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                                                            N.Mus.Nachl. 30, 125 
            
            
            
            
               
                  Nürnberger-Str. 69.
                
               
                                                                20. Mai 1921Freitag früh20.5.21
                
               Mein verehrter Meister, 
            
            
            
               Nicht um des üblichen Gratulationssatzes willen, zu
                dem in solcher Stunde die Meisten sich verpflichtet fühlen,
                schreibe ich Ihnen heute. Dazu war mein gestriger Eindruck
                viel zu stark und wahr; und zwischen uns erübrigen sich
               
                solche Dinge. Aber es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen,
                welche Freude ich an dem wundervollen Gelingen des Abends
                hatte, eine Freude die noch tiefer wurde durch die Er- innerung an meine vergeblichen Anstrengungen, damals in
                Zürich, eine einigermassen befriedigende Vorbereitung der
                   Werke zu erzielen, was an der künstlerischen Unzulänglich- keit des Personals scheitern musste. Gestern war nun
                gleichsam die Vergeltung, das Sichtbar-Werden meiner
                inneren Vorstellung der Sache. Das Niveau der Auf- führung war, von unbedeutenden Schlacken abgesehen,
                so hoch, das eine als Ganzes vollkommenere Wiedergabe
                mir nur als theoretisch denkbar erscheint. Die Gesamt- leistung war überwältigend, die Schönheit der Musik
                entfaltete sich in reiner Klarheit. Sie barg – für mich –
                noch manche klangliche Ueberraschungen, namentlich
                gestern. (Ich hatte 
                                                                18. Mai 1921Mittwoch einen Platz, wo das Orchester
                merkwürdig gedämpft, wie erstickt, klang.)
             
            
               Und nun fühle ich wohl, dass ich Ihnen
                einige Worte schuldig bin über mein Fernbleiben in
               
                
                                                         
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                  Nürnberger Str. 69.
                
               
                                                                20. Mai 1921Freitag früh
                
               Mein verehrter Meister, 
            
            
            
               nicht um des üblichen Gratulationssatzes willen, zu
                dem in solcher Stunde die meisten sich verpflichtet fühlen,
                schreibe ich Ihnen heute. Dazu war mein gestriger Eindruck
                viel zu stark und wahr; und zwischen uns erübrigen sich
               
                solche Dinge. Aber es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen,
                welche Freude ich an dem wundervollen Gelingen des Abends
                hatte, eine Freude, die noch tiefer wurde durch die Erinnerung an meine vergeblichen Anstrengungen, damals in
                Zürich, eine einigermaßen befriedigende Vorbereitung der
                   Werke zu erzielen, was an der künstlerischen Unzulänglichkeit des Personals scheitern musste. Gestern war nun
                gleichsam die Vergeltung, das Sichtbar-Werden meiner
                inneren Vorstellung der Sache. Das Niveau der Aufführung war, von unbedeutenden Schlacken abgesehen,
                so hoch, dass eine als Ganzes vollkommenere Wiedergabe
                mir nur als theoretisch denkbar erscheint. Die Gesamtleistung war überwältigend, die Schönheit der Musik
                entfaltete sich in reiner Klarheit. Sie barg – für mich –
                noch manche klangliche Überraschungen, namentlich
                gestern. (Ich hatte 
                                                                18. Mai 1921Mittwoch einen Platz, wo das Orchester
                merkwürdig gedämpft, wie erstickt, klang.)
             
            
               Und nun fühle ich wohl, dass ich Ihnen
                einige Worte schuldig bin über mein Fernbleiben in
               
               
               
                den letzten Tagen. Kreiden Sie mir, bitte, dies nicht zu
                dick an. Ich hatte – der ich den Opern näher zu stehen
                glaube als irgendein Dritter – mich lange im Voraus auf
                diese Aufführung gefreut und damit gerechnet, eine oder
                zwei nicht-öffentliche Proben mit Ihnen zu besuchen, gleichsam etwas von dem Werden dieser schönen Wiedergabe zu
                erleben. – Dies erschien mir selbstverständlich, aber doch
                nicht bis zu dem Grade selbstverständlich, dass ich mich erdreistet hätte, einfach die Frage an Sie zu richten. – Sie forderten mich nicht dazu auf, und meine Enttäuschung
                darüber war so groß, dass ich es bis heute nicht über
                mich bringen kann, eine gewisse schmerzliche Verstimmung
                zu überwinden und Sie zu besuchen. Warum sollte ich
                es nicht in aller Offenheit bekennen? Nicht die Sache an
                sich ist es, was mich betrübte, und „gekränkte Einbildung“ ist es beileibe auch nicht. Ich fühlte mich nur
                als Freund betroffen. Gebe es zu: es ist lächerlich, zeugt
                von übergroßer Empfindsamkeit. – Letztere ist eben an
                der Liebe bemessen, die für Sie hegt
             
            
          
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               <lb/>schreibe ich Ihnen heute. Dazu war mein gestriger Eindruck
               <lb/>viel zu stark und wahr; und zwischen uns erübrigen sich
               <!-- Hinweis auf die Berliner Aufführungsdaten von Turandot und Arlecchino, Ort, Besetzung usw. -->
               <lb/>solche Dinge. Aber es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen,
               <lb/>welche Freude ich an dem wundervollen Gelingen des Abends
               <lb/>hatte, eine Freude<reg>,</reg> die noch tiefer wurde durch die Er
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               <lb/>mir nur als theoretisch denkbar erscheint. Die Gesamt
               <lb break="no"/>leistung war überwältigend, die Schönheit der Musik
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               Und nun fühle ich wohl, dass ich Ihnen
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                                                                 N.Mus.Nachl. 30, 125 
               
               den letzten Tagen. Kreiden Sie mir, bitte, dies nicht zu
                dick an. Ich hatte, – der ich  den Opern näher zu stehen
                glaube, als irgend ein Dritter – mich lange im Voraus auf
                diese Aufführung gefreut und damit gerechnet, eine oder
                zwei nicht-öffentliche Proben mit Ihnen zu besuchen, gleich- sam etwas von dem Werden dieser schönen Wiedergabe zu
                erleben. – Dies erschien mir selbstverständlich, aber doch
                nicht bis zu dem Grade selbstverständlich, dass ich mich er- dreistet hätte, einfach die Frage an Sie zu richten. – Sie for- derten mich nicht dazu auf, und meine Enttäuschung
                darüber war so gross, dass ich es bis heute nicht über
                mich bringen kann, eine gewisse schmerzliche Verstimmung
                zu überwinden, und Sie zu besuchen. Warum sollte ich
                es nicht in aller Offenheit bekennen? Nicht die Sache an
                sich ist es, was mich betrübte, und  „gekränkte Ein- bildung“ ist es beileibe auch nicht. Ich fühlte mich nur
                als Freund betroffen. Gebe es zu: es ist lächerlich, zeugt
                von übergrosser Empfindsamkeit. – Letztere ist eben an
                der Liebe bemessen, die für Sie hegt
            
             
          
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                        <addrLine>Herrn Dr. <persName key="E0300017">Ferruccio Busoni</persName></addrLine>
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                                                            zu N.Mus.Nachl. 30, 125 
                                                            
                                                                
                        
                           Preußischer
                           Staats- bibliothek
                            zu  Berlin
                           Kulturbesitz
                        
                      
                                                             
                                                         
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                        <addrLine><persName key="E0300376">Philipp Jarnach</persName>. <placeName key="E0500768">Nürnberger<choice><orig>-</orig><reg> </reg></choice>Str. 69./IV</placeName>. W.50.</addrLine>
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                           <lb/>zu <placeName key="E0500029">Berlin</placeName>
                           <lb/><hi rend="spaced-out">Kulturbesitz</hi>
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