Carissimo Maestrone,
a festa finita, post festum,
erfuhr ich von dem Schweizer
Kammermusikabend des hiesigen
Streichquartettes, den ich – zu
meinem gelinden Ärger – nun
versäumt hatte! – Gerne hätte
ich dem bedächtigen Weber,
dem philosophischen Suter und
dem naturfreudigen, jüngsten
dieser Meister, H. H., Näheres
durch das Gehör erfahren! Ça
reviendra,
Frz.: Das wird wiederkommen.
erhoffen wir’s.
– Danke für den wertvollen
Brief, und lassen wir dem Liszt-Abend die vorläufig vereinbarte
Form. – Für den Bachvortrag
kann ich Ihnen was Gutes
versprechen. Außer den Goldberg-Variationen (die Ihr Publikum
hoffentlich nicht ganz so vertraulich
innehat, als dass es nicht meine
diskrete Bearbeitung hinnähme,
oder gar überhörte –) schlage ich
noch die Übertragung eines größeren
Orgelwerkes, ferner
und noch anderes vor. Sollte die
Chaconne oder die
Chromatische Fantasie
am Platze sein?
(Einem befreundeten Cellisten
zu Liebe habe ich – strange to
say! – die Chromatische Fantasie für
Violoncell gesetzt. Brechen Sie
über diese Vermessenheit nicht
den Stab, bis Sie es nicht gehört
haben. Es klingt („tönt“) nämlich
überraschend gut.) —
Von Homer meint Lessing,
wenn ihm etwas an jenem nicht
gefiele, es läge – so viel hätte er
gelernt – nicht an Homer. –
Wenn ich auch kein Lessing bin,
ist deswegen Spitteler ein Homer?
Liegt es an meinem Mangel an
Jugendlichkeit oder an seinem?
Von Multatuli weiß ich wahrlich
nichts. Ich schaute in einige Bände
dieses Mannes, dessen Pseudonym
mir schon nicht ganz geschmackvoll vorkam, und fand Sie nicht
einladend. Ich ließ Sie, mich
dem Instinkt anvertrauend, der
mich durch die Literatur seit
meiner Kindheit begleitete, liegen.
Ich bin an gewissen großen Erfolgen,
selbst in der empfänglichen Zeit
der ersten Jugend, teilnahmslos
vorübergegangen. Dazu gab, Gott
sei’s geklagt, die Zeit – in die meine
Jugend fällt – Veranlassung genug.
(Felix Dahn,G. Ebers,Scheffel und
Gefährten.) Diese Erfahrungen
schließen auch den Schriftsteller
R. Wagner ein. – Im Mannesalter wurde mein Instinkt, durch
Kritik, weniger verlässlich; jetzt
fühle ich – wie in vielen anderen
Dingen –, dass ich auch darin das Wesen meiner
Kindheit zurückgewinne. –
Diese Selbsterkenntnisse
sind – fürchte ich – Ihnen,
der Sie mich im grunde nicht
kennen, wenig interessant.
Verzeihen sie also, das ich
mich gehen ließ, und halten
Sie’s meiner – – Jugendlichkeit
zu Gute. –
Zu den Programmen zurückkehrend,
bitte ich sie noch, Ihre Wünsche
und Vorschläge weiter zu äußern.
Die letzten Hefte Bagatellen
Beethovens möchte ich in den
Plan aufnehmen. Vielleicht ein
Variationswerk? Opus 106? –
Von Chopin spiele ich ziemlich
alles, die Mazurken und Walzer
ausgenommen; sehr gern die
vierte Ballade, und mit Vorliebe
die Etüden. –
Ist Ihnen das kraftgenialische
Jugendwerk Liszts „Fantaisie
romantique sur deux motifs
suisses“ bekannt? (Troix
morceaux de Salon, Op. 5.) Darin
kommt Die Weise vom Heimweh
zuerst vor. – Ich habe Heimweh
allerwärts, Amerika ausgenommen;
warum sollte ich es nicht auch
nach diesem feinem Lande empfinden?
Vorläufig empfinde ich heimisches
Behagen, zu dem Sie und andere
treffliche Confrères
Frz.: Kollegen.
sehr vieles beitragen.
Haben Sie dafür innigen Dank und seien
Sie verehrungsvoll gegrüsst von Ihrem
herzlich ergebenen
F. Busoni