Ferruccio Busoni an Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · 16. Januar 1917

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39. 16. Jan. 1917

Sehr verehrter Freund,

Ihre gütigen
Worte haben mich schön belohnt,
Ihr vertrauen spornt mich an;
ich habe Beides zwar nur halb Bei Refardt 1939 (25) ohne Hervorhebung.
verdient:, – aber diese Hälfte, die
ich mir an-maasse, kann ich
nicht ungleich vertheilen auf den
Sschaffenden u. Refardt 1939 (25): „und den“. nachschaffenden
Menschen in mir. Denn diese Beiden
sind ja Einer u. derselbe, oder
– im strengsten Falle – der erste
die Fortsetzung des zweiten. Aber
während mir als Virtuose noch
frühere Gewohnheiten verbleiben,
glaube ich als Komponist mich
eher alles Außeren u. […] 1 Zeichen: durchgestrichen. in der
Ausübung "Bewährten" entkleidet
zu haben. Während der Spieler
seine Eigenart immerhin mit der
desseines Programmes, zu einem
Kompromiss, zu theilen hat; ist
der Komponist von solchen Verträgen
befreit.

Sehr verehrter Freund,

Ihre gütigen Worte haben mich schön belohnt, Ihr Vertrauen spornt mich an; ich habe beides zwar nur halb verdient: – aber diese Hälfte, die ich mir anmaße, kann ich nicht ungleich verteilen auf den schaffenden und nachschaffenden Menschen in mir. Denn diese beiden sind ja einer und derselbe, oder – im strengsten Falle – der erste die Fortsetzung des zweiten. Aber während mir als Virtuose noch frühere Gewohnheiten verbleiben, glaube ich als Komponist mich eher alles Äußeren und in der Ausübung „Bewährten“ entkleidet zu haben. Während der Spieler seine Eigenart immerhin mit der seines Programmes, zu einem Kompromiss, zu teilen hat, ist der Komponist von solchen Verträgen befreit. Wenn er trotzdem bescheidener erscheint, so ist es darum, dass er von der Macht des Objektes (Bach oder Beethoven) nicht getragen wird, sondern allein steht und allein wirken muss.

Aber das, was in meiner Interpretation mein Eigenes ist, muss das nämliche sein bei mir als Komponist; dort überschätzt, hier noch nicht genug (schon darum, weil man es weniger kennt). Endlich ist es immer noch der nämliche Charakter, das gleiche Niveau, dieselbe Empfindung, die auch in dem Menschen – außer seinem Berufe – bestehen und sich künden. Derart, dass ich nie glauben kann, dass ein roher Mann ein zarter Künstler sein werde, ein schlechter Mensch Erhabenes oder Inniges schaffe, ein falscher Kerl Aufrichtiges produziere. Das alles gilt auch auf das Maß der Selbstkritik, des logischen Denkens, des Temperamentes angewandt. – Verzeihen Sie, wenn ich das generös gespendete Lob eines Meisters und Freundes noch zu analysieren unternehme; doch wer verstünde es besser als Sie selber – und auch das werden Sie verstehen: dass mich einmal! das Bedürfnis überkommt, es auszusprechen.

Seien Sie von ganzem Herzen bedankt.

Ihr verehrungsvoll ergebener

F. Busoni

Zürich, 16. Januar 1917.
                                                                
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(2) Wenn er trotzdem bescheidener
erscheint, so ist es darum, dass
er von der Macht des Objektes
(Bach oder Beethoven) nicht
getragen wird, sondern allein
steht u. allein wirken muss.

Aber das, was in meiner
Interpretation mein Eigenes ist,
muss Bei Refardt 1939 (25) ohne Hervorhebung. das Nämliche sein bei
mir als Komponist; dort über-
schätzt, hier noch nicht genug,
(schon darum weil man es weniger
kennt.) Bei Refardt 1939 (25) ohne Klammern. Endlich ist es immer
noch der nämliche Charakter,
dieas gleiche Niveau, dieselbe
Empfindung, die auch in dem
Menschen – außer seinem Berufe –
bestehen u. sich künden. Derart
dass ich nie glauben kann,
dass ein roher Mann ein zarter
Künstler sein werde, ein schlechter
Mensch Erhabenes oder Inniges
schaffe, ein falscher Kerl, Auf-
richtiges produziere. Das Alles

                                                                
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(3) gilt auch auf [das] Refardt 1939 (25): „auf das“. Maas der
Selbstkritik, des logischen Denkens,
des Temperamentes angewandt. –
Verzeihen Sie, da wenn ich das
generös gespendete Lob eines
Meisters u. Freundes noch zu
analysieren unternehme; doch
wer verstünde es besser als Sie
selber – u. auch das verste werden
Sie verstehen:, Bei Refardt 1939 (25) Interpunktion des Satzes zu Kommata vereinheitlicht. dass mich einmal! Bei Refardt 1939 (25) ohne Hervorhebung und Ausrufezeichen.
das Bedürfnis überkommt, es
auszusprechen. Refardt 1939 (25) fälschlich: „mich auszusprechen“.

Seien Sie von ganzem Herzen
bedankt.

Ihr verehrungsvoll ergebener

F. Busoni

Zürich, 16. Januar, 1917.
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
3 Blatt, 3 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten sind beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat.
  • Vmtl. Hand des Archivars, der die Datierung auf die erste Seite mit Bleistift übertragen hat.

Zusammenfassung
Busoni dankt für Hubers Komplimente; reflektiert über die Einheit des „schaffenden und nach-schaffenden Menschen“.
Incipit
Ihre gütigen Worte haben mich schön belohnt

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
2. Mai 2017: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Refardt 1939, S. 25 Beaumont 1987, S. 253