Ferruccio Busoni an Paul Bekker arrow_backarrow_forward

Zürich · 20. August 1920

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20 Aug. 1920

Hochverehrter Herr Paul Bekker,

als ich Ihnen den 2. Band Bach Gemeint ist der zweite Band des Wohltemperierten Klaviers in der von Busoni herausgebenen Bach-Ausgabe (erschienen bei Breitkopf & Härtel); vgl. den vorangegangenen Brief Bekkers an Busoni vom 16. August 1920.
zusenden liess, beabsichtigte ich nicht
im Entferntesten, Sie damit zum
Handeln zu veranlassen. Sollte Ihnen
die Arbeit aber wichtig genug erscheinen,
so waere ich allerdings durch eine
Würdigung derselben aus Ihrer Feder
sehr beglückt. – Andere Werke sollen
Ihnen gern nachgeschickt werden; Anscheinend wurden Bekker noch weitere Bände aus der Bach-Ausgabe zugesandt, darunter fälschlicherweise der von Busonis Mitarbeiter Egon Petri bearbeitete Band 9 (Busoni / Breitkopf & Härtel / Hanau 2012, S. 756) . Bekker bezog sich in seinem Artikel vom 11. Juni 1921 jedoch nur auf die ersten zwei Bände, die Busonis Ausgabe des Wohltemperierten Klaviers enthalten (vgl. Bekker 1921a, S. 1f.).
für das geäußerte Interesse danke
ich Ihnen erkenntlichst.

Dem "Schweizerland" konnte
der Grundgedanke Ihres schönen
Aufsatzes unmöglich behagen: Vgl. den vorangegangenen Brief Bekkers. Der Artikel „Die ‚Rückkehr zur Natur‘ sollte ursprünglich im Schweizerland veröffentlicht werden, erschien aber stattdessen am 12. Juni 1920 in der Frankfurter Zeitung. die
„Rettung in’s Dorf“ Busoni paraphrasiert hier aus Bekkers Aufsatz „Die ‚Rückkehr zur Natur‘. Dort heißt es richtig: „während die Politik sich immer mehr zum Denken in überstaatlichen und überkontinentalen Begriffen bequemen muß, wird in der Kunst — das Dorf als Rettung gepriesen.“
(Paul Bekker, Die „Rückkehr zur Natur“, in: Kritische Zeitbilder, S. 327–336, hier S. 327f.)
traf es jageradezu
in seinen Kern! Sie scheinen die
Gegend nicht zu kennen .....*

Ich freue mich, Sie wieder
einmal gedruckt zu lesen, gönne
Ihnen jedoch die so nöthigen Ferien.

Mit freundlichsten Grüssen
Ihr hochachtend u herzlich
ergebener

F. Busoni
20. August 1920

Hochverehrter Herr Paul Bekker,

als ich Ihnen den zweiten Band Bach Gemeint ist der zweite Band des Wohltemperierten Klaviers in der von Busoni herausgebenen Bach-Ausgabe (erschienen bei Breitkopf & Härtel); vgl. den vorangegangenen Brief Bekkers an Busoni vom 16. August 1920. zusenden ließ, beabsichtigte ich nicht im Entferntesten, Sie damit zum Handeln zu veranlassen. Sollte Ihnen die Arbeit aber wichtig genug erscheinen, so wäre ich allerdings durch eine Würdigung derselben aus Ihrer Feder sehr beglückt. – Andere Werke sollen Ihnen gern nachgeschickt werden; Anscheinend wurden Bekker noch weitere Bände aus der Bach-Ausgabe zugesandt, darunter fälschlicherweise der von Busonis Mitarbeiter Egon Petri bearbeitete Band 9 (Busoni / Breitkopf & Härtel / Hanau 2012, S. 756) . Bekker bezog sich in seinem Artikel vom 11. Juni 1921 jedoch nur auf die ersten zwei Bände, die Busonis Ausgabe des Wohltemperierten Klaviers enthalten (vgl. Bekker 1921a, S. 1f.). für das geäußerte Interesse danke ich Ihnen erkenntlichst.

Dem „Schweizerland“ konnte der Grundgedanke Ihres schönen Aufsatzes unmöglich behagen: Vgl. den vorangegangenen Brief Bekkers. Der Artikel „Die ‚Rückkehr zur Natur‘ sollte ursprünglich im Schweizerland veröffentlicht werden, erschien aber stattdessen am 12. Juni 1920 in der Frankfurter Zeitung. die „Rettung ins Dorf“ Busoni paraphrasiert hier aus Bekkers Aufsatz „Die ‚Rückkehr zur Natur‘. Dort heißt es richtig: „während die Politik sich immer mehr zum Denken in überstaatlichen und überkontinentalen Begriffen bequemen muss, wird in der Kunst — das Dorf als Rettung gepriesen.“
(Paul Bekker, Die „Rückkehr zur Natur“, in: Kritische Zeitbilder, S. 327–336, hier S. 327f.)
traf es geradezu in seinen Kern! Sie scheinen die Gegend nicht zu kennen …

Ich freue mich, Sie wieder einmal gedruckt zu lesen, gönne Ihnen jedoch die so nötigen Ferien.

Mit freundlichsten Grüßen Ihr hochachtend und herzlich ergebener

F. Busoni

*– es wäre aber recht wünschenswert (und an der Zeit), dass sie etwa in der „Neuen Zürcher“ einiges Aufklärende und Zurechtrückende publizierten. Zu einem solchen Artikel kam es nicht. Der früheste Beitrag Bekkers in der Neuen Zürcher Zeitung stammt aus dem Jahre 1922, ein Bericht über das Tonkünstlerfest in Düsseldorf (vgl. Eichhorn 2002, 714 f.). Ich dachte (wenn ich mich so weit wagen darf –) an eine Schrift „wo stehen wir?“, Mit diesem Titel bezieht sich Busoni hier möglicherweise auf einen musikästhetischen Artikel Bekkers aus dem Jahr 1913 in der Frankfurter Zeitung: „Wohin treiben wir“ (in: Paul Bekker, Kritische Zeitbilder, S. 247–259). darin alles Lebendig-erhaltene, Verblasste, Überwundene aufgezählt und auf seinen Platz gestellt würde, aus dem die Musikliteratur, – die wir aus Gewohnheit und Trägheit – gedankenlos weiter pflegen, statutenmäßig sich zusammensetzt. Ihr Schlagwort „zuviel Beethoven Wahrscheinlich bezieht sich Busoni auf Bekkers soeben (am Morgen des 19. August 1920) erschienenen Artikel Beethoven-Feste“, in dem die gehäuften Aufführungen im Beethoven-Jahr 1920 kritisiert werden: „Alles aber, was man bis jetzt an Vorankündigungen von Musikveranstaltungen […] hört, ist geeignet, stilles Grauen vor dem nächsten Musikwinter zu wecken, vor der Beethovenflut, die sich in sinnloser Fülle über die Menschen ergießen wird. […] Wer Beethoven wirklich kennt und erlebt, weiß, dass seine Kunst viel zu feurig und ergreifend ist, […] um in Massen und in der Häufigkeit eines Kaffeekränzchens genossen werden zu können.“ (Bekker 1920b, S. 2). und die lichte Kritik über Brahms (anlässlich des Quartett-Zyklus) Busoni bezieht sich auf die im Juni 1920 erschienene Rezension Bekkers eines Konzertzyklus des Rosé-Quartetts in Frankfurt, bei dem neben Werken von Mozart und Schubert Kammermusik von Brahms zur Aufführung kam. Bekker kritisiert hier: Den Hörern „öffnete er eine Welt, die nicht groß, aber klar und rein gesehen war, sich gegen alles Neuzeitliche, alles Werdende, Drängende, Problematische fest abschloss und das Gewesene nochmals in bestimmter, reifer, persönlich erfasster Nachbildung neu entstehen ließ. Sehr schön in sich, menschlich oft warm und ergreifend, denn in Brahms lebte ein Dämon unter der Maske des Philisters. Aber dabei doch eigentlich eng – nur eine wahrhaft arme, unfruchtbare Zeit konnte […] einen solchen Künstler des geistigen Rückzuges als einen ihrer Repräsentanten erkennen und feiern.“ (Bekker 1920a, S. 1). gäben treffliche Ausgangspunkte. Wie gefällt Ihnen das Thema?

F. B.

                                                                
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2Diplomatische Umschrift
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*– es wäre aber recht wünschens-
werth (u. an der Zeit) daß sie etwa
in der „Neuen Zürcher“ einiges
Aufklärende und Zurechtrückende
publizierten. Zu einem solchen Artikel kam es nicht. Der früheste Beitrag Bekkers in der Neuen Zürcher Zeitung stammt aus dem Jahre 1922, ein Bericht über das Tonkünstlerfest in Düsseldorf (vgl. Eichhorn 2002, 714 f.). Ich dachte (wenn
ich mich so weit wagen darf –) an
eine Schrift „wo stehen wir?“, Mit diesem Titel bezieht sich Busoni hier möglicherweise auf einen musikästhetischen Artikel Bekkers aus dem Jahr 1913 in der Frankfurter Zeitung: „Wohin treiben wir“ (in: Paul Bekker, Kritische Zeitbilder, S. 247–259).
darin alles Lebendig=erhaltene,
Verblasste, Überwundene auf-
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stellt würde, aus dem die Musik-
literatur, – die wir aus Gewohnheit
u. Trägheit – gedankenlos weiter
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zusammensetzt. Ihr Schlagwort
„zuviel Beethoven Wahrscheinlich bezieht sich Busoni auf Bekkers soeben (am Morgen des 19. August 1920) erschienenen Artikel Beethoven-Feste“, in dem die gehäuften Aufführungen im Beethoven-Jahr 1920 kritisiert werden: „Alles aber, was man bis jetzt an Vorankündigungen von Musikveranstaltungen […] hört, ist geeignet, stilles Grauen vor dem nächsten Musikwinter zu wecken, vor der Beethovenflut, die sich in sinnloser Fülle über die Menschen ergießen wird. […] Wer Beethoven wirklich kennt und erlebt, weiß, daß seine Kunst viel zu feurig und ergreifend ist, […] um in Massen und in der Häufigkeit eines Kaffeekränzchens genossen werden zu können.“ (Bekker 1920b, S. 2). und
die lichte Kritik […] überschrieben. über Brahms
(anlässlich des Quartett-Zyklus) Busoni bezieht sich auf die im Juni 1920 erschienene Rezension Bekkers eines Konzertzyklus des Rosé-Quartetts in Frankfurt, bei dem neben Werken von Mozart und Schubert Kammermusik von Brahms zur Aufführung kam. Bekker kritisiert hier: Den Hörern „öffnete er eine Welt, die nicht groß, aber klar und rein gesehen war, sich gegen alles Neuzeitliche, alles Werdende, Drängende, Problematische fest abschloß und das Gewesene nochmals in bestimmter, reifer, persönlich erfasster Nachbildung neu entstehen ließ. Sehr schön in sich, menschlich oft warm und ergreifend, denn in Brahms lebte ein Dämon unter der Maske des Philisters. Aber dabei doch eigentlich eng – nur eine wahrhaft arme, unfruchtbare Zeit konnte […] einen solchen Künstler des geistigen Rückzuges als einen ihrer Repräsentanten erkennen und feiern.“ (Bekker 1920a, S. 1).
gäben treffliche Ausgangspunkte.
Wie gefällt Ihnen das Thema?

F. B.

                                                                
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3Diplomatische Umschrift
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Dr. F. Busoni Z. VI.
Zürich 3
19.VIII.20. – 17
VIII
Bahnhof
Zürich 3
19.VIII.20. – 17
VIII
Bahnhof
Herrn Paul Bekker
Hofheim im Taunus
Kapellenstrasse 2
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Überlieferung
USA | New Haven (CT) | Gilmore Music Library | The Paul Bekker Papers | MSS 50, I.A. Correspondence - Individual, A-E: Box 2, Folder 23
Zustand
Der Brief ist gut erhalten.
Umfang
1 Blatt, 2 beschriebene Seiten
Hände/Stempel
  • Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift.
  • Poststempel (schwarze Tinte)

Zusammenfassung
Busoni dankt Bekker für die Auseinandersetzung mit seiner Bach-Ausgabe und bittet um die Würdigung in einem Artikel; schlägt ihm einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung zum Zustand der Musik vor.
Incipit
als ich ich Ihnen den 2.Band Bach zusenden ließ

Inhaltlich Verantwortliche
Christian Schaper Ullrich Scheideler
bearbeitet von
Stand
22. März 2018: in Korrekturphase (Transkription abgeschlossen, Auszeichnungen codiert, zur Korrekturlesung freigegeben)
Stellung in diesem Briefwechsel
Vorausgehend Folgend
Benachbart in der Gesamtedition