20. April 1919Ostersonntag.
Mein lieber Freund!
Gestern hatten wir die Ehre und
Freude, das zweite Thema Ihrer
Lebenssymphonie zu hören.
Dasselbe klang vergnügt in
Tönen der Lebenslust und der Begeisterung
für Ihre Arbeiten und für Ihr
ausgefülltes Leben! Und da
jetzt die Durchführung der Symphonie
schon vorbei ist, so darf man
Ihnen Beiden eine verklärte
Repetition des ersten Teiles
wünschen!
Liszts Schaffen gegenüber
bin ich zu wenig reiner Tor, um
in allem Ja und Amen zu sagen;
aber Sie mögen Reicht haben, bei
mir die katholische Liszt-Begeisterung,
– auch wenn man seinen Chorsatz
z. B. nicht auf die kritische
Waage setzt, an den richtigen
Ort zu placieren. Schließlich
sind wir ja allen denen
dankbar, die edles und wahres
Herzblut geben, was ich z. B.
in Kloses Sonnenlicht vollständig
vermisse. Denn in keinem
neueren Werke riecht es so
stark nach einem Makart-Atelier und nach Spekulation!
Die kommende
Woche (25. April) macht meiner
Tessinerliebe ein Ende. Das
Weitere soll sich in Vitznau abspielen.
Hoffentlich bringt Sie diese kleinere
Entfernung einmal auf den
Gedanken, den Spuren Goethes
nachzugehen. Für eine bessere
Ernährung und Pflege, als dieser
Reisende auf „einer grünen Matte“
zwischen Weggis und Vitznau gefunden hat,
werde ich sorgen!
Wenn Sie mir gelegentlich
antworten, so teilen Sie mir kurz
und bündig Ihre Eindrücke über
Schoecks Oper mit; ich liebe den
ehrlichen und braven „Schweizerbueb“
von ganzem Herzen!
Seit Jahren leuchtet
heute eine der schönsten Ostern
über das Land! Möge sich der
christliche Gedanke des Friedens
und der hohen Weltausschau in alle
fähigen Herzen begeben, und möge
Ihnen das neue Jahr Vollendung
des Faust und das Erwachen
neuer Taten bringen! Amen!
Tausend Ostergrüße im
gleichen Sinne