Ich begrüsse Sie, lieber Meister,
herzlichst in Locarno, wo ich Ende
Juni durchfuhr, undals ich mich von
Boccioni verabschiedent hatte!
Bitter steigt in mir auf die
Erinnerung, u. verschiedene Zu- schriften aus Italien (mit dem
Sie meinetwegen in L. liebäugeln
mögen) hat die Wunde immer
wieder aufgerissen. – Die Welt
nimmt doch Alles zu selbst- verstaendlich (u. wiederum
steht sie vor dem Gemeinplätzig- sten auf dem Kopf) – das Grosse,
wie das Erschreckende, wie das
Aussergewöhnliche. – Die
dolccilité stupide, mit der
heute Leute Alles sich gefallen
lassen, wardas in früheren Zeiten
nur solchen von Neigung u. Beruf
Ich begrüße Sie, lieber Meister,
herzlichst in Locarno, wo ich Ende
Juni durchfuhr, als ich mich von
Boccioni verabschiedet hatte!
Bitter steigt in mir auf die
Erinnerung, und verschiedene Zuschriften aus Italien (mit dem
Sie meinetwegen in Locarno liebäugeln
mögen) haben die Wunde immer
wieder aufgerissen. – Die Welt
nimmt doch alles zu selbstverständlich (und wiederum
steht sie vor dem Gemeinplätzigsten auf dem Kopf) – das Große
wie das Erschreckende wie das
Außergewöhnliche. – Die
docilité stupide, mit der
heute Leute alles sich gefallen
lassen, das in früheren Zeiten
nur solche von Neigung und Beruf
zum „edelen“ Kriegshandwerke
betraf, erstaunt mich mehr als
die Handlungen, die sie
hervorrufen. Diese schöne
Einrichtung des allgemeinen
Soldatentums (man hat mich
belehrt, dass man sie der Schweiz
verdanke) ist ein bewunderungswürdiges System, das Individuum
zu ducken. – Schwert und Bibel
und Regenschirm (als ob ein
Tropfen Wasser ebenso ungesund
wäre als ein Kanonenschuss) und
fröhliches Bajonettenblitzen (wie
ich es am 1. August hier zu erleben
die historische Freude hatte!)Anlässlich des „Bundesfeiertags“ (Nationalfeiertag der Schweiz).
nebst
einigem wohlgestimmten Männergesang … Für ein solches Kulturbild bin ich sehr empfänglich.
Ich arbeite seit drei Tagen
nicht, und das bekommt mir, wie
Sie merken, recht schlecht. – Die kluge
Tat meines VaterlandesKriegserklärung Italiens an das Deutsche Reich (28. August 1916).
hat mich völlig isoliert und
auch wirtschaftlich eingeschränkt. (Dieses nebenbei, aber
immerhin fühlbar.) Darum
muss ich aus meinen zehn Fingern
schöpfen, um mich zu halten.
Wenn das Konservatorium
in Basel ein Unternehmen beginnt, an dem es einiges Gefallen
zu haben scheint (es gereicht mir
dieses zur Ehre), so sollte es auch
etwas dafür aufbringen wollen und
sich sagen, dass es das Fehlende
zu dem vorgeschlagenen Honorar
aus eigenen Mitteln hinzufügt.
Denn dergleichen Abende
kosten mir an Zeit und Arbeit mehr
als ein normales „Engagement“,
für welches mir derselbe Betrag
eingehändigt wird.
(Finden Sie das von mir
hässlich?) –
Der Saal des Konservatoriums
ist übrigens auch als Rahmen
etwas klein … Ich selbst beabsichtige nicht, Konzerte anzukündigen. –
Ihre Widmungs-Arbeit ist
also direkt zum Verlage gegangen,
sie hat mich einige Tage über
einiges hinweggetäuscht …
Ich beginne – so hoffe ich –
nun mein „Hauptwerk“.
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2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
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(2) zum “edelen” Kriegshandwerke
betraf, erstaunt mich mehr, als
die Handlungen, die je sie
hervorrufen. Diese schöne
Einrichtung des allgemeinen
Soldatenthums (man hat mich
belehrt, dass man sie der Schweiz verdanke) ist ein bewunderungs- würdiges System, das Individuum
zu ducken. – Schwert und Bibel
und Regenschirm (als ob ein
Tropfen wasser ebenso ungesund
waere, als ein Kanonenschuss) u.
fröhliches Bajonettenblitzen (wie
ich ersst am 1. Aug. hier zu erleben
die historische Freude hatte!)Anlässlich des „Bundesfeiertags“ (Nationalfeiertag der Schweiz).
nebst
einigem wohlgestimmten Männer- gesang ...... Für ein solches Kultur- bild bin ich sehr empfänglich.
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3Faksimile
3Diplomatische Umschrift
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(3)
Ich arbeite seit drei Tagen
nicht, u. das bekommt mir, wie
Sie merken, recht schlecht. – Die kluge
That meines VaterlandesKriegserklärung Italiens an das Deutsche Reich (28. August 1916). hat mich völlig isoliert und
auch wirthschaftlich einge- -schränkt. (Dieses nebenbei, aber
immerhin fühlbar.) Darum
muss ich aus meinen 10 Fingern
schöpfen, um mich zu halten.
Wenn das Konservatorium in Basel ein Unternehmen be- -ginnt, an dem es einiges Gefallen
zu haben scheint (es gereicht mir
dieses zur Ehre) so sollte es auch
Etwas dafür aufbringen wollen u.
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aus eigenen Mitteln hinzufügt.
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<lb/>sich sagen, dass es das Fehlende
<lb/>zu dem vorgeschlagenen Honorar
<lb/>aus eigenen Mitteln hinzufügt.</p>
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4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
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(4)
Denn dergleichen Abende
kosten mir an Zeit u. Arbeit mehr,
als ein normales „Engagement“,
für welches mir derselbe Betrag
eingehändigt wird.
(Finden Sie das von mir
hässlich?) –
Der Saal des Konservatoriums ist übrigens auch als Rahmen
etwas klein ....u.... ich selbst beab- sichtige nicht Konzerte anzu- kündigen. –
Ihre Widmungs Arbeit ist
also direkt zum Verlage gegangen,
sie hat mich einige Tage über
Einiges hinweggetäuscht .....
Ich beginne – so hoffe ich –
nun mein „Hauptwerk“.
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<p rend="indent-first">Denn dergleichen Abende
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Busoni nimmt den bleibenden Schmerz über den Tod Umberto Boccionis zum Anlass einer Kritik des „allgemeinen Soldatentums“; fühlt sich arbeitsunfähig und infolge der Kriegspolitik Italiens„völlig isoliert und auch wirtschaftlich eingeschränkt“; hält seine Honorarforderung für die Basler Klavierabende aufrecht; hat die Studie über Das musikalische Opfer an Breitkopf & Härtel geschickt; will sich nun Doktor Faust zuwenden.
Incipit
„Ich begrüße Sie, lieber Meister, herzlichst in Locarno“
Brief von Ferruccio Busoni an Hans Huber (Zürich, 16. September 1916), bearbeitet von Christian Schaper, in: Briefwechsel Ferruccio Busoni – Hans Huber, hrsg. von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Berlin: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Januar 2017: Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, https://busoni-nachlass.org/D0100193 (15. November 2017: in Korrekturphase)
Download der bereinigten Lesefassung im PDF-Dateiformat (.pdf)
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<title xml:lang="de">Brief von Ferruccio Busoni an Hans Huber (Zürich, 16. September 1916)</title>
<title xml:lang="en">Letter by Ferruccio Busoni to Hans Huber (Zurich, 16 September 1916)</title>
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<title type="main">Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften</title>
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<handNote xml:id="major_hand" scope="major" medium="black_ink" scribe="author" scribeRef="#E0300017">Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.</handNote>
<handNote xml:id="archive" scope="minor" medium="pencil" scribe="archivist">Hand des Archivars, der mit Bleistift Nummerierung und Foliierung vorgenommen und das Datum auf die erste Seite übertragen hat.</handNote>
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<p>Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.</p>
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<p>Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit einfachen Bindestrichen.</p>
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<p>Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.</p>
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<p>Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut <att>rend</att> der entsprechenden Elemente codiert.</p>
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<lb/>Sie merken, recht schlecht. – Die kluge
<lb/>T<orig>h</orig>at <rs key="E0500013">meines Vaterlandes</rs>
<note type="commentary" resp="#E0300314">Kriegserklärung <placeName key="E0500013">Italiens</placeName> an das <placeName key="E0500015">Deutsche Reich</placeName> (<date when-iso="1916-08-28">28. August 1916</date>).</note>
<lb/>hat mich völlig isoliert und
<lb/>auch wirt<orig>h</orig>schaftlich einge
<lb break="no" rend="after:-"/>schränkt. (Dieses nebenbei, aber
<lb/>immerhin fühlbar.) Darum
<lb/>muss ich aus meinen <choice><orig>10</orig><reg>zehn</reg></choice> Fingern
<lb/>schöpfen, um mich zu halten.</p>
<p rend="indent-first">Wenn das <orgName key="E0600020">Konservatorium</orgName>
<lb/>in <placeName key="E0500097">Basel</placeName> ein Unternehmen be
<lb break="no" rend="after:-"/>ginnt, an dem es einiges Gefallen
<lb/>zu haben scheint (es gereicht mir
<lb/>dieses zur Ehre)<reg>,</reg> so sollte es auch
<lb/><choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>twas dafür aufbringen wollen <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice>
<lb/>sich sagen, dass es das Fehlende
<lb/>zu dem vorgeschlagenen Honorar
<lb/>aus eigenen Mitteln hinzufügt.</p>
<pb n="4"/>
<note type="foliation" place="top-right" resp="#archive">(4)</note>
<p rend="indent-first">Denn dergleichen Abende
<lb/>kosten mir an Zeit <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Arbeit mehr<orig>,</orig>
<lb/>als ein normales <soCalled rend="dq-du">Engagement</soCalled>,
<lb/>für welches mir derselbe Betrag
<lb/>eingehändigt wird.</p>
<p rend="indent-first">(Finden Sie das von mir
<lb/>hässlich?) –</p>
<p rend="indent-first">Der Saal des <orgName key="E0600020">Konservatoriums</orgName>
<lb/>ist übrigens auch als Rahmen
<lb/>etwas klein <choice><orig>....<del rend="strikethrough">u</del>.... i</orig><reg>… I</reg></choice>ch selbst beab
<lb break="no"/>sichtige nicht<reg>,</reg> Konzerte anzu
<lb break="no"/>kündigen. –</p>
<p rend="indent-first">Ihre <rs key="E0400140">Widmungs<choice><orig> </orig><reg>-</reg></choice>Arbeit</rs> ist
<lb/>also direkt zum <rs key="E0600002">Verlage</rs> gegangen,
<lb/>sie hat mich einige Tage über
<lb/><choice><orig>E</orig><reg>e</reg></choice>iniges hinweggetäuscht <choice><orig>.....</orig><reg>…</reg></choice></p>
<p rend="indent-first">Ich beginne – so hoffe ich –
<lb/>nun mein <rs key="E0400218" rend="dq-du">Hauptwerk</rs>.</p>
<p rend="indent">Gott mit Ihnen,</p>
<closer>
<salute rend="align(right)">Ihr treu ergebener</salute>
<signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName></signed>
<dateline><placeName key="E0500132"><choice><abbr>Z.</abbr><expan>Zürich</expan></choice></placeName><reg>,</reg> <date when-iso="1916-09-16">16. <choice><abbr>S.</abbr><expan>September</expan></choice> 1916</date>.</dateline>
</closer>
<pb n="5"/>
<note type="objdesc" resp="#E0300314">[Rückseite von Textseite 1, vacat]</note>
<pb n="6"/>
<note type="objdesc" resp="#E0300314">[Rückseite von Textseite 2, vacat]</note>
<pb n="7"/>
<note type="objdesc" resp="#E0300314">[Rückseite von Textseite 3, vacat]</note>
<pb n="8"/>
<note type="numbering" place="top" resp="#unknown_hand">
<subst><del rend="strikethrough">III</del><add>IV</add></subst>
</note>
<note type="objdesc" resp="#E0300314">[Rückseite von Textseite 4]</note>
</div>
</body>
</text>
</TEI>