Hans Huber an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Basel · vmtl. 3. Mai 1916

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Mus.ep. H. Huber 36 (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2263

Lieber Freund!

So sind sie alle, unsere Musik⸗
historiker, vom schlechten Exempel
eines Kretschmar ausgehend:
arme Geisteskrüppel, die entweder
ans einem musik-technischen
Versuche, oder an einem anderen
Berufe (Jus, Theologie od. Philologie)
scheiternd, am sogenan̅ten „Unter
dem Strich“
Bezeichnung fürs Feuilleton (auf dem unteren Drittel der Zeitungsseite, abgetrennt durch einen Strich). sich mit einer ganzen
Schaar impotenter & impertinenter
Schreiber verbunden haben & jetzt
ein wenig die Welt regieren.
Mit Ausnahme einiger Zöpfe &
héréditaire- Frz.: erblich.Belasteten werden

Lieber Freund!

So sind sie alle, unsere Musikhistoriker, vom schlechten Exempel eines Kretzschmar ausgehend: arme Geisteskrüppel, die, entweder an einem musik-technischen Versuche oder an einem anderen Berufe (Jus, Theologie oder Philologie) scheiternd, am sogenannten „Unter dem Strich“ Bezeichnung fürs Feuilleton (auf dem unteren Drittel der Zeitungsseite, abgetrennt durch einen Strich). sich mit einer ganzen Schar impotenter und impertinenter Schreiber verbunden haben und jetzt ein wenig die Welt regieren. Mit Ausnahme einiger Zöpfe und héréditaire Frz.: erblich.Belasteten werden solche – fast naive – „Extuberanzen“ Emporwölbungen (zu lat. „extuberare“). nicht ernst genommen – sogar auch nicht in der Stadt Holbeins und der Druckerschwärze. Sie – in Ihrer Ausnahmsstellung in der heutigen musikalischen Kultur – dürfen stolz über diese Dinge zu weiterem Schaffen, Schenken und Schulen übergehen. Und ich schließe mich als treuer Freund mit ähnlichen Gefühlen an! –

Was das „Schenken“ anbelangt, so bin ich – nicht als Bestimmender aber als Beistimmender – der Ansicht, dass Sie die Schweiz noch nicht verlassen dürfen. Die Saat, die Sie in Zürich und Basel ausgestreut haben, bedarf immer noch einer guten Pflege und kann quantitativ gesteigert werden. Dann fehlt die ganze französische Schweiz, die Sie auch in das Interesse Ihrer Interpretationskultur ziehen sollten. Ich sprach gerade am letzten Sonntag in Bern, wo ich der letzten Aufführung meiner Oper beiwohnte, mit einem hervorragenden Kenner der Genfer Verhältnisse, und seine Meinung geht auch dahin, dass Sie gerade auch in Genf eine große Tat mit Ihrem Erscheinen erfüllen würden! Ergo!

Und das Schulen! Auch da hätten wir Sie nötig! Sie sollten alle Monate nur einen Tag zur Pädagogik herauslesen. Wir würden Ihnen einige begabte Schüler zuschicken, denen Sie mit Ihrem Rate beistehen könnten. Überlegen Sie sich den modus „practicandi“!

Ihre Chopin-Zeilen wirken für die meisten wie eine Offenbarung! Auch in diesen Offenbarungen hätten Sie in der Schweiz den möglichst-dankbarsten Boden! –

Und jetzt wünsche ich Ihnen blauen Himmel und gute Menschen jenseits des Gotthard, und vergessen Sie die „Nördlichen“ nicht.

Ihr herzlich ergebener

Huber

                                                                
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nicht in der Stadt Holbeins & der
Druckerschwärze. Sie – in Ihrer
Ausnahmsstellung in der heutigen musikalischen
Cultur – dürfen stolz über solchediese
Dinge zu weiterem Schaffen, Schenken
& Schulen übergehen. Und ich schließe
mich als treuer Freund mit ähnlichen
Gefühlen an! –

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Was das „Schenken“ anbelangt,
so bin ich – nicht als Bestim̅ender
aber als Beistim̅ender – der Ansicht,
daß Sie die Schweiz noch nicht verlaßen
dürfen. Die Saat, die Sie in Zürich &
Basel ausgestreut haben, bedarf im̅er
noch einer guten Pflege & kan̅ […] 1 Wort: durchgestrichen. quantitativ
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ganze französische Schweiz, die Sie auch
in das Intereße Ihrer Interpretationscultur
ziehen sollten. Ich sprach gerade am letzten
Son̅tag in Bern, wo ich der letzten Aufführung
meiner Oper beiwohnte, mit einem hervorragenden
Ken̅er der Genfer-Verhältniße, & seine
Meinung geht auch dahin, daß Sie gerade auch
in Genf eine große That mit Ihrem Erscheinen
erfüllen würden! Ergo!

Und das Schulen! Auch da Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

hätten wir Sie nöthig! Sie sollten
alle Monate nur einen Tag zur
Pädagogik herauslesen. Wir würden
Ihnen nur einige begabte Schüler
zuschicken, denen Sie mit Ihrem
Rathe beistehen kön̅ten. Ueberlegen
Sie sich den modus „practicandi“!

Ihre Chopinzeilen wirken
für die Meisten wie eine Offenbarung!
Auch in diesen Offenbarungen hätten

                                                                
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Boden! –

Und jetzt wünsche ich Ihnen blauen
Him̅el & gute Menschen jenseits
des Gotthard & vergeßen Sie die
„Nördlichen“ nicht

Ihr herzlich ergebener

Huber

                                                                
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Basel 1
-3.V.16–9
Briefaufgabe
Herrn Ferruccio Busoni
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Basel 1
-3.V.16–9
Briefaufgabe
Basel 1
-3.V.16–9
Briefaufgabe
Zürich
Scheuchzerstr. 36.
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Huber
Nachlaß Busoni B II
Mus.ep. H. Huber 36
Mus.Nachl. F. Busoni
B II, 2263-Beil.
Hans
Zürich
-3.V.16-12
Brf. Exp.
Hans
Hans
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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2263 | olim: Mus.ep. H. Huber 36 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Brief und Umschlag sind gut erhalten.
Umfang
1 Bogen, 4 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Hans Huber, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift.
  • Vmtl. Hand des Empfängers Ferruccio Busoni, der auf der Umschlagrückseite die Zuordnung
  • Huber
  • mit Bleistift notiert hat.
  • Hand des Archivars, der eine erste Signatur mit Bleistift eingetragen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift eingetragen hat.
  • Hand des Archivars, der die neue Signatur mit Bleistift eingetragen hat.
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Bibliotheksstempel (blaue Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
  • Unbekannte Hand, die auf der Umschlagrückseite dreimal das Wort
  • Hans
  • notiert hat.
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 123456

Zusammenfassung
Huber mahnt zur Gelassenheit gegenüber den „Geisteskrüppel[n]“ im akademischen Feuilleton; attestiert Busoni eine „Ausnahmsstellung in der heutigen musikalischen Kultur“; versucht ihn als Interpreten und Lehrer längerfristig für die Schweiz und insbesondere Genf zu gewinnen; dankt für den zugeschickten Text über Chopin.
Incipit
So sind sie alle, unserere Musikhistoriker

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
22. Juni 2017: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition