Verehrter Freund.
Ihre „Rezensionen“ sind mir
von größtem Werte, und bei
jeder Veröffentlichung zähle
ich im Stillen darauf.
Die Sonatina wurde hier
verschimpft, die Mildesten
fanden in ihr eine Nachahmung
Debussys!
Ich müsste meine kleine
Ästhetik neu redigieren, nicht
alles ist darin wohl deutlich
genug ausgedrückt.
Ich bin ein Anbeter der Form!!
Ich bin überempfindlich
dafür, und diese meine Schwäche
macht, dass ich viel leide,
weil so oft gegen Form gesündigt
wird – auch im Leben, im
Abstatten und Beenden eines
Besuches, im Einschenken
einer Tasse Tee, in einer
Programmzusammenstellung,
in Gesten, Worten, Handlungen.
Aber ich lehne mich gegen
überlieferte und unabänderliche
Formen auf und empfinde,
dass jeder Gedanke, jedes Motiv,
jedes Individuum eine eigene
im Verhältnis zum Gedanken,
zum Motiv, zum Individuum
stehende Form haben muss.
So ist es in der Natur, und
der Keim enthält schon die
ausgewachsene Pflanze.
Sie verstehen mich aus
diesen wenigen Sätzen, doch
könnte ich sehr ausführlich
darüber schreiben.
In der Wiener Universal-Edition
erschien dieser Tage ein von mir
klaviermäßig-gestaltetes Stückchen
von Arnold Schönberg, auf das ich
Sie aufmerksam mache. (Leider
habe ich kein Exemplar zur Verfügung.)
Es wird Sie abstoßen, namentlich
im harmonischen Klang, aber
es enthält eine eigene Empfindung
und scheint mir eben in seiner
Form vollendet. –
Die Architektonik der Musik ist
die „Sphäre“, der Inhalt muss
nur darin richtig verteilt sein.
Das hat derselbe Schönberg in einem
jüngst hier aufgeführten Orchesterpoem
(Pelleas und Melisande) nicht verstanden.
Es ist wie ein Sack, der mit kantigen
Gegenständen gepfropft ist. – Aber auch
dieses Stück zeigt Eigenart, Unabhängigkeit
und stellenweise auch Schönheit. (Es ist mit
29 Jahren komponiert.)
Ich könnte noch lange mit
Ihnen schwätzen – – –
Vielen Dank für Ihr sehr
freundliches Interesse. Ich grüße
Sie und Ihre Frau Gemahlin herzlich
und achtungsvoll.