|
39.
16. Jan. 1917
Sehr verehrter Freund,
Ihre gütigen
Worte haben mich schön belohnt,
Ihr vertrauen spornt mich an;
ich habe Beides zwar nur halb
Bei Refardt 1939 (25) ohne Hervorhebung.
verdient:, – aber diese Hälfte, die
ich mir an-maasse, kann ich
nicht ungleich vertheilen auf den
Sschaffenden u.
Refardt 1939 (25): „und den“.
nachschaffenden
Menschen in mir. Denn diese Beiden
sind ja Einer u. derselbe, oder
– im strengsten Falle – der erste
die Fortsetzung des zweiten. Aber
während mir als Virtuose noch
frühere Gewohnheiten verbleiben,
glaube ich als Komponist mich
eher alles Außeren u.
[…]
1 char: cancelled.
in der
Ausübung "Bewährten" entkleidet
zu haben. Während der Spieler
seine Eigenart immerhin mit der
desseines Programmes, zu einem
Kompromiss, zu theilen hat; ist
der Komponist von solchen Verträgen
befreit.
|
Sehr verehrter Freund,
Ihre gütigen
Worte haben mich schön belohnt,
Ihr Vertrauen spornt mich an;
ich habe beides zwar nur halb
verdient: – aber diese Hälfte, die
ich mir anmaße, kann ich
nicht ungleich verteilen auf den
schaffenden und
nachschaffenden
Menschen in mir. Denn diese beiden
sind ja einer und derselbe, oder
– im strengsten Falle – der erste
die Fortsetzung des zweiten. Aber
während mir als Virtuose noch
frühere Gewohnheiten verbleiben,
glaube ich als Komponist mich
eher alles Äußeren und
in der
Ausübung „Bewährten“ entkleidet
zu haben. Während der Spieler
seine Eigenart immerhin mit der
seines Programmes, zu einem
Kompromiss, zu teilen hat, ist
der Komponist von solchen Verträgen
befreit.
Wenn er trotzdem bescheidener
erscheint, so ist es darum, dass
er von der Macht des Objektes
(Bach oder Beethoven) nicht
getragen wird, sondern allein
steht und allein wirken muss.
Aber das, was in meiner
Interpretation mein Eigenes ist,
muss
das nämliche sein bei
mir als Komponist; dort überschätzt, hier noch nicht genug
(schon darum, weil man es weniger
kennt).
Endlich ist es immer
noch der nämliche Charakter,
das gleiche Niveau, dieselbe
Empfindung, die auch in dem
Menschen – außer seinem Berufe –
bestehen und sich künden. Derart,
dass ich nie glauben kann,
dass ein roher Mann ein zarter
Künstler sein werde, ein schlechter
Mensch Erhabenes oder Inniges
schaffe, ein falscher Kerl Aufrichtiges produziere. Das alles
gilt auch auf das
Maß der
Selbstkritik, des logischen Denkens,
des Temperamentes angewandt. –
Verzeihen Sie, wenn ich das
generös gespendete Lob eines
Meisters und Freundes noch zu
analysieren unternehme; doch
wer verstünde es besser als Sie
selber – und auch das werden
Sie verstehen:
dass mich einmal!
das Bedürfnis überkommt, es
auszusprechen.
Seien Sie von ganzem Herzen
bedankt.
Ihr verehrungsvoll ergebener
F. Busoni
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="numbering" place="top-right" resp="#archive">39.</note>
<note type="dating" place="top-right" resp="#unknown">
<date when-iso="1917-01-16">16. <choice><abbr>Jan.</abbr><expan>Januar</expan></choice> 1917</date>
</note>
<opener>
<salute rend="align(center)">Sehr verehrter Freund,</salute>
</opener>
<p type="pre-split" rend="first-right">Ihre gütigen
<lb/>Worte haben mich schön belohnt,
<lb/>Ihr <choice><sic>v</sic><corr>V</corr></choice>ertrauen spornt mich an;
<lb/>ich habe <choice><orig>B</orig><reg>b</reg></choice>eides zwar nur <hi rend="underline">halb</hi>
<note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff">Bei <bibl><ref target="#E0800047"/> (25)</bibl> ohne Hervorhebung.</note>
<lb/>verdient:<del rend="strikethrough">,</del> – aber diese Hälfte, die
<lb/>ich mir <choice><orig>an-maasse</orig><reg>anmaße</reg></choice>, kann ich
<lb/>nicht ungleich vert<orig>h</orig>eilen auf den
<lb/><subst><del rend="overwritten">S</del><add place="across">s</add></subst>chaffenden <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff"><bibl><ref target="#E0800047"/> (25)</bibl>: <q>und den</q>.</note>
nachschaffenden
<lb/>Menschen in mir. Denn diese <choice><orig>B</orig><reg>b</reg></choice>eiden
<lb/>sind ja <choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>iner <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> derselbe, oder
<lb/>– im strengsten Falle – der erste
<lb/>die Fortsetzung des zweiten. Aber
<lb/>während mir als Virtuose noch
<lb/>frühere Gewohnheiten verbleiben,
<lb/>glaube ich als Komponist mich
<lb/>eher alles <choice><sic>A</sic><corr>Ä</corr></choice>ußeren <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<del rend="strikethrough"><gap reason="strikethrough" extent="1" unit="char"/></del> in der
<lb/>Ausübung <soCalled rend="dq-uu-straight">Bewährten</soCalled> entkleidet
<lb/>zu haben. Während der Spieler
<lb/>seine Eigenart immerhin mit der
<lb/><subst><del rend="overwritten">des</del><add place="across">sei</add></subst>nes Programmes, zu einem
<lb/>Kompromiss, zu <choice><orig>th</orig><reg>t</reg></choice>eilen hat<choice><orig>;</orig><reg>,</reg></choice> ist
<lb/>der Komponist von solchen Verträgen
<lb/><seg rend="align(right)">befreit.</seg>
</p></div>
|
2Facsimile
|
2Diplomatic transcription
|
2XML
|
|
(2)
Wenn er trotzdem bescheidener
erscheint, so ist es darum, dass
er von der Macht des Objektes
(Bach oder Beethoven) nicht
getragen wird, sondern allein
steht u. allein wirken muss.
Aber das, was in meiner
Interpretation mein Eigenes ist,
muss
Bei Refardt 1939 (25) ohne Hervorhebung.
das Nämliche sein bei
mir als Komponist; dort über- schätzt, hier noch nicht genug,
(schon darum weil man es weniger
kennt.)
Bei Refardt 1939 (25) ohne Klammern.
Endlich ist es immer
noch der nämliche Charakter,
dieas gleiche Niveau, dieselbe
Empfindung, die auch in dem
Menschen – außer seinem Berufe –
bestehen u. sich künden. Derart
dass ich nie glauben kann,
dass ein roher Mann ein zarter
Künstler sein werde, ein schlechter
Mensch Erhabenes oder Inniges
schaffe, ein falscher Kerl, Auf- richtiges produziere. Das Alles
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="first-right" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive">(2)</note>
Wenn er trotzdem bescheidener
<lb/>erscheint, so ist es darum, dass
<lb/>er von der Macht des Objektes
<lb/>(<persName key="E0300012">Bach</persName> oder <persName key="E0300001">Beethoven</persName>) nicht
<lb/>getragen wird, sondern allein
<lb/>steht <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> allein wirken muss.</p>
<p type="pre-split" rend="indent-first">Aber das, was in meiner
<lb/>Interpretation mein Eigenes ist,
<lb/><hi rend="underline">muss</hi>
<note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff">Bei <bibl><ref target="#E0800047"/> (25)</bibl> ohne Hervorhebung.</note>
das <choice><orig>N</orig><reg>n</reg></choice>ämliche sein bei
<lb/>mir als Komponist; dort über
<lb break="no"/>schätzt, hier noch nicht genug<orig>,</orig>
<lb/>(schon darum<reg>,</reg> weil man es weniger
<lb/>kennt<choice><orig>.)</orig><reg>).</reg></choice>
<note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff">Bei <bibl><ref target="#E0800047"/> (25)</bibl> ohne Klammern.</note>
Endlich ist es immer
<lb/>noch der nämliche Charakter,
<lb/>d<subst><del rend="overwritten">ie</del><add place="across">a</add></subst>s gleiche Niveau, dieselbe
<lb/>Empfindung, die auch in dem
<lb/>Menschen – außer seinem Berufe –
<lb/>bestehen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> sich künden. Derart<reg>,</reg>
<lb/>dass ich nie glauben kann,
<lb/>dass ein roher Mann ein zarter
<lb/>Künstler sein werde, ein schlechter
<lb/>Mensch Erhabenes oder Inniges
<lb/>schaffe, ein falscher Kerl<orig>,</orig> Auf
<lb break="no"/>richtiges produziere. Das <choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>lles
</p></div>
|
3Facsimile
|
3Diplomatic transcription
|
3XML
|
|
(3)
gilt auch auf [das]
Refardt 1939 (25): „auf das“.
Maas der
Selbstkritik, des logischen Denkens,
des Temperamentes angewandt. –
Verzeihen Sie, da wenn ich das
generös gespendete Lob eines
Meisters u. Freundes noch zu
analysieren unternehme; doch
wer verstünde es besser als Sie
selber – u. auch das verste werden
Sie verstehen:,
Bei Refardt 1939 (25) Interpunktion des Satzes zu Kommata vereinheitlicht.
dass mich einmal!
Bei Refardt 1939 (25) ohne Hervorhebung und Ausrufezeichen.
das Bedürfnis überkommt, es
auszusprechen.
Refardt 1939 (25) fälschlich: „mich auszusprechen“.
Seien Sie von ganzem Herzen
bedankt.
Ihr verehrungsvoll ergebener
F. Busoni
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split">
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive">(3)</note>
gilt auch auf <supplied reason="omitted">das</supplied>
<note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff"><bibl><ref target="#E0800047"/> (25)</bibl>: <q>auf das</q>.</note>
Ma<choice><orig>as</orig><reg>ß</reg></choice> der
<lb/>Selbstkritik, des logischen Denkens,
<lb/>des Temperamentes angewandt. –
<lb/>Verzeihen Sie, <del rend="strikethrough">da</del> wenn ich das
<lb/>generös gespendete Lob eines
<lb/>Meisters <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Freundes noch zu
<lb/>analysieren unternehme; doch
<lb/>wer verstünde es besser als Sie
<lb/>selber – <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> auch das <del rend="strikethrough">verste</del> werden
<lb/>Sie verstehen<subst><add place="inline">:</add><del rend="strikethrough">,</del></subst>
<note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff">Bei <bibl><ref target="#E0800047"/> (25)</bibl> Interpunktion des Satzes zu Kommata vereinheitlicht.</note>
dass mich <hi rend="underline">einmal</hi>!
<note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff">Bei <bibl><ref target="#E0800047"/> (25)</bibl> ohne Hervorhebung und Ausrufezeichen.</note>
<lb/>das Bedürfnis überkommt, es
<lb/>auszusprechen.
<note resp="#E0300314" type="commentary" subtype="ed_diff"><bibl><ref target="#E0800047"/> (25)</bibl> fälschlich: <q>mich auszusprechen</q>.</note>
</p>
<closer rend="indent-first">Seien Sie von ganzem Herzen
<lb/>bedankt.
<salute rend="align(right)">Ihr verehrungsvoll ergebener</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName></signed>
<dateline rend="indent-first">
<placeName key="E0500132">Zürich</placeName>,
<date when-iso="1917-01-16">16. Januar<orig>,</orig> 1917.</date>
</dateline>
</closer>
</div>
|
4Facsimile
|
4Diplomatic transcription
|
4XML
|
|
[Rückseite von Textseite 1, vacat]
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="objdesc" resp="#E0300325">[Rückseite von Textseite 1, vacat]</note>
</div>
|
5Facsimile
|
5Diplomatic transcription
|
5XML
|
|
[Rückseite von Textseite 2, vacat]
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="objdesc" resp="#E0300325">[Rückseite von Textseite 2, vacat]</note>
</div>
|
6Facsimile
|
6Diplomatic transcription
|
6XML
|
|
[Rückseite von Textseite 3, vacat]
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="objdesc" resp="#E0300325">[Rückseite von Textseite 3, vacat]</note>
</div>
|