Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren
schönen, lieben Brief. Zum dritten Male
las ich ihn heute, – um mich zu über⸗ zeugen, dass ich auf dessen wichtigen Inhalt
vorderhand noch nicht eingehen soll: denn
erst das Entscheidende, – Ihr Verhältnis
zu der neuen Öffentlichkeit – wird hierin
Klärung bringen. – Einstweilen ist der
reaktive Niederschlag des „Tanzwalzers“ – zu
dessem Zustandekommen mitten in diesem
lebhaften Wechsel ich Sie herzlich beglück⸗ wünsche, – ein höchst erfreuliches Zeichen
Ihrer, wie mir scheint stets zunehmenden,
geistigen Spann= und Widerstandskraft.
Auch die „Toccata“.
Wir hören viel von Ihnen, direkt und in- direkt; sogar Ihren Brief an Herrn Kastner und dessen Antwort habe ich gelesen, und
Andreae erzählte mir von Ihrem Schreiben
und Vorschlag, seine Symphonie betreffend;
Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren
schönen, lieben Brief. Zum dritten Male
las ich ihn heute – um mich zu überzeugen, dass ich auf dessen wichtigen Inhalt
vorderhand noch nicht eingehen soll: Denn
erst das Entscheidende – Ihr Verhältnis
zu der neuen Öffentlichkeit – wird hierin
Klärung bringen. – Einstweilen ist der
reaktive Niederschlag des „Tanzwalzers“ – zu
dessen Zustandekommen mitten in diesem
lebhaften Wechsel ich Sie herzlich beglückwünsche – ein höchst erfreuliches Zeichen
Ihrer, wie mir scheint stets zunehmenden,
geistigen Spann- und Widerstandskraft.
Auch die „Toccata“.
Wir hören viel von Ihnen, direkt und indirekt; sogar Ihren Brief an Herrn Kastner
und dessen Antwort habe ich gelesen, und
Andreae erzählte mir von Ihrem Schreiben
und Vorschlag, seine Symphonie betreffend;
aber das alles ersetzt mir doch nicht
Ihre Gegenwart; ich brauche Ihnen nicht
zu sagen, wie öde es uns hier, ohne Sie,
vorkommt. Von Zürich gibt es, wie gewöhnlich, nichts Gescheutes zu berichten. Im Theater spielte man gestern
ein ÖperleDer Zwerg vom Haslithal von Gustave Doret (Uraufführung am 17. Oktober 1920 im Stadttheater Zürich) von Ihrem Bewunderer
Herrn Gustave Doret, nachdem am
Nachmittag Frau Schwarzenbach eine
kleine Portion schweizerischer Tonkünstler
in Rüschlikon empfangen hatte, bei
welcher Gelegenheit Allegra die SonateLaquais und Nada meine Sonatine
exquisit bliesen. Diese zwei können sich
nicht riechen und müssen immer
zusammenkommen. Was Dorets Partitur anbelangt, so ist dieselbe nicht
einmal als Klosettmaterial verwendbar.
Ein junger Geiger (Daeniker) hat es
unternommen, 54 (!) Abende moderner
Sonaten in der Schweiz allein zu geben.
Demnach wird er Ihre (2.) Sonate
wohl ein Dutzend Mal spielen, wie,
weiß ich nicht. Schön ist jedenfalls die
Absicht. Auch P. O. Möckel spielt unversehens
moderne Musik und kündigt Ihre Fantasie
nach Bach an. Sie sehen, jetzt, da Sie fort
sind, wird man Sie vergöttern. Wenn die
guten Leute wenigstens zur Einsicht kämen,
wie viel versäumt wurde, als Sie noch
hier waren!Busoni war Anfang September 1920 nach fünf Jahren in Zürich wieder nach Berlin zurückgekehrt.
Aber bewahre, schläfrig sind
sie alle, und so zufrieden. Die Zufriedenheit ist der Nabelpunkt bürgerlicher Welterkenntnis.
Unser patentierter Milner, die schönstgedüngte Blume im Gemüsebeet Covent Gardens, gab, mit meinem Beistand, ein
schlecht besuchtes Konzert. Er sang mit
jener umständlichen Sentimentalität, die
wir an ihm schätzen. Am erträglichsten
gelangen ihm Ihre vier Gesänge – weil
ich da dem armen Kerl in grausamster
Weise zugesetzt hatte – aber Berlioz war
fürchterlich. Doch hier muss ich Ihnen
von einem kleinen Phänomen berichten.
Während die Hebräischen Gesänge, auf
deren Publikumswirkung ich mehr rechnete, zwar mit Behagen angehört, in
normaler Weise beklatscht wurden, löste
das darauffolgende „Lied des Unmuts“
donnernden Applaus, der mit so heftiger
Spontaneität einsetzte, dass ich, der ohnehin diesem scharfleuchtenden Meisterstück
ohne innerliche Ergriffenheit nicht zulauschen kann (und wenn ein noch so
großer Esel es vorträgt), fast aus der Fassung
geriet. – Sehen Sie, das ist das Geheimnis
des genial Getroffenen; es wirkt auf den
Gleichgültigen, den Lahmen, auf jeden
wie ein elektrischer Schlag. Ja, man
darf vertrauen; in solchen Augenblicken
flammt der „einsam Geweihte“ im Herzen
aller.
Stürmische Da-capo-Rufe wurden nicht
berücksichtigt. Der Sänger war froh, über
das gefährliche Stück glücklich hinweg
zu sein. Beim Flohlied wiederholte sich
das Schauspiel.
Die Kritiker lobten die Lieder, verschwiegen
aber den eklatanten Erfolg.
Auf Wiedersehen, mein lieber Meister; vergessen Sie nicht Ihren Getreuen in der Provinz,
und empfangen Sie, sowie Frau Busoni, der
Barbara und meine allerherzlichsten Grüße.
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<lb/>und Vorschlag, seine Symphonie betreffend;
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2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
2XML
N.Mus.Nachl. 30, 121
aber das alles ersetzt mir doch nicht
Ihre Gegenwart; ich brauche Ihnen nicht
zu sagen wie öde es uns hier, ohne Sie,
vorkommt. Von Zürich gibt es, wie ge⸗ wöhlichwöhnlich, nichts Gescheutes zu be⸗ richten. Im Theater spielte man gestern
ein ÖperleDer Zwerg vom Haslithal von Gustave Doret (Uraufführung am 17. Oktober 1920 im Stadttheater Zürich) von Ihrem Bewunderer
Herrn Gustave Doret, nachdem am
Nachmittag Frau Schwarzenbach eine
kleine Portion schweizerischer Tonkünstler
in Rüschlikon empfangen hatte, bei
welcher Gelegenheit Allegra die Sonate Laquais und Nada meine Sonatine exquisit bliesen. Diese zwei können sich
nicht riechen und müssen immer
zusammenkommen. Was Dorets Par- titur anbelangt, so ist dieselbe nicht
einmal als Klosettmaterial verwendbar.
Ein junger Geiger (Daeniker) hat es
unternommen, 54 (!) Abende moderner
Sonaten in der Schweiz allein zu geben.
Demnach wird er Ihre (2te) Sonate wohl ein dutzend Mal spielen, wie,
weiss ich nicht. Schön ist jedenfalls die
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<lb/>aber das alles ersetzt mir doch nicht
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3Faksimile
3Diplomatische Umschrift
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N.Mus.Nachl. 30, 121
Absicht. Auch P. O. Möckel spielt unversehens
moderne Musik und kündigt Ihre Fantasie
nach Bach an. Sie sehen, jetzt da Sie fort
sind, wird man Sie vergöttern. Wenn die
guten Leute wenigstens zur Einsicht kämen,
wie viel versäumt wurde, als Sie noch
hier waren!Busoni war Anfang September 1920 nach fünf Jahren in Zürich wieder nach Berlin zurückgekehrt.
Aber bewahre, schläfrig sind
sie alle, und so zufrieden. Die Zufrieden⸗ heit ist der Nabelpunkt bürgerlicher Welt⸗ erkenntnis.
Unser patentierter Milner, die schönst⸗ gedüngte Blume im Gemüsebeet Covent-
Garden’s gab, mit meinem Beistand, ein
schlecht besuchtes Konzert. Er sang mit
jener umständlichen Sentimentalität die
wir an ihm schätzen. Am erträglichsten
gelangen ihm Ihre vier Gesänge – weil
ich da dem armen Kerl in grausamster
Weise zugesetzt hatte, – aber Berlioz war
fürchterlich. Doch hier muss ich Ihnen
von einem kleinen Phänomen berichten.
Während die Hebräischen Gesänge, auf
dessen Publikumswirkung ich mehr rech- nete, zwar mit Behagen angehört, in
normaler Weise beklatscht wurden, löste
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Aber bewahre, schläfrig sind
<lb/>sie alle, und so zufrieden. Die Zufrieden
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<lb/>Weise zugesetzt hatte<orig>,</orig> – aber <persName key="E0300005">Berlioz</persName> war
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<lb/>von einem kleinen Phänomen berichten.
<lb/>Während die <rs key="E0400510">Hebräischen Gesänge</rs>, auf
<lb/>de<choice><sic>ss</sic><corr>r</corr></choice>en Publikumswirkung ich mehr rech
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<lb/>normaler Weise beklatscht wurden, löste
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4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
4XML
das darauffolgende „Lied des Unmuts“ donnernden Applaus, der mit so heftiger
Spontaneität einsetzte, dass ich, der ohne- hin diesem scharfleuchtenden Meisterstück
ohne innerliche Ergriffenheit nicht zu- lauschen kann, [und wenn ein noch so
grosser Esel es vorträgt,] fast aus der Fassung
geriet. – Sehen Sie, das ist das Geheimnis
des genial Getroffenen; es wirkt auf den
Gleichgültigen, den Lahmen, auf jeden
wie ein elektrischer Schlag. Ja, man
darf vertrauen; in solchen Augenblicken
flammt der „einsam Geweihte“ im Herzen
aller.
Stürmische da-capo-Rufe wurden nicht
berücksichtigt. Der Sänger war froh, über
das gefährliche Stück glücklich hinweg
zu sein. Beim Flohlied wiederholte sich
das Schauspiel.
Die Kritiker lobten die Lieder, verschwiegen
aber den eklatanten Erfolg.
Auf Wiedersehen, mein lieber Meister; ver- gessen Sie nicht Ihren Getreuen in der Provinz
und empfangen Sie, sowie Frau Busoni, der
Barbara und meine allerherzlichsten Grüsse.
Preußischer
Staats⸗ bibliothek
zu Berlin Kulturbesitz
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Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Nachl. 30,121 |
Jarnach klagt über das von Busoni verlassene Zürich, „wie öde es uns hier ohne Sie vorkommt“; berichtet vom aktuellen Zürcher Musikleben („wie gewöhnlich nichts Gescheutes“), insbesondere aber von Erfolgen mit Stücken Busonis („jetzt, da Sie fort sind, wird man Sie vergöttern“).
Brief von Philipp Jarnach an Ferruccio Busoni (Zürich, 19. Oktober 1920), bearbeitet von Kira Herbing, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Philipp Jarnach, hrsg. von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, April 2021: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0101702 (8. Januar 2021: zur Freigabe vorgeschlagen)
Download der bereinigten Lesefassung im PDF-Dateiformat (.pdf)
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<title xml:lang="de">Brief von Philipp Jarnach an Ferruccio Busoni (Zürich, 19. Oktober 1920)</title>
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<title type="main">Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften</title>
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<handNote xml:id="major_hand" scope="major" medium="black_ink" scribe="author" scribeRef="#E0300376">Hand des Absenders Philipp Jarnach, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift</handNote>
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<p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit doppelten Bindestrichen (⹀).</p>
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<p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p>
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<p>Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut <att>rend</att> der entsprechenden Elemente codiert.</p>
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<pb n="1"/>
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">N.Mus.Nachl. 30, 121</note>
<lb/>
<opener>
<dateline rend="align(right) space-below"><placeName key="E0500132">Zürich</placeName>, den <date when-iso="1920-10-19">19. Okt. 1920</date>.</dateline>
<salute rend="align(center) space-above space-below">Verehrter, gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>er Freund!</salute>
</opener>
<p rend="indent-first">
Ich danke Ihnen von Herzen für <ref target="#D0101700">Ihren
<lb/>schönen, lieben Brief</ref>. Zum dritten Male
<lb/>las ich ihn heute<orig>,</orig> – um mich zu über
<lb break="no"/>zeugen, dass ich auf dessen wichtigen Inhalt
<lb/>vorderhand noch nicht eingehen soll: <choice><orig>d</orig><reg>D</reg></choice>enn
<lb/>erst das Entscheidende<orig>,</orig> – Ihr Verhältnis
<lb/>zu der neuen Öffentlichkeit – wird hierin
<lb/>Klärung bringen. – Einstweilen ist der
<lb/>reaktive Niederschlag des <title key="E0400527" rend="dq-du">Tanzwalzers</title> – zu
<lb/>desse<choice><orig>m</orig><reg>n</reg></choice> Zustandekommen mitten in diesem
<lb/>lebhaften Wechsel ich Sie herzlich beglück
<lb break="no"/>wünsche<orig>,</orig> – ein höchst erfreuliches Zeichen
<lb/>Ihrer, wie mir scheint stets zunehmenden,
<lb/>geistigen Spann<choice><orig>=</orig><reg>-</reg></choice> und Widerstandskraft.
<lb/>Auch die <title key="E0400222" rend="dq-du">Toccata</title>.
</p>
<p rend="indent-first">
Wir hören viel von Ihnen, direkt und in
<lb break="no" rend="sh"/>direkt; sogar Ihren Brief an <persName key="E0300708">Herrn Kastner</persName>
<!-- Brief über Kalliope nachweisbar? -->
<lb/>und dessen Antwort habe ich gelesen, und
<lb/><persName key="E0300129">Andreae</persName> erzählte mir von Ihrem Schreiben
<lb/>und Vorschlag, seine Symphonie betreffend;
<!-- siehe Andreae-Briefwechsel: liegt ein entsprechender Brief vor? -->
<pb n="2"/>
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">N.Mus.Nachl. 30, 121</note>
<lb/>aber das alles ersetzt mir doch nicht
<lb/>Ihre Gegenwart; ich brauche Ihnen nicht
<lb/>zu sagen<reg>,</reg> wie öde es uns hier, ohne Sie,
<lb/>vorkommt. Von <placeName key="E0500132">Zürich</placeName> gibt es, wie ge
<lb break="no"/><subst><del rend="strikethrough">wöhlich</del><add place="inline">wöhnlich</add></subst>, nichts Gescheutes zu be
<lb break="no"/>richten. Im <rs key="E0600037">Theater</rs> spielte man gestern
<lb/>ein <rs key="E0400607">Öperle</rs><note type="commentary" resp="#E0300744"><title key="E0400607">Der Zwerg vom Haslithal</title> von <persName key="E0300654">Gustave Doret</persName> (Uraufführung am 17. Oktober 1920 im <orgName key="E0600037">Stadttheater Zürich</orgName>)</note> von Ihrem Bewunderer
<lb/>Herrn <persName key="E0300654">Gustave Doret</persName>, nachdem am
<lb/>Nachmittag <persName key="E0300777">Frau Schwarzenbach</persName> eine
<lb/>kleine Portion <placeName key="E0500092">schweizerischer</placeName> Tonkünstler
<lb/>in <placeName key="E0500766">Rüschlikon</placeName> empfangen hatte, bei
<lb/>welcher Gelegenheit <persName key="E0300706">Allegra</persName> die <rs key="E0400526">Sonate</rs>
<lb/><persName key="E0300163">Laquais</persName> und <persName key="E0300684">Nada</persName> meine <rs key="E0400504">Sonatine</rs>
<lb/>exquisit bliesen. Diese zwei können sich
<lb/>nicht riechen und müssen immer
<lb/>zusammenkommen. Was <persName key="E0300654">Dorets</persName> <rs>Par
<lb break="no" rend="sh"/>titur</rs> anbelangt, so ist dieselbe nicht
<lb/>einmal als Klosettmaterial verwendbar.
</p>
<p rend="space-above">
Ein junger Geiger (<persName key="E0300781">Daeniker</persName>) hat es
<lb/>unternommen, 54 (!) Abende moderner
<lb/>Sonaten in der <placeName key="E0500092">Schweiz</placeName> allein zu geben.
<!--<note type="commentary" resp="#E0300622">Unklar, wer hier genau gemeint ist. Vermutlich Heinrich Daeniker (Geigenbauer in Bern). <bibl><ref type="ext">http://galerie.geigenbauer.ch/index.php?id=673&L=1&=673</ref></bibl></note>-->
<!-- nein, der ist es wohl nicht (Geigenbauer sind ja oft doch etwas anderes als Geiger …) -->
<lb/>Demnach wird er Ihre <rs key="E0400268">(2<choice><orig><seg rend="sup underline2">te</seg></orig><reg>.</reg></choice>) Sonate</rs>
<lb/>wohl ein <choice><orig>d</orig><reg>D</reg></choice>utzend Mal spielen, wie,
<lb/>wei<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice> ich nicht. Schön ist jedenfalls die
<!-- Daenikers Tournee nachweisbar? siehe Schweizer Presse -->
<pb n="3"/>
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive">N.Mus.Nachl. 30, 121</note>
<lb/>Absicht. Auch <persName key="E0300709">P. O. Möckel</persName> spielt unversehens
<lb/>moderne Musik und kündigt <rs key="E0400018">Ihre Fantasie
<lb/>nach <persName key="E0300012">Bach</persName></rs> an. Sie sehen, jetzt<reg>,</reg> da Sie fort
<!-- Moeckel-Konzert in Zürich nachweisbar? -->
<lb/>sind, wird man Sie vergöttern. Wenn die
<lb/>guten Leute wenigstens zur Einsicht kämen,
<lb/>wie viel versäumt wurde, als Sie noch
<lb/>hier waren!
<note type="commentary" resp="#E0300622"><persName key="E0300017">Busoni</persName> war Anfang <date when-iso="1920-09">September 1920</date> nach fünf Jahren in <placeName key="E0500132">Zürich</placeName> wieder nach <placeName key="E0500029">Berlin</placeName> zurückgekehrt.</note>
Aber bewahre, schläfrig sind
<lb/>sie alle, und so zufrieden. Die Zufrieden
<lb break="no"/>heit ist der Nabelpunkt bürgerlicher Welt
<lb break="no"/>erkenntnis.
</p>
<p>
Unser patentierter <persName key="E0300710">Milner</persName>, die schönst
<lb break="no"/>gedüngte Blume im Gemüsebeet <orgName key="E0600195">Covent<choice><orig>-
<lb break="no"/></orig>
<reg> </reg></choice>Garden<orig>’</orig>s</orgName><reg>,</reg> gab, mit meinem Beistand, ein
<lb/>schlecht besuchtes Konzert. Er sang mit
<!-- Angaben zu diesem Konzert? -->
<lb/>jener umständlichen Sentimentalität<reg>,</reg> die
<lb/>wir an ihm schätzen. Am erträglichsten
<lb/>gelangen ihm <rs type="works" key="E0400510 E0400508 E0400509">Ihre vier Gesänge</rs> – weil
<lb/>ich da dem armen Kerl in grausamster
<lb/>Weise zugesetzt hatte<orig>,</orig> – aber <persName key="E0300005">Berlioz</persName> war
<lb/>fürchterlich. Doch hier muss ich Ihnen
<lb/>von einem kleinen Phänomen berichten.
<lb/>Während die <rs key="E0400510">Hebräischen Gesänge</rs>, auf
<lb/>de<choice><sic>ss</sic><corr>r</corr></choice>en Publikumswirkung ich mehr rech
<lb break="no" rend="sh"/>nete, zwar mit Behagen angehört, in
<lb/>normaler Weise beklatscht wurden, löste
<pb n="4"/>
das darauffolgende <title key="E0400508" rend="dq-du">Lied des Unmuts</title>
<lb/>donnernden Applaus, der mit so heftiger
<lb/>Spontaneität einsetzte, dass ich, der ohne
<lb break="no" rend="sh"/>hin diesem scharfleuchtenden Meisterstück
<lb/>ohne innerliche Ergriffenheit nicht zu
<lb break="no" rend="sh"/>lauschen kann<orig>,</orig> <choice><orig>[</orig><reg>(</reg></choice>und wenn ein noch so
<lb/>gro<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>er Esel es vorträgt<choice><orig>,]</orig><reg>),</reg></choice> fast aus der Fassung
<lb/>geriet. – Sehen Sie, das ist das Geheimnis
<lb/>des genial Getroffenen; es wirkt auf den
<lb/>Gleichgültigen, den Lahmen, auf jeden
<lb/>wie ein elektrischer Schlag. Ja, man
<lb/>darf vertrauen; in solchen Augenblicken
<lb/>flammt der <soCalled rend="dq-du">einsam Geweihte</soCalled> im Herzen
<lb/>aller.
</p>
<p>
Stürmische <choice><orig>d</orig><reg>D</reg></choice>a-capo-Rufe wurden nicht
<lb/>berücksichtigt. <rs key="E0300710">Der Sänger</rs> war froh, über
<lb/><rs key="E0400508">das gefährliche Stück</rs> glücklich hinweg
<lb/>zu sein. Beim <title key="E0400509">Flohlied</title> wiederholte sich
<lb/>das Schauspiel.
</p>
<p>
Die Kritiker lobten die Lieder, verschwiegen
<lb/>aber den eklatanten Erfolg.
</p>
<!-- Rezensionen? -->
<p>
Auf Wiedersehen, mein lieber Meister; ver
<lb break="no" rend="sh"/>gessen Sie nicht Ihren Getreuen in der Provinz<reg>,</reg>
<lb/>und empfangen Sie, sowie <persName key="E0300059">Frau Busoni</persName>, der
<lb/><persName key="E0300664">Barbara</persName> und meine allerherzlichsten Grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e.
</p>
<closer>
<salute rend="align(center)">Ihr</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300376" rend="underline">Philipp Jarnach</persName></signed>
</closer>
<note type="stamp" place="bottom-left" resp="#sbb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) majuscule tiny">Preußischer
<lb/>Staats
<lb break="no"/>bibliothek
<lb/>zu <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
<lb/>Kulturbesitz
</stamp>
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