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Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2296
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Mus.ep. H. Huber 70 (Busoni-Nachl. B II)
8. Nov. 191722
Carissimo maestro!
Ital.: liebster Meister.
Was haben die Philister & die Neider in
Zürich zu Ihren Geisteskindern gesagt?
Eine Aufführung am 6. November 1917; vgl. Hubers Brief vom 5. November 1917.
Ich suchte in der Zürcherztg.
& finde im̅er noch
nichts! Wenn nur diese Leute bei aller
Armuth schließlich nicht so eitel wären!
Dazu jeder ein Egoist & die Eitelkeit ist mindestens
eine Cousine des Egoismus & vielleicht noch
näher verwandt! – Dan̅ gibt es wenig
Gegnerschaften im Leben, mit denen man so
beharrlich zu kämpfen hat wie mit der Neid⸗ ham̅elei. Uebrigens sind Sie in der Behandlung
dieser Dinge, wie meine Wenigkeit, sanguinisch
genug, um solche Demütigungen & Unterschätzungen
leicht zu nehmen! Und, indem Sie alles
links liegen laßen, strafen [Sie] Menschen & Dinge
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Carissimo maestro!
Ital.: liebster Meister.
Was haben die Philister und die Neider in
Zürich zu Ihren Geisteskindern gesagt?
Eine Aufführung am 6. November 1917; vgl. Hubers Brief vom 5. November 1917.
Ich suchte in der Zürcher Zeitung
und finde immer noch
nichts! Wenn nur diese Leute bei aller
Armut schließlich nicht so eitel wären!
Dazu jeder ein Egoist, und die Eitelkeit ist mindestens
eine Cousine des Egoismus und vielleicht noch
näher verwandt! – Dann gibt es wenig
Gegnerschaften im Leben, mit denen man so
beharrlich zu kämpfen hat wie mit der Neidhammelei. Übrigens sind Sie in der Behandlung
dieser Dinge, wie meine Wenigkeit, sanguinisch
genug, um solche Demütigungen und Unterschätzungen
leichtzunehmen! Und, indem Sie alles
links liegen lassen, strafen Sie Menschen und Dinge
mit Verachtung, denn – wenn einer die Kraft
hat, an ein Kunstwerk heranzutreten, dabei die
Erlösung – Befreiung und Glück – zu finden,
so heißt dieser Mann Busoni,
verehrter Freund!
Sie sehen, Kampfeslust zieht wieder durch
meine Adern – ergo – muss es mir besser
gehen. Aber die Briefschreiberei fließt immer
noch aus einem trüben Wässerlein, das Beherrschen
des Gegenstandes geht mir noch ab, obwohl
es schon bedeutend besser zur Aussprache gelangt
als vor einigen Wochen!
Eigentlich möchte ich so gern mit
Ihnen am Sonntag im Zürchertheater sein;
Zur Aufführung seiner Oper Die schöne Bellinda; vgl. den folgenden Brief.
Sie
hören ja kein modernes Werk mit einer spekulativen
Absicht im Hintergrund, sondern eine einfache Musik,
die ich in fröhlicher Lebensstimmung in Vitznau
schrieb, ohne
an
kampfsüchtige Musikäußerungen
zu denken. Ähnlich wie Schubert seine Feder
spazieren ließ – in den Schwächen ihm gleichend,
in den starken Dingen ihm leider weit
zurückbleibend – so habe ich den Musen geopfert.
Wissen Sie, dass ich nach dem Buchstabenspiel aus
den Rippen Schuberts stamme?
(Sc)huber(t)
Quelle bêtise!
Frz.: Welch ein Unfug!
Mit dieser bösen Kinderei will ich schließen!
Aber steckt in der Kinderstube nicht am meisten
Optimismus? Haben die Kinder nicht das
natürliche Talent zum Glücklichsein?
Herzlichste Grüße Ihres treuen (wenn ich auch
nicht schreibe!)
Hans Huber
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<note type="commentary" resp="#E0300326">Ital.: Freitag (<date when-iso="1917-11-09">9. November 1917</date>).</note>
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<note type="commentary" resp="#E0300314">Eine Aufführung am <date when-iso="1917-11-06">6. November 1917</date>; vgl. <persName key="E0300125">Hubers</persName> <ref target="#D0100166">Brief vom 5. November 1917</ref>.</note>
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mit Verachtung, den̅ – wen̅ Einer die Kraft
hat, an ein Kunstwerk heranzutreten, dabei die
Erlösung – Befreiung & Glück – zu finden,
so sindheißt dieser Mann Busoni,
verehrter Freund!
Sie sehen, Kampfeslust zieht wieder durch
meine Adern – ergo – muß es mir beßer
gehen. Aber die Briefschreiberei fließt im̅er
noch aus einem trüben Wäßerlein, das Beherrschen
des Gegenstandes geht mir noch ab, obwohl
es schon bedeutend besser zur Aussprache gelangt
als vor einigen Wochen!
Eigentlich möchte ich so gern mit
Ihnen am Son̅tag im Zürchertheater sein;
Zur Aufführung seiner Oper Die schöne Bellinda; vgl. den folgenden Brief.
Sie
hören ja kein modernes Werk mit einer spekulativen
Absicht im Hintergrund, sondern eine einfache Musik,
die ich in fröhlicher Lebensstim̅ung in Vitznau
schrieb, ohne
[…]
mindestens 3 Zeichen: durchgestrichen.
an
kampfsüchtige Musikäußerungen
zu denken. Ähnlich wie Schubert seine Feder
spazieren ließ – in den Schwächen ihm gleichend,
in den starken Dingen ihm leider weit
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<p>Sie sehen, Kampfeslust zieht wieder durch
<lb/>meine Adern – ergo – mu<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice> es mir be<choice><orig>ß</orig><reg>ss</reg></choice>er
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<lb/>des Gegenstandes geht mir noch ab, obwohl
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<p type="pre-split" rend="indent-first">Eigentlich möchte ich so gern mit
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<note type="commentary" resp="#E0300314">Zur Aufführung seiner Oper <title key="E0400156">Die schöne Bellinda</title>; vgl. den <ref target="#D0100169">folgenden Brief</ref>.</note>
Sie
<lb/>hören ja kein modernes Werk mit einer spekulativen
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<lb/>die ich in fröhlicher Lebenssti<choice><abbr>m̅</abbr><expan>mm</expan></choice>ung in <placeName key="E0500200">Vitznau</placeName>
<lb/>schrieb, ohne
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kampfsüchtige Musikäußerungen
<lb/>zu denken. Ähnlich wie <persName key="E0300002">Schubert</persName> seine Feder
<lb/>spazieren ließ – in den Schwächen ihm gleichend,
<lb/>in den starken Dingen ihm leider weit
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zurückbleibend – so habe ich den Musen geopfert.
Wißen Sie, dass ich nach dem Buchstabenspiel aus
den Rippen Schubert’s stam̅e?
(Sc)huber(t)
Quelle bêtise!
Frz.: Welch ein Unfug!
Mit dieser bösen Kinderei will ich schließen!
Aber steckt in der Kinderstube nicht am meisten
Optimismus? Haben die Kinder nicht das
natürliche Talent zum Glücklichsein?
Herzlichste Grüße Ihres treuen (wenn ich auch
nicht schreibe!)
Hans Huber
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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zurückbleibend – so habe ich den Musen geopfert.
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<lb/>Aber steckt in der Kinderstube nicht am meisten
<lb/>Optimismus? Haben die Kinder nicht das
<lb/>natürliche Talent zum Glücklichsein?</p>
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<salute>Herzlichste Grüße Ihres treuen (wenn ich auch
<lb/>nicht schreibe!)</salute>
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[Rückseite von Textseite 3, vacat]
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