Ferruccio Busoni an Jella Oppenheimer arrow_backarrow_forward

Zürich · 19. September 1916

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Diplomatische Umschrift
Lesefassung
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Mus.ep. F. Busoni 748 (Busoni-Nachl. B I)
Mus.Nachl. F. Busoni B I, 895
[1]
Zürich, Sept. 1916.

Vielverehrte Freundin,

Ihre Briefe athmen Waerme u. Reinheit,
Ihre Gefühle haben etwas Unabaenderliches,
Ihre Ton Zuverläs[s]iges; derart, dass man
den Kopf vertrauensvoll daran lehnt.

So auch Ihre Zeilen vom 14., die
befriedigend=früh heute am 19. anlangen. Nicht im Nachlass überliefert.
Seien Sie für diese bedankt! – Ich schaue
mit Freude u. im Geiste das Zusammensein
Ihrer, Hofmannsthal’s, Wassermann’s. Möchte
freudig dabeisein. Ich begrüsse Sie Alle herzlichst. Bei Beaumont 1987 (247) ist der Beginn des Briefes bis hierhin mit Kennzeichnung ausgelassen.
Über Hofmannsthal’s “Frau ohne Schatten”
las ich einen Bericht, der mich Gutes er-
warten liess. Der Stoff zog mich an. – Leider
musste er ˄(H.) ablehnen, auch mir als Text-
Dichter beizustehen. So bin ich darauf
angewiesen, mir selbst zu helfen. Den
Faust-Text vollendete ich Weihnachten 1914.
Ich bin damit zufrieden u. völlig überzeugt.
Ich hoffe, in den nächsten Tagen Bei Beaumont 1987 (247) übersetzt mit „in the near future“. den musikalischen
Theil anzupacken. Inzwischen schuf ich Vieles. Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Zürich, Sept. 1916.

Vielverehrte Freundin,

Ihre Briefe atmen Wärme und Reinheit, Ihre Gefühle haben etwas Unabänderliches, Ihr Ton Zuverlässiges; derart, dass man den Kopf vertrauensvoll daran lehnt.

So auch Ihre Zeilen vom 14., die befriedigend-früh heute am 19. anlangen. Nicht im Nachlass überliefert. Seien Sie für diese bedankt! – Ich schaue mit Freude und im Geiste das Zusammensein Ihrer, Hofmannsthals, Wassermanns. Möchte freudig dabei sein. Ich begrüße Sie alle herzlichst. Über Hofmannsthals „Frau ohne Schatten“ las ich einen Bericht, der mich Gutes erwarten ließ. Der Stoff zog mich an. – Leider musste er (H.) ablehnen, auch mir als Text-Dichter beizustehen. So bin ich darauf angewiesen, mir selbst zu helfen. Den Faust-Text vollendete ich Weihnachten 1914. Ich bin damit zufrieden und völlig überzeugt. Ich hoffe, in den nächsten Tagen den musikalischen Teil anzupacken. Inzwischen schuf ich vieles.

Am 8. August wurde die Partitur eines „Arlecchino“-Einakters vollendet. Zahlreiche Klaviersachen, Orchestersachen, Bach-Studien umranken dieses kleine, absonderliche Werk, das, halb Parodie, halb Bekenntnis, mir vom Herzen gegegangen ist. – Vor Tagen erschien im Verlage von Breitkopf & Härtel eine Biographie Ihres ergebensten Freundes aus der Feder des geschätzten Musikhistorikers Dr. Leichtentritt. Und in wenigen weiteren Tagen veröffentlicht die „Insel-Bücherei“ eine neue und vermehrte Auflage meiner kleinen „Ästhetik“.

Dieses alles berichte ich darum, weil Sie von mir etwas erfahren wollten. Ich schickte die Dinger Ihnen zu, aber es ist praktischer, dass Sie sie sich bestellen.

Den Fall Boccioni kann ich nicht überwinden. Der futuristische Maler Umberto Boccioni, der Busoni im Juni 1916 porträtiert hatte, war Ende Juli zum Kriegsdienst eingezogen worden und im August bei einem Sturz vom Pferd tödlich verunglückt. Busoni wandte sich in seinem Artikel Der Kriegsfall Boccioni gegen die nationalistische Vereinnahmung des Künstlers. Abgesehen davon, dass ich ihn liebte, war er, nach langer Pause, wieder einmal ein italienischer Maler von geschichtlicher Bedeutung. Und wollte alles erst anfangen! – Genug. – Seien Sie verehrungsvoll und innig gegrüßt, ebenso Ihr Herr Sohn. Erwähnen Sie mich den beiden trefflichen literarischen Männern. Gerda liebt Sie.

Ich verbleibe Ihr treu ergebener

Ferruccio B

                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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B I, 895[2]

Am 8. August wurde die Partitur eines
„Arlecchino“=Einakters vollendet. Zahl-
reiche Claviersachen, Orchestersachen, Bach-
Studien umranken dieses kleine, absonderliche
Werk, dass, halb Parodie, halb Bekenntnis,
mir vom Herzen gegegangen ist. – Vor Tagen
erschien im Verlage von Breitkopf + Härtel
eine Biographie Ihres ergebensten Freundes
aus der Feder des geschätzten Musikhistorikers
D Leichtentritt. Und in wenigen weiteren Tagen
veröffentlicht die „Insel-Bücherei“ eine neue
u. vermehrte Auflage
meiner kleinen „Ästhetik“.

Dieses Alles berichte ich darum, weil Sie
von mir etwas erfahren wollten. Ich schickte
die Dinger Ihnen zu, aber es ist praktischer
dass Sie sie sich bestellen. – Bei Beaumont 1987 (247) ist dieser Absatz mit Kennzeichnung ausgelassen.

Den Fall Boccioni kann ich nicht über-
winden. Der futuristische Maler Umberto Boccioni, der Busoni im Juni 1916 porträtiert hatte, war Ende Juli zum Kriegsdienst eingezogen worden und im August bei einem Sturz vom Pferd tödlich verunglückt. Busoni wandte sich in seinem Artikel Der Kriegsfall Boccioni gegen die nationalistische Vereinnahmung des Künstlers. Abgesehen davon, dass ich ihn liebte,
war er, nach langer Pause, wieder einmal
ein italienischer Maler von geschichtlicher
Bedeutung. Und wollte Alles erst anfangen!
– Genug. – Seien Sie verehrungsvoll u.
I innig gegrüßt, ebenso Ihr Herr Sohn[.]
Erwähnen Sie mich den beiden trefflichen
literarischen Männern
. Gerda liebt Sie.

Ihr verbleibe Ihr treu ergebener

Ferruccio B

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
                                                                
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Dokument

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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B I, 895 | olim: Mus.ep. F. Busoni 748 |

Nachweis Kalliope

Zustand
Auf Blatt 2 unten rechts ausgefranst (mit behebbarem Textverlust); sonst gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten sind beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Vmtl. Hand Gerda Busonis, die das Jahr auf der Rückseite von Blatt 2 mit Bleistift notiert hat
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Busoni bedauert, dass Hofmannsthal ihm für Libretti nicht zur Verfügung steht; hat über dessen Frau ohne Schatten Vielversprechendes gelesen; will nun die Musik zu Doktor Faust in Angriff nehmen; vermeldet die Fertigstellung von Arlecchino sowie das Erscheinen von Leichtentritts Busoni-Biographie und der zweiten Ausgabe des Entwurfs einer neuen Ästhetik der Tonkunst; hat den Tod Umberto Boccionis noch nicht verwunden.
Incipit
Ihre Briefe atmen Wärme und Reinheit

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
23. September 2025: zur Freigabe vorgeschlagen (Auszeichnungen überprüft, korrekturgelesen)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Beaumont 1987, S. 247 f.