Sehr verehrte
liebe Freundin,
ich bitte Sie – ohne weitere
zaghafte Vorreden, – mir die
Freundlichkeit erweisen zu
wollen, den Inhalt des
beifolgenden Heftchens
Da im Nachlass ist keine Beilage zu diesem Brief vorhanden ist, bleibt das genaue Thema dieses privaten Rundschreibens unklar. Vermutlich handelt es sich
um einen Subskriptionsaufruf für die Berliner Orchesterabende, siehe nachfolgender Brief.
durchzulesen. Dass Sie
es mit Aufmerksamkeit
und Interesse tun werden,
darf ich – nach dem
rechten Empfinden, das ich
von Ihrer Freundschaft besitze -,
zum Glück annehmen. –
Das aufmerksame Lesen
aber enthebt mich der
Notwendigkeit, Ihnen noch
schriftliche langwierige
Erklärungen zu geben, da
das Gedruckte ziemlich
alles, über das Sujet en question,
Frz.: betreffende Sache
erschöpft.
Wären Sie in Berlin
oder ich in Wien – (etwas
sehr Schönes aber fast
undenkbar Gewordenes –),
so könnte ich mir eine
Art Recht „zurechtmachen“,
an Sie in der betreffenden
Sache zu appellieren.
Ich könnte Sie zum
Mindesten auffordern,
eine Besucherin meiner
Orchesterabende zu werden.
So fühle ich mich aber
gänzlich rechtlos, und
es wäre widersinnig,
von Ihnen Teilnahme an ein Unternehmen zu erwarten,
von dem Sie selbst weder
etwas zu hören noch zu
sehen bekommen.
Doch hätte ich
sicher etwas versäumt
zu haben geglaubt,
wenn ich gerade Sie,
Hochverehrte und Liebe,
nicht mit in das
Vertrauen gezogen hätte
und Sie selbst hätten es mir
– glaube ich – verdacht.
Das Zirkular,
Rundschreiben, Zirkularschreiben, hier wohl das oben erwähnte Heftchen das Sie
erhalten, ist, trotz seiner
gedruckten Form, nicht
öffentlich und ich sende
es persönlich an nur
ganz Wenige, Freunde
und nähere Bekannte.
Ich habe die Hoffnung
fast aufgegeben, Sie
außerhalb Wien zu
sehen – dahin komme
ich im nächsten Winter
wieder und werde Sie,
endlich wieder einmal,
und hoffentlich im
besten Zustand antreffen.
Wie es Ihnen jetzt
geht und gegangen ist,
was Sie nächstens vorhaben – für eine
Mitteilung darüber
wäre ich dankbar –
erfreut. –
Meine letzte Reise
führte mich nach Spanien,
wo mein Spiel dem Landesgeschmack sicher zu
unblutig ist. Ich sah
bei einem Stierkampf
etwa an 20.000
begeisterte Menschen – und
das wiederholt sich alle
Wochen! Der Eindruck
des Schauspiels ist, das
erste Mal, abschreckend.
Ein zweites Mal habe ich
mir aber erspart.
Eine neue Arbeit
ist inzwischen fertig –
Musik zu einem
theatralischen Märchen
von Gozzi, unserem alten
Fabeldichter in Venedig,
dem Gegner Goldonis und
Mann von Geist und Fantasie.
Nun wird es auch
an die Theaterleiden
gehen! –
Leben Sie wohl,
sehr innig verehrte
Freundin und
seien Sie gut und
nachsichtig zu
Ihrem tief ergebenen
Ferruccio Busoni