Ferruccio Busoni an Hans Huber arrow_backarrow_forward

Zürich · 26. Mai 1919

Faksimile
Diplomatische Umschrift
Lesefassung
XML
74.
26 Mai 1919

Lieber, Verehrter,

ich adressierte an Sie
(glaub ich) zuletzt nach Vitznau
als Sie noch in Locarno sassen, oder
umgekehrt: – jedenfalls erstatte ich
Ihnen den gewünschten kurzen
Berichten über den Schweizer
lieben Naturburschen”
am tönenden
Liederquell. – Seitdem besuchte ich
wieder einmal Chaux du Fonds, als
konzertierender Pianist, und hielt
mich auf dem Rückweg im reizvollen
Neuchâtel zwei Tage auf; wo mir
Sonne und Schweigen, Wein und
Monotonie auffällig wohl thaten.
Eine Sonnenmorgen verführte mich
nach Aarau, das ich zum ersten Mal
sah. Ich kenne die Schweiz zu wenig
(wie ich von Allem zu wenig
kenne): – nun sind aber auch
die Fahrten umständlich und
nicht verlockend.

26. Mai 1919

Lieber, Verehrter,

ich adressierte an Sie (glaub ich) zuletzt nach Vitznau, als Sie noch in Locarno saßen, oder umgekehrt: – jedenfalls erstatte ich Ihnen den gewünschten kurzen Bericht über den Schweizer lieben Naturburschen“ am tönenden Liederquell. – Seitdem besuchte ich wieder einmal Chaux du Fonds, als konzertierender Pianist, und hielt mich auf dem Rückweg im reizvollen Neuchâtel zwei Tage auf; wo mir Sonne und Schweigen, Wein und Monotonie auffällig wohltaten. Ein Sonnenmorgen verführte mich nach Aarau, das ich zum ersten Mal sah. Ich kenne die Schweiz zu wenig (wie ich von allem zu wenig kenne): – nun sind aber auch die Fahrten umständlich und nicht verlockend.

Dieser Brief ist ein Begleitschreiben. Er reist mit dem 2. Hefte der Klavierübung, die Ihnen – auf der Umschreibung der Basler Musikschule – zugedacht ist. Das Material dazu häuft sich in meinem Kopfe derart, dass ich im Fortsetzen etwas erschreckt innehalte. Wahrscheinlich werde ich jedes Jahr ein solches Heft herausgeben und hoffe, mit dem sechsten abzuschließen! So Gott will. – Dieser selbe Gott scheint in letzter Zeit manches nicht zu wollen. Es kommt in keinem Lande zu Ruhe und Klarheit, und ich stehe nun vor dem Dilemma, in der Schweiz abzusterben oder ein ganz neues Leben zu beginnen. Zum ersten zu jung, zum zweiten nicht jung genug, fühle ich mich unentschlossen (auch nicht das Richtige!), und doch geb’ ich noch nicht alles auf. Also weiter mit Hoffen und Arbeiten. –

Ich grüße Sie herzlich und verehrungsvoll.

Ihr treuer

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="numbering" place="top-right" resp="#archive">74.</note> <opener> <dateline><date when-iso="1919-05-26">26<reg>.</reg> Mai 1919</date></dateline> <salute>Lieber, Verehrter,</salute> </opener> <p rend="indent-2-first">ich adressierte an Sie <lb/>(glaub ich) zuletzt nach <placeName key="E0500200">Vitznau</placeName><reg>,</reg> <lb/>als Sie noch in <placeName key="E0500183">Locarno</placeName> sa<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en, oder <lb/>umgekehrt: – jedenfalls erstatte ich <lb/>Ihnen den gewünschten kurzen <lb/>Bericht<del rend="strikethrough">en</del> über den <rs key="E0300141" rend="dq-uu"><placeName key="E0500092">Schweizer</placeName> <lb/>lieben Naturburschen</rs> am tönenden <lb/>Liederquell. – Seitdem besuchte ich <lb/>wieder einmal <placeName key="E0500680">Chaux du Fonds</placeName>, als <lb/>konzertierender Pianist, und hielt <lb/>mich auf dem Rückweg im reizvollen <lb/><placeName key="E0500201">Neuchâtel</placeName> zwei Tage auf; wo mir <lb/>Sonne und Schweigen, Wein und <lb/>Monotonie auffällig wohl<orig> </orig>t<orig>h</orig>aten. <lb/>Ein<del rend="strikethrough">e</del> Sonnenmorgen verführte mich <lb/>nach <hi rend="underline"><placeName key="E0500283">Aarau</placeName></hi>, das ich zum ersten Mal <lb/>sah. Ich kenne die <placeName key="E0500092">Schweiz</placeName> zu wenig <lb/>(wie ich von <choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>llem zu wenig <lb/>kenne): – nun sind aber auch <lb/>die Fahrten umständlich und <lb/>nicht verlockend.</p> </div>
2Faksimile
2Diplomatische Umschrift
2XML

Dieser Brief ist ein Begleitschreiben.
Er reist mit dem 2. Hefte der
ClavierÜbung, die Ihnen – auf
demr Umschreibung der Basler
Musikschule
– zugedacht ist.
Das Material dazu häuft sich in
meinem Kopfe derart, dass ich
im Fortsetzen etwas erschreckt
innehalte. Wahrscheinlich werde
ich jedes Jahr ein solches Heft
herausgeben u. hoffe, mit dem
sechsten abzuschliessen! So Gott will.
– Dieser selbe Gott scheint in letzter
Zeit Manches nicht zu wollen. Es
kommt in keinem Lande zu Ruhe
u. Klarheit und ich stehe nun
vor dem Dilemma, in der Schweiz
abzusterben, oder ein ganz neues
Leben zu beginnen. Zum ersten
zu jung, zum zweiten nicht
jung genug, fühle ich mich
unentschlossen (auch nicht das
Richtige!), und doch geb’ ich noch
nicht Alles auf. Also weiter mit
Hoffen und Arbeiten. – Ich grüsse
Sie herzlich u. verehrungsvoll.
Ihr treuer

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <p>Dieser Brief ist ein Begleitschreiben. <lb/>Er reist mit dem <rs>2. Hefte</rs> der <lb/><hi rend="underline"><title><choice><orig>C</orig><reg>K</reg></choice>lavier<choice><orig>Ü</orig><reg>ü</reg></choice>bung</title></hi>, die Ihnen – auf <lb/>de<subst><del rend="strikethrough-part">m</del><add place="remainder">r</add></subst> Umschreibung der <orgName key="E0600020"><placeName key="E0500097">Basler</placeName> <lb/>Musikschule</orgName> – zugedacht ist. <lb/>Das Material dazu häuft sich in <lb/>meinem Kopfe derart, dass ich <lb/>im Fortsetzen etwas erschreckt <lb/>innehalte. Wahrscheinlich werde <lb/>ich jedes Jahr ein solches Heft <lb/>herausgeben <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> hoffe, mit dem <lb/>sechsten abzuschlie<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en! So Gott will. <lb/>– Dieser selbe Gott scheint in letzter <lb/>Zeit <choice><orig>M</orig><reg>m</reg></choice>anches nicht zu wollen. Es <lb/>kommt in keinem Lande zu Ruhe <lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Klarheit<reg>,</reg> und ich stehe nun <lb/>vor dem Dilemma, in der <placeName key="E0500092">Schweiz</placeName> <lb/>abzusterben<orig>,</orig> oder ein ganz neues <lb/>Leben zu beginnen. Zum ersten <lb/>zu jung, zum zweiten nicht <lb/>jung genug, fühle ich mich <lb/>unentschlossen (auch nicht das <lb/>Richtige!), und doch geb’ ich noch <lb/>nicht <choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>lles auf. Also weiter mit <lb/>Hoffen und Arbeiten. – <seg type="closer" subtype="salute">Ich grü<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>e <lb/>Sie herzlich <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> verehrungsvoll.</seg><seg type="closer" subtype="signed">Ihr treuer</seg></p> <closer> <signed rend="align(right)"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName></signed> </closer> </div>
3Faksimile
3Diplomatische Umschrift
3XML
[Rückseite von Textseite 1, vacat]
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0300314">[Rückseite von Textseite 1, vacat]</note> </div>
4Faksimile
4Diplomatische Umschrift
4XML
[Rückseite von Textseite 2]
II
                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="objdesc" resp="#E0300314">[Rückseite von Textseite 2]</note> <note type="numbering" resp="#unknown_hand" rend="large">II</note> </div>

Dokument

warningStatus: in Bearbeitung XML Faksimile Download / Zitation

Überlieferung
Schweiz | Basel | Universitätsbibliothek | NL 30 : 22:A-H:16
Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Kollation
Nur die Vorderseiten beschrieben.
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Hand des Archivars, der die Nummerierung innerhalb des Briefwechsels mit Bleistift eingetragen hat.
  • Unbekannte Hand, die mit Blaustift eine Nummerierung auf der Rückseite von Blatt 2 notiert hat.

Incipit
ich adressierte an Sie (glaub ich) zuletzt nach Vitznau

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
unter Mitarbeit von
Stand
24. August 2017: in Bearbeitung (in der Erfassungs-/Codierungsphase)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Refardt 1939, S. 42 f.