Faksimile
|
Diplomatische Umschrift
|
Lesefassung
|
XML
|
|
Mus.ep. L. Rubiner 27
(Busoni-Nachl. B II)
[1]
Spiez
Dienstag, 27. August 1918
Mus.Nach. F. Busoni B II, 4286
Lieber Herr Busoni!
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Heute Ihren lieben Brief erhalten.
Ich würde im höchsten Grade
Bedenken tragen, Wesen wie
Goethe oder Dante Künstler
zu nennen. Denn bei solchen
Charakteren ist die Kunst
die selbstverständliche Voraus- setzung, so selbstverständlich wie
für den Redner Grammatik,
Vokabular und Volubilität seiner Sprache – d.h. Vorbedin- =gung. Bei solchen grossen
Charakteren, die man doch
wohl Schöpfer – oder ähnlich –
nennen würde, braucht man
eher nicht mehr über ihre
|
Spiez
Dienstag, 27. August 1918
Lieber Herr Busoni!
Heute Ihren lieben Brief erhalten.
Ich würde im höchsten Grade
Bedenken tragen, Wesen wie
Goethe oder Dante Künstler
zu nennen. Denn bei solchen
Charakteren ist die Kunst
die selbstverständliche Voraussetzung, so selbstverständlich wie
für den Redner Grammatik,
Vokabular und Volubilität seiner Sprache – d.h. Vorbedingung. Bei solchen grossen
Charakteren, die man doch
wohl Schöpfer – oder ähnlich –
nennen würde, braucht man
eher nicht mehr über ihre
Gestaltungsfähigkeit zu diskutieren, weil die Gestaltung von
Ideen eine Arbeit(!) ist, der
sie sich wesentlich u. von (anderen) vornerein?
immerwährend und unmerkbar
unterziehen. Sondern man kann
schon wieder mit ihnen über
das Niveau, das Zutreffende und das Umfassende ihrer
Ideen in Beziehung treten.
Dagegen ist der Künstler
(im aller, allerbesten Fall) ein
Wesen, das glücklich ist, wenn
es zufällig auch sogar einige
Ideen erschafft, das aber
gar nicht in seinen Ideen
lebt, sich nicht mit ihnen
identifiziert, ihnen nichts
opfert, nichts für sie tut, und
sie bloss als – ach endlich! –
gefundenes Thema benutzt;
ein Wesen, dem es immer
lediglich auf die Frage der
Gestaltung selbst ankommt,
das den Schwung begrüsst,
unabhängig davon, wohin er
schwingt. Mit einem Wort:
der Gestaltungsquatscher. Ein
äusserst hochstehendes Beispiel:
Hölderlin. Unglaublich liebenswerte (aber dennoch in Wahrheit lächerliche Typen): Victor
Hugo u. Verdi.
so dass also für mich der Begriff
Künstler ein Schanden-Name
ist. Ich habe das die Jahre
hindurch; immer wieder geschrieben
und gedruckt. Und die besten
meiner Generation wissen es heute
auch.
wohlmeinender Tendenz
etc. hat die ganze Frage nichts zu
tun, auch das Schöpferische nicht.
Sondern nur damit: Arbeitest
du nur, um zu reden, gewissermassen als liebenswerte Gebensäusserung? Oder arbeitest du,
um die wirklichen grossen
Geheimnisse der Welt in
Formen, die Menschen-Sinnen
zugänglich sind, zu gestalten?
Den zweiten Fall nenne ich einen
Schöpfer.
Damit es nicht bei der blassen
Terminologie bleibe, so zitiere
ich einen der allerherrlichsten
Sprüche Goethes. (Als ich Schüler
war, zitierten meine Oberlehrer
mit feierlichem Fettkinn Goethe;
als ich Student war meine
betrügerischesten Commilitonen.
Goethe war um jene Zeit „die
grosse Mode“. Die flachsten
aller Universitätsprofessoren
hielten Vorlesungen über
Goethe; die carrieresüchtigsten.
beriefen sich auf ihn. Und
mit einer genug neuen Ausnahme
– der höchstbedeutenden
Bücher von Gundolf – gehören
gerade die Goethebiographien und Goetheschriften zur allererbärmlichsten und schmalzigsten
Literatur.
Wenn also ich mich aufraffe,
Goethe zu nennen oder gar
zu zitieren, dann muss sein
Wort schon ganz besonderes
tief in mein Leben hineingeklungen
sein!)
Aber dieser westöstliche Goethe
überhebt mich jeder weiteren
Diskursive. Er sagt alles,
was man tun muss:
Sei’s Ergreifen, sei es Raffen,
wenn nur sich fasst und hält:
Allah
Allah ist das arabische Wort für Gott.
braucht nicht mehr zu
schaffen
Wir erschaffen seine Welt
Dies ist wahrhaft wunderbar.
Auch die Ablehnung der Natur
(Allah braucht nicht mehr zu
schaffen), und die letzte Zeile,
die ausdrückt, dass der Schaffende
durch sein Schaffen nach dem
höchsten Sinn des Weltgeschehens
hilft! Also unfatalistisch!
Wollend und tuend! – Wie schön!!!
Dagegen ist ja der
Romantiker der typische
Künstler. Der Ausdruck
l’art pour l’art ist viel
Französischer Ausdruck für Kunst für die Kunst.
Gemeint ist hier das künstlerische Schaffen, im negativem Sinne, welches ohne Hintergedanken und ohne einen bestimmten Zweck entsteht.
Somit kann die Kunst sich nie auf eine neue höhere Ebene weiterentwickeln.
zu naiv, denn es kommt
ihm auch nicht einmal auf
den Kreis der Kunst an
(viel weniger noch auf den
Weltkreis wie einem Schöpfer)
sondern nur auf seine spezifische Arbeit, auf sein spezifisches Werke. Daher ist also
das, was er macht, immer nur
feinere, vielleicht sogar beste,
Unterhaltung.
Eine Erfahrung ist aber, dass
bei jedem grossen Schöpfertum jene Atmosphäre
der bloßen Grammatik des
Schaffens, aber Kunst, sich ausbreitet. Das also bei der Arbeit
an grossen Werken gewissermassen Kunst-Abfälle und
=Spähne umherfliegen.
Eine solche Atmosphäre
herrscht bei Ihnen, wie es
auch ganz natürlich ist.
Schwache Köpfe treten ein,
und halten diese Atmosphäre
schon für das Letzte und Erzielenswerte, weil sie diese
Luft nicht erst selbst sich
bereifen meinen, sondern sie schon
vorfinden u. von ihr ernährt werden.
In diesem Sinne ist Goetzens
Novelle in Ihrem Zimmer entstanden. Ich habe aber auch
Eichendorf noch falsch genannnt.
Sie stammt von Fouqué ab,
das ist es, und sie ist eine
reine Künstlerproduktion. Ihres
Inhaltes wegen wird die Novelle
auch wohl nicht bekannt werden,
denn ich finde sie hat keinen.
Sondern ihrer unterhaltendenden
hemmungslosen Phantastik auf
dem Niveau des sauberen gehaltenen
lit. Familienblattes. Ersatz
für einen guten Reiseroman.
Alles andere ist in Goetz mediumistisch, d.h. unbewusst eingeströmt,
was ich auch kenne, aber nicht
billige. Sehr dagegen billigt es das
Publikum. Vielleicht gelingt es
einen vermögenden Mann zu finden,
der bis zur Fertigstellung Goetzen das
nackte Leben schenkt. – Ach, aber
Welten trennen mich. – Dieser ganze
Brief eigentlich nur geschrieben wegen
der schönen Goetheschen Verse, und um
Sie zu umarmen!
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split">
<note type="shelfmark" place="top-left" resp="#archive_sig">
<subst><del rend="strikethrough">Mus.ep. L. Rubiner 27
(Busoni-Nachl. <handShift new="#archive_red"/>B II)</del></subst>
</note>
<note type="pagination" resp="#archive" place="top-right"> [1]</note>
<opener>
<hi rend="top-left"> <hi rend="align(left)"><placeName key="E0500452">Spiez</placeName></hi></hi>
<address>
<addrLine>
<hi rend="top-right"><seg rend="align(right)"><placeName key="E0500567">Hôtel Belvedère</placeName></seg></hi></addrLine></address>
<hi rend="align(right)"><date when-iso="1918-08-27">Dienstag, 27. August 1918</date></hi>
<dateline>
<note type="shelfmark" resp="#archive" place="margin-left" rend="rotate(-90)">
<subst><add> Mus.Nach. F. Busoni B II, 4286</add></subst>
</note></dateline>
<lb/><salute>Lieber <persName key="E0300017">Herr Busoni</persName>!</salute></opener>
<note type="stamp" place="margin-right" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
<p type="pre-split">Heute Ihren lieben Brief erhalten.
<lb/>Ich würde im höchsten Grade
<lb/>Bedenken tragen, Wesen wie
<lb/><persName key="E0300124">Goethe</persName> oder <persName key="E0300215">Dante</persName> <hi rend="dq-du">Künstler</hi>
<lb/>zu nennen. Denn bei solchen
<lb/>Charakteren ist die <hi rend="dq-du">Kunst</hi>
<lb/>die selbstverständliche Voraus
<lb break="no"/>setzung, so selbstverständlich wie
<lb/>für den Redner Grammatik,
<lb/>Vokabular und Volubilität seiner Sprache – d.h. Vorbedin
<lb break="no" rend="after:="/>gung. Bei solchen grossen
<lb/>Charakteren, die man doch
<lb/>wohl Schöpfer – oder ähnlich –
<lb/>nennen würde, braucht man
<lb/>eher nicht mehr über ihre
</p></div>
|
2Faksimile
|
2Diplomatische Umschrift
|
2XML
|
|
Gestaltungsfähigkeit zu disku- tieren, weil die Gestaltung von
Ideen eine Arbeit(!) ist, der
sie sich wesentlich u. von (anderen) vornerein?
immerwährend und unmerkbar
unterziehen. Sondern man kann
schon wieder mit ihnen über
das Niveau, das Zutreffende und das Umfassende ihrer
Ideen in Beziehung treten.
Dagegen ist der Künstler
(im aller, allerbesten Fall) ein
Wesen, das glücklich ist, wenn
es zufällig auch sogar einige
Ideen erschafft, das aber
gar nicht in seinen Ideen
lebt, sich nicht mit ihnen
identifiziert, ihnen nichts
opfert, nichts für sie tut, und
sie bloss als – ach endlich! –
gefundenes Thema benutzt;
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
Gestaltungsfähigkeit zu disku
<lb break="no"/>tieren, weil die Gestaltung von
<lb/>Ideen eine <hi rend="underline2">Arbeit</hi>(!) ist, der
<lb/>sie sich wesentlich u. von (anderen) vornerein?
<lb/>immerwährend und unmerkbar
<lb/>unterziehen. Sondern man kann
<lb/>schon wieder mit ihnen über
<lb/>das Niveau, das Zutreffende und das Umfassende ihrer
<lb/>Ideen in Beziehung treten.</p>
<p rend="indent">Dagegen ist der <hi rend="dq-du">Künstler</hi></p>
<p type="pre-split">(im aller, allerbesten Fall) ein
<lb/>Wesen, das glücklich ist, wenn
<lb/>es zufällig auch sogar einige
<lb/>Ideen erschafft, das aber
<lb/>gar nicht in seinen Ideen
<lb/>lebt, sich nicht mit ihnen
<lb/>identifiziert, ihnen nichts
<lb/>opfert, nichts für sie tut, und
<lb/>sie bloss als – ach endlich! –
<lb/>gefundenes Thema benutzt;
</p></div>
|
3Faksimile
|
3Diplomatische Umschrift
|
3XML
|
|
ein Wesen, dem es immer
lediglich auf die Frage der
Gestaltung selbst ankommt,
das den Schwung begrüsst,
unabhängig davon, wohin er
schwingt. Mit einem Wort:
der Gestaltungsquatscher. Ein
äusserst hochstehendes Beispiel:
Hölderlin. Unglaublich liebens- =werte (aber dennoch in Wahr- =heit lächerliche Typen): Victor
Hugo u. Verdi.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
so dass also für mich der Begriff
Künstler ein Schanden-Name
ist. Ich habe das die Jahre
hindurch; immer wieder geschrieben
und gedruckt. Und die besten
meiner Generation wissen es heute
auch.
wohlmeinender Tendenz
etc. hat die ganze Frage nichts zu
tun, auch das Schöpferische nicht.
Sondern nur damit: Arbeitest
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
ein Wesen, dem es immer
<lb/>lediglich auf die Frage der
<lb/>Gestaltung selbst ankommt,
<lb/>das den <hi rend="dq-du">Schwung</hi> begrüsst,
<lb/>unabhängig davon, wohin er
<lb/>schwingt. Mit einem Wort:
<lb/>der Gestaltungsquatscher. Ein
<lb/>äusserst hochstehendes Beispiel:
<lb/><persName key="E0300499">Hölderlin</persName>. Unglaublich liebens
<lb break="no" rend="after:="/>werte (aber dennoch in Wahr
<lb break="no" rend="after:="/>heit lächerliche Typen): <persName key="E0300381">Victor
<lb/>Hugo</persName> u. <persName key="E0300172">Verdi</persName>.</p>
<note type="stamp" place="margin-right" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
<p>so dass also für mich der Begriff
<lb/><hi rend="dq-du">Künstler</hi> ein Schanden-Name
<lb/>ist. Ich habe das die Jahre
<lb/>hindurch; immer wieder geschrieben
<lb/>und gedruckt. Und die besten
<lb/>meiner Generation wissen es heute
<lb/>auch.</p>
<p type="pre-split"><hi rend="dq-du">wohlmeinender Tendenz</hi>
<lb/>etc. hat die ganze Frage nichts zu
<lb/>tun, auch das Schöpferische nicht.
<lb/>Sondern nur damit: Arbeitest
</p></div>
|
4Faksimile
|
4Diplomatische Umschrift
|
4XML
|
|
du nur, um zu reden, gewisser- =massen als liebenswerte Gebens- =äusserung? Oder arbeitest du,
um die wirklichen grossen
Geheimnisse der Welt in
Formen, die Menschen-Sinnen
zugänglich sind, zu gestalten?
Den zweiten Fall nenne ich einen
Schöpfer.
Damit es nicht bei der blassen
Terminologie bleibe, so zitiere
ich einen der allerherrlichsten
Sprüche Goethes. (Als ich Schüler
war, zitierten meine Oberlehrer
mit feierlichem Fettkinn Goethe;
als ich Student war meine
betrügerischesten Commilitonen.
Goethe war um jene Zeit „die
grosse Mode“. Die flachsten
aller Universitätsprofessoren
hielten Vorlesungen über Goe
Goethe; die carrieresüchtigsten.
beriefen sich auf ihn. Und
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
du nur, um zu reden, gewisser
<lb break="no" rend="after:="/>massen als liebenswerte Gebens
<lb break="no" rend="after:="/>äusserung? Oder arbeitest du,
<lb/>um die wirklichen grossen
<lb/>Geheimnisse der Welt in
<lb/>Formen, die Menschen-Sinnen
<lb/>zugänglich sind, zu gestalten?
<lb/>Den zweiten Fall nenne ich einen
<lb/>Schöpfer.</p>
<p type="pre-split">Damit es nicht bei der blassen
<lb/>Terminologie bleibe, so zitiere
<lb/>ich einen der allerherrlichsten
<lb/>Sprüche <persName key="E0300124">Goethes</persName>. (Als ich Schüler
<lb/>war, zitierten meine Oberlehrer
<lb/>mit feierlichem Fettkinn <persName key="E0300124">Goethe</persName>;
<lb/>als ich Student war meine
<lb/>betrügerischesten Commilitonen.
<lb/><persName key="E0300124">Goethe</persName> war um jene Zeit <soCalled rend="dq-du">die
<lb/>grosse Mode</soCalled>. Die flachsten
<lb/>aller Universitätsprofessoren
<lb/>hielten Vorlesungen über <del rend="strikethrough">Goe</del>
<lb/><persName key="E0300124">Goethe</persName>; die carrieresüchtigsten.
<lb/>beriefen sich auf ihn. Und
</p></div>
|
5Faksimile
|
5Diplomatische Umschrift
|
5XML
|
|
mit einer genug neuen Ausnahme
– der höchstbedeutenden
Bücher von Gundolf – gehören
gerade die Goethebiographien und Goetheschriften zur aller- erbärmlichsten und schmalzigsten
Literatur.
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
Wenn also ich mich aufraffe,
Goethe zu nennen oder gar
zu zitieren, dann muss sein
Wort schon ganz besonderes
tief in mein Leben hineingeklungen
sein!)
Aber dieser westöstliche Goethe
überhebt mich jeder weiteren
Diskursive. Er sagt alles,
was man tun muss:
Sei’s Ergreifen, sei es Raffen,
wenn nur sich fasst und hält:
Allah
Allah ist das arabische Wort für Gott.
braucht nicht mehr zu
schaffen
Wir erschaffen seine Welt
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
mit einer genug neuen Ausnahme
<lb/>– der höchstbedeutenden
<lb/>Bücher von <persName key="E0300500">Gundolf</persName> – gehören
<lb/>gerade die <persName key="E0300124">Goethe</persName>biographien und <persName key="E0300124">Goethe</persName>schriften zur aller
<lb break="no"/>erbärmlichsten und schmalzigsten
<lb/>Literatur.
<note type="stamp" place="margin-right" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
<lb/>Wenn also ich mich aufraffe,
<lb/><persName key="E0300124">Goethe</persName> zu nennen oder gar
<lb/>zu zitieren, dann muss sein
<lb/>Wort schon ganz besonderes
<lb/>tief in mein Leben hineingeklungen
<lb/>sein!)</p>
<p type="pre-split">Aber dieser westöstliche <persName key="E0300124">Goethe</persName>
<lb/>überhebt mich jeder weiteren
<lb/>Diskursive. Er sagt alles,
<lb/>was man <hi rend="underline">tun</hi> muss:
<lb/><hi rend="dq-du">Sei’s Ergreifen, sei es Raffen,
<lb/>wenn nur sich fasst und hält:
<lb/>Allah
<note type="commentary" resp="#E0300485">Allah ist das arabische Wort für Gott. </note>
<hi rend="underline">braucht nicht mehr</hi> zu
<lb/><hi rend="underline">schaffen</hi>
<lb/><hi rend="underline">Wir erschaffen seine Welt</hi></hi>
</p></div>
|
6Faksimile
|
6Diplomatische Umschrift
|
6XML
|
|
Dies ist wahrhaft wunderbar.
Auch die Ablehnung der Natur
(Allah braucht nicht mehr zu
schaffen), und die letzte Zeile,
die ausdrückt, dass der Schaffende
durch sein Schaffen nach dem
höchsten Sinn des Weltgeschehens
hiel hilft! Also unfatalistisch!
Wollend und tuend! – Wie schön!!!
Dagegen ist ja der
Romantiker der typische
Künstler. Der Ausdruck
l’art pour l’art ist viel
Französischer Ausdruck für Kunst für die Kunst.
Gemeint ist hier das künstlerische Schaffen, im negativem Sinne, welches ohne Hintergedanken und ohne einen bestimmten Zweck entsteht.
Somit kann die Kunst sich nie auf eine neue höhere Ebene weiterentwickeln.
zu naiv, denn es kommt
ihm auch nicht einmal auf
den Kreis der Kunst an
(viel weniger noch auf den
Weltkreis wie einem Schöpfer)
sondern nur auf seine spezi- =fische Arbeit, auf sein spezifi- =sches Werke. Daher ist also
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
Dies ist wahrhaft wunderbar.
<lb/>Auch die Ablehnung der <hi rend="dq-du">Natur</hi>
<lb/>(Allah braucht nicht mehr zu
<lb/>schaffen), und die letzte Zeile,
<lb/>die ausdrückt, dass der Schaffende
<lb/>durch sein Schaffen nach dem
<lb/>höchsten Sinn des Weltgeschehens
<lb/><del rend="strikethrough">hiel</del> <hi rend="underline">hilft</hi>! Also unfatalistisch!
<lb/>Wollend <hi rend="underline">und tuend! – Wie schön!!!</hi>
<lb/>Dagegen ist ja der
<lb/>Romantiker der typische
<lb/>Künstler. Der Ausdruck
<lb/><hi rend="dq-du">l’art pour l’art</hi> ist viel
<note type="commentary" resp="#E0300485">Französischer Ausdruck für Kunst für die Kunst.
Gemeint ist hier das künstlerische Schaffen, im negativem Sinne, welches ohne Hintergedanken und ohne einen bestimmten Zweck entsteht.
Somit kann die Kunst sich nie auf eine neue höhere Ebene weiterentwickeln. </note>
<lb/>zu naiv, denn es kommt
<lb/>ihm auch nicht einmal auf
<lb/>den Kreis der Kunst an
<lb/>(viel weniger noch auf den
<lb/>Weltkreis wie einem Schöpfer)
<lb/>sondern nur auf seine spezi
<lb break="no" rend="after:="/>fische Arbeit, auf sein spezifi
<lb break="no" rend="after:="/>sches Werke. Daher ist also
</p></div>
|
7Faksimile
|
7Diplomatische Umschrift
|
7XML
|
|
das, was er macht, immer nur
feinere, vielleicht sogar beste,
Unterhaltung.
Eine Erfahrung ist aber, dass
bei jedem grossen Schöpfer- =tum jene blosse Atmosphäre
der blossen Grammatik des
Schaffens, aber Kunst, sich aus- =breitet. Das also bei der Arbeit
an grossen Werken gewisser- =massen Kunst-Abfälle und
=Spähne umherfliegen.
Eine solche Atmosphäre
herrscht bei Ihnen, wie es
auch ganz natürlich ist.
Schwache Köpfe treten ein,
und halten diese Atmosphäre
schon für das Letzte und Er- =zielenswerte, weil sie diese
Luft nicht erst selbst sich
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
das, was er macht, immer nur
<lb/>feinere, vielleicht sogar beste,
<lb/>Unterhaltung.</p>
<p type="pre-split">Eine Erfahrung ist aber, dass
<lb/>bei jedem grossen Schöpfer
<lb break="no" rend="after:="/>tum jene <del rend="strikethrough">blosse</del> Atmosphäre
<lb/>der blo<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>en Grammatik des
<lb/>Schaffens, aber Kunst, sich aus
<lb break="no" rend="after:="/>breitet. Das also bei der Arbeit
<lb/>an grossen Werken gewisser
<lb break="no" rend="after:="/>massen Kunst-Abfälle und
<lb/>=Spähne umherfliegen.
<lb/>Eine solche Atmosphäre
<lb/>herrscht bei Ihnen, wie es
<lb/>auch ganz natürlich ist.
<lb/>Schwache Köpfe treten ein,
<lb/>und halten diese Atmosphäre
<lb/>schon für das Letzte und Er
<lb break="no" rend="after:="/>zielenswerte, weil sie diese
<lb/>Luft nicht erst selbst sich
</p></div>
|
8Faksimile
|
8Diplomatische Umschrift
|
8XML
|
|
bereifen meinen, sondern sie schon
vorfinden u. von ihr ernährt werden.
In diesem Sinne ist Goetzens
Novelle in Ihrem Zimmer ent- standen. Ich habe aber auch
Eichendorf noch falsch genannnt.
Sie stammt von Fouqué ab,
das ist es, und sie ist eine
reine Künstlerproduktion. Ihres
Inhaltes wegen wird die Novelle
auch wohl nicht bekannt werden,
denn ich finde sie hat keinen.
Sondern ihrer unterhaltendenden
hemmungslosen Phantastik auf
dem Niveau des sauberen gehaltenen
Flit. Familienblattes. Ersatz
für einen guten Reiseroman.
Alles andere ist vonin Goetz medi- =umistisch, d.h. unbewusst eingeströmt,
was ich auch kenne, aber nicht
billige. Sehr dagegen billigt es das
Publikum. Vielleicht gelingt es
einen vermögenden Mann zu finden,
der bis zur Fertigstellung Goetzen das
nackte Leben schenkt. – Ach, aber
Welten trennen mich. – Dieser ganze
Brief eigentlich nur geschrieben wegen
der schönen Goetheschen Verse, und um
Sie zu umarmen!
|
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p type="split">
bereifen meinen, sondern sie schon
<lb/>vorfinden u. von ihr ernährt werden.
<lb/>In diesem Sinne ist <persName key="E0300192">Goetzens</persName>
<lb/>Novelle in Ihrem Zimmer ent
<lb break="no"/>standen. Ich habe aber auch
<lb/><persName key="E0300382">Eichendorf</persName> noch falsch genannnt.
<lb/>Sie stammt von <hi rend="underline"><persName key="E0300501">Fouqué</persName></hi> ab,
<lb/>das ist es, und sie ist eine
<lb/>reine Künstlerproduktion. Ihres
<lb/>Inhaltes wegen wird die Novelle
<lb/>auch wohl nicht bekannt werden,
<lb/>denn ich finde sie hat keinen.
<lb/>Sondern ihrer unterhaltendenden
<lb/>hemmungslosen Phantastik auf
<lb/>dem Niveau des sauberen gehaltenen
<lb/><del rend="strikethrough">F</del>lit. Familienblattes. Ersatz
<lb/>für einen guten Reiseroman.
<lb/>Alles andere ist <del rend="strikethrough">von</del>in <persName key="E0300192">Goetz</persName> medi
<lb break="no" rend="after:="/>umistisch, d.h. unbewusst eingeströmt,
<lb/>was ich auch kenne, aber nicht
<lb/>billige. Sehr dagegen billigt es das
<lb/>Publikum. Vielleicht gelingt es
<lb/>einen vermögenden Mann zu finden,
<lb/>der bis zur Fertigstellung <persName key="E0300192">Goetzen</persName> das
<lb/>nackte Leben schenkt. – Ach, aber
<lb/>Welten trennen mich. – Dieser ganze
<lb/>Brief eigentlich nur geschrieben wegen
<lb/>der schönen <persName key="E0300124">Goetheschen</persName> Verse, und um
<lb/><hi rend="underline">Sie zu umarmen!</hi></p>
<closer><signed>Ihr <persName key="E0300126">Ludwig Rubiner</persName></signed>
</closer>
</div>
|
9Faksimile
|
9Diplomatische Umschrift
|
9XML
|
|
|
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="top-right" resp="#post">
<stamp xml:id="post_abs">
<placeName key="E0500452">Spiez</placeName>
<date when-iso="1918-08-27">27.VIII.18.</date>
</stamp>
</note>
<address xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0">
<addrLine>Herrn</addrLine>
<addrLine><persName key="E0300017">Prof. Ferruccio Busoni</persName></addrLine>
<addrLine><placeName key="E0500132">Zürich</placeName></addrLine>
<addrLine><placeName key="E0500189">Scheuchzerstrasse 36</placeName></addrLine>
</address>
|
10Faksimile
|
10Diplomatische Umschrift
|
10XML
|
|
Mus.Nachl. F. Busoni
B II, 4286-Berl.
Nachlaß Busoni B II
Mus. ep. L. Rubiner 27
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
27. aug 1918
|
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="shelfmark" place="top-center" resp="#archive_sig">
<subst><add place="top-center"><handShift new="#archive_sig"/>Mus.Nachl. F. Busoni
B II, 4286-Berl.</add><del rend="strikethrough">
<stamp resp="#sbb_st_blue"> Nachlaß Busoni <handShift new="#archive_red"/>B II</stamp>
Mus. ep. L. Rubiner 27</del></subst>
</note>
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="top-right" resp="#post">
<stamp xml:id="post_rec">
<seg rend="inline"><placeName key="E0500132">Zürich</placeName>
<date when-iso="1918-08-27">27.VIII.18.</date></seg>
</stamp>
</note>
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="stamp" place="bottom-center" resp="#dsb_st_red">
<stamp rend="round border align(center) small">Deutsche
<lb/>Staatsbibliothek
<lb/><placeName key="E0500029"><hi rend="spaced-out">Berlin</hi></placeName>
</stamp>
</note>
<note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="annotation" place="bottom-center" rend="large" resp="#recipient">27. aug 1918</note>
|