Leipzig, 29. Juni 88.
               
               
                  Hochgeehrter
                   Herr Direktor!
               
            
            
            Lange säumte ich, Ihnen zu schreiben.
                Die vielen Verknüpfungen, die mich hier
                und anderswo banden, waren teils zu
                lösen, teils in anderer Weise zu erledigen;
                Mitteilungen und die Antworten auf
                dieselben, die ich erwarten musste, um die
                endgiltige Entscheidung zu fassen,
                verzögerten meine Erwiderung auf
                Ihr freundliches Schreiben und die Rücksendung des Kontraktes.
               – Diesen
                lege ich nun bei, während ich für
                ersteres Ihnen meinen herzlichsten
                Dank auszusprechen mich gedrungen
                fühle.
            
            
            
            Ihre Bereitwilligkeit betreffs
                Gewährung eventueller Auskunft
                über die Zustände Helsingfors’,
                Ihr Bericht darüber verpflichten
                mich ebenfalls zu Danke, und
                ist letzterer dergestalt, dass ich
                mir den Aufenthalt in Finnlands
                   Hauptstadt als einen angenehmen und anregenden mir
                versprechen muss.
            
            Die Bedingungen selbst
                sind mir sehr passend.
            
            
            
            Ich werde die ersten Tage
                Septembers in Helsingfors
                eintreffen, um mich bis zu
                Anfang des Lehrjahres noch
                einrichten zu können; auch 
                will ich vorher den Lehrplan ins
                Auge fassen und ihn mit Ihnen
                ausführlich besprechen.
                                                                Busoni traf erst am 11. September spät in der Nacht in Helsinki ein, nachdem er Anfang September aus Leipzig abgereist war und auf Empfehlung von Wegelius über Lübeck mit dem Dampfer „Storfursten“ in einer dreitägigen Fahrt die Ostsee überquert hatte (vgl. Busoni/Weindel 1999a, S. 15 ff.). Das Gespräch über den Lehrplan muss ernüchternd gewesen sein – denn einen solchen gab es nicht: „Ich frug, ob ein Programm, eine bestimmte Richtung, eine gewisse Wahl des Unterrichtsstoffes eingehalten würden. – ‚Dergleichen gebe es eigentlich nicht, aber – nun – (nach längerem Nachdenken) – die Inventionen von Bach dürften wohl als Grundlage betrachtet werden. Viel Bach, viel Bach, auch Mozart und Beethoven, Liszt…‘!!!!!!“ (Busoni/Weindel 1999a, S. 20.
               
               
            
            Bitte, mir gelegentlich
                gefälligst mitzuteilen, wie es
                bei Ihnen (ich sage nun stolz
                „bei uns“) mit den Instrumenten
                steht. Welche Fabriken sind
                dort vertreten? Was für Flügel
                hat man zum Konzertgebrauche?
            
            
            
            Gerne möchte ich einiges über
                Theaterzustände und über
                den Stand von Orchesterkonzerten
                wissen. Besitzen Sie ein Konzertinstitut mit einer jährlichen,
                regulären Serie von Orchesteraufführungen?
            
            Dass ich mit Eifer und Liebe an
                die Erfüllung meiner Pflicht
                trete, brauche ich nicht zu betonen;
                ich schulde das dem Institute
                und meinem künstlerischen Gewissen.
            
            
               
                  Mit größter Achtung und
                   nochmaligem Danke
                   grüßt Sie ergebenst
                   Ihr
               
               F B Busoni