Freitag morgen.
Lieber Herr Busoni!
Auf dem Wege nach Spiez. (Und nicht in meiner Schuld, wenn ich Sie vorher nicht mehr sah.)
Ich las Goetzens Novelle
Es ist unklar, um welche Novelle es sich dabei handeln könnte. Götz veröffentlichte seine ersten Novellen-Sammlungen erst im Jahr 1948: Der siebenköpfige Drache und Der Punkt zwischen den Augen.
(las sie, bekam sie
nicht vorgelesen, was sicher ablenkend wirken
würde). Und halt mich für verpflichtet, Ihnen
Nachricht zu geben – wovon Goetz natürlich nichts
weiß.
Diese Novelle – Welten trennen mich von
ihr! – ist entzückend!
Sie hat nichts mit
Hoffmann
und
Poe zu tun, sondern sie ist
direkteste, blutsverwandte (unbeeinflusste) Nachfolge von Eichendorff. (Welten trennen
mich davon?) – Gäbe es Gerechtigkeit, müsste
Götz in der deutschen Literatur daraufhin
als Dichter berühmt werden. Ich habe das
nie von ihm erwartet. Eine unerschöpflich
quellende, romantische Phantasie (die gar nicht
im Flaubert-Goncourtschen, impressionistischen
Stil, oder womöglich im Ausdrucks-Stil von
mir und meiner Generation gehalten sein darf!)
Eine erstaunliche und ungewöhnliche Naivität
spricht aus jeder Zeile – und der Verfasser
dieses Werkes ist der „Künstler“, von dem Sie
oft sprechen, die Sie oft so hoch stellen (und
von dem mich Welten trennen und trennen
sollen, jeden Tag mehr. Warum? Weil ich für
die einzige Aufgabe des Schaffenden halte, die
vor 2000 Jahren vor Christus lebendig
und aktuell gemachten Erkenntnisse je
nach der neuen Ausdrucks- und Lebenskraft
der Zeit in ihrer Lebendigkeit
plastisch darzustellen. [das hat natürlich nichts
mit Dogma, Kirche etc. zu tun. Und Christus
nenne ich, um abzukürzen]. Also Konflikte des
ewigen Menschen in höchster Abstraktion! Darum stehe ich auch so fern von der grundlosen
Naivität, die für mich dasselbe Ferne ist, wie für
Schopenhauer der grundlose Optimismus.)–
Wäre ich ein reicher Mann, so würde ich
Goetzen die Mittel gewähren, diese Novelle
zu Ende zu schreiben. Ich darf Ihnen
das sagen, ohne dass Sie darin eine verdeckte
Aufforderung erblicken, denn ich weiß, Sie sind
kein reicher Mann. Ich sage dies nur, um
meinen Eindruck vom „Dachkammer-Poeten“ auszudrücken. Leider weiß ich in meinen Kreisen auch
niemanden, den ich für Unterstützung der
Goetzschen Arbeit mobilisieren könnte, weil
man in diesen Kreisen, so oder so, meine Interessen teilt.
Die Novelle von Goetz ist übrigens auch
voll von instinktiven okkulten Erkenntnissen. Er kann nichts dafür, es strömt ihm zu.
Könnte er eine Zeit lang schaffen, er wäre
in Kurzem ein vielgelesener und geradezu
berühmter Dichter (außerhalb des heutigen
und morgigen Empfindens). Berühmt nach
seinen Werken allein, als liebenswerte Natur, als Andersen ohne Spitze. Neu-Eichendorff
ohne literarische Abhängigkeit von Eichendorff. Man muss aber offenbar die Sache mit eigenen
Augen lesen. —
Dies ist mein Urteil über Goetzens
Arbeit vom Standpunkte der kindlichen
Naivität aus – jener Standpunkt, der
mir weniger sympathisch als Ihnen, weil er das was heute geschieht, weder
zu verhindern noch zu befördern
versuchte. Eine ganze Welt (den
eine mir immer festehende, nämlich
das künstlerisch gesinnte Bürgertum, ist aber das Publikum für solche Dichtungen.
Goetz spricht gewiss zu vielen tausenden
Jungen von reizenden Damen und auch
ebenso netten – wenn auch Kriege befindlichen
Herren.
Der Dichter ist unser persönlicher Freund. Also, warum sollen wir diesem Publikum
(für das man Theater, Oper- und Konzertaufführungen macht, und dem man sich ja sklavisch beugt) diesem Publikum – solange es überhaupt
noch besteht....! – nicht seinen wirklichen
Dichter gönnen? Man soll es. Und was
bei mir steht, so will ich Goetzen persönlich
helfen. —
Ach, ach, und darum (es hat nicht allein mit
Goetz mehr zu tun) und darum das neutrale
Land? Und darum der geheiligte Boden
der internationalen europäischen Erhebungen
und der in die Zukunft schauenden Erkenntnisse,
und der absoluten und deutlich ausgesprochenen
Ablehnung jedes Zwanges!? Nur darum, um ein
Hock- und Satt-Ess-Asyl zu bilden mit Schweizer
Tonfall? Nein, Nein, Nein! Konflikte von vor
2000 Jahren stehen auf!
Herzlichsten Händedruck