Ferruccio Busoni an Paul Bekker arrow_backarrow_forward

Zürich · 20. Januar 1920

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Der vorliegende Brief wurde mit Busonis Zustimmung und einigen einführenden Sätzen der Redaktion am 7. Februar 1920 im Ersten Morgenblatt der Frankfurter Zeitung veröffentlicht (vgl. Busoni 1920c, Digitalisat der Staatsbibliothek zu Berlin). Offenbar war der Originalbrief die unmittelbare Vorlage für den Satz. Die verschiedenen Eintragungen mit Blei- und Farbstift wurden sehr wahrscheinlich durch Mitarbeiter der Redaktion vorgenommen, die z. B. auf der ersten Seite Busonis private Postadresse getilgt, Absätze für den Druck markiert und einige Schreibfehler korrigiert haben. 1 Transkription unsicher. a
Eilt

1. Mgbl Transkription unsicher. Interner Eilt-Vermerk und vermutlich der Hinweis auf einen Abdruck im 1. Morgenblatt (abgekürzt „1. Mgbl“).
[Zürich, den 20 Jan. 1920
Scheuchzerstrasse 36

[Sehr verehrter Herr Paul Bekker,

ich habe ihren Aufsatz =„Impotenz“ – oder
Potenz?
= mit Theilnahme und Sympathie
gelesen; Bekkers Artikel, eine Antwort auf Hans Pfitzners Schrift „Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungsproblem?“, war wenige Tage zuvor in der Frankfurter Zeitung erschienen. für manches darin Gesagte bin
ich Ihnen herzlich zu Dank verpflichtet.
– Wenngleich Pfitzner meine Theilnahme
u. Sympathie nicht ebenso wecken kann –
er wünscht diese auch nicht – so kann ich
den Zweifel nicht ganz überwinden, dass
zwischen ihm und dem was er bekämpft
Misverständnisse bestehen; Bereits in einer früheren Replik, einem „Offenen Brief an Hans Pfitzner, wirft Busoni Pfitzner vor, dessen Kritik beruhe vornehmlich auf Missverständnissen. nicht nur
glaube ich, dass wir Alle – die es
ehrlich meinen – das Beste, das möglichst
Vollkommene in der Musik erstreben –
eine gemeinsame Eigenschaft, die jede
Gegnerschaft aufheben müsste – sondern
ich glaube ferner, dass es wohl Unter-
schiede in den heutigen Kompositionsver-
suchen gibt – namentlich Unterschiede
der Begabung! – den Transkription unsicher: durchgestrichen. nicht aber Klüfte, die
sie trennen: ich glaube dass sie mitsamt
einander ähnlicher sind, als wir ver-
muthen, oder uns einreden.

Der vorliegende Brief wurde mit Busonis Zustimmung und einigen einführenden Sätzen der Redaktion am 7. Februar 1920 im Ersten Morgenblatt der Frankfurter Zeitung veröffentlicht (vgl. Busoni 1920c, Digitalisat der Staatsbibliothek zu Berlin). Offenbar war der Originalbrief die unmittelbare Vorlage für den Satz. Die verschiedenen Eintragungen mit Blei- und Farbstift wurden sehr wahrscheinlich durch Mitarbeiter der Redaktion vorgenommen, die z. B. auf der ersten Seite Busonis private Postadresse getilgt, Absätze für den Druck markiert und einige Schreibfehler korrigiert haben.
Zürich, den 20. Januar 1920
Scheuchzerstraße 36

Sehr verehrter Herr Paul Bekker,

ich habe Ihren Aufsatz „Impotenz“ – oder Potenz? mit Teilnahme und Sympathie gelesen; Bekkers Artikel, eine Antwort auf Hans Pfitzners Schrift „Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungsproblem?“, war wenige Tage zuvor in der Frankfurter Zeitung erschienen. für manches darin Gesagte bin ich Ihnen herzlich zu Dank verpflichtet. – Wenngleich Pfitzner meine Teilnahme und Sympathie nicht ebenso wecken kann – er wünscht diese auch nicht –, so kann ich den Zweifel nicht ganz überwinden, dass zwischen ihm und dem, was er bekämpft, Missverständnisse bestehen; Bereits in einer früheren Replik, einem „Offenen Brief an Hans Pfitzner, wirft Busoni Pfitzner vor, dessen Kritik beruhe vornehmlich auf Missverständnissen. nicht nur glaube ich, dass wir alle – die es ehrlich meinen – das Beste, das möglichst Vollkommene in der Musik erstreben – eine gemeinsame Eigenschaft, die jede Gegnerschaft aufheben müsste –, sondern ich glaube ferner, dass es wohl Unterschiede in den heutigen Kompositionsversuchen gibt – namentlich Unterschiede der Begabung! –, nicht aber Klüfte, die sie trennen: Ich glaube, dass sie mitsamt einander ähnlicher sind, als wir vermuten oder uns einreden. (Anders steht es mit dem Unterschied der Gesinnung …)

Zu jeder Zeit gab es – es muss gegeben haben – Künstler, die an die letzte Tradition sich klammerten, und solche, die sich von ihr zu befreien suchten. Dieser Dämmerungszustand scheint mir der Stabile zu sein; Morgenröten und volle Tagesbeleuchtungen sind perspektivische Betrachtungen zusammenfassender und gern zu Ergebnissen gelangender Historiker. – Auch die Erscheinung von einzelnen in der Karikatur mündenden Experimenten ist eine ständige Begleiterin der Evolutionen: bizarre Nachäffung hervorspringender Gesten jener, die etwas gelten; Trotz oder Rebellion, Satire oder Narrheit. In den letzten 15 Jahren ist Derartiges wieder dichter aufgetreten; es fällt umso stärker auf nach dem Stillstand der 80er Jahre, der in der Kunstgeschichte recht vereinzelt dasteht (und leider gerade mit meiner eigenen Jugend zusammenfiel). Aber das Allgemeinwerden der Übertreibung – womit heute bereits der Anfänger debütiert – weist auf die Beendigung eines solchen Abschnittes; und der nächste Schritt, den der Widerspruch fördernd herbeiführen muss, ist der, der zur neuen Klassizität lenkt.

Unter einer „jungen Klassizität“ verstehe ich die Meisterung, die Sichtung und Ausbeutung aller Errungenschaften vorausgegangener Experimente: ihre Hineintragung in feste und schöne Formen.

Diese Kunst wird alt und neu zugleich sein – zuerst. Dahin steuern wir – glücklicherweise – bewusst und unbewusst, willig oder mitgerissen.

Diese Kunst soll aber – um in ihrer Neuheit rein zu erstehen, um dem Historiker wirklich ein Ergebnis zu bedeuten – auf mehreren Voraussetzungen basieren, die heute noch nicht völlig erkannt sind. Als eine der wichtigsten, von diesen noch nicht erfassten Wahrheiten, empfinde ich den Begriff der Einheit in der Musik. Ich meine die Idee, dass Musik an und für sich Musik ist, und nichts anderes, und dass sie selbst nicht in verschiedene Gattungen zerfällt; außer wenn Worte, Titel, Situationen, Deutungen, die völlig von außen in sie getragen werden, sie scheinbar in Varietäten dekomponieren. Es gibt keine Kirchen-Musik an und für sich; sondern absolut nur Musik, der entweder ein kirchlicher Text unterlegt oder die in der Kirche aufgeführt wird. Ändern Sie den Text, so ändert sich scheinbar auch die Musik. Nehmen Sie den Text ganz fort, so bleibt – illusorisch – ein symphonischer Satz: Fügen Sie Worte zu einem Streichquartett-Satz, so entsteht eine Opernszene. Spielen Sie den ersten Satz der „Eroica“ zu einem amerikanischen Indianerfilm, und die Musik wird Ihnen bis zur Unkenntlichkeit verwandelt erscheinen. – Darum sollten Sie nicht von „Instrumental Musik“ und „dem echten Symphoniker“ sprechen, wie es in Ihrem Aufsatz über Kammersymphonien Es ist nicht eindeutig festzustellen, auf welche Schrift Busoni sich bezieht. Möglicherweise ist der Abschnitt über Schönberg aus Bekkers „Neue Musik“ gemeint. Möglich ist jedoch auch ein Verweis auf Bekkers Buch über Beethoven (vgl. Busoni/Weindel 2006, S. 218). Unter Umständen ist auch Bekkers Aufsatz „Kammersinfonien“ gemeint (abgedruckt in der Frankfurter Zeitung vom 17.1.1920, H. 45, 64. Jg., S. 1), dieser enthält allerdings nicht die zuvor geannten Zitate. Ihnen entschlüpfte: Ich erlaube mir nicht, Sie zu kritisieren, aber ich litt unter dem Eindrucke, dass Sie sich mit dieser Terminologie Pfitzner näherstellten, als Sie sicherlich beabsichtigten. –

Zur „jungen Klassizität“ rechne ich noch den definitiven Abschied vom Thematischen und das Wieder-Ergreifen der Melodie – nicht im Sinne eines gefälligen Motives in der guten Lage eines Instrumentes, sondern der Melodie als Beherrscherin aller Stimmen, aller Regungen, als Trägerin der Idee und Erzeugerin der Harmonie, kurz: der höchst entwickelten (nicht kompliziertesten) Polyphonie.

Ein Drittes – nicht minder Wichtiges – ist die Abstreifung des „Sinnlichen“ und das Entsagen dem Subjektivismus (der Weg zur Objektivität – das Zurücktreten des Autors gegenüber dem Werke – ein reinigender Weg, ein harter Gang, eine Feuer- und Wasserprobe), die Wiedereroberung der Heiterkeit (serenitas): nicht die Mundwinkel Beethovens, und auch nicht das „befreiende Lachen“ Zarathustras, Das „befreiende Lachen Zarathustras“ findet sich in Friedrich Nietzsches Dichtung „Also sprach Zarathustra“ in dem Abschnitt „Vom höheren Menschen“ im vierten und letzten Teil des Werks. sondern das Lächeln des Weisen, der Gottheit. – Und absolute Musik. Nicht Tiefsinn und Gesinnung und Metaphysik; sondern: – Musik durchaus, destilliert, niemals unter der Maske von Figuren und Begriffen, die anderen Bezirken entlehnt sind.

Menschliches Empfinden – aber nicht menschliche Angelegenheiten – und auch dieses in den Maßen des Künstlerischen ausgedrückt.

Maße des Künstlerischen beziehen sich nicht nur auf die Proportionen, auf die Grenzen der Schönheit, die Wahrung des Geschmackes – sie bedeuten vor allem: einer Kunst nicht die Aufgaben zuzuerteilen, die außer ihrer Natur liegen. (Beispielsweise in der Musik: die Beschreibung.)

Dieses ist, was ich denke. Kann das – um auf das zuerst Gesagte zurückzugreifen –, kann diese Ansicht von ehrlichen Männern bestritten werden? Reiche ich nicht vielmehr die Hände zur allgemeinen Verständigung? Ist es möglich, dass diese Theorien als schädlich, gefährlich einerseits; als retrograd und kompromisshaft andererseits betrachtet werden sollten? – Ich vertraue sie Ihnen an.

Ihr ganz achtungsvoll ergebener

                                                                
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2 (Anders steht es mit dem Unterschied
der Gesinnung – – – –)

Zu jeder Zeit gab es – es muss gegeben
haben – Künstler, d[…] mindestens 1 Zeichen: durchgestrichen. die an dier letzten
Tradition sich klammerten und solche
die sich von ihr zu befreien suchten.
Dieser Dämmerungszustand scheint
mir der stabile zu sein; Morgenröthen
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perspektivische Betrachtungen zusammen-
fassender u. zu gern zu Ergebnissen
gelangender Historiker. – Auch die
Erscheinung voneinzelnenindierKarikatur mündenden
Experimenten sind ist eine ständige
Begleiterin der Evolutionen: bizarre
Nachäffung hervorspringender Gesten
Jener die Etwas gelten; Trotz oder
Rebellion, Satyre, oder Narrheit.
In den letzten 15 Jahren war ist
Derartiges wieder dichter aufgetreten;
es fällt umso stärker auf, nach
dem Stillstand der 80.ger Jahre, der
in der Kunstgeschichte recht vereinzelt
dasteht (und leider gerade mit meiner
eigenen Jugend zusamm[en]fiel.)

                                                                
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3 Aber das Allgemein-werden
der Übertreibung – womit heute
bereits der Anfänger debütirt –
weist auf die Beendigung eines
solchen Abschnittes; und der nächste
Schritt, den der Widerspruch fördernd
herbeiführen muss, ist der, der
zur neuen Klassizität le[…] 1 Zeichen: durchgestrichen. nkt.

[Unter einer “jungen Klassizität”
verstehe ich die Meisterung, die
Sichtung u. Ausbeutung aller
Errungenschaften vorausgegangener
Experimente: ihre Hineintragung
in feste und schöne Formen.

[Diese Kunst wird alt und neu
zugleich sein – zuerst. Dahin steuern
wir – glücklicherweise – bewusst und
unbewusst, willig oder mitgerissen.

[Diese Kunst soll aber – um
in Ihrer Neuheit rein zu erstehen,
um dem Historiker wirklich ein
Ergebnis zu bedeuten –aufmehrere
Voraussetzungen basieren, die
heute noch nicht völlig erkannt sind.

                                                                
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4 Als […] 1 Zeichen: überschrieben. eine der wichtigsten von diesen
noch nicht erfassten Wahrheiten
empfinde ich den Begriff der
Einheit in der Musik. Ich meine
die Idee, dass Musik an und für
sich Musik ist, und nichts Anderes,
und dass sie […] 1 Wort: durchgestrichen. selbst nicht in
verschiedene Gattungen zerfällt; ausser
wenn Worte, Titel, Situationen, Deutungen
die völlig von aussen in sie getragen
werden, sie scheinbar in Varietäten
dekomponierten. Es gibt keine Kirchen-
Musik an und für sich; sondern
absolut nur Musik, der entweder
ein kirchlicher Text unterlegt,
wird, oderdiein der Kirche aufgeführt
wird. Ändern Sie den Text, so aendert
sich scheinbar auch die Musik. Sie
können aus eine
Nehmen Sie den
Text ganz fort, so bleibt – illusorisch –
ein symphonischer Satz: Fügen Sie
Worte zu einem StreichquartettSatz,
so entsteht eine Opernszene. Spielen
Sie den ersten Satz der „Eroica“ zu einem

                                                                
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und die Musik wird Ihnen bis
zur Unkenntlichkeit verwandelt erscheinten
– Darum sollten Sie nicht von
“Instrumental Musik” u. „dem echten
Symphoniker“
sprechen, wie es in
Ihrem Aufsatz über Kammersymphonieen Es ist nicht eindeutig festzustellen, auf welche Schrift Busoni sich bezieht. Möglicherweise ist der Abschnitt über Schönberg aus Bekkers „Neue Musik“ gemeint. Möglich ist jedoch auch ein Verweis auf Bekkers Buch über Beethoven (vgl. Busoni/Weindel 2006, S. 218). Unter Umständen ist auch Bekkers Aufsatz „Kammersinfonien“ gemeint (abgedruckt in der Frankfurter Zeitung vom 17.1.1920, H. 45, 64. Jg., S. 1), dieser enthält allerdings nicht die zuvor geannten Zitate.
Ihnen entschlüpfte: ich erlaube mir
nicht, Sie zu kritisieren, aber ich litt
unter dem Eindrucke, dass Sie sich
mit dieser Terminologie Pfitzner
näher stellten, als Sie sicherlich
beabsichtigten. –

[Zur “jungen Klassizität” rechne
ich noch den definitiven Abschied
vom Thematischen und das Wieder-
Ergreifen der Melodie – nicht im
Sinne eines gefälligen Motives in
der guten Lage eines Instrumentes –
sondern der Melodie als Beherrscherin
aller Stimmen, aller Regungen,
als Trägerin der Idee und Erzeugerin
der Harmonie, kurz: der höchst entwickelten

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"> <note type="foliation" place="top-right" rend="space-below" resp="#editorial_office">5</note> <placeName key="E0500093">amerikanischen</placeName> Indianer<orig>-</orig>film, <lb/>und die Musik wird Ihnen bis <lb/>zur Unkenntlichkeit verwandelt erschein<subst><del rend="overwritten">t</del><add place="across">en</add></subst><reg>.</reg> <lb/>– Darum sollten Sie nicht von <lb/><q rend="dq-uu">Instrumental Musik</q> <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> <q rend="dq-du">dem echten <lb/>Symphoniker</q> sprechen, wie es in <lb/>Ihrem Aufsatz über Kammersymphonie<orig>e</orig>n <note type="commentary" resp="#E0300377 #E0300361"> Es ist nicht eindeutig festzustellen, auf welche Schrift <persName key="E0300017">Busoni</persName> sich bezieht. Möglicherweise ist der Abschnitt über <persName key="E0300023">Schönberg</persName> aus <persName key="E0300111">Bekkers</persName> <title key="E0800240" rend="dq-du">Neue Musik</title> gemeint. Möglich ist jedoch auch ein Verweis auf <persName key="E0300111">Bekkers</persName> <rs key="E0800242">Buch</rs> über <persName key="E0300001">Beethoven</persName> <bibl>(vgl. <ref target="#E0800018"/>, S. 218)</bibl>. Unter Umständen ist auch <persName key="E0300111">Bekkers</persName> Aufsatz <title rend="dq-du">Kammersinfonien</title> gemeint (abgedruckt in der <orgName key="E0600070"><placeName key="E0500153">Frankfurter</placeName> Zeitung</orgName> vom <date when-iso="1920-01-17">17.1.1920</date>, H. 45, 64. Jg., S. 1), dieser enthält allerdings nicht die zuvor geannten Zitate. </note> <lb/>Ihnen entschlüpfte: <choice><orig>i</orig><reg>I</reg></choice>ch erlaube mir <lb/>nicht, Sie zu kritisieren, aber ich litt <lb/>unter dem Eindrucke, dass Sie sich <lb/>mit dieser Terminologie <persName key="E0300084">Pfitzner</persName> <lb/>näher<orig> </orig>stellten, als Sie sicherlich <lb/>beabsichtigten. –</p> <p type="pre-split" rend="indent-first"><note type="annotation" resp="#editorial_office">[</note>Zur <soCalled rend="dq-uu">jungen Klassizität</soCalled> rechne <lb/>ich noch den definitiven Abschied <lb/>vom Thematischen und das Wieder- <lb break="no"/>Ergreifen der Melodie – nicht im <lb/>Sinne eines gefälligen Motives in <lb/>der guten Lage eines Instrumentes<choice><orig> –</orig><reg>,</reg></choice> <lb/>sondern der Melodie als Beherrscherin <lb/>aller Stimmen, aller Regungen, <lb/>als Trägerin der Idee und <hi rend="underline">Erzeugerin</hi> <lb/>der Harmonie, kurz: der höchst entwickelten </p></div>
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6 (nicht kompliziertesten) Polyphonie.

[Ein Drittes – nicht minder wichtiges –
ist die Abstreifung des sSinnlichen”
und das Entsagen dem Subjektivismus,
(der Weg zur Objektivität – das
Zurücktreten des Autors gegenüber
dem Werke – ein reinigender Weg,
ein harter Gang, eine Feuer und
Wasserprobe) d[…] mindestens 3 Zeichen: durchgestrichen. die die
Wiedereroberung der Heiterkeit
(Serenitas): nicht die Mundwinkel
Beethovens, und auch nicht das
“befreiende Lachen” Zarathustra’s, Das „befreiende Lachen Zarathustras“ findet sich in Friedrich Nietzsches Dichtung „Also sprach Zarathustra“ in dem Abschnitt „Vom höheren Menschen“ im vierten und letzten Teil des Werks.
sondern das Lächeln des Weisen., der
Gottheit. – Und Absolute Musik. Nicht Tiefsinn,
und Gesinnung, und Metaphysik;
sondern: – Musik durchaus, destilliert,
niemals unter der Maske von Figuren
u. Begriffen, die anderen Bezirken
entlehnt sind., […] mindestens 2 Zeichen: durchgestrichen. die si[…] mindestens 1 Zeichen: durchgestrichen. die
glücklich – Transkription unsicher: durchgestrichen. sich nicht

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"><p rend="indent-first" type="split"> <note type="foliation" place="top-right" rend="space-below" resp="#editorial_office">6</note> (nicht kompliziertesten) Polyphonie.</p> <p rend="space-above"><note type="annotation" resp="#editorial_office">[</note>Ein Drittes – nicht minder <choice><orig>w</orig><reg>W</reg></choice>ichtiges – <lb/>ist die Abstreifung des <soCalled rend="dq-uu"><subst resp="#editorial_office"><del rend="overwritten">s</del><add place="across">S</add></subst>innlichen</soCalled> <lb/>und das Entsagen dem Subjektivismus<orig>,</orig> <lb/>(der Weg zur Objektivität – das <lb/>Zurücktreten des Autors gegenüber <lb/>dem Werke – ein rein<choice><sic><add place="above" rend="small" resp="#editorial_office">ig</add></sic><corr>ig</corr></choice>ender Weg, <lb/>ein harter Gang, eine Feuer<reg>-</reg> und <lb/>Wasserprobe)<reg>,</reg> <del rend="strikethrough">d<gap atLeast="3" unit="char" reason="strikethrough"/> die</del> die <lb/>Wiedereroberung der Heiterkeit <lb/>(<choice><orig>S</orig><reg>s</reg></choice>erenitas): nicht die Mundwinkel <lb/><persName key="E0300001">Beethovens</persName>, und auch nicht das <lb/><q rend="dq-uu">befreiende Lachen</q> Zarathustra<orig>’</orig>s, <note type="commentary" resp="#E0300377"> Das <q rend="dq-du">befreiende Lachen Zarathustras</q> findet sich in <persName key="E0300090">Friedrich Nietzsches</persName> Dichtung <title key="E0400349" rend="dq-du">Also sprach Zarathustra</title> in dem Abschnitt <q rend="dq-du">Vom höheren Menschen</q> im vierten und letzten Teil des Werks. </note> <lb/>sondern das Lächeln des <hi rend="underline" resp="#editorial_office_red">Weisen</hi><subst><del rend="overwritten">.</del><add place="across">,</add></subst> <add place="inline" rend="small">der</add> <lb/><add place="margin-left" rend="small">Gottheit. – </add>Und <hi rend="underline"><choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>bsolute</hi> Musik. Nicht Tiefsinn<orig>,</orig> <lb/>und Gesinnung<orig>,</orig> und Metaphysik; <lb/>sondern: – Musik durchaus, destilliert, <lb/>niemals unter der Maske von Figuren <lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> Begriffen, die anderen Bezirken <lb/>entlehnt sind.<orig>,</orig> <del rend="strikethrough"><gap atLeast="2" unit="char" reason="strikethrough"/> die si<gap atLeast="1" unit="char" reason="strikethrough"/> die <lb/>glücklich <unclear reason="strikethrough" cert="high">–</unclear> sich nicht</del></p> </div>
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Menschliches Empfinden – aber
nicht menschliche Angelegenheiten –
und auch dieses in den Maassen
des Künstlerischen ausgedrückt.

[Maasse des Künstlerischen beziehen
sich nicht nur auf die Proportionen,
auf die Grenzen der Schönheit, und
die Wahrung des Geschmackes –
sie bedeuten vor Allem: die einer
Kunst nicht die Aufgaben auf zu zu
ertheilen, die ausser ihrer Natur
liegen. (Beispielsweise in der Musik:
die Beschreibung.)

[LDieses ist was ich denke.
Kann das – umaufdas zuerst Gesagte
zurückzugreifen – Kann diese Ansicht von
ehrlichen Männern[…] 1 Wort: durchgestrichen. bestritten werden? Reiche ich
nicht vielmehr die Hände zur
allgemeinen Verständigung? Ist es
möglich, dass diese Theorieen als
schädlich, gefährlich einerseits; als
retrograd und kompromisshaft andererseits
betrachtet werden sollten? – Ich vertraue
Sie Ihnen an. [Ihr ganz achtungsvoll ergebener

                                                                
<div xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="split"> <note type="foliation" place="top-right" rend="space-below" resp="#editorial_office">7</note> <p>Menschliches Empfinden – aber <lb/>nicht menschliche Angelegenheiten – <lb/>und auch dieses in den Ma<choice><orig>ass</orig><reg>ß</reg></choice>en <lb/>des Künstlerischen ausgedrückt.</p> <p rend="indent-first"><note type="annotation" resp="#editorial_office">[</note>Ma<choice><orig>ass</orig><reg>ß</reg></choice>e des Künstlerischen beziehen <lb/>sich nicht nur auf die Proportionen, <lb/>auf die Grenzen der Schönheit, <del rend="strikethrough">und</del> <lb/>die Wahrung des Geschmackes – <lb/>sie bedeuten vor <choice><orig>A</orig><reg>a</reg></choice>llem: <del rend="strikethrough">die</del> einer <lb/>Kunst nicht die Aufgaben <del rend="strikethrough">auf</del> zu<orig> </orig>zu<choice><orig> <lb/></orig><reg><lb break="no"/></reg></choice>ert<orig>h</orig>eilen, die au<choice><orig>ss</orig><reg>ß</reg></choice>er ihrer Natur <lb/>liegen. (Beispielsweise in der Musik: <lb/><seg rend="indent">die Beschreibung.)</seg></p> <p rend="indent-first"><del rend="strikethrough" resp="#editorial_office"><orig>–</orig></del> <note type="annotation" resp="#editorial_office"> [</note><subst><del rend="overwritten">L</del><add place="across">D</add></subst>ieses ist<reg>,</reg> was ich denke. <lb/>Kann das – um<reg> </reg><add place="above" rend="small">auf</add><reg> </reg>das zuerst Gesagte <lb/>zurückzugreifen –<reg>,</reg> <choice><orig>K</orig><reg>k</reg></choice>ann diese Ansicht <add place="inline">von</add> <lb/><subst><add place="above margin-left" rend="small">ehrlichen Männern</add><del rend="strikethrough"><gap extent="1" unit="word" reason="strikethrough"/></del></subst> bestritten werden? Reiche ich <lb/>nicht vielmehr die Hände zur <lb/>allgemeinen Verständigung? Ist es <lb/>möglich, dass diese Theorie<orig>e</orig>n als <lb/>schädlich, gefährlich einerseits; als <lb/>retrograd und kompromisshaft andererseits <lb/>betrachtet werden sollten? – Ich vertraue <lb/><choice><sic><hi rend="underline" resp="#editorial_office_red">S</hi></sic><corr>s</corr></choice>ie Ihnen an. <note type="annotation" resp="#editorial_office_violet"> [</note><seg type="closer" subtype="salute">Ihr ganz achtungsvoll ergebener</seg></p> <closer rend="align(right)"> <note type="annotation" place="center" resp="#editorial_office_violet">「</note><signed rend="inline"><hi rend="underline" resp="#editorial_office_violet"><persName key="E0300017">F. Busoni</persName></hi></signed> </closer> </div>
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Dr̲. F. Busoni
Scheuchzerst. 36
Express
[Z]ürich
[20.I.2]0.VI–
[Br]f. ✙ Aufg.
Zürich
20.I.20.VI–
Brf. ✙ Aufg.
Zürich
20.[I.20][.VI–]
Brf. ✙ [Aufg.]
R Zürich 1
№ 921
Herrn Paul Bekker,
Redaktion der
"Frankfurter Zeitung"
Frankfurt am Main.
                                                                
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[…] höchstens 3 Zeichen: unleserlich.
Frankfurt
22.1.20.4-5N
([Main]) […] mindestens 2 Zeichen: unleserlich.
nicht angetroffen
B[…] mindestens 5 Zeichen: unleserlich. 22/1
                                                                <note xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" type="annotation" place="center" rend="rotate(180)" resp="#unknown_hand">
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Überlieferung
USA | New Haven (CT) | Gilmore Music Library | The Paul Bekker Papers | MSS 50, I.A. Correspondence - Individual, A-E: Box 2, Folder 23
Zustand
Brief und Umschlag sind gut erhalten, abgesehen von einigen Einrissen und Knittern im Papier.
Umfang
7 Blatt, 7 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift
  • vmtl. Hand eines Redakteurs, der mit Bleistift eine Paginierung hinzugefügt, Absätze markiert und kleine Korrekturen vorgenommen hat
  • vmtl. Hand eines Redakteurs, der auf der ersten Textseite mit lila Buntstift u. a. einen
  • Eilt
  • -Vermerk angebracht hat
  • vmtl. Hand eines Redakteurs, der Textteile rot unterstrichen hat
  • unbekannte Hand, die mit Bleistift etwas auf der Rückseite des Umschlags vermerkt hat
  • Hand eines Postangestellten, der auf der Rückseite des Umschlags mit Bleistift eine Anmerkung in Kurrentschrift gemacht hat
  • Poststempel (schwarze Tinte)
  • Postaufkleber

Zusammenfassung
Busoni reagiert auf Bekkers Aufsatz „Impotenz“ – oder Potenz?; erläutert seine Idee einer „jungen Klassizität“ als notwendige nächste Entwicklungsstufe in der Kunst; nennt drei grundlegende Merkmale dieser Ästhetik: die „Einheit in der Musik“, den „definitiven Abschied vom Thematischen und das Wieder-Ergreifen der Melodie“ sowie ein als Hinwendung zum Objektiven apostrophiertes „Entsagen dem Subjektivismus“.
Incipit
ich habe Ihren Aufsatz „Impotenz“ – oder Potenz?

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
29. März 2018: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition
Frühere Ausgaben
Busoni 1920c, S. 1 Busoni 1920 (Weindel 2006), S. 95 f.