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N.Mus.Nachl. 30, 110
Mein lieber, verehrter Meister!
Nun das Datum heranrückt, an welchem
Sie voraussichtlich wieder in Zürich sein
werden, drängt es mich, Ihnen zu sagen, mit
welcher Freude wir Ihrer Rückkehr entgegen⸗ sehen. In dieser Zeit Ihrer Abwesenheit ist
es mir so recht zum Bewusstsein gekommen,
was unsere Plaudereien für mich bedeuteten;
Sie können es mir glauben, ohne mich mit
dem Verdacht der Schmeichelei zu belasten,
dass Ihr Umgang, – für einen Kerl, der „nicht
nach unten blicken mag“, schwer entbehrliche
Anregungen in sich schliesst. – Und in diesem
verdriesslichen November, wo Wind und Regen
endlose Doppelfugati aneinanderreihen, Herr
Feuerzauberwachtmeister Dillmann auf dem
Flügel richardwagnert,
und Feinhals seine
schlackenlose Stimme in den Dienst schatten⸗ loser Frauen
stellt, während einen hand⸗ werkliche Obliegenheiten im Komponieren
stören, – möchte man sich mit der Musik
ernstlich entzweien, wüsste man nicht, dass
irgendwo eine Lokomotive dampft, die uns
Busoni zurückbringen wird.
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Mein lieber, verehrter Meister!
Nun das Datum heranrückt, an welchem
Sie voraussichtlich wieder in Zürich sein
werden, drängt es mich, Ihnen zu sagen, mit
welcher Freude wir Ihrer Rückkehr entgegensehen. In dieser Zeit Ihrer Abwesenheit ist
es mir so recht zum Bewusstsein gekommen,
was unsere Plaudereien für mich bedeuteten;
Sie können es mir glauben, ohne mich mit
dem Verdacht der Schmeichelei zu belasten,
dass Ihr Umgang – für einen Kerl, der „nicht
nach unten blicken mag“ – schwer entbehrliche
Anregungen in sich schließt. – Und in diesem
verdrießlichen November, wo Wind und Regen
endlose Doppelfugati aneinanderreihen, Herr
Feuerzauberwachtmeister Dillmann auf dem
Flügel richardwagnert
und Feinhals seine
schlackenlose Stimme in den Dienst schattenloser Frauen
stellt, während einen handwerkliche Obliegenheiten im Komponieren
stören – möchte man sich mit der Musik
ernstlich entzweien, wüsste man nicht, dass
irgendwo eine Lokomotive dampft, die uns
Busoni zurückbringen wird.
Wir waren in München. Dort lauter
Novitäten: Pfitzner leitete die IV. Symphonie
von Schumann, Steiner sang „Morgen“
und „Ständchen“ von Richard Strauss, Rosé
vermittelte einem fortschrittlichen Publikum
die abstraktesten Quartette Joseph Haydns.
Nach Einsichtnahme dieser und anderer
Programme fuhren wir nach Polling,
wo wir zwei freudige Wochen verbrachten,
in dem wunderschönen Barockhaus, von
dem ich Ihnen erzählt habe, und mit
lieben Menschen.
Nach meiner Rückkehr habe ich meinen
Sinfoniesatz fertig gemacht und beschlossen,
wenigstens vorläufig, keine Fortsetzung
zu schreiben. – Da das Schoeck’sche
„Wandbild“ seit einem Jahr verschwunden
war, dachte ich daran, „das meinige“ doch
zu vollenden.
Nachdem Jarnach das ihm gewidmete Libretto Busonis nicht zeitnah komponieren konnte, bot Busoni es Othmar Schoeck zur Vertonung an (Weiss 1996, S. 71).
Aber, unerhört! heute lese
ich in der Zeitung, dass die Partitur
Schoecks wiedergefunden, und von Breitkopf
ans Herz … gedruckt wird!
Den Hinweis darauf, dass sich Othmar Schoecks Vertonung von Busonis Wandbild-Libretto im Druck befindet, las Busoni sehr wahrscheinlich in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19.11.1919, Rubrik „Feuilleton/Kleine Chronik“, 140. Jg., Nr. 1792, 2. Morgenblatt, [S. 5].
Mein Manuskript muss sich in der Schublade
wieder einleben.
Verzeihen Sie diesen geistlosen Brief. Eigentlich
wollte ich Ihnen nur meinen und der Ursula
allerherzlichsten Gruß senden!
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<note type="shelfmark" resp="#archive" place="top" rend="space-below">N.Mus.Nachl. 30, 110</note>
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<salute rend="align(center) space-below">Mein lieber, verehrter <rs key="E0300017">Meister</rs>!</salute>
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<p rend="indent indent-first">Nun das Datum heranrückt, an welchem
<lb/>Sie voraussichtlich wieder in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName> sein
<lb/>werden, drängt es mich, Ihnen zu sagen, mit
<!-- wann genau und von wo kehrte Busoni zurück? -->
<lb/>welcher Freude wir Ihrer Rückkehr entgegen
<lb break="no"/>sehen. In dieser Zeit Ihrer Abwesenheit ist
<lb/>es mir so recht zum Bewusstsein gekommen,
<lb/>was unsere Plaudereien für mich bedeuteten;
<lb/>Sie können es mir glauben, ohne mich mit
<lb/>dem Verdacht der Schmeichelei zu belasten,
<lb/>dass Ihr Umgang<orig>,</orig> – für einen Kerl, der <soCalled rend="dq-du">nicht
<lb/>nach unten blicken mag</soCalled><choice><orig>,</orig><reg> –</reg></choice> schwer entbehrliche
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<lb/>verdrie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>lichen November, wo Wind und Regen
<lb/>endlose Doppelfugati aneinanderreihen, Herr
<lb/><title key="E0400651">Feuerzauber</title>wachtmeister <persName key="E0300720">Dillmann</persName> auf dem
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<!-- um was für eine Veranstaltung (mit Musik aus der Walküre am Klavier?) geht es hier? -->
und <persName key="E0300585">Feinhals</persName> seine
<lb/>schlackenlose Stimme in den Dienst <rs key="E0400575">schatten
<lb break="no"/>loser Frauen</rs>
<!-- hat Feinhals in der EA München der Frau ohne Schatten gesungen? -->
stellt, während einen hand
<lb break="no"/>werkliche Obliegenheiten im Komponieren
<lb/>stören<orig>,</orig> – möchte man sich mit der Musik
<lb/>ernstlich entzweien, wüsste man nicht, dass
<lb/>irgendwo eine Lokomotive dampft, die uns
<lb/><persName key="E0300017">Busoni</persName> zurückbringen wird.</p>
</div>
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Wir waren in München. Dort lauter
Novitäten: Pfitzner leitete die IV:e Symphonie
von Schumann, Steiner sang „Morgen“
und „Ständchen“ von Rich. Strauss, Rosé
vermittelte einem fortschrittlichem Publikum
die abstraktesten Quartette Jos. Haydns.
Nach Einsichtnahme dieser u. anderer
Programme fuhren wir nach Polling
wo wir zwei freudige Wochen verbrachten,
in dem wunderschönen Barockhaus von
dem ich Ihnen erzählt habe, und mit
lieben Menschen.
Nach meiner Rückkehr habe ich meinen
Sinfoniesatz fertig gemacht und beschlossen,
wenigstens vorläufig, keine Fortsetzung
zu schreiben. – Da das Schoeck’sche
„Wandbild“ seit einem Jahr verschwunden
war, dachte ich daran „das meinige“ doch
zu vollenden.
Nachdem Jarnach das ihm gewidmete Libretto Busonis nicht zeitnah komponieren konnte, bot Busoni es Othmar Schoeck zur Vertonung an (Weiss 1996, S. 71).
Aber, unerhört! heute lese
ich in der Zeitung, dass die Partitur
Schoecks wiedergefunden, und von Breitkopf
ans Herz … gedruckt wird!
Den Hinweis darauf, dass sich Othmar Schoecks Vertonung von Busonis Wandbild-Libretto im Druck befindet, las Busoni sehr wahrscheinlich in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19.11.1919, Rubrik „Feuilleton/Kleine Chronik“, 140. Jg., Nr. 1792, 2. Morgenblatt, [S. 5].
Mein Manuskript muss sich in der Schublade
wieder einleben.
Verzeihen Sie diesen geistlosen Brief. Eigentlich
wollte ich Ihnen nur meinen und der Ursula
Preußischer
Staats⸗ bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
[am rechten Rand, längs:] allerherzlichsten Gruss senden!
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<p>Wir waren in <placeName key="E0500034">München</placeName>. Dort lauter
<lb/>Novitäten: <persName key="E0300084">Pfitzner</persName> leitete die <title key="E0400004">IV<choice><orig>:<seg rend="sup">e</seg></orig><reg>.</reg></choice> Symphonie</title>
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<lb/>vermittelte einem fortschrittliche<choice><sic>m</sic><corr>n</corr></choice> Publikum
<lb/>die abstraktesten Quartette <persName key="E0300466"><choice><abbr>Jos.</abbr><expan>Joseph</expan></choice> Haydns</persName>.
<!-- Details zu den Veranstaltungen? Termine der Münchner Presse? -->
<lb/>Nach Einsichtnahme dieser <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> anderer
<lb/>Programme fuhren wir nach <placeName key="E0500707">Polling</placeName><reg>,</reg>
<lb/>wo wir zwei freudige Wochen verbrachten,
<lb/>in <rs key="E0500824">dem wunderschönen Barockhaus</rs><reg>,</reg> von
<lb/>dem ich Ihnen erzählt habe, und mit
<lb/>lieben Menschen.</p>
<p>Nach meiner Rückkehr habe ich meinen
<lb/><rs key="E0400534">Sinfoniesatz</rs> fertig gemacht und beschlossen,
<lb/>wenigstens vorläufig, keine Fortsetzung
<lb/>zu schreiben. – Da das <persName key="E0300141">Schoeck</persName>’sche
<lb/><title key="E0400482" rend="dq-du">Wandbild</title> seit einem Jahr verschwunden
<lb/>war, dachte ich daran<reg>,</reg> <soCalled rend="dq-du">das meinige</soCalled> doch
<lb/>zu vollenden.
<note type="commentary" resp="#E0300623">Nachdem <persName key="E0300376">Jarnach</persName> das ihm gewidmete Libretto <persName key="E0300017">Busonis</persName> nicht zeitnah komponieren konnte, bot Busoni es <persName key="E0300141">Othmar Schoeck</persName> zur Vertonung an <bibl>(<ref target="#E0800350"/>, S. 71)</bibl>.</note>
<!-- wann war das genau? -->
Aber, unerhört! heute lese
<lb/>ich in der <rs key="E0600026">Zeitung</rs>, dass <rs key="E0400482">die Partitur</rs>
<lb/><persName key="E0300141">Schoecks</persName> wiedergefunden, und von <orgName key="E0600002">Breitkopf</orgName>
<lb/>ans Herz … gedruckt wird!
<note type="commentary" resp="#E0300361">
Den Hinweis darauf, dass sich <persName key="E0300141">Othmar Schoecks</persName> <rs key="E0400482">Vertonung</rs> von <persName key="E0300017">Busonis</persName> <title key="E0400481">Wandbild</title>-Libretto im Druck befindet, las <persName key="E0300017">Busoni</persName> sehr wahrscheinlich in der <bibl><orgName key="E0600026">Neuen <placeName key="E0500132">Zürcher</placeName> Zeitung</orgName> vom <date when-iso="1919-11-19">19.11.1919</date>, Rubrik <title rend="dq-du">Feuilleton/Kleine Chronik</title>, 140. Jg., Nr. 1792, 2. Morgenblatt, [S. 5]</bibl>.
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<p>Mein Manuskript muss sich in der Schublade
<lb/>wieder einleben.
</p>
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<lb/>wollte ich Ihnen nur meinen und der <persName key="E0300664">Ursula</persName>
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Zürich 1
6–7
20·XI
1919
Briefversand
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<address xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0">
<addrLine>Mr. <persName key="E0300017">Ferruccio Busoni</persName></addrLine>
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<addrLine rend="align(right)"><hi rend="underline"><placeName key="E0500047">London</placeName>.</hi></addrLine>
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zu N.Mus.Nachl. 30,110
London N. W[.]
10. am
24 No
19
8
Preußischer
Staats⸗ bibliothek
zu Berlin
Kulturbesitz
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<address xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" rend="align(center)">
<addrLine><persName key="E0300376">Philipp Jarnach</persName>. <placeName key="E0500779">Paulstr. 7</placeName>. <placeName key="E0500132">Zürich</placeName>.</addrLine>
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