Meinen Vorsatz, Ihnen gleich nach
Ihrer Abreise zu schreibenBusoni hatte Zürich 9. September endgültig verlassen, um als Professor an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin eine Kompositions-Meisterklasse zu leiten (vgl. Couling 2005, S. 322).
konnte ich
zu meinem Ärger nicht ausführen,
da ich, die letzten zehn Tage so gut
wie keine freie Zeit hatte. Dennoch
beschäftige ich mich fast ununter- brochen mit Ihnen, d. h. der letzte
Termin für die Ablieferung meines
Aufsatzes, der im Busoni-Heft des
„Anbruch“ erscheinen soll, rückte
heran, und es war höchste Zeit,
dass ich mich ernstlich an die Sache
machte. – Nun brachte ich es
Meinen Vorsatz, Ihnen gleich nach
Ihrer Abreise zu schreiben,Busoni hatte Zürich 9. September endgültig verlassen, um als Professor an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin eine Kompositions-Meisterklasse zu leiten (vgl. Couling 2005, S. 322).
konnte ich
zu meinem Ärger nicht ausführen,
da ich die letzten zehn Tage so gut
wie keine freie Zeit hatte. Dennoch
beschäftige ich mich fast ununterbrochen mit Ihnen, d. h. der letzte
Termin für die Ablieferung meines
Aufsatzes, der im Busoni-Heft des
„Anbruch“ erscheinen soll, rückte
heran, und es war höchste Zeit,
dass ich mich ernstlich an die Sache
machte. – Nun brachte ich es
doch zuwege, und gestern wurde das
Manuskript abgeschickt; am selbigen
Abend saßen wir mit Biolley im
stillen Saufwinkel und feierten
die glückliche Geburt.
Der Abschied von Ihnen wäre uns
gar schwer gewesen, mein lieber
Meister, wenn wir nicht die Hoffnung
hätten, bald wieder in Ihre Nähe
zu kommen. Und auch so war es
kein schöner Tag. Ich dachte daran,
wie Sie allein reisen und alles so
verändert finden würden – und
kannte aus eigener Erfahrung
die Eindrücke, die Sie erwarteten.Busoni zog
1920 nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Zürich wieder in seine
alte Wohnung in Berlin zurück.
Umso glücklicher waren wir, durch
Frau Busoni zu erfahren, dass die
Sachen besser liegen, als Sie
vermutet hatten. Ich denke, dass
Sie, trotz allem, eine Freude empfanden, als Sie die Schwelle Ihrer
alten, heimischen Arbeitsstätte betraten, und dass die mannigfachen
Interessen, die Ihrer in Berlin warten,
Ihnen über den ersten bemühenden
Eindruck hinweghelfen?
Unsere Freundin Alicja schrieb aus
Basel und Berlin, den letzten Etappen
vor ihrer Rückkehr in die Heimat;
wir wünschen ihr von ganzem
Herzen eine erträgliche Lösung aus
ihrer gegenwärtigen Ungewissheit,
die Sachen sehen drüben recht schlimm
aus;Polen befand sich 1919–1921 im polnisch-sowjetischen Krieg.
ich würde an ihrer Stelle lieber
irgendetwas unternehmen – aber
dafür fehlt ihr entweder die Kraft
oder der Mut, oder beides zusammen.
Verzeihen Sie diesen nichtssagenden
Brief, den ich nicht in Muße
habe schreiben können.
Empfangen
Sie die allerherzlichsten Grüße
von Ursula und Ihrem in Treue
und Liebe ergebenen
PHJ.Alternative Lesart des mittleren Buchstaben: „R“ für Jarnachs zweiten Vornamen Raphael (so bei Weiss 1996, S. 376).
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2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
2XML
doch zuwege, und gestern wurde das
Manuskript abgeschickt; am selbigen
Abend sassen wir mit Biolley im
stillen Saufwinkel und feierten
die glückliche Geburt.
Der Abschied von Ihnen wäre uns
gar schwer gewesen, mein lieber
Meister, wenn wir nicht die Hoffnung
hätten, bald wieder in Ihre Nähe
zu kommen. Und auch so, war es
kein schöner Tag. Ich dachte daran,
wie Sie allein reisen und alles so
verändert finden würden, – und
kannte aus eigener Erfahrung
die Eindrücke, die Sie erwarteten.Busoni zog
1920 nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Zürich wieder in seine
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3Diplomatische Umschrift
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Frau Busoni zu erfahren, dass die
Sachen besser liegen, als Sie
vermutet hatten. Ich denke, dass
Sie, trotz allem, eine Freude empfan⸗ den, als Sie die Schwelle Ihrer
alten, heimischen Arbeitsstätte be⸗ traten, und dass die mannigfachen
Interessen, die Ihrer in Berlin warten,
Ihnen über den ersten bemühenden
Eindruck hinweghelfen? –
Unsere Freundin Alicja schrieb aus
Basel und Berlin, den letzten Etappen
vor ihrer Rückkehr in die Heimat;
wir wünschen ihr von ganzem
Herzen eine erträgliche Lösung aus
ihrer gegenwärtigen Ungewissheit,
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4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
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die Sachen sehen drüben recht schlimm
aus;Polen befand sich 1919–1921 im polnisch-sowjetischen Krieg.
ich würde an ihrer Stelle lieber
irgend etwas unternehmen – aber
dafür fehlt ihr entweder die Kraft
oder der Mut, oder beides zusammen.
Verzeihen Sie diesen nichtssagenden
Brief, den ich nicht in Musse
habe schreiben können. Empfangen
Sie die allerherzlichsten Grüsse
von Ursula und Ihrem in Treue
und Liebe ergebenen
PHJ.Transkription unsicher.
Alternative Lesart:
PRJ.Alternative Lesart des mittleren Buchstaben: „R“ für Jarnachs zweiten Vornamen Raphael (so bei Weiss 1996, S. 376).
Preußischer
Staats- bibliothek
zu Berlin Kulturbesitz
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Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | N.Mus.Nachl. 30,120 |
Brief von Philipp Jarnach an Ferruccio Busoni (Zürich, 19. September 1920), bearbeitet von Luisa Blumenstein, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Philipp Jarnach, hrsg. von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, April 2021: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0101699 (21. Oktober 2021: zur Freigabe vorgeschlagen)
Download der bereinigten Lesefassung im PDF-Dateiformat (.pdf)
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<title xml:lang="de">Brief von Philipp Jarnach an Ferruccio Busoni (Zürich, 19. September 1920)</title>
<title xml:lang="en">Letter by Philipp Jarnach to Ferruccio Busoni (Zurich, 19 September 1920)</title>
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<publisher>Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin</publisher>
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<title type="main">Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften</title>
<title type="genre">Briefe</title>
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<handNote xml:id="major_hand" scope="major" medium="black_ink" scribe="author" scribeRef="#E0300376">Hand des Absenders Philipp Jarnach, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift</handNote>
<handNote xml:id="archive" scope="minor" medium="pencil" scribe="archivist">Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen hat</handNote>
<handNote xml:id="sbb_st_red" scope="minor" medium="red_ink" scribe="archivist">Bibliotheksstempel (rote Tinte)</handNote>
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<p>Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.</p>
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<p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit einfachen Bindestrichen.</p>
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<p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p>
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<p>Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut <att>rend</att> der entsprechenden Elemente codiert.</p>
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<p>Die Übertragung folgt den Editionsrichtlinien des Projekts. <ptr target="http://www.busoni-nachlass.org/E1000003"/></p>
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<signed rend="align(center) monogram"><persName key="E0300376"><abbr><choice>
<unclear cert="high">PHJ.</unclear>
<unclear cert="low">PRJ.</unclear>
</choice></abbr></persName>
<note type="commentary" resp="#E0300314">Alternative Lesart des mittleren Buchstaben: <q>R</q> für <persName key="E0300376">Jarnachs</persName> zweiten Vornamen Raphael <bibl>(so bei <ref target="#E0800350"/>, S. 376)</bibl>.</note>
</signed>
<dateline><placeName key="E0500132">Zürich</placeName><reg>,</reg> den <date when-iso="1920-09-19">19.IX.1920</date>.</dateline>
</closer>
<note type="stamp" place="margin-right" resp="#sbb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) majuscule tiny">Preußischer
<lb/>Staats
<lb break="no"/>bibliothek
<lb/>zu <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
<lb/>Kulturbesitz
</stamp>
</note>
</div>
</body>
</text>
</TEI>