum Druck geschickt werden, mit Ihnen manche
Kleinigkeiten mündlich besprechen.

Die Frage, ob ich die Komposition des „Wandbildes“ sofort anfan⸗
gen werde oder später ist mir zum Problem geworden. Ich
möchte so gern anfangen solange ich noch Herr meiner Zeit
bin; andrerseits bin ich so vertieft in der bewussten Ritterposse
Preußischer
Staats⸗
bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz

Obstalden, den 14. Juli 1917.

Verehrter Meister und Freund!

Vielen Dank für Ihren lieben Brief und die Übersendung des Tonhalle-Berichtes. Ich wollte Ihnen sofort antworten, aber der „Prolog zu einem Ritterspiele“ spielt mir böse Streiche. Ich schlage mich durch ein zähes Gestrüpp schlechter Kontrapunkte hindurch; erst heute abends erblickte ich den rettenden Ausgang, der zu einem dämmerigen und wollustweichen Des-Dur mich führen soll …

Die Abschrift des „Wandbildes“ ist fertig; morgen schicke ich Ihnen das Originalmanuskript zurück. Auch habe ich angefangen, den Arlecchino-Auszug zu revidieren. Die Unspielbarkeit mancher Stelle ist auf unnötige Oktavverdoppelungen des Diskants zurückzuführen – was aber leicht umzuändern ist. Ich bin auf Seite 40 gekommen. Das Übrige lässt sich in vier oder fünf Stunden erledigen. – Nicht so mit der „Turandot“, woran neu zu schreiben ist. Auch möchte ich, bevor die Auszüge zum Druck geschickt werden, mit Ihnen manche Kleinigkeiten mündlich besprechen.

Die Frage, ob ich die Komposition des „Wandbildes“ sofort anfangen werde oder später, ist mir zum Problem geworden. Ich möchte so gern anfangen, solange ich noch Herr meiner Zeit bin; andrerseits bin ich so vertieft in der bewussten Ritterposse, dass es mir schwer wird, diese Arbeit zu unterbrechen. Ich habe schon 30 Seiten hinter mir, und das Ganze wird 50 Seiten wahrscheinlich nicht überschreiten. Wenn ich etwas schneller komponieren könnte, so würde ich noch vor dem 10. August dazu kommen, die erste Szene der Pantomime zu skizzieren, für welche ich eine Idee habe. – Ich habe sogar einige Anfangstakte der Verwandlungsmusik geschrieben. Wie schön ist Ihr Text! Ich habe ihn seitdem zweimal wiedergelesen und fühle immer eindringlicher, was alles in diesen wenigen Zeilen enthalten ist – ich denke jetzt nicht an das Phantastische, Rätselhafte darin, obwohl das es war, was mich zuerst frappierte. Der Mädchengesang z. B. erweitert die Bedeutung der Fabel in erstaunlicher Weise. Sie schildern nicht, wie das Märchen, ein Erlebnis, sondern resümieren ein Menschenschicksal in einfachen, ruhigen Zügen. Die sinnende Schönheit dieses Gedichtes, darin die Ermutigung einer Erkenntnis ohne Bitterkeit machen es für mein Gefühl zu einer hohen Äußerung menschlicher Güte und künstlerischen Empfindens. Danke, mein lieber Meister und Freund! Sie fahren fort, uns durch Beispiel den Weg zu zeigen. Nur diesmal haben Sie mich eingeschüchtert. Wie soll ich es fertigbringen, das Gedicht durch Musik nicht zu beeinträchtigen? Dieser schwebende Rhythmus muss bewahrt werden! Ich vermute, dass dieser Chor mich mehr Arbeit kosten wird als die ganze übrige Pantomime.

Herzlichste Grüße von uns beiden an Sie und Frau Busoni. Nochmals Dank dem Lello für seine energische Radierung – eine, für mein Laiengefühl, entscheidende Kraftprobe.

Ihr Philipp Jarnach

                                                                
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dass es mir schwer wird, diese Arbeit zu unterbrechen.
Ich habe schon 30 Seiten hinter mir und das ganze wird 50 S.
wahrscheinlich nicht überschreiten. Wenn ich etwas schneller
komponieren könnte, so würde ich noch vor dem 10n August
dazu kommen, die erste Szene der Pantomime zu skizzieren,
für welche ich eine Idee habe. – Ich habe sogar einige Anfangs⸗
takte der Verwandlungsmusik geschrieben. – Wie schön ist Ihr
Text
! Ich habe ihn seitdem zweimal wiedergelesen und fühle
immer eindringlicher was alles in diesen wenigen Zeilen
enthalten ist, – ich denke jetzt nicht an das Phantastische,
Rätselhafte darin, – obwohl das es war, was mich zuerst
frappierte. Der Mädchengesang z. B. erweitert die Bedeutung der
Fabel in erstaunlicher Weise. Sie schildern nicht, wie das
Märchen, ein Erlebnis, sondern resümieren ein Menschenschicksal
in einfachen, ruhigen Zügen. Die sinnende Schönheit dieses
Gedichtes, darin die Ermutigung einer Erkenntnis ohne Bitter⸗
keit machen es für mein Gefühl zu einer hohen Äusserung
menschlicher Güte und künstlerischesn Empfindens. Danke,
mein lieber Meister und Freund! Sie fahren fort, uns
durch Beispiel den Weg zu zeigen. Nur diesmal haben
Sie mich eingeschüchtert. Wie soll ich es fertig bringen,
das Gedicht durch Musik nicht zu beeinträchtigen?
Dieser schwebende Rhythmus muss bewahrt werden!
Ich vermute dass dieser Chor mich mehr Arbeit kosten
wird als die ganze übrige Pantomime.

Herzlichste Grüsse von uns beiden an Sie und Frau Busoni[.]
Nochmals Dank dem Lello für seine energische Radierung
[left border, lengthwise:]
[–] eine, für mein Laiengefühl, entscheidende Kraftprobe.

Ihr Philipp Jarnach
                                                                
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4Diplomatic transcription
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Absender: Philipp Jarnach – in Obstalden.
Zu N.Mus.Nachl. 30,93
Zürich
16.VII.17.XI-
Brf. Exp.
Preußischer
Staats⸗
bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
                                                                
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Document

doneStatus: candidate XML Facsimile Download / Cite

Provenance
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Nachl. 30,93 |

proof Kalliope

Condition
Der Brief ist gut erhalten; Umschlagaufriss rechts (offenbar ohne Textverlust).
Extent
1 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Philipp Jarnach, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)

Summary
Jarnach dankt für die Zusendung eines Tonhalle-Berichtes“; hat 40 Seiten des Arlecchino-Klavierauszugs revidiert; hält beim Turandot-Auszug Neufassungen für nötig; hat eine Abschrift von Busonis Libretto Das Wandbild angefertigt und „einige Anfangstakte“ komponiert; fühlt sich durch die Qualität der Dichtung „eingeschüchtert“; möchte zuerst die stockende Arbeit an seinem „Prolog zu einem Ritterspiele“ zu Ende bringen.
Incipit
Vielen Dank für Ihren lieben Brief und die Übersendung

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
Revision
March 4, 2021: candidate (coding checked, proofread)
Direct context
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