Ludwig Rubiner an Ferruccio Busoni arrow_backarrow_forward

Zürich · 4. Dezember 1918

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Mus.ep. L. Rubiner (Busoni-Nachl. B II)
Mus.Nachl. F. Busoni B II 4288,
4. Dezember 1918Mittwoch
(4.12.1918)
Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin

Lieber!

Zuvor der lieben Frau Gerda einen Gruss, den Gruss eines
langen Verschwundenen! —

Schon um ½ 6 bin ich mit meinem Drama gemeint ist Rubiners einziges Drama Die Gewaltlosen
fertig geworden und habe das Wort: Ende darunter
geschrieben. Ein Vorspiel und drei Akte. (Ein
sonderbares Vorspiel und drei monströse Akte.)

Endlich, endlich habe ich den Kopf und
werde Ihnen wieder in die Augen schauen. Ich
möchte gern – morgen Donnerstag abend – zu
Ihnen kommen und Ihnen die Hand drücken.
Ich komme, wenn Sie mir nicht vorher das
Gegenteil schreiben.

Meine alte, mir offenbar eingeborene
Gewohnheit, Sie nie gleich neben dem Leben
her zu sehen, sondern nur, wenn ich recht
freudiger Stimmung bin, wird dabei durch
manches unterstützt. Vor allem dadurch,
dass Ihre beiden Söhne gerettet durch
die vergangenen Jahre Ende des Ersten Weltkriegs am 11. November 1918 gekommen sind!

4. Dezember 1918Mittwoch

Lieber!

Zuvor der lieben Frau Gerda einen Gruß, den Gruß eines langen Verschwundenen! —

Schon um ½ 6 bin ich mit meinem Drama gemeint ist Rubiners einziges Drama Die Gewaltlosen fertig geworden und habe das Wort: Ende darunter geschrieben. Ein Vorspiel und drei Akte. (Ein sonderbares Vorspiel und drei monströse Akte.)

Endlich, endlich habe ich den Kopf und werde Ihnen wieder in die Augen schauen. Ich möchte gern – morgen Donnerstag Abend – zu Ihnen kommen und Ihnen die Hand drücken. Ich komme, wenn Sie mir nicht vorher das Gegenteil schreiben.

Meine alte, mir offenbar eingeborene Gewohnheit, Sie nie neben dem Leben her zu sehen, sondern nur, wenn ich recht freudiger Stimmung bin, wird dabei durch manches unterstützt. Vor allem dadurch, dass Ihre beiden Söhne gerettet durch die vergangenen Jahre Ende des Ersten Weltkriegs am 11. November 1918 gekommen sind!

Und nun muss ich Ihnen auch sagen, was ich weiß: Was irgend an meiner Arbeit gut ist, verdanke ich Ihnen, Ihrem guten Zureden, Ihrer Teilnahme, und dem Gedanken an Sie.

Manches wird vielleicht Ihren Beifall haben, sehr vieles, sehr vieles vielleicht nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob es „gut“ ist, oder ob es das nicht ist. Manches ist mir nicht gelungen. —

Warum ich Ihnen nun so dankbar bin, das ist keine Floskel, sondern liegt an Folgendem. Als ich, nach einjähriger Arbeit, zum Schluss gekommen war, merkte ich, dass jedes Ihrer Worte, das Sie jemals mit mir über künstlerische Probleme gesprochen haben, aus einer tiefen Erfahrung heraus prophetisch gewesen war. Es ist alles, alles eingetroffen, auch das (Geständnis: Ja gerade das!), wogegen ich polemisiert habe.

Nachträglich noch bitte ich Sie, mir jeden Widerspruch zu verzeihen; es war offenbar die Form, mit deren Hilfe ich mir Ihre Erkenntnisse und Ihren Rat Gestalt in mir werden ließ! Sie haben mich dadurch tiefere Zusammenhänge im Menschenleben gelehrt! —

Und nun lasse ich die Arbeit einen Tag liegen, dann nehme ich in aller Eile die Arbeit der eigenen Abschrift auf. Anfang der nächsten Woche wird es lesbar sein, auch vorlesbar. —

In Liebe!

Ihr Ludwig Rubiner

                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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Und nun muss ich Ihnen auch sagen,
was ich weiss: Was irgend an meiner
Arbeit gut ist, verdanke ich Ihnen,
Ihrem guten Zureden, Ihrer Teilnahme,
und dem Gedanken an Sie.

Manches wird vielleicht Ihren Beifall
haben, sehr vieles, sehr vieles vielleicht
nicht. Ich weiss es nicht. Ich weiss nicht,
ob es „gut“ ist, oder ob es das nicht ist. Manches
ist mir nicht gelungen. —

Warum ich Ihnen nun so dankbar bin,
das ist keine Floskel, sondern liegt an Folgendem.
Als ich, nach einjähriger Arbeit, zum Schluss
gekommen war, merkte ich, dass jedes Ihrer
Worte, das Sie jemals mit mir über künstlerische
Probleme gesprochen haben, aus einer tiefen
Erfahrung heraus prophetisch gewesen war. Es ist
alles, alles eingetroffen, auch das (Geständnis:
Ja gerade das!), wogegen ich polemisiert habe.

Nachträglich noch bitte ich Sie, mir jeden Widerspruch
zu verzeihen; es war offenbar die Form, mit deren
Hilfe ich mir Ihre Erkenntnisse und Ihren Rat
Gestalt in mir werden liess! Sie haben mich dadurch
tiefere Zusammenhänge im Menschenleben gelehrt! —

Und nun lasse ich die Arbeit einen Tag liegen, dann
nehme ich in aller Eile die Arbeit der eigenen Abschrift
auf. Anfang der nächsten Woche wird es lesbar sein,
auch vorlesbar. — In Liebe! Ihr Ludwig Rubiner

                                                                
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Rubiner

Nachlaß BusoniB II
Mus.ep. L. Rubiner 29

Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4288-Beil.

Deutsche
Staatsbibliothek
Berlin
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Überlieferung
Deutschland | Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz | Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv | Nachlass Ferruccio Busoni | Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4288 | olim: Mus.ep. L. Rubiner 29 (Busoni-Nachl. B II) |

Nachweis Kalliope

Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
2 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ludwig Rubiner, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Vmtl. Hand des Empfängers Ferruccio Busoni, der auf der Umschlagrückseite die Zuordnung
  • Rubiner
  • mit Bleistift notiert hat.
  • Hand des Archivars, der die Signaturen mit Bleistift eingetragen und eine Foliierung vorgenommen hat.
  • Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat
  • Bibliotheksstempel (rote Tinte)
  • Poststempel (schwarze Tinte)
Bildquelle
Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz: 1234

Zusammenfassung
Rubiner berichtet sein Drama „Die Gewaltlosen“ vollendet zu haben und kündigt seinen Besuch bei Busoni an. Rubiner spricht seine Dankbarkeit für Busonis Einfluss zur Vollendung seines Werks aus. Rubiner Busoni
Incipit
Zuvor der lieben Frau Gerda einen Gruss

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
21. Februar 2018: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition