Ferruccio Busoni to Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · September 16, 1916

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24.16. Sept. 1916

Ich begrüsse Sie, lieber Meister,
herzlichst in Locarno, wo ich Ende
Juni durchfuhr, undals ich mich von
Boccioni verabschiedent hatte!

Bitter steigt in mir auf die
Erinnerung, u. verschiedene Zu-
schriften aus Italien (mit dem
Sie meinetwegen in L. liebäugeln
mögen) hat die Wunde immer
wieder aufgerissen. – Die Welt
nimmt doch Alles zu selbst-
verstaendlich (u. wiederum
steht sie vor dem Gemeinplätzig-
sten auf dem Kopf) – das Grosse,
wie das Erschreckende, wie das
Aussergewöhnliche. – Die
dolccilité stupide, mit der
heute Leute Alles sich gefallen
lassen, wardas in früheren Zeiten
nur solchen von Neigung u. Beruf

Ich begrüße Sie, lieber Meister, herzlichst in Locarno, wo ich Ende Juni durchfuhr, als ich mich von Boccioni verabschiedet hatte!

Bitter steigt in mir auf die Erinnerung, und verschiedene Zuschriften aus Italien (mit dem Sie meinetwegen in Locarno liebäugeln mögen) haben die Wunde immer wieder aufgerissen. – Die Welt nimmt doch alles zu selbstverständlich (und wiederum steht sie vor dem Gemeinplätzigsten auf dem Kopf) – das Große wie das Erschreckende wie das Außergewöhnliche. – Die docilité stupide, mit der heute Leute alles sich gefallen lassen, das in früheren Zeiten nur solche von Neigung und Beruf zum „edelen“ Kriegshandwerke betraf, erstaunt mich mehr als die Handlungen, die sie hervorrufen. Diese schöne Einrichtung des allgemeinen Soldatentums (man hat mich belehrt, dass man sie der Schweiz verdanke) ist ein bewunderungswürdiges System, das Individuum zu ducken. – Schwert und Bibel und Regenschirm (als ob ein Tropfen Wasser ebenso ungesund wäre als ein Kanonenschuss) und fröhliches Bajonettenblitzen (wie ich es am 1. August hier zu erleben die historische Freude hatte!) Anlässlich des „Bundesfeiertags“ (Nationalfeiertag der Schweiz). nebst einigem wohlgestimmten Männergesang … Für ein solches Kulturbild bin ich sehr empfänglich.

Ich arbeite seit drei Tagen nicht, und das bekommt mir, wie Sie merken, recht schlecht. – Die kluge Tat meines Vaterlandes Kriegserklärung Italiens an das Deutsche Reich (28. August 1916). hat mich völlig isoliert und auch wirtschaftlich eingeschränkt. (Dieses nebenbei, aber immerhin fühlbar.) Darum muss ich aus meinen zehn Fingern schöpfen, um mich zu halten.

Wenn das Konservatorium in Basel ein Unternehmen beginnt, an dem es einiges Gefallen zu haben scheint (es gereicht mir dieses zur Ehre), so sollte es auch etwas dafür aufbringen wollen und sich sagen, dass es das Fehlende zu dem vorgeschlagenen Honorar aus eigenen Mitteln hinzufügt.

Denn dergleichen Abende kosten mir an Zeit und Arbeit mehr als ein normales „Engagement“, für welches mir derselbe Betrag eingehändigt wird.

(Finden Sie das von mir hässlich?) –

Der Saal des Konservatoriums ist übrigens auch als Rahmen etwas klein … Ich selbst beabsichtige nicht, Konzerte anzukündigen. –

Ihre Widmungs-Arbeit ist also direkt zum Verlage gegangen, sie hat mich einige Tage über einiges hinweggetäuscht …

Ich beginne – so hoffe ich – nun mein „Hauptwerk“.

Gott mit Ihnen,

Ihr treu ergebener

F. Busoni

Zürich, 16. September 1916.
                                                                
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(2)
zum “edelen” Kriegshandwerke
betraf, erstaunt mich mehr, als
die Handlungen, die je sie
hervorrufen. Diese schöne
Einrichtung des allgemeinen
Soldatenthums (man hat mich
belehrt, dass man sie der Schweiz
verdanke) ist ein bewunderungs-
würdiges System, das Individuum
zu ducken. – Schwert und Bibel
und Regenschirm (als ob ein
Tropfen wasser ebenso ungesund
waere, als ein Kanonenschuss) u.
fröhliches Bajonettenblitzen (wie
ich ersst am 1. Aug. hier zu erleben
die historische Freude hatte!) Anlässlich des „Bundesfeiertags“ (Nationalfeiertag der Schweiz). nebst
einigem wohlgestimmten Männer-
gesang ...... Für ein solches Kultur-
bild bin ich sehr empfänglich.

                                                                
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(3)

Ich arbeite seit drei Tagen
nicht, u. das bekommt mir, wie
Sie merken, recht schlecht. – Die kluge
That meines Vaterlandes Kriegserklärung Italiens an das Deutsche Reich (28. August 1916).
hat mich völlig isoliert und
auch wirthschaftlich einge-
-schränkt. (Dieses nebenbei, aber
immerhin fühlbar.) Darum
muss ich aus meinen 10 Fingern
schöpfen, um mich zu halten.

Wenn das Konservatorium
in Basel ein Unternehmen be-
-ginnt, an dem es einiges Gefallen
zu haben scheint (es gereicht mir
dieses zur Ehre) so sollte es auch
Etwas dafür aufbringen wollen u.
sich sagen, dass es das Fehlende
zu dem vorgeschlagenen Honorar
aus eigenen Mitteln hinzufügt.

                                                                
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Denn dergleichen Abende
kosten mir an Zeit u. Arbeit mehr,
als ein normales „Engagement“,
für welches mir derselbe Betrag
eingehändigt wird.

(Finden Sie das von mir
hässlich?) –

Der Saal des Konservatoriums
ist übrigens auch als Rahmen
etwas klein ....u.... ich selbst beab-
sichtige nicht Konzerte anzu-
kündigen. –

Ihre Widmungs Arbeit ist
also direkt zum Verlage gegangen,
sie hat mich einige Tage über
Einiges hinweggetäuscht .....

Ich beginne – so hoffe ich –
nun mein „Hauptwerk“.

Gott mit Ihnen,

Ihr treu ergebener

F. Busoni

Z. 16. S. 1916.
                                                                
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Provenance
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Condition
Der Brief ist gut erhalten.
Extent
4 Blatt, 4 beschriebene Seiten
Collation
Nur die Vorderseiten beschrieben.
Hands/Stamps
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der mit Bleistift Nummerierung und Foliierung vorgenommen und das Datum auf die erste Seite übertragen hat.
  • Unbekannte Hand, die eine römische Nummerierung mit Bleistift eingetragen hat.
  • Unbekannte Hand (Anstreichungen mit Rotstift am linken Rand).

Summary
Busoni nimmt den bleibenden Schmerz über den Tod Umberto Boccionis zum Anlass einer Kritik des „allgemeinen Soldatentums“; fühlt sich arbeitsunfähig und infolge der Kriegspolitik Italiens „völlig isoliert und auch wirtschaftlich eingeschränkt“; hält seine Honorarforderung für die Basler Klavierabende aufrecht; hat die Studie über Das musikalische Opfer an Breitkopf & Härtel geschickt; will sich nun Doktor Faust zuwenden.
Incipit
Ich begrüße Sie, lieber Meister, herzlichst in Locarno

Editors in charge
Christian Schaper Ullrich Scheideler
prepared by
in collaboration with
Revision
November 15, 2017: proposed (transcription and coding done, awaiting proofreading)
Direct context
Preceding Following
Near in this edition
Previous editions
Refardt 1939, S. 19 f. Beaumont 1987, S. 246